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Peter BORSCHEID: Das Tempo-Virus#

Peter BORSCHEID: Das Tempo-Virus / Eine Kulturgeschichte der Beschleunigung, Campus, 2004 / Rezension von Maurer Hermann

Peter Borscheid: Das Tempo-Virus
Peter Borscheid: Das Tempo-Virus

Das Tempo Virus

Dieses vor 20 Jahren erschienene Buch ist heute aktueller als je. Es zeigt, wie sich unsere Einstellung zur Zeit im Lauf der Jahrhunderte immer mehr geändert hat: Sie hat zu einer oft völlig unsinnigen Beschleunigung in vielen Bereichen geführt.

Schon das folgende Zitat aus dem Vorwort des Buches sagt sehr viel: „Die meisten Phänomene der Geschwindigkeit, vor allem die täglich benutzten Beschleunigungsinstrumente vom Motor über Fast Food zum Computer scheinen auf dem ersten Blick vernünftig… Auf dem zweiten Blick wird jedoch …viel Unsinniges erkennbar, …bar jeder Vernunft … Absurdes in Reinkultur.“

Lebten die Menschen früher (in z.B. Agrarkulturen) nach Tageslicht und Jahreszeit, dominiert heute die Uhr: „wenn man nur zehn Minuten auf einen Bus wartet schaut man mit hochrotem Kopf immer wieder auf die Uhr.“

Seite 13, unten: „Das Beschleunigungsprinzip vereinnahmt im Guten wie im Bösen Arbeit und Leben immer mehr und verändert unsere Normen, Werte und Mentalitäten.“

Das Buch erklärt die geschichtliche Entwicklung, vom Prinzip der Langsamkeit in Dörfern, den Einfluß von Städten, schnelleren Waffen, und schnelleren Maschinen: Von Dampfmaschinen, über gefunkte Nachrichten, Strom, Telefon, rasende Menschen (Sport) und rasende Autos (Geschwindigkeitsrausch), zu rasenden Geschossen und „pressierten“ Menschen. Als die am meisten treibenden Kräfte für die immer mehr zunehmende Geschwindigkeit werden überzeugend genannt: Erstens die Uhren, die immer genauer die Zeit angeben (bis zu hundertstel Sekunden im Sport). Dann aber vor allem die Kaufleute (bei denen sich Zeitgewinn gegenüber Konkurrenten finanziell auswirkt), die Automatisierung in der Produktion, die technischen Entwicklungen, aber dann vor allem auch die militärische- und die Computerentwicklung. Es wird überzeugend und mit total überraschenden Beispielen belegt, daß das „Virus Beschleunigung“ sich auf alle Bereiche des Lebens auswirkt, selbst auf die Kunst.

Zitat von Seite 372: „Währen der sich stetig verlängernden Freizeit lassen sich immer mehr Menschen vom Beschleunigungs-Virus anstecken. Mit Blick auf die riesige Palette an Konsumangeboten packt dem Einzelnen die Angst, etwas zu verpassen. Grund der Hektik ist aber kein Mangel an Zeit, sondern das Überangebot an Verwendungsmöglichkeiten und das Diktat der tickenden Uhren.“ Daß ich als Wahlgrazer dieses Buch so treffend finde liegt auch am Grazer Uhrturm: Die Uhr dort hat einen großen Zeiger, der die Stunden ungefähr anzeigt und auch aus der Entfernung gut sichtbar ist. Die Minuten sind in Graz doch nicht so wichtig, daß dafür ein kleiner Zeiger, den man von weit weg gar nicht sehen kann, genügt. Da aber die üblichen analogen Uhren alle den kleinen Zeiger für die Stunden (WIESO???), den großen für die Minuten verwenden, glauben die meisten Touristen, die Uhr geht falsch, wenn um z.B. 11:45 der große Zeiger auf ca. 12 Uhr zeigt, der kleine auf 9 Uhr, was dann viele als falsch gehende Uhr interpretieren, die 9 Uhr zeigt. Nachdem Graz so viele schöne und interessante Dinge zu sehen hat fällt es den wenigsten auf, daß 15 Minuten später die Uhr (der kleine Zeiger) richtig 12 Uhr zeigt, aber weitere 15 Minuten später 3 Uhr Nachmittag!

Empfehlung: Das Buch bietet so viele Überraschungen, daß es mich wundert, daß es nicht bekannter ist. Lesen!