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Die gothische Baukunst ging in Ungarn Hand in Hand mit den nämlichen Ver-
hältnissen, wie in den westlichen Ländern Europas. Der Bürgerstand kräftigte sich, die
Städte nahmen ihren Aufschwung, die Kunstübung ging von den Geistlichen auf die
Weltlichen über, in der Reihe der kirchlichen Bauwerke taucht die städtische Pfarrkirche
auf, die aus der Initiative der Bürgerschaft hervorgeht, die Andacht der Bürgerschaft
ausdrückt und den höchsten Stolz der Stadt bildet. Aus der Geschichte des Oberlandes
im XIII. Jahrhundert folgt daher von selbst, daß dort die meisten Denkmäler der
gothischen Baukunst städtische Pfarrkirchen sind. In dieser Hinsicht steht Kaschau voran.
Um die Mitte des XIII. Jahrhunderts war es eine Niederlassung deutscher Acker-
bauern, ein gewöhnliches Dorf; allein die königlichen Privilegien, eine günstige Lage und
die hervorragende Bürgertugend seiner durch neuere Zuzüge vermehrten Bevölkerung
erhoben es bald zur Hauptstadt Oberungarns. Mit seinen gothischen Baudenkmälern reiht
es sich den im Lande jenseits der Donau gleichfalls zu dieser Zeit entstandenen nnd
erblühten bürgerlichen Niederlassungen würdig an, insbesondere der Festung Ofen und
der Stadt Ödenbnrg, an welche beide es sogar erinnert. In der Festung Ofen gewinnt
die durch die deutschen Bürger begonnene Pfarrkirche alsbald die königliche Patronanz,
ihr Ban wird mit Hilfe königlicher Zuwendungen fortgeführt, jedoch nicht beendigt, einer
ihrer Thürme ist durch König Matthias erbaut. Die Kafchaner Pfarrkirche hat genau die
nämliche Baugeschichte. Wie in der Festung Ofen, so ließen sich auch in Kafchan
Franciseaner nnd Dominicaner in der Nähe der Kirche nieder. In Ödenbnrg wnrde auf
dem einstigen Gottesacker, in nächster Nähe der Pfarrkirche zum heiligen Michael, zu
Ehren des heiligen Jacobus eine Doppelkapelle erbaut, deren unterer Theil als
Beinhaus diente. Auch in Kafchan stand die Pfarrkirche auf einem Friedhofe und in
ihrer nächsten Nähe wurde die St. Michaelskapelle erbaut, deren untere Räumlichkeit
als Beinhaus diente. Diese wie jene sind frühgothische Bauten, mit dem Unterschiede,
daß die Ödeuburger Kapelle achteckig, die Kaschauer jedoch viereckig ist. Indes überragen
diese Kaschauer Denkmäler an architektonischem Interesse, ja zum Theil auch an Kunst-
werth, die angeführten Bauten des Landes jenseits der Donau.
Die S t . Michaelskapelle dürfte um das Jahr 1260 erbaut worden sein, als der
Aufschwung der Stadt begann. Über dem kunstlos ansgemauerten Beinhause erhebt sich
das Schiff der Kapelle, das aus zwei Jochen mit einfachem Kreuzgewölbe und einem
dreiseitig abgeschlossenen Chor besteht. Das erste Joch wird durch die längs der Westwand
aufsteigende Empore eingenommen. Das meiste architektonische Interesse erregt die West-
fa^ade und besonders deren kühn constrnirter Thurm. Die beiden Ecken der Fa^ade haben
stark vorspringende Streben, die sich mit einem stumpfen Spitzbogen zusammenschließen
und eine offene Vorhalle bilden. Über dieser steht der quadratische, zweigeschoßige Thurm,
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Ungarn (5), Band 18
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Ungarn (5)
- Band
- 18
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1898
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 15.02 x 21.71 cm
- Seiten
- 462
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch