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Atempause im Kalten Krieg#

Vor 50 Jahren, am 3. und 4. Juni 1961, richtete die Welt ihre Blicke auf Österreich: Der Wiener Gipfel zwischen Kennedy und Chruschtschow sollte die brennendsten Probleme der Welt klären.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 28. Mai 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Barbara Stelzl-Marx


Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy
Entgegen dem Säbelrasseln in der Propaganda übermittelt Nikita Chruschtschow nach dem Wiener Gipfel ein signiertes Foto an John F. Kennedy mit der Widmung in russischer Sprache: "Präsidenten J. Kennedy zur Erinnerung an das Treffen in Wien. 2. November 1961".
Foto: © JFK Library

Der Wiener Gipfel 1961 war die erste und zugleich letzte persönliche Zusammenkunft des neu gewählten US-Präsidenten John F. Kennedy und des sowjetischen Ministerpräsidenten und Parteiführers Nikita S. Chruschtschow als Staatsmänner der beiden Supermächte. Kennedy wurde im November 1963 ermordet, Chruschtschow ein Jahr später abgesetzt.

In Wien fand Anfang Juni 1961 eine weitere Premiere statt: Die beiden mächtigsten Männer der Welt trafen sich zum ersten bilateralen Gipfel im Kalten Krieg. Großbritannien und Frankreich hatten ihre Stellung verloren und waren in Wien nicht dabei. Die Vierer-Allianz des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegsjahre war realpolitisch nicht mehr vorhanden.

Charisma gegen Bauernschläue#

Mit den beiden Staatsführern prallten in Wien zwei völlig unterschiedliche Welten, ideologische Systeme, Persönlichkeiten und Generationen aufeinander: der junge, charismatische, politisch aber durch das Desaster in der Schweinebucht angeschlagene US-Präsident und der erfahrene, bauernschlaue Verhandler Chruschtschow, der sich in den Diadochenkämpfen um die Nachfolge Stalins als Sieger behauptet hatte. Nicht zuletzt durch den ersten bemannten Weltraumflug durch Jurij Gagarin im April 1961 hatte die Sowjetunion neues Selbstbewusstsein getankt.

Der Wiener Gipfel stellte zugleich ein gewaltiges Medienspektakel dar, dessen Bilder um die ganze Welt gingen. Alle großen Agenturen hatten eigene Pressebüros in Wien eingerichtet, die führenden Rundfunkstationen waren vor Ort, mehr als 1300 internationale Journalisten akkreditiert. Während über die Gipfelgespräche selbst zunächst nur wenige Informationen durchsickerten, konzentrierte sich die mediale Aufmerksamkeit auf die beiden "Gipfeldamen" Jacqueline Kennedy und Nina Chruschtschowa. Jedes Detail – von der Kleidung, über die Handtasche und Frisur bis zum Hut und Lächeln – wurde registriert und kommentiert. Die erste Europareise der beiden Kennedys zeigte, dass sich "Jackie" über die Grenzen der USA hinaus zu einem Star und Mode-Idol ersten Ranges entwickeln würde.

Österreichs Aufgaben lagen vor allem auf protokollarischen und technischen Gebieten. Dies betraf Sicherheitsfragen ebenso wie die "formgerechte" Ankunft und Abfahrt der Delegationen, eine Verkehrsregelung zwischen den wichtigsten Punkten der Besprechungen oder etwa die Sicherstellung einer direkten Telefonverbindung nach Washington und Moskau. Wien bewährte sich Anfang Juni 1961 als neutraler Ort für internationale Begegnungen.

Chruschtschow wollte ein Gipfeltreffen mit Kennedy, noch bevor der neu gewählte Präsident im Jänner 1961 seinen Amtseid ablegte. Der Kreml-Chef hatte den Gipfel in Paris 1960 jedoch platzen lassen, als sich die USA nicht offiziell für das Eindringen eines amerikanischen U-2-Aufklärungsfluges in den sowjetischen Luftraum kurz vor den Pariser Gesprächen entschuldigten. Nun plante Chruschtschow, sich allein mit dem US-Präsidenten zu treffen und über die Zukunft West-Berlins zu verhandeln.

