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Der Michaelertrakt der Wiener Hofburg#

Die 1221 vom Babenbergerherzog Leopold VI. dem Glorreichen, gestiftete Pfarrkirche St. Michael entwickelte sich im Lauf der Jahrhunderte zu einem urbanen Kristallisationspunkt in der Nähe der kaiserlichen Hofburg. Unter dem baufreudigen Kaiser Karl VI. erfuhr der unregelmäßig verbaute Platz, nach Fertigstellung des Reichskanzleitraktes 1730 und der Winterreitschule 1735, durch das Konzept von Joseph Emanuel Fischer von Erlach (+1742) - Sohn von Johann Bernhard Fischer von Erlach (+1723) - für den Michaelertrakt der Hofburg eine neue Dimension. Der Ostflügel blieb jedoch nach des Kaisers Tod 1740 ein Torso; daneben blockierte ein zentral gelegener Baukörper aus dem 16. Jahrhundert, ein ehemaliger Ballsaal, als Burgtheater, ab 1776 unter Josef II. als deutsches Nationaltheater , die Erweiterung der Wiener Hofburg. in Wien
Währenddessen wurde von 1775 bis 1780 die Königliche Bibliothek in Berlin als Kopie der Entwürfe des Michaelertraktes erbaut, 100 Jahre vor dem Original! Baumeister war der preußische Architekt Georg Christian Unger, Auftraggeber war Friedrich II.

Erst nach Fertigstellung des neuen Burgtheaters am Ring 1888 und dem Abbruch dieses alten Theaters konnten die barocken Pläne Fischer von Erlachs in einer neobarock- klassizistischen Version durch den Hofarchitekten und Burghauptmann Ferdinand Kirschner zwischen 1889 und 1893 umgesetzt werden, wodurch Reitschule und Kanzleitrakt eine Verbindung erhielten. Nach Vollendung dieses Traktes, der mit seiner konkaven Fassade einen runden Platz vorgab, wurden rasch die ergänzenden Bauten errichtet: 1897 das mächtige Palais Herberstein, bemüht, sich dem Neobarock der Hofburg anzupassen; es beherbergte einst das berühmte Literatencafé Griensteidl und nunmehr einen Supermarkt. Genau gegenüber der Burg realisierte 1910 der Architekt Adolf Loos sein architektonisch vieldiskutiertes Bürohaus, steinerne Abwendung von Historismus und floralem Secessionismus.

Die Repräsentations-Fassade des Michaelertraktes mit seinem Eingangstor ist, dem Stil und der Ikonogrphie des Reichskanzleitraktes treu, im Neobarockstil reich mit Statuen des Herakles (auch als Herkules bekannt) aus der griechischen Mythologie und zwei monumentalen Brunnen dekoriert sowie mit einer Zentralkuppel und zwei Seitenkuppeln gekrönt.

Herakles, ein Sohn des Zeus und der Königstochter Alkmene, war, nachdem er in Sinnesverwirrung seine Frau und seine Kinder getötet hatte, vom Orakel von Delphi verurteilt worden, zur Sühne dem König von Argos, Eurythes, zwölf Jahre zu dienen und die von ihm geforderten Heldentaten zu vollbringen. Vier der berühmten "zwölf Arbeiten" des Herakles zieren als optischer Ausdruck von Kraft und Macht des Habsburgerreiches das prächtige zentrale Haupttor des Michaelertraktes, Zufahrt in den Inneren Burghof:

Heraufbringen des dreiköpfigen Wachhundes der Unterwelt, Zerberus, an die Oberwelt.
Auf seiner Suche nach den Goldenen Äpfeln der Hesperiden, die ihn zu den "Säulen des Herkules", dem Felsen von Gibraltar brachte, befreite er den an den Felsen geketteten Prometheus und tötete die ihn bedrohenden wilden Adler.
Die Tötung der neunköpfigen Hydra (der Lernäischen Schlange). Herakles brannte jeden der enthaupteten Hälse aus, sodass keine neuen Köpfe mehr nachwachsen konnten. Den Rumpf der Hydra spaltete er in zwei Teile; in ihr Gift tauchte er seine Pfeile, die seitdem unheilbare, tödliche Wunden schlugen.
Herakles erzwingt den bronzenen Wehrgürtel der Amazonenkönigin Hippolyta

An den beiden Ecken des Traktes, wo sich die Hofburg in die Radialstraßen Schauflergasse (nach Westen) und Reitschulgasse (nach Osten) fortsetzt, bilden etwas kleinere, mit Trophäen geschmückte Kuppeln sowie monumentale Brunnen rahmende Akzente.

Die Austria und die Nike von Samothrake

Der östliche Brunnen symbolisiert Österreichs Macht zur See, eher programmatisch in Hinblick auf den bedeutenden Österreichischen Loyd als auf die mehr als eine Generation zurückliegenden militärischen Erfolge in den adriatischen Gewässern. Sein Künstler, der Bildhauer Rudolf Weyr, war ein Hauptvertreter des österreichischen Neobarock und der Ringstraßenepoche mit zahlreichen Werken, 1891 Leiter der Akademie der bildenden Künste.

Seine imposante Komposition 1895 der kraftvoll vorwärts drängenden jugendlichen Austria als Siegerin auf dem Bug des Schiffes war konzeptionell inspiriert von der aufsehenerregenden – und seither weltberühmten griechischen Statue der Nike von Samothrake, entdeckt 1863 vom französischen Diplomaten Charles Champoiseau, ausgestellt im Louvre 1866.
Der erste Ordinarius für Archäologie an der Universität Wien, Professor Alexander Conze, der die österreichischen Grabungen auf Samothrake 1873 und 1875 leitete, konnte die 23 ungeklärten Steintrümmer im Umkreis der Nike eindeutig als einen mächtigen Schiffsbug identifizieren, auf dem die junge Siegesgöttin wirkungsvoll gestanden war. Das Interesse des Louvre war erwacht, die mächtigen Blöcke wurden in Paris nach den österreichischen Studien zusammengefügt, die Statue restauriert und mit einem zweiten Flügel ergänzt -- so bringt die Nike seit 1879 im Louvre ihre Siegesmeldung vom Vorderdeck des Kriegsschiffes aus. In beiden Werken - Nike wie Austria - ist die Statue im Vergleich zur Größe des Buges stark vergrößert und wirkt damit noch imposanter; auch zeigt die österreichische Siegerin durch ihre asymmetrische Körperhaltung (Kontrapost) und den um ihren Körper drapierten Stoff dergestalt, daß sich das Kleid windgebauscht um ihre Taille dreht und um ihre Beine legt, eine starke Beziehung zur griechischen Nike...

Der westliche Brunnen feiert die habsburgische Kaisermacht zu Lande durch einen hochragenden jungen Helden, der die Widersacher des Reiches über die Felsen hinab ins Brunnenbecken stürzt; der Adler, Wappentier Habsburgs, steht ihm wachsam zur Seite. Der Bildhauer, Prof. Edmund von Hellmer, war ein Mittler vom historisierenden, klassizistischen Baustil zum Jugendstil und Mitbegründer der Wiener Sezession. Von 1902 bis 1922 stand er der Akademie der bildenden Künste vor.

Weniger beachtet stehen an der zum Inneren Burghof gerichteten Fassade, zum älteren Reichskanzleitrakt gehörig, weitere vier Figurengruppen zu Herakles aus Sandstein, noch um 1740 vom Hofbildhauer Lorenzo Mattielli geschaffen:

Westtor: : Einfangen des Kretischen Stiers und Die Erlegung des Nemeischen Löwen. Herakles schnürte ihm die Kehle zu, bis der Löwe erstickte. Dessen Fell trug er von nun an – es machte ihn nahezu unverwundbar.

Osttor: Herakles tötet den ägyptischen Priester Busiris, der ihn dem Gott Osiris opfern wollte. Der Riese Antäus hat dank seiner Mutter, der Göttin Gäa, unübertreffliche Kraft, solange er er den Erdboden berührt; Herakles hebt ihn jedoch in die Höhe und erdrückt ihn.

