!!!Die gesunde Dosis  Dreck  

!!Der Mensch ist aus Sicht der Mikrobiologen ein von Organismen besiedeltes Ökosystem. Bakterien können uns sowohl nützen als auch schaden.
  
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''Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: [DIE FURCHE|http://www.furche.at] (Donnerstag, 21. März 2013).''


Von

__Sylvia Einöder__    

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[{Image src='Spielen-im-Dreck.jpg' class='image_right' caption='Resistent. Infektionen durch multiresistente Keime, die sich Patienten erst im Spital zuziehen, gab es früher nicht. Eine österreichweite Studie spricht von über 7100 jährlichen Erkrankungen im Spital durch das Darmbakterium „Clostridium difficile“.\\Foto: © EPA/Kowalsky' width='400' alt='Spielen im Dreck' height='312'}]


Eine unvorstellbare Anzahl  von Bakterien tummelt  sich allein auf unserer  Haut: Etwa drei  Millionen Bakterien bevölkern  jeden Quadratzentimeter  der Körperoberfläche. Je nach Region  sind es mal mehr, mal weniger.  Diese Mikroorganismen fungieren  quasi als Wachposten: Sie  schützen uns vor Infektionen mit  gefährlichen Keimen oder verhindern,  dass sich diese vermehren.  Auch für die Verdauung spielen  Bakterien eine wichtige Rolle.  

„Mikroorganismen sind überall:  Im Boden, im Wasser, in der Luft,  in der Nahrung. Wir sind daran angepasst  und gewohnt, diese Organismen  einzuatmen oder mit der  Nahrung aufzunehmen“, erklärt  Mikrobiologe Gernot Zarfel vom  Institut für Hygiene, Mikrobiologie  und Umweltmedizin an der medizinischen  Universität Graz. „In  der privaten Umgebung verteilen  wir nur unsere eigenen Keime. An  öffentlichen Orten aber tummeln  sich viele unterschiedliche Keime,  auch solche von kranken Menschen“,  weiß Zarfel.  Der Allgemeinmediziner Günther  Loewit warnt in seinem Buch  „Wieviel Medizin überlebt der  Mensch?“ vor neuen, teils sogar  tödlichen Keimen, welche erst die  moderne Medizin produziert und  die es früher gar nicht gegeben hat.  

!Medizin züchtet Multiresistenzen  

Ein Beispiel dafür sind Infektionserkrankungen,  die sich Patienten  erst im Spital zuziehen:  Befällt etwa der Keim MRSA immungeschwächte  oder frisch  operierte Patienten, drohen  ernsthafte Komplikationen  bis hin zum Tod. „Lange Zeit  ließen sich diese Bakterien  durch Antibiotika gut behandeln.  Doch durch die übertriebene  Gabe von Antibiotika  erweist sich das Bakterium  als resistent“, berichtet Loewit.  Seit einigen Jahren gelingt es Chemikern  und Pharmazeuten nicht  mehr, neue und noch potentere  Antibiotika zu synthetisieren.  

Immer wieder wird Kritik laut,  dass Antibiotika von Ärzten nicht  nur allzu leichtfertig verschrieben  werden, sondern oft auch von Patienten  in unzureichender Dosierung  und für eine zu kurze Dauer  eingenommen werden. „Jeder  dieser drei Kardinalsfehler beim  Einsatz von Antibiotika ermöglicht  den verschiedenen Bakterien  die rechtzeitige Anpassung an  den jeweiligen Feind. Wenn nicht  alle Bakterien einer Spezies ausgelöscht  werden, wird die nächste  Generation dieses Bakterienstammes  auf das entsprechende  Antibiotikum resistent sein“, erklärt  Loewit.  

In Deutschland soll der multiresistente  Keim MRSA in jedem der  rund 2000 Spitäler existieren. Eine  österreichweite Studie des Kaiser-  Franz-Josef-Spitals in Wien  spricht von über 7100 Erkrankungen  jährlich durch das Darmbakterium  „Clostridium difficile“. Im Jahr 2011 kam es dadurch  zu 1279 Todesfällen. „Im Spital  herrscht oft zu wenig Hygiene. In  den letzten Jahren wurde in Österreich  aber einiges getan, um das  Bewusstsein zu schärfen, etwa für  mehr Händehygiene“, betont Zarfel.  Österreich liegt laut ECDCBericht  in punkto Krankenhaushygiene  im EU-Vergleich im  Mittelfeld.  

!Übertriebene Waschkultur  

Multiresistente Keime existieren  aber nicht nur im Spital: „Solche  Keime können teils auch außerhalb  der klinischen Umgebung  überleben“, erklärt Zarfel. Kranke,  Geschwächte, Kinder und Alte  sind besonders gefährdet. „Prinzipiell  kann es auch Gesunde treffen:  Ein Unfall oder eine Schnittwunde  können bereits ausreichen“, weiß  der Mikrobiologe.  

Eine übertriebene Waschkultur  außerhalb des Krankenhauses  schade dem  natürlichen Säureschutzmantel  der Haut aber, meint  Mediziner Loewit: „Auch  die Haut ist ein immunologisches  Organ, dessen Abwehrkraft  sinken kann. Täglich  mit Seife zu duschen ist  sicher zu viel. Zwei Mal pro Woche  Seife reicht völlig aus.“  

Die Ursachen für die Entstehung  resistenter Keime liegen nicht nur  im irrationalen Einsatz von Antibiotika  in der Humanmedizin, sondern  auch in der Verwendung von  „Humanantibiotika“ in der Nutztierhaltung.  In Österreich werden  pro Jahr durchschnittlich 45 Tonnen  Antibiotika in der Humanmedizin  und weitere 60 Tonnen in  der [Veterinärmedizin|Thema/Tiermedizin] verwendet.  Denn durch den systematischen  Einsatz von Antibiotika in der  Massentierhaltung, etwa in der  Schweinezucht, lässt sich die Menge  des benötigten Futters deutlich  reduzieren. Vereinfacht gesagt:  Gleicher Gewinn pro Tier bei verringerten  Futtermittelkosten. 

Ein schädlicher Nebeneffekt ist  aber, dass das Tierfleisch bei der  Schlachtung mit Antibiotika  durchtränkt ist. Jeder Mensch,  der solch ein Fleisch isst,  nimmt unwissentlich eine kleine  Antibiotika-Dosis zu sich.  „Diese schadet nicht nur dem  Köper, sondern begünstigt wiederum  die Heranbildung multiresistenter  Keime“, warnt Loewit.

[{Image src='Bakterien.jpg' class='image_left' caption='Allergisch. Bereits jeder vierte Österreicher leidet unter mindestens einer Allergie. Studien belegen, dass der Schmutz, mit dem Kinder in Berührung kommen, als eine Art „natürliche Impfung“ wirkt. „Viele dieser Mechanismen lassen wir aufgrund übertriebener Hygiene nicht mehr zu“, so Mediziner Günther Loewit.\\Foto: © BEPA/Rohde' width='400' alt='Bakterien' height='286'}]

Jahrzehntelang war die Entwicklung  multiresistenter Keime durch  den Einsatz von Antibiotika in der  Nutztierhaltung ein wohl gehütetes  Geheimnis der Industrie. „Inzwischen  müsste den Anwendern  dieser gefährliche Zusammenhang  längst bekannt sein“, betont  Loewit. Umso erschütternder das  Ergebnis einer Untersuchung von  Hühnerfleisch durch die Umweltorganisation  Global 2000: In sechs  von sieben Proben von „frischen  Hühnern“ in österreichischen Supermärkten  konnten die gesundheitsgefährdenden  und antibiotikaresistenten  Keime MRSA und  ESBL nachgewiesen werden.  

!Medikamente im Trinkwasser  

Dieser gefährliche Kreislauf betrifft  nicht nur die Viehwirtschaft,  sondern sogar unser Trinkwasser:  Ständig gelangen Rückstände  von Medikamenten, durch Harn  und Stuhl ausgeschieden, in das  Grundwasser – und damit auch in  das Trinkwasser. „So werden sie  erneut in unserem Körper aufgenommen.  Diesmal allerdings ungesteuert  – ohne Rezept, ohne  Beipackzettel, ohne Qualitätskontrolle“,  warnt Mediziner Loewit.  „Das ist Behandlung für alle. Therapie  ohne Diagnose.“ 
 


Millionen täglich eingenommener  Antibabypillen landen über den Umweg von Trinkwasser und  Nahrung in unseren Körpern. „Bei  Männern kann dies das ungewollte  Wachstum von Brüsten auslösen“,  so Loewit. Verfahren zur Eliminierung  von Östrogen aus dem Abwasser  werden laufend entwickelt,  kommen aber aus Kostengründen  noch nicht zum Einsatz.  

Übertriebene Reinlichkeit hingegen  wird von vielen Medizinern  mit einem geschwächten Immunsystem  und in weiterer Folge mit  der Entstehung von Allergien assoziiert.  Bereits jeder vierte Österreicher  leidet an mindestens einer  Allergie. Verschiedene Studien belegen,  dass der Schmutz, mit dem  Kinder in Kontakt kommen, als eine  Art „natürliche Impfung“ wirkt.  „Viele dieser Mechanismen lassen  wir aufgrund unserer übertriebenen  Reinlichkeit nicht mehr  zu“, kritisiert Loewit.  

Eine Studie zu den Unterschieden  in der Allergieanfälligkeit zwischen  Stadt- und Landkindern lieferte  aussagekräft0ige Ergebnisse:  Josef Riedler, Primar am Kinder-  Hospital Salzburg, und sein Team  befragten die Eltern von 2283 österreichischen  Kindern im Alter zwischen  acht und zehn Jahren. Das  Resultat: Kinder, die auf Bauernhöfen  lebten, waren dreimal weniger  anfällig für Heuschnupfen als  Kinder aus der Stadt. Nur 1,1 Prozent  der Kinder, die im Viehstall  aus und ein gingen, litten an Asthma,  dagegen aber 3,9 Prozent der  Stadtkinder. Die Daten zeigten,  dass Kinder sich nur häufig im  Stall bei den Tieren herumtreiben  müssen, um ihre Allergieanfälligkeit  zu senken.  

Bei all der körperlichen Hygiene  vergessen wir gerne auf die Hygiene  der Seele. „Die Psychohygiene  – also mit Menschen zu reden,  ihnen zuzuhören –wird in unserer  Gesellschaft stark vernachlässigt.  Auf körperlicher Ebene geht es  hoch steril zu, aber das trifft leider  auch auf die psychische Ebene zu“,  konstatiert Loewit. Depressionen  und Burnout – die Krankheiten  unserer Zeit – könne man durchaus  als allergische Reaktionen der  Seele verstehen.    


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!!100 Billionen  Bakterien, 
Pilze und Amöben  leben dauerhaft auf und in unserem  Körper. Die Gesamtheit  dieser 100 000 000 000 000  Organismen bezeichnet man als  Mikrobiom.  

!!1,5 bis 2 Kilo  
wiegen die Mikroben im  menschlichen Körper. Ihre Aufgaben:  Das Immunsystem stärken,  gefährliche Erreger abwehren,  Nahrung zerteilen,  Vitamine produzieren.  

!!180 Arten  
von Bakterien siedeln auf der  Haut eines durchschnittlichen  Erwachsenen: Das saure Milieu  mancher Bakterien wehrt Keime  ab, andere Bakterien können zu  Infektionen führen.  

!!10 Mikroorganismen 
leben in jedem  Milliliter Mageninhalt. Die  Magensäure ist extrem lebensfeindlich.  Der Dickdarm hingegen  hat die höchste Einwohnerdichte:  1 Billion Organismen.  
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[DIE FURCHE|http://www.furche.at], 21. März 2013
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[{Metadata Suchbegriff='Schmutz Schund Hygiene' Kontrolle='Nein'}]