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Aus dem leeren Bauch heraus #

Ein Drittel des Jahres begleitet Alexander Graffi Menschen beim Fasten, ein Drittel des Jahres organisiert er „Auszeit-Reisen“ und ein Drittel des Jahres ist er Wirt. Über die große Kunst des Genießens – und den hohen Wert des Loslassens.#


Mit freundlicher Genehmigung der Wochenzeitung DIE FURCHE (Donnerstag, 10. März 2011).

Von

Doris Helmberger


Alexander Graffi, Foto: Mirjam Reither
Alexander Graffi
Foto: Mirjam Reither

Sinnsucher Alexander Graffi wird am 28. März 1967 in Wien geboren. 2002 macht sich der Elektrotechniker als Fastenbegleiter selbständig: www.fasten.at.

Heute leitet er in Pernegg 15 Fastenkurse pro Jahr, betreibt das Reisebüro „AuszeitReisen“ und das Lokal „Santo“ in Wien.

Am Samstag wird er wieder eintauchen in die Sphäre von Pernegg: in diese unfassbare Stille, in die aufkeimende Natur, in diesen Ort des Innehaltens. Er wird Menschen dabei begleiten, in Kopf und Magen leer zu werden, um endlich wieder sich selbst zu spüren. Er wird sie dabei unterstützen, nicht nur ein paar Kilos, sondern vor allem ihre innere Unruhe zu verlieren – und Gewissheit darüber zu gewinnen, wohin ihr Weg sie weiter führen soll.

„Pernegger Fastenzeit“ nennt sich das einwöchige Auszeit-Angebot, das Alexander Graffi - neben drei anderen Fastenleiterinnen und -leitern - betreut. Zur Einstimmung wird er seine liebsten Stellen aus Anthony de Mellos Buch „Was weiß der Frosch vom Ozean“ zitieren, die Teilnehmenden nach ihren Erwartungen befragen und die Fasten-Methode nach Buchinger/ Lützner erklären. Dann wird er einfach nur da sein, - wenn die Frauen und Männer ihre Glaubersalz-Lösung trinken, wenn sie Gemüsebrühe, Fruchtsaft und Tee zu schätzen lernen, wenn sie einen Stille-Tag erleben und wenn sie schließlich beim Fastenbrechen durch einen simplen Apfel erfahren, wie lust- und wertvoll Essen ist.

Nur selbst mitfasten wird Alexander Graffi nicht. Schließlich ist er hier, um zu arbeiten und aufmerksam zu sein. 15 Wochen im Jahr verbringt der 44-Jährige mittlerweile im Waldviertler Kloster Pernegg; über 100 Kurse hat er hier bereits gehalten, mehr als tausend Fastende begleitet. Nur zwei Teilnehmerinnen haben bis dato einen seiner Kurse abgebrochen - freilich weniger wegen des Essens-, sondern wegen des Lärmentzugs. Eine ganze Jännerwoche in einem fast verwaisten Kloster, das war für die beiden 25-Jährigen doch eine Nummer zu groß. Alexander Graffi weiß, dass beim Fasten das rechte Timing unverzichtbar ist. Sich selbst zu zwingen, sei in jedem Fall kontraproduktiv. Auch er habe einmal gefastet, obwohl er im Innersten nicht wollte. „Da habe ich immer ans Essen gedacht und bin nie zu mir gekommen“, erzählt er im exotischen Nebenzimmer seines Restaurants „Santo“, das mitten im Wiener Stuwerviertel Gerichte und Getränke aus der Dominikanischen Republik kredenzt. „Doch wenn ich reif für das Fasten bin, dann mache ich einen Fingerschnipp – und der Hunger ist weg.“

Beruf gesucht, der Berufung ist#

Auch damals, im Jahr 2000, fühlt sich Graffi mehr als reif. Er ist an einem Punkt angelangt, an dem er nicht mehr weiterweiß - wie schon öfter in seinem Leben. Jahrelang hat er nach dem Besuch der HTL für Elektrotechnik Jobs erledigt, ohne sich groß die Sinnfrage zu stellen: Er hat Glücksspielautomaten repariert, Alarmanlagen montiert und zuletzt in Fabriken Prozessabläufe überwacht. Doch als seine Firma in die Insolvenz schlittert, stürzt der 28-Jährige in seine erste Lebenskrise. Er will eine Arbeit finden, die ihn erfüllt – und die zudem Geld abwirft: Schließlich hat er gemeinsam mit seiner damaligen Lebensgefährtin eine kleine Tochter zu versorgen.

„In dieser Phase habe ich gesagt: Lieber Gott, ich weiß nicht, was ich machen soll, bitte zeig’ es mir!“ erzählt Alexander Graffi , der sich seit einem „kleinen Erleuchtungserlebnis“ mit 17 Jahren als gläubig bezeichnet. Tatsächlich entdeckt er kurz darauf ein Inserat, in dem ein Unternehmen, das Produkte für Blinde und Sehbehinderte vertreibt, nach einem Verkaufsingenieur fahndet. Graffi bewirbt sich – und wird prompt aufgenommen. Sieben erfüllende Jahre lang, sechs davon als Geschäftsführer, verkauft er Braille-Zeilen für Computer und andere Geräte. Bis er abermals spürt, dass er reif für Neues ist.

Alexander Graffi beginnt, sich für das Phänomen Fasten zu interessieren. Es ist im Jahr 2000, als er in Pernegg seinen ersten Kurs besucht und überwältigt ist. Bald darauf sichert er sich die Domain www.fasten.at, baut sie zur Themenseite aus und absolviert im katholischen Bildungswerk Rottweil die Ausbildung zum Fastenbegleiter. Als er Inserenten für seine Homepage sucht, wendet er sich auch an Pernegg – und wird als Fastenleiter angefragt.

Ein Drittel des Jahres ist er mittlerweile im stillen Waldviertel im Einsatz. Die restliche Zeit verbringt er im pulsierenden Wien. Untertags ist er in seinem Reisebüro „AuszeitReisen“ im Einsatz, das sich aus seiner Homepage entwickelt hat und Selbstfindungs-Touren an einsam gelegene Plätze wie Hütten, Klöster, Inseln oder Wüsten vermittelt. Und abends ist er hier im „Santo“ aktiv, das er vor zwei Jahren gemeinsam mit seiner Frau Carmen, einer gebürtigen Dominikanerin, eröffnet hat.

Wie das zusammenpasst, in Pernegg Wasser zu predigen und in Wien dominikanischen Rum zu servieren? „Das passt sehr gut“, sagt Alexander Graffi vor einer meterlangen Strandimpression. Das Loslassen, das erst innere Freiheit ermögliche und im Waldviertel eingeübt werde, präge schließlich auch das karibische Lebensgefühl. „Außerdem bin ich ja kein Asket, der Dauerfasten predigt, sondern ich sage immer: Alles zu seiner Zeit! So sehr ich mich auf die Pernegger Stille freue, so sehr sehne ich mich nach dem prallen Leben hier zurück.“

Bei seinen Fastenkursen im niederösterreichischen Kloster Pernegg liest Alexander Graffi gern zur Einstimmung Passagen aus seinem Lieblingsbuch vor – Anthony de Mellos „Was weiß der Frosch vom Ozean. Weisheit für Kopf und Herz“.

DIE FURCHE (10. März 2011)