Feedback-Formular vorübergehend deaktiviert. Bitte wenden Sie sich an das Administrator Team
unbekannter Gast

Werner Sollors: Schrift in bildender Kunst #

Bild 'Sollors'

Werner Sollors: Schrift in bildender Kunst. Von ägyptischen Schreibern zu lesenden Madonnen. Transcript Verlag Bielefeld. 150 S., ill., € 16,50

Der wissenschaftliche Fachverlag Transcript hat eine neue, zunächst auf zehn Bände angelegte Reihe kreiert: "Wie wir lesen - Zur Geschichte, Praxis und Zukunft einer Kulturtechnik". In Band 1 beschäftigt sich der Kunsthistoriker Werner Sollors mit Schrift im Bild. Man findet sie auf Kunstwerken, die Lesende darstellen, wobei meist die Buchseiten zu entziffern sind, als historische "Sprechblasen" oder erklärende Worte.

Alle drei Typen sind im Verduner Altar vereint, über den der Autor schreibt: Der von Nikolaus von Verdun in Champlevé aus Gold, vergoldetem Kupfer und … Emaille gefertigte Altar im niederösterreichischen Augustinerstift Klosterneuburg (1181 fertig gestellt), ein einzigartiges Werk der Goldschmiedekunst, enthält unter seinen 45 biblischen Tafeln eine visuell sehr schöne Darstellung einer Verkündigung. …Die Worte "AVE MARIA" erscheinen auf einer (aus Textrollen entwickelten) offenen Banderole, die sich von Gabriel diagonal zu Maria erstreckt. … Vor Maria liegt auf einem campanileartigen Pult ein offenes Buch. … Die lateinische Inschrift, die das Bild umgibt, ist an Maria gerichtet: EX TE NASCETVR QUO LAPSVS HOMO REDIMETVR" (Aus dir wird jener geboren werden, durch den der gefallene Mensch erlöst wird). … Die Verbildlichung ist somit auch eine Art von Verwirklichung von Texten, die nur Betrachtern verständlich waren, die nur Betrachtern verständlich waren, die nicht nur Latein lesen konnten, sondern auch die nur mit Kürzeln wiedergegebenen Passagen bereits kannten.

Die Verkündigung des Erzengels Gabriel an Maria, eines der beliebtesten Bildmotive kirchlicher Kunst, nennt der Autor eine Schlüsselszene für die Entwicklung christlicher Lesebilder. Das ist ein wenig überraschend, denn man erinnert sich aus den Evangelien nicht an eine lesende Maria. Werner Sollors widmet diesem Bildtypus einen Großteil seines illustrierten Essays. Einen frühen Beleg für eine lesende Madonna fand er im 9. Jahrhunderts im Evangelienbuch des gelehrten deutschen Benediktiners und Dichters Otfried von Weißenburg. Die Gottesmutter erscheint nicht mehr als analphabetische "Magd", sondern als bibliophile Angehörige einer hohen sozialen Schicht. Es war die Zeit der Bildungsreformen der Karolingischen Renaissance, als Bibellesen zur adeligen Frauenbildung zählte. Die lesende Maria sollte auch in dieser Hinsicht ein Vorbild sein. Zahlreich sind seither die Darstellungen, in denen Bücher oder Schriftrollen zum Attribut von Heiligen werden, beispielsweise Apostel oder Kirchenväter wie Sankt Hieronymus.

Nicht nur die christliche Kunst bevorzugte Bild-Text-Kombinationen. Altägyptische Skulpturen stellen Schreiber dar, wobei eine Statue aus dem 14. vorchristlichen Jahrhundert die neunstrophige Hieroglyphenhymne "Lasst uns Thot lobpreisen" enthält. Der Gott Thot, der in der Unterwelt Gericht hielt, war in der ägyptischen Mythologie selbst ein Schreiber. Ein bekanntes Fresko aus Pompeji ist das Medaillon der "Sappho", die mit einem Griffel auf eine Tafel schreibt. In Japan diente "Das Buch vom Prinzen Genji" als Vorlage zahlreicher Holzschnitte des 17. Jahrhunderts von lesenden und schreibenden Damen. Eine Schönheit aus Edo ist in die Lektüre ihres Buches vertieft, während sie auf einem Kranich sitzt, der in Kurven über das Meer fliegt.

Renaissanceporträts zeigen Gelehrte und Studenten, aber auch Kaufleute und Bürger beim Schreiben und Lesen. Bekannt ist Quentin Massys "Der Geldverleiher und seine Frau" aus dem Jahr 1514. Die Frau blättert in ihrem Buch, in dem sich der Psalm 51 erkennen lässt, ebenso eine ganzseitige Illustration der heiligen Maria. In weltlicher Porträtkunst konnte ein Buch in der Hand als Autoritätssymbol des dargestellten Subjekts dienen , schreibt der Autor und nennt als Beispiel eine in Afrika geborene Sklavin, die um 1800 in London zur Schriftstellerin wurde. Sie ließ sich mit Buch und Feder abbilden. 1756 thront Madame Pompadour auf dem berühmten Gemälde von Francois Boucher mit einem aufgeschlagenen Buch in ihrem geschmackvoll eingerichteten Boudoir, umgeben von Schreibutensilien und Schriftstücken. Sie inszeniert sich als die gelehrte Mätresse am absolutistischen Hof, die am literarischen und wissenschaftlichen Diskurs ihrer Zeit teilnimmt.

Den Lesehilfen widmet der Autor ein eigenes Kapitel. Als älteste Darstellung einer Brille gilt ein Fresko in Treviso, das einen 1263 verstorbenen Kardinal darstellt. Andere sind eindeutig anachronistisch, wie der "Brillenapostel" auf einem deutschen Flügelaltar aus 1403 oder der . hl. Petrus mit Scherenbrille, den ein um 1500 entstandener flämischer Wandteppich zeigt.

Schließlich darf das 400 m² große Deckenfresko mit dem Titel "Vernunft-Religion führt durch Tugenden die menschliche Seele zur Ewigen Weisheit" nicht fehlen. Franz Anton Maulbertsch schuf es 1797 für die Bibliothek des Prämonstratenser-Klosters Strahov bei Prag. Die dargestellten Szenen und Personen - von der Antike über biblische Gestalten und Heilige - und die beigefügten Texte sollen dem Betrachter "Liebe zum Lernen und zur Frömmigkeit" vermitteln. Im Zentrum steht die "Divina Sapientia". Lese- und Schreibutensilien, Bücher und Inschriften weisen den Weg zur göttlichen Weisheit.

hmw