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Bernhard Braun: Die Herkunft Europas#

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Bernhard Braun: Die Herkunft Europas. Eine Reise zum Ursprung unserer Kultur. Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg), Konrad Theiss Verlag Stuttgart. 544 S., ill., € 36,-

"Zukunft braucht Herkunft" nannte Odo Marquard (1928-2015) eine Sammlung seiner philosophischen Essays. Wikipedia lobt die Unterhaltsamkeit, Leichtigkeit seines Stils und pointierten Formulierungen des deutschen Philosophen. Diese Attribute könnte man auch seinem österreichischen Fachkollegen Bernhard Braun und seinem jüngsten Werk Die Herkunft Europas zusprechen. Braun erzählt in teils humorvoller, teils kritischer Weise die oft überraschende Geschichte der europäischen Kultur und ihrer orientalischen Wurzeln. Wie so oft, steht ein Mythos am Beginn, in diesem Fall der wohlbekannte von der jungen Phönizierin Europa: In Gestalt eines weißen Stiers entführte sie der kretische Zeus auf seine Insel. Der Sohn des ungleichen Paares war König Minos, Namensgeber der ersten vorgriechischen Hochkultur. Mythen sind konstruierte Erzählungen, die viele Interessen unter einen Hut bringen wollen, schreibt Bernhard Braun. Europa ist keine Europäerin, sondern die Tochter eines orientalischen Handelsmagnaten. Sie hatte weder einen Bezug zum später nach ihr benannten Kontinent, noch ist der Ursprung der Bezeichnung des Kulturraums Europa bekannt.

Der römisch-katholische Philosoph Bernhard Braun war Assistenzprofessor am Institut für Christliche Philosophie in Innsbruck und lehrt in Salzburg, u. a. Kulturgeschichte. In seinem vielseitigen Buch verbindet er religionsgeschichtliche Aspekte, wie die Entstehung von Judentum, Christentum und Islam mit Entwicklungen in der Kunst, Wissenschaft und Philosophie. Er beleuchtet orientalische Hochkulturen wie die Sumerer, Perser und das Alte Ägypten und denkt dabei stets aktuelle Diskussionen (Stichwort: "christliches Abendland") mit.

Das erste der 13 Kapitel rollt die Geschichte vom Urkontinent Pangea vor 200 Millionen Jahren über das Erscheinen der modernen Menschen vor 200.000 Jahren bis zur Sesshaftwerdung in der Jungsteinzeit auf. Der Autor bezeichnet das Neolithikum als "eine Art Labor der Kultur". Die Erfindung der Kultur verortet er im Alten Orient bei den Sumerern (4. - 3. Jahrtausend v. Chr.) Mesopotamiens. Sie entwickelten die Keilschrift und bauten Städte mit bewehrten Mauern, Tempelkomplexen als Wirtschaftsbetrieben und eigenen Stadtgöttern. Ihre 3000 Gottheiten waren meist personifizierte Naturmächte. Eine komplizierte Entwicklung führte von den polytheistischen zu den monotheistischen Religionen und von den erdverbundenen, chthonischen, zu den himmlischen Göttern. Auch deren Wurzeln liegen in Mythen und im Orient. So kamen beispielsweise Himmelfahrts-Vorstellungen im 5. vorchristlichen Jahrhundert aus iranischen Quellen in die griechische Welt. Die Kultur war es, die den Mythos Griechenland begründete heißt es im Kapitel Auf dem Weg nach Europa, wo man zunächst wieder dem sagenhaften König Minos von Kreta begegnet. Die langsame Ablösung mythischen Erzählens durch rationale Denkstrukturen in der Antike verlief parallel zum Aufstieg der Götter von der chthonischen zur himmlischen Sphäre … vom reinen Kult zu dem, was man Theologie nennt.