Im geschützten Inneren der Durchfahrt finden sich zehn kunstvolle Sandsteinfiguren, die die Tugenden des Herrschers, unter anderem die Allegorie der Devise Kaiser Franz Josefs, Viribus Unitis, sowie Aufbruch und Ankunft des römischen Kaisers Augustus darstellen.

Die acht Herkulesgruppen, jede von ihnen aus einem 25 Tonnen Block gehauen, sind aus dem Johannesbruch in Zogelsdorf bei Eggenburg in Niederösterreich. Die Figuren der beiden Brunnen sind aus Laaser Marmor (Südtirol), die Felsen aus Lindabrunner Konglomerat. Die Brunnenschalen sind aus rotem Granit aus Uddevalla in Schweden.

Dank der strahlenförmig am Michaelerplatz zusammenlaufenden Straßen ergeben sich reizvolle Ansichten und Ausblicke auf die Hofburgfassade mit der strahlenden Kuppel und dem kunstvollen schmiedeeisernen Gitter von Ferdinand Kirschner wie auch auf die historischen Gebäude der Wiener Innenstadt.
Der Platz-Charakter dieses einzigartigen architektonischen Ensembles als Treff-und Begegnungsort wird leider durch Ausgrabungen aus der römischen Vergangenheit Wiens als römisches Militärlager Vindobona empfindlich gestört: Der Architekt Hans Hollein umgab 1992 einige in der Mitte des Platzes sichtbare Grundmauern mit einer massiven Granitbrüstung, die den Platz optisch und funktionell zerschneidet.

Die Königliche Bibliothek in Berlin orientiert sich an den Plänen des Michaelertraktes. Sie wurde von 1775 bis 1780 als Kopie der Entwürfe der Hofburg erbaut, also 100 Jahre vor dem Original; Baumeister war der preußische Architekt Georg Christian Unger, Auftraggeber war Maria Theresias Erbfeind,Friedrich II.

Weiterführendes:#

Literatur:#

  • Alexander Conze: Archäologische Untersuchungen auf Samothrake, Wien 1875
  • C.Benedik, Die Wiener Hofburg unter Kaiser Karl VI., Dissertation, Wien 1989
  • G. Schreiber, Die Hofburg und ihre Bewohner, 1993
  • Text: Kurt Hengl
  • Bilder: Kurt Hengl, Peter Diem und Wikicommons

Michaelertrakt
Michaelertrakt

Das alte Hofburgtheater, abgerissen 1888
Das alte Hofburgtheater, abgerissen 1888
©
Gedenktafel für das alte Burgtheater
Gedenktafel für das alte Burgtheater

Durchfahrt zum Inneren Burghof
Durchfahrt zum Inneren Burghof

Schrägansich
Schrägansicht
Kampf gegen Seeungeheuer
Kampf gegen Seeungeheuer

Kampf gegen die neunköpfige Hydra (Edmund Hofmann)
Kampf gegen die neunköpfige Hydra (Edmund Hofmann)
Herakles und die Wasserschlange, Hans Beham 1545
Herakles und die Wasserschlange, Hans Beham 1545
erakles erzwingt den Gürtel der Hippolyta (Hans Scherpe)
Herakles erzwingt den Gürtel der Hippolyta (Hans Scherpe)
Herakles besiegt Adler
Herakles besiegt Adler (Josef Lax) und bändigt den Höllenhund (Anton Wagner)

Die Austria zur See und die Nike von Samothrake

Die'Austria' und Österreichs Seemacht
Die"Austria" und Österreichs Seemacht
Ansicht vom Osten
Ansicht vom Osten
Die Austria mit wehenden Kleidern auf dem Schiffssbug
Die Austria mit wehenden Kleidern auf dem Schiffssbug
Bildbezeichnung
Der Bug mit des Künstlers Unterschrift
Rekonstruktion des Schiffsbugs der Nike 1875
Rekonstruktion des Schiffsbugs der Nike 1875
Die Austria zur See 1895
Die Austria zur See 1895
Nike von Samothrake
Nike von Samothrake, ein Glanzstück im Pariser Louvre

