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Sehen und gesehen werden #

Seit den 90er Jahren baut Wien wieder an der Donau. Beliebigkeit und Selbstdarstellung dominieren dabei die Waterfront. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 23. Juni 2016).

Von

Reinhard Seiß


Donaubrücke
Wien an die Donau. Auf den Umstand, dass sich die Stadt immer weiter vom Fluss weg nach Süden entwickelt hatte, reagierte man ab Mitte der 1980er Jahre mit dem Ausbau des Donauraums.
Foto: Shutterstock

„Wien an die Donau!“, lautete die Losung der Wiener Planungspolitik ab Mitte der 1980er Jahre als Reaktion darauf, dass sich die Stadt immer weiter vom Fluss weg nach Süden entwickelt hatte, sodass die Innenstadt zunehmend an den Rand des Stadtkörpers rückte und die Verkehrswege im Südraum an ihre Kapazitätsgrenzen stießen. Gleichzeitig lagen entlang der Donau und nordöstlich des Flusses – in relativer Zentrumsnähe – große Entwicklungsgebiete brach, die zum Teil bestens erschlossen waren. Spätestens mit der Ostöffnung und dem damit einsetzenden Bevölkerungszuzug in die bis dahin schrumpfende Millionenstadt war klar, dass der Donauraum ein wesentlicher Schauplatz des prognostizierten Wachstums sein würde, sodass die Stadt Wien begann, den Ausbau des hochrangigen Verkehrsnetzes über die bisherige Barriere voranzutreiben.

Hermetische Superblocks #

Der erste Sprung über die Donau sollte in Form einer den Fluss querenden städtebaulichen Achse entlang des Straßenzugs Lassallestraße– Wagramer Straße erfolgen. Für den ersten, 700 Meter langen Abschnitt entlang der Lassallestraße waren eine für Wien typische Blockrandbebauung mit für Fußgänger und Radfahrer durchlässigen, funktional durchmischten Gebäuden sowie ein urbaner Boulevard mit Arkaden und Alleen zum Flanieren vorgesehen.

Was ab 1989 realisiert wurde, hat allerdings nur oberflächlich etwas mit den Planungen gemeinsam. Die Investoren erkannten das Potential des Standorts für großvolumige Büroimmobilien und errichteten vier Superblocks von jeweils rund 150 mal 150 Metern, die sich nach außen hin hermetisch verschließen und dadurch nicht städtische Straßenräume, sondern reine Verkehrsschneisen erzeugen. Statt der beabsichtigten Integration von rund 500 Wohnungen, zahlreichen Geschäften und vielfältiger Gastronomie schlugen heimische wie ausländische Konzerne hier ihre Headquarters auf – die sie in der Zwischenzeit, auch aufgrund des spröden Charakters des Neubauviertels, zum Teil schon wieder aufgegeben haben.

Jenseits der Donau wurde knapp zehn Jahre später an der geplanten Achse weitergebaut – und dabei der zwischenzeitliche Verfall der planungspolitischen Integrität augenfällig: Insgesamt neun Türme reihen sich auf der linken Seite der Wagramer Straße aneinander und sollen für Urbanität sorgen. Die geradezu unverantwortliche Bebauungsdichte ist dem Umstand geschuldet, dass die Grundstücke in Erwartung der in nächster Nähe geplant gewesenen EXPO ’95 viel zu teuer erworben wurden und nach Platzen der Weltausstellungsblase bei einer angemessenen Verbauung nicht einmal ansatzweise die gewünschte Rendite ermöglicht hätten. So räumte die Stadt den Immobilienspekulanten ein völlig überzogenes Baurecht ein, das auf Kosten der heute dort Wohnenden realisiert wurde. Neben drei bis zu 140 Meter hohen Büro- und Hotelbauten entstand dort aus der Feder prominenter Architekten auch der Wohnpark Alte Donau mit sechs Türmen von rund 80 Metern, deren Umfeld keinen Platz mehr bietet für entsprechende Spielplätze oder Grünräume, sondern nur noch Restfläche zur Erschließung des Hochhauswaldes ist.

Monofunktionale Großbauten #

Das dichte Nebeneinander von monofunktionalen Großbauten, das in Wien bis heute gern als Urbanität verkauft wird, ist auch das Grundprinzip der seit 1995 in Realisierung begriffenen Donau City. Das Flaggschiff der Entwicklung im Donauraum, das einst als zweites Stadtzentrum geplant war, besteht abgesehen von einer Schule nur aus Wohn- und Bürogebäuden, da die ursprünglich vorgesehenen Kultur- und Wissenschaftsbauten von der privaten Entwicklungsgesellschaft eingespart wurden. Dem öffentlichen Raum gegenüber verschließen sich die meisten Hochhäuser in ihren Sockelzonen, anstatt Handel, Dienstleistungen und Gastronomie Platz zu geben. Diese Art Stadtentwicklung erzeugt nicht nur öde Wohnviertel, sie wird auch vom Büromarkt wenig honoriert: Selbst der DC 1 Tower von Stararchitekt Dominique Perrault, der in seiner Maßstabslosigkeit vom Rathaus als neues Wahrzeichen begrüßt wurde und mit 250 Metern alle bisherigen Türme der Donau City wie Zwerge erscheinen lässt, kämpft seit seiner Fertigstellung 2014 mit massivem Leerstand.

