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Das Kleidungsstück, das fast keines ist#

Der 70. Geburtstag des Bikinis zeigt die kuriose Geschichte einer Entwicklung: vom Kampf, mehr Haut zeigen zu dürfen, zum Kampf, weniger Haut zeigen zu müssen.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 2. Juli 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Christina Böck


Jayne Mansfield im Bikini mit Plastik-Jaynes im Bikini
Jayne Mansfield im Bikini mit Plastik-Jaynes im Bikini.
© Allan Grant/The LIFE Picture Collection/Getty Images

"Ein Bikini ist kein Bikini, wenn man ihn nicht durch einen Ehering durchziehen kann." Der Erfinder des Bikinis, Louis Réard, hat es wirklich ernst gemeint mit dem "leichten Gepäck". Gut, der Franzose war überhaupt ein ziemlicher Sprücheklopfer. So sagte er zum Beispiel auch: "Der Bikini ist so klein, dass er alles über die Trägerin enthüllt bis auf den Geburtsnamen ihrer Mutter!" Man merkt also schon: Von politischer Korrektheit war der Mann so weit entfernt wie Pamela Anderson von Cup-Größe A. Sieht man ja schon am Namen des Bademodenerzeugnisses: Réard suchte "etwas Explosives und Provokantes", einen "zündenden Begriff, der wie eine Bombe einschlagen sollte". Zum Beispiel wie eine Atombombe? Ja genau, warum nicht den knappen Zweiteiler nach jenem bemitleidenswerten Atoll benennen, auf dem die USA Atombombentests durchgeführt haben - wenige Tage, bevor am 5. Juli 1946 der Bikini offiziell in Paris präsentiert wurde. Selbstbewusst legte Réard auch noch nach: "Der Bikini wird so klein und verheerend sein wie die Atombombe!" Heute würde man so eine Marketing-Strategie im freundlichsten Fall bizarr finden. Damals war man fraglos noch nicht sehr sensibilisiert in Geschmacksfragen, was atomare Verstrahlung angeht. Im Gegenteil, Nukleares war so der letzte Schrei zu dem Zeitpunkt, dass Réards Konkurrent Jacques Heim, der auch einen Minimalbadeanzug erfunden hat, diesen ob seiner Winzigkeit "Atom" nannte.

20 Quadratzentimeter#

Aber Provokation ist Réard jedenfalls gelungen. Das wird ihm schon gedämmert sein, als er für die Präsentation seiner Modelle keine Mannequins gefunden hat, die sich so entblößen wollten. Er musste auf eine Dame zurückgreifen, deren Berufssparte man einmal verschämt "exotische Tänzerin" genannt hat. Den 20 Quadratzentimetern schnelltrocknendem Stoff war daher auch kein allzu schneller Erfolg beschieden. Die Moralvorstellungen der 40er und 50er wurden doch zu eklatant herausgefordert von der blinkenden blanken Haut. Nicht nur die katholische Kirche hielt das Kleidungsstück, das fast keines war, für sündig. Im prüden Amerika wurden Bikinis bis in die 60er von Misswahlen verbannt. In Spanien, Italien, Portugal, Australien und der französischen Atlantikküste war der Bikini auch für nicht-misstaugliche Schönheiten verboten. Hollywood war auch keine Hilfe. Dort herrschte noch bis Mitte der 60er der Moralkodex "Hays-Code", Bikinis sorgten bei den Zensoren für rote Ohren und schnelle Scheren. Und die Frau, die die größte Expertise zum Thema haben hätte müssen, deren Berufsuniform schließlich der Badeanzug war, hielt auch nicht viel vom Bikini: Esther Williams meinte "Der Bikini ist ein gedankenloses Werk."

1960 hatte der Bikini aber trotzdem seinen ersten großen popkulturellen Auftritt. Im Popsong mit einem der längsten Titel der einschlägigen Historie wurde thematisiert, was die meisten Frauen damals mit den vier Dreiecken an delikaten Stellen assoziiert haben mögen: Scham. Da zieht nämlich ein Mädchen zum ersten Mal ihren gelb gepunkteten Bikini an. Die Größenangabe desselben ist plakativ, nämlich "itsy bitsy teenie weenie" - das bedeutet quasi Ameisentanga-Ausmaße. Deswegen geniert sie sich und traut sich erst nicht aus der Kabine und dann nicht aus dem Wasser.

Die Hemmungen, die eine ganze Ära kennzeichneten, wurden aber schließlich abgelegt. Mit dafür verantwortlich war schon wieder jemand aus Frankreich: Brigitte Bardot ließ sich an gefühlsmäßig jedem Strand der französischen Riviera im Bikini ablichten - mehr PR ging schon fast nicht.

Jackie Kennedy und Bikini Kill#

Der Bikini wurde Schritt für Schritt zum Symbol einer Jugend, die sich nichts mehr sagen lassen wollte. Die sich nicht mehr einengen lassen wollte, und sei es nur von etwas Lycra rund um den Bauchnabel. Etwas weniger als 60 Jahre, nachdem die australische Schwimmerin Anette Kellerman in Boston an einem Strand verhaftet worden war, weil sie einen Badeanzug trug, der sie zwar von Kopf bis Fuß bedeckte, aber ihre Arme nackt ließ, schossen Paparazzi Fotos von Jackie Kennedy, immerhin Frau des US-Präsidenten, im Bikini im Italienurlaub.

Gut, der Präsident war da natürlich nicht erfreut. Aber er konnte nicht verhindern, dass der Bikini immer mehr zum Sinnbild eines erwachenden weiblichen Selbstbewusstseins und erstarkenden Körpergefühls wurde. Wobei man Kennedy natürlich unterstellen kann, dass er gegen den Effekt - also mehr Frauen in Bikinis - wieder nicht so viel hatte. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Obwohl: Eigentlich auch nicht. Denn dieser unterschwellige Sexismus zeigt, dass der Bikini immer schon in einem Spannungsfeld baumelte wie die Schnüre, die die Höschendreiecke zusammenhalten. Denn jenen, die den Bikini als Symbol der Befreiung priesen, standen seit jeher jene gegenüber, die verurteilten, dass der Körper der Frau zu Markte getragen werde, dass Frauen sich habnackt zum Objekt für gierige Männeraugen machten.

Erstere erhielten eifrig Unterstützung von der Popkultur, in Filmen wurden nicht nur, aber auch starke Frauen ins knappe Kostüm gesteckt. Berühmt wurden etwa der Bikini von Ursula Andress als Bondgirl (der einzige nicht-durchsichtige weiße Bikini der Welt) oder der goldene Lamé-Zweiteiler, den Prinzessin Leia in "Star Wars" trägt. Die Punk-Frauenband, die in den 90er Jahren die kämpferisch-feministische Subkultur der "Riot Grrrls" ins Leben rief, holte sich den Bikini nicht an den Körper, aber in den Namen: Bikini Kill benannte sich übrigens nach einem B-Movie, in dem eine Frau nach der Weltherrschaft trachtet, indem sie alle männlichen Herrscher durch ihre weiblichen Agenten ersetzt.

Wie damals, nur anders#

70 Jahre nach der Erfindung des Bikinis scheinen die Kritiker aber wieder mehr Zulauf zu bekommen. Nicht nur flammt auch heuer, von der Flüchtlingssituation verstärkt, die Debatte auf, ob die islamische Badebekleidungsvariante Burkini (das ist in etwa das, was Anette Kellerman trug, nur mit Ärmeln und Kapuze) in Bädern erlaubt sein soll oder nicht. In Wien wird der Ganzkörperanzug toleriert, in den meisten österreichischen Bädern allerdings ist er "nicht erwünscht".

Die US-amerikanischen Misswahlen wiederum haben bald dieselbe Situation, die sie in den 50er Jahren hatten, als Bikinis verboten waren: Beim Schönheitswettbewerb Miss Teen USA werden die Bikinis abgeschafft. Diesmal aber nicht aus moralischen Gründen, sondern aus politisch korrekten. Dass es reichlich heuchlerisch ist, den 14- bis 19-jährigen Mädchen zwar den "ausbeuterischen" Bikini zu "ersparen", aber trotzdem ihre Körper zu beurteilen, bleibt unhinterfragt. Es scheint, als wolle man Frauen unbedingt einreden, sie hätten nur Kontrolle über ihren Körper, wenn er züchtig verhüllt ist. So schnell wird sich der Bikini aber nicht von den Stränden verjagen lassen. Es bleibt zu hoffen, dass er auch sein kreatives Potenzial behält. Denn kein anderes Kleidungsstück hat so viele mehr oder weniger geistreiche Metaphern inspiriert wie der Bikini. Wie es sich gehört für so ein politisch aufgeladenes Stück Stoff, gibt es auch eine politische Metapher: "Regierungen sind wie Bikinis: Jeder fragt sich, wie sie halten, und jeder wünscht sich, dass sie fallen."

Wiener Zeitung, Samstag, 2. Juli 2016