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Der Doktor und die weise Frau#


Mag. pharm. Dr. Bernd E. Mader


Beschäftigt man sich mit Volksmedizin, gibt es viele Zugänge, sich diesem interessanten Thema zu nähern. So kann man z. B. im Zuge der Feldforschung immer wieder auf Interessantes stoßen. Man kann sich aber auch nur den schriftlichen Quellen widmen, seien das nun Kräuterbücher oder Sammlungen alter, oft schwierig zu entziffernder Rezepte oder einfach nur literarische Belege. In der folgenden kleinen Arbeit möchte ich zu letzterem ein Beispiel bringen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass hier weder eine Beurteilung zum Lebensweg des Dichters vorgenommen werden soll, noch dass damit eine Wertung zu Sinn und Unsinn der Methoden und Mitteln vorliegt, die von der Naturheilerin angewandt wurden.

Dr. Hans Klöpfer
Bild 1: Der Dichterarzt Dr. Hans Klöpfer (1867 - 1944) an seinem Schreibtisch in seiner Ordination
© Klöpfermuseum Eibiswald

Uns Steirern ist der weststeirische Arzt und Dichter Dr. Hans Klöpfer (1867-1944) (Bild 1) sicher ein Begriff, so dass ich nicht näher auf sein Leben einzugehen brauche. Angeführt sei hier nur, dass Hans Klöpfer 1894 in Köflach die Stelle eines Werkarztes bei der Alpine Montan Gesellschaft angenommen und diese bis zu seinem Tode innehatte. So konnte er, besser als jeder andere, die Bergarbeiter, Bauer und Bürger seiner weststeirischen Heimat studieren und er hinterließ viele literarische Zeugnisse über ihr Leben, ihre Not und ihr Sterben. Eines davon ist dem Wirken einer Naturheilerin gewidmet.

In der Erzählung "Das Konsilium" (im 2. Band seiner im Jahre 1967 in Graz erschienenen Gesamtausgabe wiedergegeben) setzte er einer Naturheilerin seiner engeren Heimat, der "Kirlin" wie er sie nannte, ein literarisches Denkmal. Es sei hier vorweggenommen, dass man diese in ihrem Wirkungsgebiet - das war die Gegend um Köflach und das ganze weite Bergland dahinter bis hinauf zur Pack - nicht "Kirlin" sondern "Wirlin" nannte. Dies war wohl dichterische Freiheit. Was geschah nun in dieser Erzählung?

Hans Klöpfer beschrieb, wie er einmal auf der Hahnbalzjagd zufällig in einem Bauernhaus (beim Klienegger) einkehrte, wo gerade ein Kind krank darniederlag. Ohne sich zu erkennen zu geben, hörte er interessiert zu, wie die besorgte Bäuerin mit der Dirn über ihr krankes Kind sprach. Da kam ein Bote und rief: "Sie kimmb scha!"

Hans Klöpfer beschrieb nun die, deren Ankunft eben angekündigt worden war: "Ein hageres Weib mit strengen Zügen trat über die Schwelle, ernst, fast feierlich. Sie legte das grobe Wolltuch auf den Stuhl an der Tür und darauf eine schwarzlederne Tasche mit Stahlkettlein".

Klöpfer erfuhr nun, dass das die "Kirlin" wäre, deren Ruf auch ihm bekannt war: "Nun wußte ich`s. Die Kirlin war eine weise Frau und weitberühmt im Gebirge ob ihres guten Rufes und heilsamer Mittel bei mancherlei Schäden bei Mensch und Vieh, deren manche als sichere Drastika beim Landvolk in besonderem Ansehen standen".

Er hörte nun, welche Mittel der Volksmedizin die besorgte Bäuerin bei ihrem kranken Kind schon angewandt hatte. Sie hatte ihm "Kranawetgralln (Wacholderbeeren) aufbunden und Kürbiskern gebm". Die Bäuerin nannte nun der "Kirlin" eine ganze Reihe weiterer Hausmittel, welche eventuell auch noch anzuwenden wären, doch die "Kirlin" lehnte sie alle ab. Als letzten Ausweg schlug jemand vor, nach dem "Knöpfl" zu schicken. Auch das lehnte die "Kirlin" entschieden ab, und Hans Klöpfer konnte nun erst recht nicht sein Inkognito lüften, denn der "Knöpfl" - das war ja er!