Kennedy begrüßte gleichfalls einen "informellen Austausch von Meinungen", wie er Chruschtschow im März 1961 in einem persönlichen Schreiben wissen ließ. Er schlug Anfang April ein Treffen für Ende Mai in Wien vor. Doch die Vorfälle in der Schweinebucht auf Kuba Mitte April 1961 führten dazu, dass der Gipfel schließlich auf Anfang Juni verschoben wurde. Justizminister Robert Kennedy überbrachte über den sowjetischen Militärgeheimdienst neue amerikanische Positionen zur Beilegung der Streitigkeiten über Laos, zum geplanten Atomwaffentestverbot und zur Erschließung des Weltalls, nicht jedoch einen neuen Status für West-Berlin. Diese einzigartige Initiative der Kennedy-Brüder schloss sogar Außenminister Dean Rusk und den Nationalen Sicherheitsberater McGeorge Bundy aus. Die Kreml-Experten wussten also nicht, wie sie ihren neuen Chef warnen sollten.

Äußerst hektische Vorbereitungen#

Erst am 19. Mai 1961 gaben Washington und Moskau offiziell bekannt, dass das Zweiergespräch am 3. und 4. Juni in Wien stattfinden würde. Die österreichische Bundesregierung wurde gebeten, die notwendige Unterstützung bei der Durchführung des Treffens zu erweisen. Die Vorbereitungen für Protokoll, Sicherheitsapparat und Presse, die bereits hinter den Kulissen sicherheitshalber angelaufen waren, liefen nun auf Hochtouren.

In der zweiten Maihälfte begann auch für Kennedy die heiße Phase der Vorbereitungen für die "Gipfel-Europa-Tournee". Er zog sich für ein Wochenende mit den briefing books des State Departments, drei dicken, in Leder gebundenen Detail-Memoranden, auf den Familiensitz in Hyannis Port zurück. Zusätzlich bereiteten CIA-Psychologen Kennedy auf das erwartete Gesprächsverhalten Chruschtschows mit seinen bekannten abrupten Themen- und Stimmungswechseln vor.

In Moskau fand am 26. Mai 1961 noch eine eilig einberufene Sondersitzung des Präsidiums des ZK der KPdSU statt. Chruschtschow erwartete keine Zustimmung der USA zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages mit der DDR mehr. Doch machte er seinem Ärger und seiner Hilflosigkeit mit deftigen Worten Luft und bezeichnete Kennedy als "Hurensohn". Vorsichtig fragte der stellvertretende sowjetische Außenminister, ob "für alle Fälle" Geschenke für Wien vorbereitet werden sollten. Darauf Chruschtschow: "Das ist augenscheinlich nötig. Geschenke macht man sogar vor einem Krieg." Das Außenministerium arbeitete schließlich eine dreiseitige Liste mit Gastgeschenken aus, darunter Vodka, schwarzer Kaviar, Matreschki und Schallplatten "Jurij Gagarin im Kosmos". Ein Kaffeeservice aus Silber, das Jacqueline Kennedy bekommen sollte, befindet sich noch heute in der JFK-Library in Boston.

Zwei Arten, in Wien anzukommen#

Chruschtschow brach bereits am 29. Mai – per Bahn – Richtung Österreich auf. Er legte je einen Zwischenstopp in Kiew und in Bratislava ein. Am Freitag, dem 2. Juni, traf der aus sieben Salonwagen bestehende Sonderzug am Wiener Süd-Ostbahnhof ein. In seiner Begleitung befanden sich seine Frau Nina, seine Schwiegertochter Galina Schumowa und Außenminister Andrej Gromyko. Chruschtschows Ankunft in Wien stellte den inoffiziellen Beginn des Gipfels dar. Den genauen Zeitpunkt hatte der Kreml vor allem mit den österreichischen Kommunisten abgestimmt: Die KPÖ-Führung hatte Chruschtschow ersucht, erst um 17.00 Uhr, also nach Beendigung des Arbeitstages, in Wien einzutreffen. Sie wollte die Arbeiter für ein Treffen mit der sowjetischen Delegation auf die Straßen führen können. Chruschtschow kam dieser Bitte nach: "Das ist auch für uns vorteilhaft, sollen sie sich doch etwas um diese Sache bemühen."

Kennedys Europatour begann am 30. Mai mit seinem Abflug aus New York nach Paris. Hier absolvierte er zunächst einen zweitägigen Besuch, um den französischen Präsidenten Charles de Gaulle zu den Schlüsselfragen seiner noch jungen Präsidentschaft zu konsultieren. Erst danach wollte er sich mit Chruschtschow persönlich treffen.

Kennedy und seine Frau Jacqueline trafen am Samstag, dem 3. Juni, mit kleiner Verspätung um 10.50 Uhr in Wien-Schwechat ein. Die Boeing 707 der Airforce One war nicht planmäßig von Paris weggekommen, da einer von Jackies 40 Koffern verschwunden war. Bundespräsident Adolf Schärf begrüßte seine Gäste mit den launigen Worten: "Es steht nicht schlecht um eine Welt, in der die Politiker warten, weil eine schöne Frau einen Koffer vergessen hat." Nach einem kurzen Besuch in der Hofburg fuhr Kennedy zur Residenz des US-Botschafters nach Hietzing, wo ab 12.45 Uhr die Gespräche mit Chruschtschow begannen.

Jacqueline Kennedy und Nina Chruschtschowa
Jacqueline Kennedy und Nina Chruschtschowa, die Gattinnen der beiden Verhandelnden, übernahmen während des Gipfels wichtige repräsentative Funktionen.
Foto: © RGAKFD

"Während die beiden Staatsmänner konferierten, besichtigten ihre Gattinnen einige Wiener Sehenswürdigkeiten", fasste die österreichische Präsidentschaftskanzlei das Damenprogramm zusammen: eine "Paul Cézanne"-Ausstellung im Schloss Belvedere, Rundfahrt durch den Wiener Wald und eine "gemütliche Wiener Jause" mit Modevorführung standen für Nina Chruschtschowa auf dem Programm. Jacqueline Kennedy machte eine Stadtrundfahrt und besichtigte die Augarten-Porzellanmanufaktur. Den Besuch des Stiftes Klosterneuburg sagte die Präsidentengattin ab, da sie "müde, todmüde, zum Umfallen müde" war. Außerdem stand ihr – und den anderen Ehrengästen – ein langer Abend bevor.

Das Galadiner, zu dem Bundespräsident Schärf am Samstagabend ins Schloss Schönbrunn geladen hatte, bildete die Krönung der "Dramaturgie der Österreich-Darstellung". Man war entschlossen, "allen Glanz zu entfalten, den Wien zu bieten hat". Auf Österreichs monarchistische Vergangenheit wurde etwa bei der Wahl des sogenannten "Goldadlerservice" rekurriert. Das "künstlerische Programm mit Wiener Note" schloss mit dem vom Wiener Staatsopernballett getanzten Walzer "An der schönen, blauen Donau". Lediglich das von einer Wiener Traditionsfirma gelieferte Souper rief harsche Kritik hervor: "Wie vielfach festgestellt wurde, war dies das schlechteste Essen, das jemals bei einem Empfang serviert worden war. Es gab sogenanntes westliches Essen ‚Beefsteak’ und östliches Essen (gefüllte Paprika). Letztere waren bereits beim Anrichten kalt und das Fett stockte", hieß es in einem internen Bericht der Präsidentschaftskanzlei.

Am Sonntagvormittag absolvierten Kennedy und Chruschtschow zunächst getrennt ihre Programmpunkte. Kennedy, der erste katholische Präsident der USA, besuchte mit seiner Gattin eine von Kardinal Franz König zelebrierte und vom Chor der Wiener Sängerknaben musikalisch umrahmte Messe im Stephansdom. Bei allen Messen wurde anlässlich der Gipfelgespräche die "Oratio pro pace", das Gebet für den Frieden, beigefügt.

Auch Chruschtschows Morgenprogramm war symbolträchtig: Er legte am Äußeren Burgtor und am Befreiungsdenkmal am Schwarzenbergplatz Kränze nieder. Danach wurden die Gespräche in der sowjetischen Botschaft fortgeführt.

Die vier Gespräche am 3. und 4. Juni waren viel mehr als das bloße Abtasten, mit dem Kennedy gerechnet hatte. Chruschtschow war erzürnt, weil er bereits wusste, dass Kennedy seine Position über Berlin nicht aufgeben werde, und reagierte angriffslustig. Trotz der Warnungen seiner Berater ließ sich Kennedy anfangs auf eine ideologische Debatte ein, die er nur verlieren konnte.

Übereinstimmungen und Differenzen#

Das Hauptthema der Gespräche am ersten Tag in der US-Residenz war Laos, das 1954 unabhängig, doch bald unter kommunistischen Einfluss geraten war. Der politisch angeschlagene Kennedy wollte mit zumindest einem konkreten Resultat den Wiener Gipfel verlassen, was auch gelang. Beide Seiten einigten sich schließlich darauf, ihren Einfluss in der Region geltend zu machen, um die Kämpfe zu beenden und den Weg zur Schaffung eines neutralen Laos zu ebnen. Chruschtschow hatte in dieser Frage nachgegeben, doch hielt er Kennedy für einen Schwächling.

Nach der Einigung über Laos wandten sich die Gespräche am zweiten Tag der Abrüstungsfrage, der Einstellung der Kernwaffenversuche und schließlich Berlin zu. Auf Chruschtschows wiederholte Drohung, er werde den Friedensvertrag auf jeden Fall im Dezember 1961 unterzeichnen, beendete Kennedy das Gespräch mit den kryptischen Worten: "It will be a cold winter."

Kennedy flog anschließend nach London, wo er Premierminister Harold Macmillan und Außenminister Alec Douglas-Home über den Wiener Gipfel informierte. Die Unterredungen hatten dem auch gesundheitlich angeschlagenen Präsidenten zugesetzt. Er war von Chruschtschows Verhalten entsetzt, wohingegen dieser mit seiner harten Position weitgehend zufrieden war. Am Weg nach London nannte der US-Präsident seinerseits Chruschtschow einen "Bastard". Doch machte Wien, wie es der Historiker Tim Naftali ausdrückt, Kennedy auch zu einem "besseren Präsidenten, ohne die Welt unsicherer zu machen".

"Wir sind gerne bereit, auch in Zukunft für internationale Treffen unsere Einrichtungen zur Verfügung zu stellen", zeigte sich Bundeskanzler Gorbach mit Österreichs Rolle beim Wiener Gipfel angetan. Auch Außenminister Bruno Kreisky drückte seine Zufriedenheit aus. Alle Aufgaben – Protokoll, Pressebetreuung, Sicherheitsvorkehrungen – wären mit "eben so viel Geschick wie Takt erfüllt" worden.

Wien war zwar durch das Treffen von Präsident Kennedy und Ministerpräsident Chruschtschow zur "Bühne der Weltgeschichte" avanciert und hatte sich als diskreter Gastgeber für internationale Begegnungen etabliert; die eigentliche Weltgeschichte wurde aber anderswo geschrieben, wie sich rund zwei Monate später durch den Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 zeigen sollte.

Der historische Kontext#

Anfang Juni 1961 sollte der Kalte Krieg eine Atempause einlegen. Die beiden mächtigsten Männer der Welt, John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow, trafen sich zum Gipfel in Wien. Doch die Hoffnungen trogen. Binnen Monaten war der Kalte Krieg ganz heiß: In Berlin ließ Chruschtschow die Mauer bauen. Im Jahr darauf schickte er Raketen nach Kuba, um die USA direkt zu bedrohen.

War der Wiener Gipfel ein Fehlschlag? Ja, denn es gab kaum zählbare Ergebnisse. Nein, denn erstmals sahen die Supermächte, dass es nur einen Weg gab, der Apokalypse ihrer Atom-Arsenale zu entrinnen: den Dialog.

Der "Friede durch Angst" und der "heiße" Draht zwischen Washington und Moskau verhinderten eine atomare Konfrontation. Österreich stellte dabei seine neue Rolle als neutraler Staat und Gastgeber erfolgreich unter Beweis. Wien wurde zum Ort der Begegnung im Kalten Krieg.

Dieser Wiener Gipfel ist nun Gegenstand einer umfassenden wissenschaftlichen Publikation: Auf der Basis neuer russischer und westlicher Quellen analysieren internationale Experten, was sich damals wirklich abspielte und wie nahe man an einer Katastrophe vorbeischrammte.

Buch. Der Wiener Gipfel 1961.

Stefan Karner, Barbara Stelzl-Marx, Natalja Tomilina, Alexander Tschubarjan, Günter Bischof, Viktor Iš cenko, Michail Prozumenšcikov, Peter Ruggenthaler, Gerhard Wettig, Manfred Wilke (Hrsg.): Der Wiener Gipfel 1961. Kennedy – Chruschtschow. StudienVerlag Innsbruck, Wien, Bozen 2011, 1056 Seiten, 39,90 Euro.


Barbara Stelzl-Marx ist stellvertretende Leiterin des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, und Lektorin an der Karl Franzens-Universität Graz.
www.bik.ac.at

Wiener Zeitung, Samstag, 28. Mai 2011