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Matthias Marschik: Die Donauwiese#

Bild 'Marschik'

Matthias Marschik: Die Donauwiese. Das Inundationsgebiet – Ein verschwundenes Wiener Wahrzeichen. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach 2019. 120 S., ill., € 21,90

Ein Wahrzeichen stellt man sich anders vor: weithin sichtbar, historisch bedeutsam, ehrwürdig, unverwechselbar. An eine Wiese, die noch dazu zeitweise im Hochwasser verschwindet, denkt der Außenstehende nicht. Der Kulturwissenschaftler und Sporthistoriker Univ.-Doz. Dr. Matthias Marschik sieht das anders. 1957 in Floridsdorf geboren, war das Inundationsgebiet sein „Abenteuerspielplatz“.

Die Donauwiese entstand im Zuge der ersten Regulierung des Stromes. Die mehr als sechs Quadratkilometer große Fläche fungierte als Überschwemmungsgebiet. Nach jedem Hochwasser oder Eisstoß änderte sich ihr Aussehen. Die Wienerinnen und Wiener nützen das Areal als (rückblickend bescheiden wirkendes) Freizeitparadies. "Sie gingen dort wandern, baden oder im Winter eislaufen, fuhren Rad, ließen Drachen steigen und spielten Fußball. … Die stehenden, zum Teil mit der Donau verbundenen Gewässer waren als hervorragende Fischreviere bekannt. . Abends und nachts wurde die Donauwiese zum erotischen und gefährlichen Ort" , schreibt der Autor und verschweigt auch nicht die "dunkle Seite" wie Selbstmorde, Prostitution und Verbrechen, Alkoholismus und Schleichhandel.

1875 eröffnete Kaiser Franz Joseph die regulierte Donau. Anlass, ihr zwischen Nussdorf und Albern ein neues Bett zu geben, waren die Aufsplitterung in zahlreiche Arme und Inseln und die Überschwemmungen, die Vorstädte und Ortsgemeinden immer wieder in Mitleidenschaft zogen. Den Auftrag erhielt eine französische Firma, die den Suezkanal gebaut hatte und über die nötigen Bagger verfügte. Das Buch zeigt seltene Fotos von den Bauarbeiten. Ganz verschwanden die Altarme aber nicht, die Bevölkerung nahm ihre Ufer in Besitz, als Naherholungsgebiet ebenso wie zur Anlage von Schrebergärten. Die Gemeinde Wien nutzte die Gegend für Parks und Bäder. Man baute Brücken, Straßen und städtische Wohnhäuser, etwa 1961 den Marshall-Hof. Im Zuge der Regulierung waren 1870 bis 1877 drei Eisenbahn- und zwei Straßenbrücken entstanden. 1964 kam die Nordbrücke dazu. 1976 forderte der Einsturz der Reichsbrücke ein Todesopfer. 1980 wurde die neue Reichsbrücke eröffnet, in deren Untergeschoß die Gleise der U1 verlaufen. Die U-Bahn erhielt eine Station auf der zwischen 1972 und 1988 errichteten Donauinsel. Diese dient neben der Neuen Donau dem Hochwasserschutz und hat sich als Freizeitareal etabliert. Seit 1984 findet an drei Tagen Ende Juni das Donauinselfest statt. Europas größtes Open-Air-Festival verzeichnete 2015 mit 3,3 Millionen Zuschauern einen Besucherrekord. Auch 2018 überschritt die Zahl von "nur" 2,4 Millionen Gästen die Einwohnerzahl der Bundeshauptstadt bei weitem.

Mit dem ehemaligen Abenteuerspielplatz auf der Uferlandschaft der Wiese hat dies wenig zu tun. Alte Fotos vermitteln die Stimmung von einst. Familien, die beim Sonntagsausflug die vorbeiziehenden Schiffe beobachten, auf die Dampffähre wartende Wanderer, Fischer, Bootfahrer und FKK-Anhänger fanden hier Erholung und Geselligkeit. Wenn sich die Vereinsmitglieder von "Verkühle dich täglich!" zum Schwimmen beim Eisstoß trafen, war ihnen das Publikumsinteresse sicher. Geruhsamer liebten es die Daubelfischer auf ihren schwimmenden Schrebergartenhütten.

1909 wurde das Überschwemmungsgebiet zur "Wiege der Aviatik in Wien: Auf der Donauwiese nahe Kaisermühlen startete 1909 zum ersten Mal in Wien ein Mensch mit einer Flugmaschine." Als 1923 die Österreichsche Luftverkehrs-AG den Linienbetrieb aufnahm, richtete sie in Jedlesee ihren Flugplatz ein. Er bestand aus einer Holzhütte und einer Waage. Nach Budapest verkehrten Wasseraeroplane. In den 1950er Jahren war die Donauwiese ein Stützpunkt für Segelflugzeuge.

In der NS-Zeit gab es Projekte für den Ausbau von "Wien an der Donau". Ein Großhafen war ebenso geplant wie die "Nordstadt" in Kagran und der Zentralbahnhof in der Schwarzlackenau. Die Donauwiese diente als Schiessplatz und wurde von Bomben getroffen, die Floridsdorfer Brücke gesprengt. Neues Leben blühte aus den Ruinen, als sich die Stadt zur "WIG 64" entschloss. Eine Müllhalde und Reste wilder Siedlungen wandelten sich zur Wiener Internationalen Gartenschau, dem späteren, 604.000 m² großen Donaupark. Sein Wahrzeichen, der Donauturm, ist mit 252 m das höchste Gebäude Österreichs. Seit 1987 dienen die Neue Donau als Entlastungsgewässer und die Donauinsel als Freizeitareal. Seither sind das hundertjährige Inundationsgebiet und die spezifische Donauwiesen-Kultur Geschichte. Der Bild-Textband von Matthias Marschik wahrt die Erinnerung und stellt zugleich ein Stück Wien vor, das vielen unbekannt gewesen sein dürfte.

hmw