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damalige. In Tentschland, das immer von
Fortschritten träumte, hatte die ganze Bildung
cinen solchen Charakter von Unfähigkeit, Un-
natur, Übertreibung und zugleich von Eigen-
und Maßhaltendes gar nicht zu deuten war, lind
doch war hundert ans eins zu wetten, das; die
Literatur, weuigsteus anfangs, an der Spitze der
Bestrebungen stehen werde, ich sage: llnfaugs,
weil gerade durch das Unausführbare ihrer
Theorien der im zweite» Gliede stechenden
Schlechtigkeit Tür und Tor geöffnet werde»
mußte, ^ur Freiheit gehört vor allem gefuuder
Perstand und Selbstbeschräuknng, und gerade darau fehlte es in Tenlschlaud, Österreich haiie
N0tt ,V,ner ^z^ujur dao !II'^i'gie,i^i i>>
scheu literarischen Absurditai^, ni.lu !^ -> l!,,>d>'> n
tonnen, uud wenn die Wiener von ,,','!
in Teutschlaud" träunttl-u, fo ivar e>> gicn^u
te,!->, wl'il fie hofften, da-> d>',!ts>l,e wmeuichmi
liche Gebräu mit leichter Mu>!>- und >'^>>^>
Löffeln i» sich hineinfchliugen zn tön,,ei,
halb war ich auch ;nv V>n'i,!ui,n verdammt;
denn bätte ich gesagt: Was ihr für Wri>>l,e,t
haltet, ist Unsinn; — es Inüle mir niemand ge>
glaubt. Vor allein, weil ich alt nnd der "vo>i-
schritt mir in der Jugend beglanbigt >var.
Erinnerungen an Veethoven.
Ich lese einen Aufsatz von Herrn L, Nellsiab:
,,Bee!<>oven" übei'jchl'iebcn, uud sinde darin
nieines Verhältuifses zu dem genannten großen
Meister, namentlich aber des Ofterutextcs, deu
ich für ihu geschrieben, in einer 'AN erwalmt,
gilt nicht >>errn Nellslab, der ohne Zweifel alles,
was ihm Beethoven sagte, bis avf die Worte ge
treu niederschrieb. Tie Ursache dürfte vielmehr
in dem traurigen Zustande des Meisters wäh-
rend seiner letzten Jahre licgcu, der ihu wirt-
lich Geschehenes und bloß Gedachtes nicht immer
deutlich unteischeideu ließ. Was eiucu groszeu
Manu betrifft, ist immer iutereffant, ich will
daher uufer Zusammentreffen und was uaruas
inneruugen an ihn bei Kiefer Gelegenheit wieder
vor die Lcele zu sührcu mid sie hier aufzu-
zeichnen,
Das erste Mal, daß ich Beethoven sah, war
in meinen «nabeujahrcn — es mochte in den
Jahren 1804 oder ,'> gewesen sein — und zwar
bei einer musitalischcn Abendunterhaltung im
Hause, meines ^nlels, Joseph ^onnleilhner, da-
maligen Gesellschafters einer ttunft- nnd Musita«
lienhaudluug in Wien, Äußer Beethoven be-
fanden sich noch Lherubini nnd Abbs Vogler
unter dc» Anwesenden, Er war damals »och
mager, schwarz, uud zwar, gegen seine spätere
Gewohnheit, höchst elegant gekleidet nnd trng
Brillen, was ich mir darum so gut merkte, weil
er in späterer Zeit sich dieser Hilfsmittels eines
kurzen Gesichtes nicht mehr bediente, !^b er
selbst oder Lhcrubiui bei dieser Musik spielte,
als der Bediente bereits das Souper ankündigte,
sich Abbs Vogler »och ans Klavier setzte und über
ein afrikanisches Thema das er selbst aus dem
Mutterlande hernbergeholt, endlose Variationen
zu spielen anfing, Tie Gefellschaft verlor sich Tiirchführungeu iu den Speifesaal, C^ bliebe,!
nur Beelhoveu uud Cliernbini >ii>i,cl, Cüdliä,
giug auch dieser, >,,,, ! n>,>,d >,!! ,,l
neben dem hart arbeitenden Manne,
verlor auch er die ^n'duld, ulme daß Abt Vogl^,
uuumehr ganz allein gelassen, aushö,!
Ich selbst war im dunipfe,! Staunen ,,'
Ungeln'nerlichc der Sache zurückgeblieb^'
von diesem Augenblicke au weiter geschah, dar-
über verläßt mich, wie es bei Ingenderinne«
rungcn zu gehen Pflegt, mein Gedächtnis vi'ü, ,,
Neben wem Beethoven bei Tische faß, ob er fich
mit llberubiui unterhielt, ob sich später Abt
Vogler zu ihneu gesellte — es ist, nlc-
dunkler Vorhang sich mir über alles da^ hin-
gezogen hätte.
Ein oder zwei Jahre darauf wohnte ich mit
meinen Eltern während des Somnu'rs in de,n
Torfe Hciligenstadt bei Wien, Unsere Wolmnng
ging gegen den Garten, die Zimmer »ach der
Ziias., >iattc Beethoven gemietet. Beide Ab-
teilungen waren durch einen gcmeinsch,!
Gang verbünde», der zur Treppe führte
Bruder uud ich machten uns wenig ans dem
wunderliche» Mann — er war unN'lixin'ü
stärker geworden uud giug böcbst nachlässig, ,a
»»rcinlich gekleidet — wenn er brummend an
uns vorüberschoß; meine Mutter aber, eine
leidcnschaftlicheFreilnoin derMnfik, ließ sich hin-
reißen, je nnd dann, wenn sie ihn Klavier spielen
hörte, ans den gemeinschaftlichen Gang, nnd
zwar nicht an scnier, sonder» unmittelbar nebe»
u»serer Türe hmziitretcn uud andächtig zn
lnnfchen, Tas mochte ein paarmal geschehe»
sein, als Plötzlich Beethovens Tür a»>
selbst heraustritt, meine Mutter erblickt, zurück-
eilt, uud unmittelbar darauf, dcu .vnit aus dem
'lopie, die Treppe hinab ins Freie stürmt Von
o,>j,,,, Augenblicke an berührte er sein Klavier
nicht mehr. Umsonst ließ ihn meine Mm,,>,
da ihr alle andern Gelegenheiten abgeschnittn!
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik