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Ferdinand Opll, Martin Scheutz (Hg.): Fernweh und Stadt#

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Ferdinand Opll, Martin Scheutz (Hg.): Fernweh und Stadt. Tourismus als städtisches Phänomen. Mit Beiträgen von Bernhard Denscher, Noyan Dinçkal, Peter Eigner, Jan Hein Furnée, Holger Gräf, Heidrun Homburg, Sascha Howind, Katrin Keller, Dieter Kramer, Ferdinand Opll, Peter Payer, Andrea Pühringer, Folker Reichert, Paul Rösch, Martin Scheutz, Walter Schuster, Wido Sieberer, Hasso Spode, Harald Tersch, Andreas Weigl. Studien Verlag Innsbruck, Wien, Bozen. Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas, Band: 28. 528 S., ill., € 39,90

Der Tourismus ist die größte Konsumbranche der Welt. Allein Österreich verdankt ihm eine Wertschätzung von ca. 46 Mio. € und rund 13,5 % des Bruttoinlandsprodukts. Neun von zehn der beliebtesten Sehenswürdigkeiten befinden sich in Städten, sieben in Wien. An der Spitze liegen Schloss und Tiergarten Schönbrunn.

Historische Tourismusforschung ist ein junges Forschungsfeld, allerdings ein interdisziplinäres. Seit den 1970er Jahren interessieren sich Europäische Ethnologie und Geschichtswissenschaften für die Tourismologie, doch bisher eher wenig für den Städtetourismus. 2017 fand in Kitzbühel eine Tagung zum Thema „Stadt und Tourismus“ statt. Binnen Jahresfrist ist der umfangreiche Tagungsband erschienen. Er umfasst Beiträge von 20 AutorInnen aus Österreich, Deutschland, Italien und den Niederlanden. Die Herausgeber, Ferdinand Opll, langjähriger Direktor des Wiener Stadt- und Landesarchivs, und Martin Scheutz vom Institut für österreichische Geschichtsforschung, sind Vorstandsmitglieder des österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung. Sie haben die Themenfülle in fünf große Kapitel gegliedert, mit einer informativen Einleitung versehen und den deutschen Ethnologen Dieter Kramer um eine Schlussbetrachung gebeten.

Einleitend beschäftigen sich die Herausgeber mit dem spannungsreichen Verhältnis von Tourismus und Stadt: "Beginnend mit der Antike lassen sich Reisende nachweisen, die gestützt auf das hervorragende römische Straßensystem und auf Seewege, aus Bildungsinteresse, aus religiösen Motiven oder einfach aus 'Lust' reisten." Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit wanderten Handwerksgesellen und Pilger. Im 15. und 16. Jahrhundert besuchten junge, männliche Adelige auf ihren Kavalierstouren europäische Höfe und Universitäten, sie absolvierten in Städten ein gezieltes Besuchsprogramm. Im 18. und 19. Jahrhundert imitierte das aufstrebende Bürgertum die adelige "Grand Tour" als Bildungsreise. Eisenbahn und Dampfschiff wurden zu Geburtshelfern des Massentourismus. Als erster Reiseveranstalter gilt der baptistische Geistliche Thomas Cook (1808-1892). Er profitierte zunächst von den Weltausstellungen. 1851 brachte er 165.000 Reisende zur ersten ihrer Art nach London.

Das erste Kapitel ist den "Vorformen des Tourismus" (drei Beiträge) gewidmet. Hier erläutert der Stuttgarter Mediävist Volker Reichert die spätmittelalterlichen Wallfahrten nach Jerusalem. Die Pilger konnten in Venedig Pauschalreisen buchen, die sie organisiert und einigermaßen sicher ins Heilige Land und nach sechs bis acht Monaten retour brachten. Ein bis zwei Wochen dauerte der Aufenthalt in Jerusalem, der die meisten enttäuschte. Der abenteuerliche Rückweg trug auch nicht zur Begeisterung bei, weil die venezianischen Kaufleute, die als Reiseveranstalter fungierten, in den Häfen Waren an Bord nahmen, die sie für ihre Handelsgeschäfte benötigten. Die erschöpften Pilger, pro Schiff rund 200, wollten aber nur so schnell wie möglich nach Hause.

Im zweiten Kapitel, "Organisationsformen des städtischen Tourismus" (drei Beiträge), referiert Andreas Weigl vom Wiener Stadt- und Landesarchiv über die Entwicklung der Beherbergungsbetriebe. In römischer Zeit sorgten "mansiones" entlang der Straßen für Verpflegung und Unterkunft. Die Distanz zwischen den Transitgasthäusern lag bei 25 km. Mit dem Verfall der Infrastruktur übernahmen private Tavernen, Klöster und Spitäler die Aufgaben der Herbergen. Als Vorläufer der Hotels gelten Fürstenherbergen, die seit dem späten Mittelalter adelige Reisende aufnahmen. Waren gerade keine zu Gast, konnten auch Bürger dort wohnen. Erst um 1800 entstanden Betriebe, "die den Namen Hotel einigermaßen verdienten." Sie waren geräumiger, boten versperrbare Einzelzimmer und Speisen á la carte. Den großen Umschwung brachte das ausgehende 19. Jahrhundert, als die Bahngesellschaften ihre Grand Hotels bauten.

Im dritten Kapitel , "Wissensvermittlung und Werbung für Reiseziele" (drei Beiträge), beschäftigt sich der langjährige Wiener Kulturamtsleiter Bernhard Denscher mit der Plakatwerbung für Städte. Als Anfang und "Nonplusultra allen Stadtmarketings" nennt er die Pariser Weltausstellung von 1889. Ihr Markenzeichen, der Eiffelturm, war ein ideales Reklame-Motiv. Andere Tourismusplakate warben für Luxusreisen per Bahn und Schiff. Ein originelles Beispiel zeigt den Fahrplan des Orient-Express und sowohl die Hagia Sophia als auch die ebenfalls kuppelbekrönte Wiener Karlskirche. Während viele solcher Ankündigungen an Ansammlungen von Bildpostkarten erinnern, beauftragten die Staatsbahnen Künstler mit moderner Gestaltung. So schuf der Maler und Alpinist Gustav Jahn 1907 ein eindrucksvolles Künstlerplakat für Zell am See, das sogar Kritiker lobten.

Das vierte Kapitel trägt den Titel "Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung im Bereich des städtischen Tourismus" (drei Beiträge). Der Linzer Archivleiter Walter Schuster hat 2000 Ansichtskarten seiner Stadt zwischen 1895 und 1945 analysiert. Ab 1890 stieg der Versand von Postkarten mit topografischen Motiven. Die Jahre von 1895 bis 1918 gelten als "goldenes Zeitalter der Ansichtskarten". Bis 1904 blieb eine Seite der Karte der Adresse vorbehalten. Der Text hatte unter dem Bild nur wenig Platz oder man schrieb einfach über das Motiv. Es gab damals internationale Ansichtskartensammlerlisten, aus denen man Empfänger auswählte, denen man eine Ansichtskarte schickte und um "Revanche" aus deren Stadt bat.

Das fünfte Kapitel nennt sich "Tourismus und dessen wirtschaftliche Bedeutung für Städte" (fünf Beiträge). Es ist ungewöhnlich, dass ein Bürgermeister als Ethnologe, Kulturmanager und Museumsdirektor gewirkt hat. Seit 2015 fungiert Paul Rösch als Bürgermeister von Meran. So kann er sich den Chancen und Gefahren des Massentourismus mit besonderer Kompetenz widmen. Ausgehend von der Entwicklung "von der Kuhstadt zur Kurstadt" stellt er sich den aktuellen Herausforderungen. Dabei setzt er auf Veranstaltungen für Gäste und Einheimische. Events "wachsen aus der Bevölkerung heraus und mit ihr". Eleganz gilt als Leitfaden, "mit Bescheidenheit und einem guten Auge für das Schöne". In der Stadtplanung soll Meran wieder eine "Stadt des Gehens" werden, ähnlich wie vor 100 Jahren, als sie bei der "Terrainkur" über ein Netz von Promenadewegen verfügte.

Der Ethnologe Dieter Kramer, der die Schlussbetrachtungen verfasst hat, war ein früher Promotor des sanften Tourismus. Heute bezeichnet er die Branche als "Täter, Opfer und Hoffnungsträger." Positiven Auswirkungen stehen der "Aufstand der Bereisten", globale Folgen und Krisen gegenüber. Wenn Fernreisende Europa als "gigantischen Freizeitpark" betrachten, sieht Kramer "Schrumpfen als Chance" und meint: "Es gibt keine Alternative zur Begrenzung."