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Rechtswissenschaft#

Die Rechtsentwicklung Österreichs und mit dieser die Entwicklung der österreichischen Rechtswissenschaft spielte sich nicht bloß innerhalb der jeweiligen staatlichen Grenzen ab, sondern vollzog sich in europäischen Zusammenhängen. Austausch von Ideen und Persönlichkeiten erfolgten dabei in beiden Richtungen. Besonders stark waren diese Bezüge bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, solange die Juristen in ganz Europa mit Latein eine internationale Gelehrtensprache besaßen und mit dem römisch-gemeinen Recht eine grenzübergreifende, wenn auch nur subsidiär geltende Rechtsordnung allgemein gültig war. Erst in der Epoche des (aufgeklärten) Absolutismus verdichtete sich diese europäisch geprägte Rechtswissenschaft in den Ländern der Habsburgermonarchie zu einer spezifisch österreichischen Rechtswissenschaft, wobei der Gedanke der Nationalerziehung und der Wunsch nach Emanzipation vom Reich als treibende Kräfte wirkten. Ihren Ausdruck fand diese Entwicklung in den Kodifikationsbemühungen, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzten und nach mancherlei Reibungsverlusten und Umwegen zu "nationalen" Gesetzbüchern führten (Österreich, Bayern, Preußen und andere). Obgleich diese Entwicklung letztlich auf die Preisgabe der ehemaligen gemeinsamen Rechtsgrundlage, des "ius commune Europaeum", hinauslief, bewirkte sie keine wirkliche durchgreifende Isolation der österreichischen Rechtswissenschaft. Vor allem zu den Ländern des bis 1806 bestehenden Reichs, 1815-66 vom Deutschen Bund bestimmt, blieben die (rechts-)wissenschaftlichen Beziehungen und gegenseitigen Beeinflussungen eng und vielfältig, wobei stets auch die innen- wie die außenpolitische Verhältnisse bestimmend in den Entwicklungsgang eingriffen. Besonders drastisch geschah dies durch methodische und personelle Veränderungen in der Studienreform des k. k. Ministers für Cultus und Unterricht Leo Graf Thun-Hohenstein ab 1855. Zusätzliche Dimensionen eröffneten sich den österreichischen Juristen durch das Ordnungsgefüge der Monarchie, indem in Italien eine Rechtswissenschaft am österreichischen Recht in italienischer Sprache, in Böhmen eine in tschechischer Sprache und in Galizien eine in polnischer Sprache entstand. Doch blieben diese Rechtswissenschaften im Schatten der deutschsprachigen Lehre, Judikatur und Rechtsetzung. Kaum nennenswerte Beziehungen gab es, zumindest an der Oberfläche, zu Ungarn, das auch in der Rechtswissenschaft stets auf seine Eigenständigkeit bedacht blieb.

Der Übergang zur Republik ließ die österreichische Rechtswissenschaft in qualitativer Hinsicht weitgehend unberührt. Besonders intensiv gestalteten sich weiterhin die Beziehungen zu Deutschland, zur Schweiz und zu Liechtenstein, die auf der Grundlage ihrer deutschsprachigen Kodifikationen (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch 1812, Bürgerliches Gesetzbuch 1900, Zivilgesetzbuch 1912) die so genannte deutsche Rechtsfamilie bildeten. In der Gegenwart allerdings ist diese ohnehin nur sehr vage Gruppierung in voller Auflösung bzw. Umgestaltung begriffen. Inwieweit ihr Erbe in das (Europa-)Recht der Zukunft Eingang finden wird und welche Rolle die Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Österreichs dabei spielen werden, ist derzeit offen.

Während das Mittelalter hauptsächlich so genannte "Klerikerjuristen" kannte, wie sie besonders von Nikolaus von Cues und Thomas Ebendorfer verkörpert wurden, waren es in der frühen Neuzeit zunehmend weltliche Juristen, die, in kaiserlichen, landesfürstlichen, ständischen und städtischen Gremien und Ämtern dienend, römisch-gemeines Recht wie auch einheimisches Recht bearbeiteten und zur praktischen Geltung brachten. Hierher gehören etwa der "Vater der österreichischen Jurisprudenz", B. Walther, oder J. B. Suttinger, N. Beckmann, W. Püdler und A. Schwarz. Eine deutliche Neuorientierung der österreichischen Rechtswissenschaft brachte das 18. Jahrhundert mit dem Aufstieg des Naturrechts, das zunächst etwa mit F. Schmier, Josef Anton Riegger und J. von Azzoni wegbereitende, in den Folgegenerationen mit C. A. von Martini und Franz  von Zeiller und anderen seine ausgeprägtesten Vertreter fand. Mit J. von Sonnenfels tritt erstmals der Typus des "Verwaltungsjuristen" auf, der der Kameralwissenschaft eine Schlüsselposition sicherte.

Die im späten Naturrecht kulminierenden Kodifikationsversuche gaben auch der österreichischen Rechtswissenschaft neue Impulse, wobei die Arbeit an den (neuen) Gesetzbüchern im Vordergrund stand. Hierher gehören Juristen wie J. L. Banniza, G. von Scheidlein, M. Schuster, C. J. Pratobevera oder auch O. Taglioni, der als bedeutendster Vertreter der so genannten mailändischen Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch-Wissenschaft gilt.

Eine neuerliche Richtungsänderung erfuhr die Rechtswissenschaft im Zuge der Thunschen Studienreform 1855, die aus politischen Gründen die von der Zeillerschen Studienordnung 1810 forcierte naturrechtliche Grundlegung zugunsten einer geschichtlichen verdrängte. Die Galionsfigur der neuen Schule, Joseph Unger, zog rasch neue Namen nach sich, unter denen etwa Adolf Exner und A. von Randa sowie in weiterer Folge L. Pfaff und F. Hofmann zu nennen sind. Neben der dominierenden Zivilistik entwickelten sich auch die Rechtsgeschichte (zum Beispiel E. von Schwind, L. Mitteis) sowie das Strafrecht (zum Beispiel W. E. Walberg, M. Lammasch) und vor allem die Staatsrechtswissenschaft (zum Beispiel Edmund Bernatzik, R. Herrmann-Herrnritt) zu hoher Blüte. Die Entwicklung der rechtsstaatlichen Prinzipien ab 1867, die Gestaltung des Verhältnisses zu Ungarn, besonders aber auch das Wirken der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts boten Anlass zur Beschäftigung mit den schwierigen staatsrechtlichen Problemen des habsburgischen Vielvölkerstaats. In diesem Rahmen entwickelten sich neue Richtungen, unter denen die Reine Rechtslehre Hans Kelsens große Bedeutung erlangte. Als Wiener Schule der Rechtstheorie wirkt sie etwa über J. Merkl bis in die Gegenwart hinein, nicht nur in Österreich, sondern auch im Ausland. Gleichzeitig trat spätestens seit der Jahrhundertwende die soziale Frage in den Blickkreis der Rechtswissenschaft. Neben massiven Kritikern des positiven Rechts wie etwa A. Menger ist hier besonders Franz Klein zu nennen, der den Zivilprozess als soziales Phänomen erkannte und einer entsprechenden Gesetzgebung zuführte.

Durch Eugen Ehrlich trat die Rechtssoziologie zum Angriff auf manche Einseitigkeiten des positiven Rechts an. Namhafte Juristen bis in die jüngste Vergangenheit waren A. Verdross, H. Demelius, H. Schima, Theodor Rittler und H. Nowakowsky, Armin Ehrenzweig sowie W. Wilburg.

Literatur#

  • W. Brauneder (Hg.), Juristen in Österreich, 1987
  • H. Lentze, Die Universitätsreform des Minister Graf Leo Thun-Hohenstein, 1962
  • W. Ogris, Die Historische Schule der österreichischen Zivilistik, in: Festschrift H. Lentze 1969
  • derselbe, 200 Jahre Rechtswissenschaft an der Universität Wien, in: 200 Jahre Rechtsleben in Wien 1986