Im 1. vorchristlichen Jahrhundert begann die römische Kaiserzeit. Das alte Griechenland war im römischen Weltreich aufgegangen. Aber es prägte flächendeckend die Kultur. Was blieb, war die Vorliebe für den Orient, eine Voraussetzung dafür, dass wir heute das christliche Abendland beschwören können, denn unter den reizvollen Angeboten aus dem Orient lag auch das junge Christentum gut im Rennen, schreibt der Autor. Nachdem er die Leser auf unterhaltsame Weise mit der römischen Geschichte vertraut gemacht hat, stellt er fest: Es versammelte Bausteine aus dem gesamten Vorderen Orient und baute sie zu einer neuen Religion vor allem dort zusammen, wo sich heute die Türkei, Syrien und Israel ausbreiten. In Israel, der römischen Provinz Galiläa, erblickte um die Zeitenwende Jeschua, (griechisch: Jesus) das Licht der Welt. Der lange Weg des Christentums führte von Jerusalem nach Antiochien. Im Umkreis von Antiochien und Ephesos entstand die erste theologische Literatur, die Schriften des Neuen Testaments. Letztlich setzte sich das Christentum auf dem herrschenden "Jahrmarkt der Religionen" durch. Der Autor nennt dafür eine Reihe von Gründen: Monotheismus, historische Gründungsgestalt, Verheißung eines glücklichen Lebens nach dem Tod für das Individuum gleich welchen Standes, hohe moralische Ansprüche, universelle Ausrichtung, Bilder als Propagandamittel.

Schon im 2. und 3. Jahrhundert entstanden Kirchen in Georgien und Persien. Den entscheidenden politischen Schub verdankte die junge Religion Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert. Nachdem der erste christliche Kaiser in Rom eindrucksvolle Basiliken gestiftet hatte, baute er in Byzanz, wo Abendland und Morgenland aufeinander trafen, sein neues Rom. Die Blütezeit Konstantinopels währte rund ein Jahrtausend. 1453 eroberte der osmanische Sultan Mehmed II. die schönste Metropole der damaligen Welt. Bernhard Braun bezeichnet die Kultur des Islam als Teil Europas, wie er anhand zahlreicher Beispiele aus Kunst und Wissenschaft ausführt.

Etwa gleich lang wie das byzantinische Reich dauerte das Mittelalter in Europa. In diese Zeit fiel die Geburt des Abendlandes mit der Christianisierung der Franken, dem anno 800 zum römischen Kaiser gekrönten Karl dem Großen, den Benediktiner-Klöstern als intellektuellen Zentren, irischen Missionaren, Kreuzzügen, gewaltigen romanischen Abteien und lichtdurchfluteten gotischen Kathedralen. Das kulturelle Leben bewegte sich zwischen Mystik und Wissenschaft. Im 14. Jahrhundert zeichnete sich in Italien der Beginn einer neuen Epoche ab. Die Menschen strebten nach einem größeren Horizont. Europäer eroberten die Welt, Erfinder und Gelehrte bereicherten die Gesellschaft mit bahnbrechend Neuem, Künstler entdeckten die Perspektive als "Markenzeichen der Renaissance". Man kann in ihr geradezu die Verdichtung der drei Kennzeichen sehen, mit denen die Renaissance üblicherweise beschrieben wird: die Entdeckung des Raums, die Wiederentdeckung der Antike und das Bildungsideal des Humanismus. Der Orient büßte seine Vorreiterrolle ein und wurde zum Empfänger von Ideen und Technologien aus dem Abendland. Im 18. und 19. Jahrhundert kam es noch einmal zu einer romantischen Verklärung, dem Orientalismus.

Als Kunstphilosoph hat sich Bernhard Braun lange Zeit mit der europäischen Ideengeschichte befasst. Dies zeigte ihm, wie sehr kulturelle Erzählungen verschiedener Genres sich aufeinander beziehen und sich gegenseitig kreativ bereichern. … wie konstitutiv und befruchtend für jede Kultur und für jedes Selbstverständnis die Begegnung und der Austausch mit dem Fremden sind. Es ist äußerst lohnend - und, trotz der Fülle leicht zugänglicher, Fakten - der Geschichte Europas zu folgen. Dieses einzigartige Buch will nicht der Mythologisierung, sondern der Aufklärung dienen. Die Absicht war, die Geschichte dieses faszinierenden Kulturraums anhand der Fakten zu erzählen und damit Raum zu geben für jede und jeden, selber ihren und seinen Platz in dieser Europa-Idee zu finden.

hmw