Dass Investoren trotz schlechter Verwertungschancen unbeirrt weiterbauen (in Bälde soll der 168 Meter hohe Büroturm DC 2 entstehen), ist aufgrund der eigentümlichen Rationalität der Immobilienbranche nicht verwunderlich. Umso bedenklicher ist indes, dass die Stadtplanung diesem – auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht schlechten – Städtebau nicht schon längst einen Riegel vorgeschoben hat. Denn durch halbleere Bürotürme werden nicht nur private Gelder, sondern auch knapper Boden und teure öffentliche Infrastruktur vergeudet, die genauso für dringend benötigte Wohnbauten Verwendung finden könnten. Zudem konkurriert und ruiniert ein Überangebot neuer Büro- oder auch Einzelhandelsflächen bestehende, kleinteiligere Strukturen, wie das Beispiel einer anderen Landmark des Wiener Donauraums zeigt: Der 202 Meter in den Himmel ragende Millennium Tower, der mit tatkräftiger Unterstützung der Wiener Baubehörden ganze 60 Meter höher wurde als ursprünglich genehmigt, birgt in seiner Sockelzone ein 30.000 Quadratmeter großes Einkaufszentrum (genehmigt waren an sich 20.000 Quadratmeter) – das der gewachsenen Nahversorgung in den umliegenden Geschäftsstraßen längst das Wasser abgegraben hat.

Bauen am Fluss ist für alle Beteiligten von Reiz. Die Nutzer der Gebäude genießen Weitblick und Aussicht auf einen attraktiven Landschaftsraum – sowie mit etwas Glück auch ein hochwertiges Naherholungsgebiet vor der Tür. Architekten können sich kaum wo prominenter ins Stadtbild einschreiben als hier und schätzen die Fernwirkung von Bauten am Wasser. Projektentwickler und Bauherren wiederum haben hier die Aufmerksamkeit des Immobilienmarkts sicher und können deutlich höhere Gewinne lukrieren. Was manchmal freilich auf Kosten Dritter geht. Direkt neben der Reichsbrücke, unmittelbar an der Donau wird mit den Danube Flats demnächst ein 150 Meter hoher Wohnturm auf einer Parzelle entstehen, auf der nie ein Hochhaus vorgesehen war – zumal 30 Meter davon entfernt bereits eines steht: der 120 Meter hohe Wolkenkratzer von Architekt Harry Seidler aus dem Jahr 2002, dessen Bewohner bis vor kurzem dachten, einen unverbaubaren Blick auf die Fluss zu haben. Doch gehört das vorgelagerte Grundstück einem Immobilienspekulanten, der Wiens Bürgermeister zu seinen Freunden zählen und sich durch das Baurecht für ein Hochhaus – trotz einiger Gegenleistungen für die Allgemeinheit – eines millionenschweren Wertgewinns erfreuen darf. Das erbost nicht nur die betroffenen Anrainer, sondern all jene Bürger, die die dafür nötige Bebauungsplanänderung als reinen Gunsterweis sehen.

Gesamtkonzept fehlt #

Auf gemeinsame Projekte mit der Stadt Wien können auch die Entwickler des sogenannten Marina Tower zurückblicken. Das Hochhausprojekt, das zwar direkt an der Donauquerung der U-Bahn-Linie 2, ansonsten aber im städtebaulichen „nowhere land“ entstehen soll, wurde jahrelang als die Sensation am Wiener Büroimmobilienmarkt gehyped, mangels Nachfrage jedoch nie gebaut. 2013 kamen die Investoren dann auf die Idee, ihr 130 Meter-Projekt einfach zu einem Wohnturm umzufunktionieren, obwohl in unmittelbarer Nähe die lärmende Stadtautobahn A23 vorbeiführt und es an sozialer Infrastruktur für 400 Wohnungen fehlt. Es scheint, als blieben Willkür und Beliebigkeit auch weiterhin die Konstanten der Entwicklung des Wiener Donauraums. Ein städtebauliches Gesamtkonzept, ein öffentlicher Gestaltungswille für Wiens Waterfront sind nicht in Sicht – und möglicherweise ist es dafür inzwischen auch zu spät.

Der Autor ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.

DIE FURCHE, Donnerstag, 23. Juni 2016