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VI, Biographisches,
rücklehrtc. Nicht als wäre meine Eitelkeit be-
leidigt gewesen, Goethe hatte mich im Gegen»
teile freundlicher nnd aufmcrtsamer behandelt,
als ich voraussetzte. Aber das Ideal meiner
Ingend, den Dichter des Faust, Elavigo nnd
Egmont, als steifen Minister zu sehen, der
seinen Gästen den Tee gesegnete, ließ mich aus
all meine,i Himmeln herabfallen. Wenn er
mir Grobheiten gesagt und mich zur Tür hin«
ausgeworfen hätte, wäre es mir fast lieber
gewesen. Ich bereute fast, nach Weimar ge-
gangen zn sein,
Tcmunch beschloß ich, den nächstfolgende,,
Tag zur Besichtigung der Mcrtwürdigkeiten
Weimars zu verwenden, uud bestellte im Gast»
bnn^ die Pferde für übermorgen, Des nächsten
Vormittage kamen Besuche aller Art, darunter
der freundliche und ehrenhafte Kanzlei Müller,
mehreren Jahren in Weiinar angestellte Kapell-
meister Hummel, Er hat Wien verlassen ehe
ich durch meine poetischen Arbeiten die Auf-
die Freude fast rührend, mit welcher der soust
im Umfange trockene Mann mich begrüßte und
stadt -,nrück, dann mochte es ihn: wohltuu, in
Weimar, wo er nur abschätzige Urteile über
die geistige Begabung Österreich? zu hören be°
lam, einen Landsmann litcrarisch geehrt und
geachtet zu finden. Endlich bekam er Gelc-
sprechcn, welche Mundart er mitten unter An»
dcrssprechcndcn rein und unverfälscht erhalten
Deutsch sprechen gehört. Während wir den Be-
such einzelner Mcrkwürdigteiten Weimars ver-
abredeten und Kanzler Müller, der meine >>-r
sicherte, die Steifheit Goethes sei nichts als
eigene Verlegenheit, so oft er mit einem
Einladung zum Mittagmahl bei Goelhc für
den nächstfolgenden Tag, Ich mußte daher
Der Vormittag verging mit Besichtigung
der litcrarisch berühmt gewordenen Ortlichteiten
der Stadt, Am me,ften interessierte mich
Schillers haus, vor allem aber der Umstand,
daß in des Dichters Arbeitszimmer, einen,
eigentlichen Dachstübchen im zweiten Stockwerte,
ein Greis, der noch zu Schillers Zeit als
einen kleinen Knabe», scinen Enkel, im Lesen
unterrichtete. Die offene und geistig angeregte
Miene dec- kleinen gab der Illusion Naum,
als ob aus der ^tudierstubc Schillers dereinst ein neuer Schiller hervorgehen könnte, was
freilich nicht eingetroffen ist.
Die Ordnung der Tage verwirrt sich mir.
Ich glaube, es war an dicfeni ersten, daß ich
bei Hummel zn Mittag aß, und zwar ganz
allein niit seiner Familie, Ich fand da seine
Gattin, die einst so hübsche Sängerin Mamsell
Nuckel, die mir in PagenNcidcrn und prallen
seidenen Trikots noch immer vor der Erinne»
rung schwebte. Jetzt war sie eine tüchtige, ehren»
werte Hausfrau, die mit ihrem Gatten an
^renndlichtcit wetteiferte, Ich fühlte mich zur
ich Hummel, trotz etwas handwerksmäßigem
in seiner Gesinnung, doch als den letzten un>
verfälschten Schüler Mozarts achtete und ver»
ehrte.
Abends ging ich mit Kanzler Müller ins
in dein aber Graff spielte, der der erste Wallen»
stein Schillers gewesen war. Ich fand ihn durch
nichts ausgezeichnet, und als man mir er«
zählte, daß nach jener ersten Vorstellung
Schiller aufs Theater geeilt sei, Graff umarmt
feinen eigenen Wallenstcin! dachte ich mir, um
wieviel größer wäre der große Dichter ge»
worden, wenn er je ein Publikum uud echte
Schauspieler gekannt hätte. Übrigens bleibt
merkwürdig, wie der im Grunde wenig ob»
Lin Beweis mehr für fein unvergleichliches
Talent, Bei Goethe ist gerade das Gegenteil,
Während er vorzugsweise objektiv genannt wird
und es großenteils auch ist, verlieren seine
Gestalten in der Darstellung, Seine Bildlich»
lichkcit verliert sich der zarte poetische Anhauch
mit einer Art Notwendigkeit, Das sind üb>
rigens svätcre Reflexionen, die gar nicht hier-
her gehören
seiner Mittagsstunde, und ich ging zu Goethe,
Die außer mir geladenen Gäste waren schon
versammelt, nnd ^war ausschließlich Herren,
da die liebenswürdige Talvj schon am Morgen
gereist, nnd Goethes Schwiegertochter, die mir
mit ihrer früh geschiedenen Tochter später sc»
wert geworden ist, damals von Weimar ab«
iam mir Goethe entgegen und war so licbens»
würdig nnd warm, als er neulich steif und kalt
gewesen war. Das Innerste meines Wesens
begann sich zu bewegen. Als es aber zu Tische
ging nnd der Mann, der mir die Vcrkörpernug
der deutschen Poesie, der mir in der Entfer-
nnng und dem unermeßlichen Abstände beinahe
zu führen, da kam einmal wieder der Kna^c
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik