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VI,
er, er wolle seiner Frau — jener später bc»
lanntcn Nahel, von der ich aber damals nichts
wußte — meine Bekanntschaft verschaffen. Ich
daher herzlich froh, als man uns an dcr haus»
lür sagte, die Frau LcgationZrätin sci nn1>!
daheim. Als wir aber die Treppe hinniite»
gingen, kam uns die Frau entgegen, und ich
nicht zu sagen hexe, ähnliche Frau, zu sprechen
an, nnd ich war bczanbert, Meine Müdigkeit
verflog, oder machte vielmehr ein« Ärt
Trnntenhcit Platz, Sie sprach und sprach bis
gl-geu Mitternacht, und ich weiß nicht mehr,
haben sie mich fortgetrieben, oder ging ich von
sclbst fort, Ich habe nie in meinem ^>'^,i
interessanter und besser reden gehört, Leider
und ich tonnte daher den Besuch nicht wieder-
holen.
Schon in den ersten Tagen nach meiner An»
Unschuld hat öfter zu Verstößen und Vcrwechsc-
lüNliXN Anlas; gegeben, Nieser schien ein be»
vorzngtcr Schüler Hegels zu sein. Nach den
eisten Höflichkeiten fragte er mich, ob ich den
großen Philosophen nicht besuchen würde, Icb
antwortete ihm, daß ich mich nicht getraue,
da ich von der Wirksamkeit uud dem System
desselben nicht das geringste wisse. Nun ver-
traute er mir, daß er mit Vorwissen Hegels
komme, der meine Bekanntschaft zu machen
wünsche. Ich ging daher hin und wiederholte
dem Meister, was ich dem Schüler gesagt hatten
dcr Grund, warum ich ihn nicht früher be-
sucht, wäre, weil man bei uus erst bis zum
alteu Kaut gekommen und mir daher sein,
Hegels, System ganz unbekannt sei. Um s?
besser, verseifte höchst wunderlich dcr Philosoph,
goldenen Vließ Interesse genommen habe, ob°
sprachen. Ich fand Hegel so angenehm, ver
ständig und rekvnziliaut, als ich in dcr Folgc
sein System abstrus und absprechend gefuudcn
habe. Er lud mich für den künftigen Tag
zum Tee, wo ich seiuc schlicht-natürliche Frau
kennen lernte uud auch die niedliche Soutag
fand, so daß der Abend unter heiterem Gespräch
und Musik verging, ohne daß man durch irgend
zugleich .Hegel um Erlaubnis bat, einen meiner
Landsleute bciziehen zu dürfen. Ich erwiderte, dun, wem er die Ehre seiner 0,,'sellschaft gönne,
mir gleichfalls willkommen sein wei'i^, (>
Saphir aus Wien gemeint war, der gerade
damals sein Unwesen in Berlin trieb, sich aber
dem Philosophen gegenüber sehr schweigfelig
und untergeordnet benahm. Man fagle mil,
Hegel begünstige ihn, teils an^ Lust an seinen
wirtlich oft guten Späßen, teils aber auch,
um bei Gelegenheit durch ihu seine Orsim i
lächerlich zu machen. Es war das einzig
daß ich mit Herrn Saphir unter eiucm Tache
gewesen bin,
Für mein leibliches Wohl, doch nicht ohne
Gcistigkcit, sorgten vier oder fünf ^>m,>
übrigen aber in Berlin durch jeue erste,i be-
tauut geworden war. Sie luden mich in der
Reihe zu Gast, wo ich denn bemerken !l>m,!>',
daß, wenn ma,, auch tagtäglich in Berlin frn»
galer lebe als in Wien, bei Gastmälileru dagegen
Wien offenbar die Segel streichen müsse. Na
einer von ihnen Mitdircktor des ztönigsstädter
Theaters, ein zweiter aber Vormnnd der Ton»
irgend eine lokale Merkwürdigkeit war, führte
cr mich hin, unter andern in die Weinhanotm.g
zu Lutter uud Wcgener, wo son,t der plian»
tastische Hoffinann feine Abende zubrachte, Hufs»
mann selbst — auch eine mit Unrecht oeniesscue
Zelebrität — war damals vor kurzem gesturbe»,
und seine Zechbrüder saßen stninm und ver-
einzelt. Endlich kam anch ihr Matador, der
Schauspieler Ludwig Ncvricnt, Als man mich
ihm vorstellte, benahm er sich wie ein im Geiste
er wohne? sah er mich an, als über die Zu-
inutnug erstaunt, daß er selber wisse, wo er
selber wohne, Erst nach ein paar Gläsern Wein
kam cr aus sciucm Stumpfsinne zurück. Ich
sah übrigens damals Tcvricnt nicht spielen,
weil, wie gesagt, das Schauspielhaus e!> » m>
Baue begriffen war. Ein paar Jahre darauf
kam er nach Wien, uud auch da habe ich ihn
nur in weniger bedeutenden Rollen gesehen,
da bci bedeutenderen das Theater allzu über-
füllt war. Ich erinnere mich daher keines,
Nur eine physiologische Erscheinung muß ich
als merkwürdig anführen. Er gab den Franz
Moor im Theater an der Wien, und ich be-
fand mich in einer dcr ersten Seitenlogcn, Er
und alle anderen gaben mir bci meinem höchst
schwachen Gesichte nur ziemlich nebelhafte
Bilder, Da, bei der Szene, wo der Vater
ohnmächtig hinsinkt und der Sobu, weil er
ihn tot glaubt, das Gesicht mit teuflischer Freude
Nevrient springe in die Loge hinein, so bis ins
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik