Feedback-Formular vorübergehend deaktiviert. Bitte wenden Sie sich an das Administrator Team
unbekannter Gast

Es gilt, einen Schriftsteller aus Braunau endlich wahrzunehmen#

von Janko Ferk

Der zweiundachtzigjährige Braunauer Rainer Reinisch, ein Homme de lettres, ist einer der großen unbekannten Bekannten in unserer Republik. Naturgemäß nicht aus eigenem Verschulden oder persönlicher Unzulänglichkeit, sondern wegen jener der ignoranten und hehren Journalistinnen und Journalisten dieses Landes, die glauben, einem Mann aus der sogenannten Provinz keinen Raum gewähren zu dürfen. Dabei ist Rainer Reinisch multipler als es die hehren Schreiber für gewöhnlich verlangen.

Rainer Reinisch wurde im Kärntner Ferlach/Borovlje geboren, wo er aufgewachsen ist und schon früh mitbekommen hat, dass zwei - neben und nicht miteinander - lebende Völker durchaus bereit sind, sich in die Haare zu geraten, auch wenn es nicht sein muss. Die Rede ist von den deutschsprachigen Kärntnern und den Kärntner Slowenen. Reinisch zählt (sich) wegen seiner Herkunft zu ersteren, ist aber immer bereit, seine rudimentären Kenntnisse des Slowenischen aufblitzen zu lassen, wenn es angesagt ist.

Wie auch immer, aus Ferlach kommen, vielleicht gerade, weil es auch Borovlje, das heißt, zweisprachig und intellektuell anregend ist, fortgesetzt Buben, die es in der Welt weit bringen. Nach Reinisch hat, beispielsweise, Wolfgang Petritsch zwei Jahrzehnte später in der Welt zwischen Wien, New York, Sarajevo und Paris Karriere gemacht.

Reinisch studierte an der Technischen Universität in Wien Architektur. Damit hat er sich freilich nie begnügt, er wurde daneben Schriftsteller und Künstler. Doch der Reihe nach. Nach Tätigkeiten im Ausland eröffnete er in Wien ein Architekturbüro und gründete die Gruppe M. Als sich in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts die Chance ergab, der Baudirektor der Stadt Braunau zu werden, packte er sie beim Schopf und profilierte sich im Bereich der Altstadterhaltung. Braunau ist heute das exemplarische Beispiel einer ausgezeichnet erhaltenen und sanierten Stadt mit jahrhundertealter Geschichte.

Daneben war Rainer Reinisch immer als Künstler und Schriftsteller tätig. Seit dem Jahr 1957 ist er regelmäßig in Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland vertreten, wobei Collagen und insbesondere Zerknüllungen, Zerreißungen sowie Zerlegungen sein Betätigungsfeld sind. Seit dem Jahr 1974 veröffentlicht Reinisch regelmäßig und kann heute auf einen Opus von mehr als zwanzig Büchern verweisen, darunter Fachbücher, Lyrikbände, Romane und Essays.

Sein neuestes und – bei allem Respekt - vielleicht auch Alterswerk ist das „Agnostische Brevier“ – eigentlich ein Widerspruch in sich. Für den multiplen Braunauer aus dem Kärntner Rosental aber dennoch (irgendwie) schlüssig, weil inhaltlich wegen der Lebens- und Wirkungserfahrungen in einer international höchst verrufenen (Klein-)Stadt nachvollziehbar.

Der Agnostizismus, das Altgriechische meint damit nichts Anderes als das Nichtwissen, ist die philosophische Ansicht, dass theologische Annahmen nicht klärbar sind, was bedeutet, dass die Existenz Gottes oder allenfalls einer höheren Instanz – auf dieser Welt – nicht nachweisbar ist beziehungsweise sein kann. Reinisch aber meint mit dem ersten Schlagwort des Titels (s)eine Weltanschauung, die hauptsächlich die prinzipielle Begrenztheit menschlichen Verstehens und Wissens beziehungsweise vielmehr Begreifens betont. Dabei bestreitet er in seinem Brevier die Möglichkeit der Existenz transzendenter Prinzipien oder Kreaturen nicht kategorisch, zumal er selbst eine intelligente und offene Kreatur, natürlich im besten Sinn ihrer Wortbedeutung, ist. Die Frage nach der Existenz Gottes beantwortet er in seinem Buch folglich weder mit Ja noch Nein, sondern mit der impliziten Feststellung, er wisse es nicht, wobei ihm diese Fragestellung nicht wirklich relevant erscheint.

Das Wort Brevier kommt seiner philosophischen und schriftstellerischen Intention jedenfalls sehr nah. Ein Brevier oder Breviarium ist ein Stundenbuch, das in seiner althergebrachten Bedeutung Texte für die Feier des Stundengebets der römisch-katholischen Kirche enthält. Und Rainer Reinisch kommt als Ferlacher haarscharf aus dieser Tradition, der im zweisprachigen Kärnten niemand entrinnen kann. Ein Brevier enthält, einfach gesagt, kurze Texte. Auch Reinisch’ Buch hält sich strikt daran. Die Texte umfassen wenige Zeilen und kein einziger reicht über eine Buchseite. Es sind kurze, verdauliche Feststellungen, Gedanken, Pointen und Weisheiten in verbalisierter Pillenform. Dabei ist der vielbegabte Reinisch auf der entschlossenen Suche nach dem außerkonfessionellen Sinn des Lebens. Er spürt der Gewalt des Biologischen nach und staunt gleichzeitig über die Unergründlichkeit der Welt, wobei ihn eine Altersmilde, die hinter jeder zweiten Ecke irgendeinen Gott hervorlugen lassen würde, noch nicht gestreift hat, weshalb anzunehmen ist, dass die vielen Texte dieses kompakten Buchs nicht in allerletzter Zeit, sondern verteilt über viele Jahre entstanden sind.

Der Leserin und dem Leser seien für den authentischen Eindruck über das „gottlose“ Brevier ein paar Pillen verschrieben. Die schärfste der Reinischen Erkenntnisse ist wohl ein einziger Satz: „Nicht Gott hat den Menschen erschaffen, sondern der Mensch die Götter.“ Auch das Addendum hat es in sich: „Nicht Gott hat den Menschen die Gesetzestafeln gebracht, sondern der Mensch hat sie ihm untergeschoben.“ Reinisch zeigt Gott fast respektlos, wo er wohnt, und wie er auf der Welt leibt (nicht lebt): „Bei den Christen steht Wein am Altar, bei den Moslems Wasser.“

Rainer Reinisch nimmt nicht nur den Schöpfer aufs Korn, sondern auch unsere Götter: „Politik stinkt zum Himmel – wohin denn sonst?“

Ein bisschen ist in diesem spannenden Band auch von Sex die Rede. Und eines ist sicher: Rainer Reinisch wird diese seine Schöpfung mit Sicherheit nicht Gott in die Schuhe schieben.

  • Rainer Reinisch: Agnostisches Brevier. edition innsalz, Ranshofen 2014. Gebunden; 209 Seiten; EUR 16,50. ISBN 978-3-902981-23-3.