Die Macht zu Lande 1895
Die Macht zu Lande 1895
Fischer von Erlachs Pläne werden kopiert: Berliner Bibliothek 1780
Fischer von Erlachs Pläne werden kopiert: Berliner Bibliothek 1780

Herakles erdrückt Antäus
Herakles erdrückt Antäus
Herakles und Antäus von Giambologna 1578
Herakles und Antäus von Giambologna 1578
Das Innere Burgtor
Das Innere Burgtor
Herakles töten den Priester Busiris
Herakles töten den Priester Busiris

Kampf mit dem kretischen Stier und dem nemäischen Löwen
Kampf mit dem kretischen Stier und dem nemäischen Löwen

Viribus Unitis
Viribus Unitis
Gitterwerk Kirschners
Gitterwerk Kirschners
Kaiser Augustus
Kaiser Augustus

Bildbezeichnung
Michaelerkirche
© P. Diem
Der Engelssturz, Mattielli, 1730
Der Engelssturz, Mattielli, 1730
Looshaus
Looshaus
© P. Diem
Michaelertrakt der Hofburg
Michaelertrakt der Hofburg.
Foto: Bgabel. Aus: Wikicommons, unter CC BY-SA 3.0


Sehr geehrter Herr Hengl, die Fotos - bzw. Auswahl - beeindruckend!

Aber: Im Textanfang gibt es meiner Meinung nach eine kleine Schwierigkeit: Joseph Emanuel Fischer von Erlach starb 1742, sein Vater Johann Bernhard Fischer von Erlach starb 1723.
Im Prinzip ist der baukünstlerische Gestalter des Michaelertrakts - Joseph Emanuel Fischer (gest. 1742) - völlig korrekt. Sein Vater Johann Bernhard Fischer (gest. 1723) lieferte die Pläne für die Winterreitschule. Joseph Emanuel brachte sie in die gegenwärtige Gestalt. Allerdings der Reichskanzleitrakt wurde von Lucas von Hildebrandt geschaffen und vom jüngeren Fischer von Erlach vollkommen umgestaltet.


Biogr. Daten: Johann Bernhard Fischer von Erlach/AustriaWiki
Joseph Emanuel Fischer von Erlach/AustriaWiki

Derzeitige Version:
"Unter dem baufreudigen Kaiser Karl VI. erfuhr der unregelmäßig verbaute Platz, nach Fertigstellung des Reichskanzleitraktes 1730 und der Winterreitschule 1735 durch Joseph Emanuel Fischer von Erlach (+1723), durch das Konzept |seines Sohnes Joseph Emanuel| für den Michaelertrakt der Hofburg eine neue Dimension."

Vorschläge für Abänderungen:

"Unter dem baufreudigen Kaiser Karl VI. erfuhr der unregelmäßig verbaute Platz, nach Fertigstellung des Reichskanzleitraktes 1730 und der Winterreitschule 1735 durch Joseph Emanuel Fischer von Erlach (+1742) mit seinem Konzept für den Michaelertrakt der Hofburg eine neue Dimension."

Oder:

"Unter dem baufreudigen Kaiser Karl VI. erfuhr der unregelmäßig verbaute Platz, nach Fertigstellung des Reichskanzleitraktes 1730 und der Winterreitschule 1735, durch das Konzept von Joseph Emanuel Fischer von Erlach (+1742) - Sohn von Johann Bernhard Fischer von Erlach (+1723) - für den Michaelertrakt der Hofburg eine neue Dimension."

(Kunsthistorische Details, vgl. Dehio-Handbuch Wien I. Bezirk Innere Stadt. Horn/Wien 2003, 443-449 (Winterreitschule, Reichskanzleitrakt, Michaelertrakt ...) Herzliche Grüße EL

-- Lanz Ernst, Freitag, 1. Oktober 2021, 17:01