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Faszination Schleudergang#

Unförmige Messer, nackte Karpfen oder Testbild-Videos spornen zu satirischen Höchstleistungen an. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Sa./So., 1./2. März 2014)

Von

Bernhard Baumgartner


Kundenbewertungen auf Amazon als Plattform einer neuen Kunstform.#

Symbolbild: Waschmaschine
Donnerndes Crescendo: Der Schleudergang als Höhepunkt einer Waschmaschinen-DVD.
© fotolia

Amazon, das ist ein bisschen wie Gassi gehen ohne das Gackerl-Sackerl. Oder das Auto statt den Öffis zu nehmen. Oder dick Butter unter der Extrawurst. Oder Flip-Flops. Man weiß, dass es eigentlich gar nicht gut ist - aber dann tut man es halt doch, weil so bequem. Und natürlich die Auswahl! Tatsächlich gibt es im Store kaum ein Produkt, das so absurd wäre, als dass man es nicht kaufen könnte. Zumindest theoretisch.

Doch zwischen all dem Kommerz, dem Marketing, dem "Das könnte Ihnen auch gefallen . . ." und "Andere Kunden haben auch das gekauft . . ." hat sich eine kleine, literarische Subkultur eingenistet, die den Einheitsbrei des kollektiven Kaufrausches in geradezu anarchistischer Weise aufbricht: das Verfassen möglichst absurder und humorvoller Kundenrezensionen. Allerdings nicht bei x-beliebigen Produkten, sondern bei möglichst solchen, die schon durch ihre bloße Existenz die sinnbefreite Hybris der Konsumwelt in besonders augenscheinlicher Weise darstellen.

Ein neuer Klassiker dieses Genres ist etwa das Schweizer "Taschen"-Messer "Wenger Giant". Eine Stahl gewordene Monstrosität von Messer, vereint es doch alle 87 bis dato für ein Taschenmesser entwickelten Werkzeuge mit 141 Funktionen in einem einzigen - entsprechend unhandlichen und darüber hinaus 854 Euro teuren - Stück. 837 Rezensionen gibt es dazu. Und so gut wie keine ist ernst gemeint. "Vom Handling her ist es echt gut. Allerdings muss man auch einige Kompromisse eingehen, aufgrund der Kompaktheit - so ist bei mir der U-Bahn-Tunnelbohrer bei auftretendem Starkgeröll gerne mal aus der Verankerung gesprungen. Außerdem hätte ich mir gerne auch einen variablen Bohrkopf gewünscht. 6,35 Meter Durchmesser ist für das Loch nunmal sehr knapp bemessen", schreibt Günther Hetzer. User Wario ergänzt: "Grundsätzlich bin ich mit den Funktionen sehr zu zufrieden. Allerdings scheinen mir die Produktionsstandards etwas mangelhaft zu sein. So habe ich zwischen den Funktionen #721 (Abrissbirne) und #722 (Skisprungschanze) zufällig einen Schweizer Ingenieur gefunden. Dieser ist anscheinend bei der Montage vergessen und eingeschlossen worden." Damit endet die Kritik noch nicht: "Leider war die Raumsonde defekt und der Hydroschraubenschlüssel war falsch kalibriert. Von daher war das Werkzeug nur bedingt nutzbar. Zumindest der mitgelieferte Sattelschlepper entspricht den Erwartungen."

Faible für Waschmaschinen#

Posting für Posting befruchten sich die Poster gegenseitig mit Ideen, was ihnen denn nicht noch alles an und in dem Messer aufgefallen ist. Dass sie es dafür vorher gekauft haben, darf getrost ausgeschlossen werden. Doch das Wenger ist kein Einzelfall. So ergehen sich die Poster etwa bei zwei ganz besonderen Filmen in wahren cineastischen Essays: Etwa bei der DVD "Waschmaschinen-Impressionen", die für fast verschämte 5,99 Euro gleich drei verschiedene Waschmaschinen bei der Arbeit gefilmt hat. Jörg Johanningmeier sieht darin Grundfragen des Lebens berührt: "Während die literarische Vorlage sich eher autobiographisch gibt und das gesamte Leben der drei Hauptakteure nachzuzeichnen versucht, konzentriert sich der Film auf die turbulenten Phasen im Leben. Sicher lässt diese filmische Umsetzung zum Teil den geistigen Tiefgang vermissen. Jedoch hat der Zuschauer keineswegs das Gefühl, von den dahinter liegenden Fragestellungen, durch zuviel Action ausgeschlossen zu werden. Ganz im Gegenteil: Immer wieder stellt man sich die Frage: ,Was soll das alles?‘, und vor allem: ,Warum immer nur in eine Richtung?‘"