Es kam dann noch ein Pechölbrenner dazu, aber auch seine Medizin ("drei Tröpfl Krannawettöl auf a Bröckl Zucker") wurde verworfen. Es war keine Frage, es konnte nur die Medizin der "Kirlin" helfen: "Aus deren Tiefen - gemeint war die Tasche - grub sie ein schmieriges Fläschchen (wie ich später erfuhr, eine Mixtur aus Baumöl, Knoblauch, Kümmel und Asant), schüttelte es sorgsam, und unter Mithilfe aller wurde dem kleinen Patienten ein Eßlöffel voll des Wunderelexiers zwischen die geschlossenen Zähne gezwungen. Nun mußte man abwarten". Bald darauf kam es zu einer "katastrophalen Entladung aus allen Körperöffnungen" und das Kind war gesund!

Diese Erzählung war nicht nur interessant wegen der vielen volksmedizinischen Hinweise, sondern hier wurde eine Naturheilerin beschrieben, die in den Erzählungen der Alten als "Wirlin" immer noch ihren Platz hatte. Wer war nun die "Wirlin" gewesen?

Maria Geihs
Bild 2: Maria Geihs, genannt die "Wirlin" (Nach einem Familienfoto um 1905)

Die "Wirlin" hieß mit wirklichem Namen Maria Geihs (Bild 2). Warum man sie "Wirlin" nannte, das wissen wir bis heute nicht. Von ihrer Mutter Margaretha Geihs sei sie in die Kunst des Heilens eingeführt worden.

Margaretha Geihs, die Mutter der "Wirlin", war am 23. Jänner 1820 in St. Vinzenz Nr. 29 als Tochter des in der gleichnamigen Glashütte arbeitenden Fabriksmaurermeisters Johann Geihs und der Magdalena Aschenbrenner geboren worden. Mit neun Jahren kam die kleine Margaretha zu einem "Arzt" nach St. Andrä im Lavanttal. Bisherige Nachforschungen ergaben, dass es sich dabei wahrscheinlich um keinen promovierten Arzt, sondern um einen Wundarzt, einem Bader oder gar einen Kurpfuscher gehandelt haben könnte. Von ihm dürfte sich Margaretha Geihs mit der Zeit ein gewisses Heilwissen angeeignet haben.

Schon 39 Jahre alt, brachte sie am 25. März 1860 in Zellbach bei Ettendorf (Bez. Wolfsberg) eine Tochter zur Welt, die auf den Namen Maria getauft wurde. Vater war angeblich ein Zimmermann. Im Jahre 1869 verstarb ihr Arbeitgeber in St. Andrä, und Margaretha Geihs zog mit der damals neunjährigen Tochter Maria nach Köflach.

Maria Geihs
Bild 3: Maria Geihs, genannt die "Wirlin" (Nach einem Familienfoto, rechts im Bild sitzend)

Bereits mit 16 Jahren musste Maria Geihs (Bild 3) einer Arbeit nachgegangen sein. Das können wir daraus schließen, da bei der Geburt ihrer Tochter Rudolfine (1897), zur Identität der Mutter, deren Dienstbotenbuch, ausgestellt am 26. Februar 1876 in ihrem Heimatort Ettendorf, angeführt worden war.

Anhand der Taufmatrikel der Pfarre St. Magdalena zu Köflach können wir die Anwesenheit von Maria Geihs im dortigen Markt bereits 1877 gesichert nachweisen. Innerhalb von 20 Jahren kamen in Köflach sechs ledige Kinder zur Welt. Bereits am 24. Oktober 1877 war sie erstmals Mutter geworden. Das Mädchen wurde auf dem Namen Maria getauft. Der Reihe nach erblickten dann Wenzeslaus (1879), Joannes Baptista (1881), Sophia (1885), Franz (1887) und Rudolfine (1897) das Licht der Welt.

Anhand der ins Taufprotokoll eingetragenen Adressen der ledigen Mutter konnte man auch die häufig gewechselten Dienstposten der Maria Geihs in Köflach nachverfolgen. Sie geben auch Auskunft über deren ausgeübten Beruf bzw. ihre soziale Lage. 1877 und 1885 war "Dienstmagd", 1881 und 1897 "Inwohnertochter", 1879 "Zimmermannstochter" und 1887 "Näherin" eingetragen worden.

Maria Geihs hat, zusammen mit ihren Kindern, bis zu ihrem Lebensende in Köflach im "Lindenhof", heute Kautschitschstraße Nr. 4, gewohnt. Von Maria, der Ältesten, wissen wir, dass sie nach Amerika ausgewandert war. Es war die Jüngste ihrer Töchter, die Rudolfine, die bis zuletzt bei der Mutter gelebt und sie auch liebevoll in ihrer schweren Krankheit gepflegt hat.

Ungefähr vor 30 Jahren war vom Landesstudio Steiermark ein Feuilleton über sie gesendet worden. Ich bat damals um das Manuskript und man sandte mir dieses auch zu. Leider fehlten dem Manuskript jegliche weiterführenden Angaben, wie Autor oder Gesprächspartner, dem Text war aber zu entnehmen, dass möglicherweise ein Enkelkind der "Wirlin" in dieser Sendung befragt worden war.

In diesem Manuskript waren eine Reihe von in der volksmedizinischen Heilmitteln und Heilverfahren angeführt. So wurde auch das bei Hans Klöpfer angeführte Elixier erwähnt, ebenso die Herstellung eines "Burrisafterl" und die "Ganstersalbn". Letztere Salbe war im Raum Köflach und im Packgebiet sehr bekannt; sie dürfte von einem Beinheiler, der dort irgendwo zuhause gewesen war, stammen. Lärchenpech, Kampfer und Hirschinslett waren angebliche Bestandteile davon.

Für das "Burrisafterl" schnitt die "Wirlin" gartenfrischen Porree (Allium porrum) ganz fein, gab ihn in ein Glasgefäß, übergoß mit Wein und stellte das Gefäß zugedeckt drei Tage in die Sonne. Die Flüssigkeit wurde dann abfiltriert und in Flaschen abgefüllt. Das "Burrisafterl" fand gegen hohen Blutdruck Verwendung, doch durfte davon nur ein "Stamperl" täglich getrunken werden.

Gegen entzündete Augen und zur Stärkung der Sehkraft empfahl die "Wirlin" Waschungen mit Muttermilch, womöglich mit Milch nach einer Erstgeburt. Bei Verbrennungen wiederum sollte man die betroffenen Stellen mit Eiklar bestreichen, so würden keine Blasen entstehen und später keine Narben zurückbleiben. Gegen Kopfschmerzen solle man taufrische "Hollerplotschn" (= Blätter vom Holunder) auflegen, gegen Gallenbeschwerden empfahl sie tägliches, zweistündiges Sitzen auf einem damals noch lehmgemauerten und noch warmen Ofen.

Hatte ein Säugling die "gache Hitz" (plötzliches, höheres Fieber), legte man dem Säugling einen frisch gefangenen Fisch auf dessen nackte Brust, band ihn darauf fest und wickelte den Säugling zudem noch warm ein. Wenn der Fisch "dürr" (getrocknet) war, war die "gache Hitz" auch vorbei. Das entsprach der Vorstellung, dass Krankheit auf ein anderes Objekt übertragen werden kann.

Eine weitere, sehr altertümliche Krankheitsvorstellung fand in jenem Manuskript Erwähnung. Manche Säuglinge kamen mit einem greisenhaften Gesicht zur Welt. Allgemein nannte man dieses Krankheitsbild "das Alter". Trat das nun bei einem Säugling auf, band man das Wickelkind auf die Einschießschüssel, wie man sie für das Brotbacken benötigte und schob damit nach dem Brotbacken den Säugling, wenn der Backofen gerade noch warm war, mehrmals in den Ofen hinein. Dazu sagte man den Spruch: "Alter eini, junger außi!".

Dem lag die Vorstellung zugrunde, dass der Säugling den Mutterleib zu früh verlassen habe, also nicht "ausgebacken" gewesen sei. Durch die oben beschriebene Prozedur holte man das jetzt nach!

