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Greterl auf Sommerfrische#


Von

Susanne Breuss


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 28. August 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.


Greterl auf Sommerfrische
Sommer 1931 in Gars am Kamp. Das Greterl aus Wien posiert – ganz wie die Frau Mama auf den anderen Fotos – an Bord des familieneigenen Bootes.

Die gut situierte bürgerliche Familie verbringt hier nicht die erste Sommerfrische. Zahlreiche Aufnahmen aus den zwanziger und dreißiger Jahren dokumentieren die wiederholten Aufenthalte im Hauptort des idyllischen Kamptales. Sie zeigen das übliche Repertoire an einschlägigen Motiven: Badeszenen, gesellige Unterhaltungen, Promenaden im Kurpark. Und sie beweisen, dass auch für Greterls Familie – wie für die Mehrzahl der Gäste – der Fluss mit seinen vielen Erholungs- und Sportmöglichkeiten die Hauptattraktion gewesen sein dürfte.

Sommerfrische, dieser mittlerweile etwas altmodisch anmutende Begriff, bezeichnet einen bestimmten Typus touristischer Praxis, der seine Blütezeit in den Jahrzehnten um 1900 erlebte. Es handelt sich dabei um einen der Erholung von der Stadt dienenden, längeren Landaufenthalt in der warmen Jahreszeit. Häufig übersiedelten zu diesem Zweck Frauen und Kinder, fallweise samt Dienstpersonal, für Wochen wenn nicht gar Monate mit einem mehr oder weniger großen Teil des Hausrates in eine angemietete Villa oder Wohnung im Grünen, während die Ehemänner in der Stadt verblieben, ihren Geschäften nachgingen und der Familie meist nur an den Wochenenden oder während einiger weniger Wochen Gesellschaft leisteten.

Niederösterreich kommt in der Geschichte des österreichischen Fremdenverkehrs eine besondere Rolle zu. Es wurde vom Wiener Adel und Bürgertum bereits früh als Erholungsgebiet entdeckt und für die Sommerfrische genutzt. In der Zwischenkriegszeit etablierte es sich als deren beliebteste Reisedestination. Neben Baden und dem Semmering war Gars äußerst beliebt, es entwickelte sich zu einem der führenden Sommerfrischeorte.

Voraussetzung für die Etablierung einer solchen Sommerfrischekultur war nicht zuletzt die verkehrsmäßige Erschließung geeigneter Gebiete und Ortschaften.

Dem bis in die 1870er Jahre touristisch unerschlossenen Kamptal brachte erst der Ausbau des Bahnnetzes, insbesondere die Eröffnung der Kamptalbahn im Jahr 1889, den Durchbruch. Von Wien aus konnte man die Kamptalgemeinden nun mit Umsteigen in Hadersdorf in etwa drei Stunden erreichen – ein Aspekt, der gerade für die häufig pendelnden Ehemänner relevant war.

In der Zwischenkriegszeit reisten allerdings nicht wenige bereits mit dem eigenen Automobil an. So auch Greterls Familie, die auf dem Wagendach sogar das eigene Boot mitführte. Wer über kein Auto verfügte, fuhr eben mit dem "Busserlzug" (so benannt nach den innigen familiären Begrüßungs- und Abschiedsszenen) in das – abseits der noblen Orte wie Gars – noch immer relativ billige Kamptal.

Susanne Breuss, geboren 1963, ist Kulturwissenschafterin und Kuratorin im Wien Museum.


Wiener Zeitung", Samstag, 28. August 2010