Keine Frage, da hat wer seine Filmanalytik intus. Das macht sich auch bei einer weiteren DVD bemerkbar, die unverständlicherweise bisher beim Rennen um die Goldene Palme übersehen wurde: Das Opus Magnum betreibt mit dem schlichten Titel "TV-Testbilder" reines Understatement. Die DVD zeigt laut Hersteller für flockige 8,49 Euro "in lockerer Reihenfolge Testbilder von Fernsehsendern aus der ganzen Welt". Eine Steilvorlage für die Rezensenten, natürlich: "Regisseur Miguel Ramánez vollbringt mit seinem neuen Meisterwerk den Spagat zwischen historischer Anmut und postmodernem Infotainment, wobei das Werk neben einem kritischen Blick über die Schulter der damalig sogenannten ,Unterklassen‘ auch mit einem schelmischen Augenzwinkern sich selbst betrachtet." Autor G. Pahl scheut sich auch nicht, dem diesem Anlass durchaus angemessen scheinenden Pathos seinen Raum zu lassen: "Es ist ein Gefühl von Wehmut, das den Betrachter erfüllt und in eine Achterbahnfahrt der Emotionen aus Trauer über das Ende der Ausstrahlung und Selbstironie über all die nächtlichen Minuten vor dem Testbild, die Kontinuität des Augenblickes bis zum Morgengrauen verdrängend, bis hin zum wärmenden Gefühl der Stabilität, der Sicherheit, dass sich die Welt noch dreht und mit dem Ende des Testbildes wieder ein neuer Tag anbrechen wird. Es ist eine schwer zu begreifende Macht der Emotionen, die den Betrachter erfüllt und mit schier unbegreifbarer Energie an den Rand des gefühlsmäßig Ertragbaren führt. Nicht umsonst mussten während der Premiere zahlreiche Zuschauer das Kino vorzeitig verlassen, da sie all die Emotionen in sich einfach nicht verarbeiten konnten."

Erosfaktor nackte Schuppen#

Das muss den mehr oder weniger anonymen Autoren die professionelle Filmkritik in den deutschsprachigen Feuilletons erst einmal nachmachen. Zumal der Lohn für die kreativen Texte dieser Art durchaus überschaubar ist: Zwar gibt es eine Bewertungsfunktion - und die am besten bewerteten (oft die lustigsten) Kommentare werden ganz oben angezeigt - aber das ist nur eine kleine Genugtuung. Vielmehr motivieren dürfte die Funktion, mit der man Kommentare kommentieren kann - die besten erhalten hymnische Reaktionen auf ihre Kritik.

Wenn man durch die (sich oft über die "Kunden kauften auch"-Funktion vernetzenden) spaßträchtigen Listings durchklickt, zeigt sich, dass das mehr oder weniger subtile Posting weit verbreitet ist. Egal ob eine Packung mit "Nichts" verkauft wird oder ein magnetischer Fake-Stuhlgang: Die User nehmen den Ball immer wieder dankbar auf. So wird auch beim Fotokalender "Carponizer", dem "erotischen Karpfenkalender 2014", nicht mit Superlativen gegeizt. Darauf zu sehen: Nackte Frauen mit dicken Karpfen, was AndiS ins Schwärmen bringt: "Welch ein Glück! Menschen, die einen Blick für ästhetische Fischfotografie haben, finden hier Inspiration, die fischen Wind in die erotischen Laichgewässer des kunstliebenden Geistes bringt. Dabei handelt es sich bei den schuppigen Models nicht etwa um aalglatte Profis, wie in manch anderen erotischen Karpfenkalender. Hier findet man Karpfen wie man sie aus dem Nachbarteich kennt. Jede Emotion, jede Mimik hier ist hecht."

Nun mag man, wie so mancher fehlgeleitete User, der den Humor nicht verstanden hat, das ganz in die Ecke der Kindereien abschieben. Doch ist es mehr als das - ein öffentliches Forum, in dem man Kritik direkt an der Wurzel des Übels unterbringen kann. Zwar steht bei vielen der beliebtesten Spaß-Rezensionen zum Opfer fallenden Produkten eine Kaufentscheidung erst gar nicht zur Debatte, aber es ist doch eine gewisse Verfremdung der schillernden Konsumwelt, der man mit ein paar Tastendrücken einen Spiegel vorhalten kann.

Eine Stütze dieser These ist der Lynx Suborbital-Flug in der Mojave-Wüste für wohlfeile 95.000 Euro, wobei nicht ganz klar ist, ob nicht das ganze Listing ein Scherz ist. Hier wird die Sache durchaus selbstreflexiv: "Achtung nicht kaufen! Der doch recht happige Preis ist völlig übertrieben. Kann man doch das ganze erheblich billiger haben mit dem ,Wenger Schweizer Offiziersmesser Giant‘: Funktion #682 ist eine ausklappbare Apollo Rakete inklusive Abschussrampe. Vielleicht minimal weniger Komfort, aber der erhebliche Preisunterschied war für mich ausschlaggebend!", schreibt User Sito.

Womit sich der Kreis schließt und wir wieder beim Messerknochen und seinen Fans sind. Einer ist nicht erbaut über die Kritik: "Ich muss sagen, ich bin schwer enttäuscht von den anderen Rezensenten. Sie machen sich lustig über ein wirklich nützliches Tool. Ich glaube nicht, dass einer von ihnen das Giant wirklich besitzt, denn sonst wüssten sie, dass der Flux-Generator auf Position 37a/48 liegt und nicht auf #778."

Wiener Zeitung, Sa./So., 1./2. März 2014