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Warum der Greißler nicht mehr zurückkommt#

Wer hat den Greißler umgebracht? - Wir Konsumenten. Das glauben Sie nicht? Dann lesen Sie bitte weiter.#


Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 21. Dezember 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Michael Maxian


Greißler
Greißler
Foto: © Rosner

Bis in die 1960er Jahre war die Geschäftsstruktur im Bereich der Nahversorgung ziemlich stabil. Unzählige kleine und kleinste Geschäfte standen für den Konsumenten bereit. Unter ihnen war der Greißler der König. Während die anderen nur ein sehr eingeschränktes Sortiment hatten (zum Beispiel Obst und Gemüse), war er der Generalist. Er hatte in brauchbarer Qualität alles für den täglichen Bedarf.

Für exquisite Auswahl und allerfeinste Qualität gab es in den Ortskernen und Einkaufsstraßen Spezialgeschäfte, da musste und wollte er gar nicht mithalten. Sein größter Vorzug war die Nähe zum Konsumenten: Der Greißler war meist nur wenige Schritte von der Wohnung seiner Kunden entfernt. Und das musste er auch sein, denn eingekauft wurde damals zu Fuß und täglich, oft sogar mehrmals täglich. Der Greißler kannte seine Kunden, und die Kunden schätzten ihn. Durch dieses Vertrauensverhältnis war es - lange vor der Erfindung von Scheckkarten und Bankomatkassen - möglich, beim Greißler bargeldlos einzukaufen. Die Beträge wurden aufgeschrieben und zum Monatswechsel bezahlt.

Dass sich dieses eingespielte System eines Tages änderte, lag an drei Ursachen: der stärkeren Kaufkraft der Konsumenten, der beginnenden Motorisierung der Haushalte und der allgemeinen Verbreitung des Kühlschranks. In den 1960er Jahren waren die Folgen des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegsjahre überwunden, die Konjunktur sprang an und die Haushalte hatten mehr Geld. Immer mehr konnten sich nun ein Auto leisten. Damit konnte der Konsument für den Einkauf auf Entfernungen ausweichen, die er zuvor zu Fuß nicht geschafft hätte. Der Kühlschrank ermöglichte nun auch für leicht verderbliche Güter den Einkauf auf Vorrat; damit wurde die Wohnung zum Warenlager und anstelle des kleinen täglichen Einkaufs trat der wöchentliche Großeinkauf.

Der erforderte aber auch größere Geschäfte und so entstanden die ersten Selbstbedienungsläden. Diese konnten aufgrund eines rationelleren Betriebskonzeptes und einer größeren Umsatzmenge etwas erreichen, was der Greißler nie zustande gebracht hätte, nämlich die gleichen Waren wesentlich billiger anzubieten. Was nun einsetzte, war ein Preiskampf, der bis heute anhält. Wer hier nicht mithalten konnte, dem blieben die Kunden weg. Und nun zeigte sich schnell, dass jene Verherrlichung, welche die Figur des Greißlers in Film und Literatur erhalten hatte, nur ein Klischee war.

Obwohl der Kunde inzwischen mehr Geld hatte, pfiff er auf Geschäftstreue, wenn er die Ware woanders günstiger bekam. Auch daran hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert. Dieser Umbruch in der Handelsstruktur hatte noch nichts mit den großen Einkaufszentren an den Stadt- und Orträndern zu tun. Die Einkaufszentren tauchten erst zehn Jahre später auf, verschärften aber den Wettbewerb gewaltig.

Michael Maxian
Michael Maxian
Quelle: Wiener Zeitung

Wenn es um den Preis geht, ist der Kunde in einer sehr angenehmen Position: Die Waren des täglichen Bedarfs sind im Durchschnitt immer billiger geworden. Man sollte dazu die Preise nicht allein betrachten, sondern sie zu jener Geldmenge in Beziehung setzen, welche die Konsumenten zur Verfügung haben. Mitte der 1950er Jahre, das war für den Greißler noch ein goldenes Zeitalter, wurde fast die Hälfte des Haushaltseinkommens für Lebensmittel aufgewendet. Derzeit hingegen benötigt ein durchschnittlicher Haushalt nicht einmal mehr ein Achtel seines Einkommens für Lebensmittel.

Minimale Gewinnspanne#

Schwieriger hingegen ist die Situation für die Geschäftswelt geworden. Mit der Preisreduktion ist auch die Gewinnspanne permanent gefallen, was bei der Nahversorgung weitreichende Rationalisierungsmaßnahmen und gewaltige Konzentrationseffekte ausgelöst hat. Die Nahversorgung liegt inzwischen fast ausschließlich in den Händen einiger weniger Konzerne mit internationalen Filialnetzen. Der Großhandel, ohne den einst der Greißler gar nicht hätte existieren können, ist ziemlich unbedeutend geworden, weil die großen Konzerne direkt beim Produzenten einkaufen, auch produzieren lassen und vor allem ihre Geschäfte selbst beliefern. Die Gewinnspanne liegt bei Waren des täglichen Bedarfs derzeit zwischen ein und drei Prozent.

Das erfordert umso größere Mengen beim Warenumsatz und hat zu Geschäftstypen geführt, die durchschnittlich 700 bis 800 Quadratmeter Verkaufsflächen aufweisen. Damit kann man die Kaufkraft von circa 2000 Einwohner abdecken. Wenn nun ein derartiger Supermarkt vor einer Siedlung mit 2000 Einwohnern errichtet wird, ist hinsichtlich der Nahversorgung bereits die gesamte Kaufkraft gebunden. Wie soll da ein Greißler daneben bestehen oder gar zurückkommen können?

Dramatisch wird es für kleine Ortschaften im ländlichen Raum. Die sind zu klein und damit uninteressant für die üblichen Supermarkttypen, weil sie den Mindestumsatz, den diese Supermärkte benötigen, aufgrund der geringen Einwohnerzahl nicht erreichen können. Das wäre eigentlich eine Chance für den Greißler, allerdings nur dann, wenn die Kunden bereit sind, für die gleiche Ware auch mehr zu bezahlen. Das tun sie aber nicht, fahren in die nächste größere Ortschaft den billigen Preisen nach und schimpfen dann, wenn der letzte Nahversorger in ihrer Ortschaft für immer die Geschäftstür versperrt. Also: Wer hat nun den Greißler umgebracht?

Michael Maxian arbeitet seit 40 Jahren als Raumplaner. Er war lange Zeit im Amt der NÖ Landesregierung beschäftigt und ist nun als Konsulent und Universitätslektor tätig.

Wiener Zeitung, Mittwoch, 21. Dezember 2016

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