Die "Wirlin" ließ sich gerne auf ihren Gängen zu den einzelnen Kranken, vor allem, wenn sie nicht in Köflach, sondern schon Richtung der Pack beheimatet gewesen waren, von ihren Kindern und später auch von den Enkeln begleiten. Auf diesen Gängen lernte sie den Kindern die heimischen Heilpflanzen zu erkennen und hielt sie auch zum Sammeln derselben an. Wer sich die Heilpflanzen und deren Wirkung gut gemerkt hatte, wurde mit einem Heller belohnt.

Die befragte Enkelin (?) erinnerte sich, dass man damals Frauenmantel, Arnika, Baldrian, Wiesensalbei, Thymian, Majoran, Kümmel, Johanniskraut, Tausendguldenkraut und Augentrost gesammelt hätte.

Mehrmals sei sie wegen Kurpfuscherei angezeigt worden. Noch lebende Nachkommen sind davon überzeugt, dass Hans Klöpfer selbst hinter diesen Anzeigen gestanden war. Nach jeder Anzeige sei die Gendarmerie gekommen und habe in der Wohnung Nachschau gehalten, ob man irgendwelche Beweise ihrer Tätigkeit sicherstellen könne. Das sei lange Zeit erfolglos gewesen, da sie beim Nahen eines Gendarms immer rechtzeitig gewarnt worden wäre. Da sei dann ein Kind oder ein Nachbar hinters Haus gelaufen und die "Wirlin" habe einen Korb durchs Fenster hinausgereicht, der voll von Medizinen, Salben und Einreibungen aller Art gewesen war. Den habe man in einer Gartenlaube versteckt. Obwohl das viele gewusst haben, hat sie niemand verraten.

Einmal hatte sie jedoch Pech. Als sie von einer Einkaufsfahrt aus Graz zurückkam, stand der Gesetzeshüter bereits vor der Tür und wartete auf sie. Sie musste ihn in die Wohnung einlassen und er fand auch Belastendes. Sie wurde angezeigt und vom Gericht in Voitsberg zu drei Wochen Arrest verurteilt. Das hat sie psychisch schwer getroffen und von da an beschäftigte sie sich nie mehr mit dem Heilen.

Ihre Beschäftigung bestand nun ausschließlich im Binden von Blumen zu Grabkränzen und Girlanden. Das hatte sie einst von ihrer Mutter gelernt. Eine Eintragung in den Traumatriken der Kirche St. Magdalena in Köflach bestätigt uns, dass sie dieser Tätigkeit auch wirklich nachgegangen war. Als ihre jüngste Tochter Rudolfine, im Jahre 1925 heiratete, war ihre Mutter Maria Geihs schon tot. Doch nicht nur das war vermerkt worden, sondern auch der Beruf der Mutter, nämlich "Blumenmacherin".

Maria Geihs war nie verheiratet gewesen. Sie verstarb 62jährig nach einer schweren Krebserkrankung am 17. August 1923 und wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zu Grabe getragen.

Dass das Wirken der "Wirlin" lange Zeit im Volke nicht vergessen war, zeigte sich sogar noch nach Ende des 2. Weltkrieges. Als Maria Seidl, eine Enkelin der "Wirlin", in der schweren Nachkriegszeit zu den Bauern "hamstern" ging, da bekam sie oft von den Bauern unentgeltlich ein Stück Fleisch, wenn sie erzählte, dass die "Wirlin" ihre Großmutter gewesen war.

Quellen#

  • Iberer Erika, Die Kräuterdoktorin von Köflach, Zeitungsartikel, Zeitung unbekannt; gleichlautend war auch der Titel des Manuskripts einer Sendung vom Landesstudio Steiermark.
  • Klöpfer Hans, Werke, hrsg. von Wilhelm Danhofer, Bd. II. In: Kleine Steirische Geschichten, Graz 1967, S. 305ff.
  • Maschutznig Markus und Edith; Frau Maschutznig ist eine Urenkelin der "Wirlin"
  • Stadler Anton, Inaugurationsdissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Karls-Franzens-Universität, Rezente ethnomedizinische Überlieferungen, Graz 1990, S. 174ff