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Norbert Philipp: Das Cottage in Wien#

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Norbert Philipp: Das Cottage in Wien. Verlag Braumüller Wien. 224 S., ill., € 24,-

Das Cottage in Wien-Währing und Döbling feiert das 150-Jahr-Jubiläum. Nach dem vom Wiener Cottage Verein herausgegebenen Grundlagenwerk Das Wiener Cottage. Der Traum vom gesunden Wohnen ist nun ein weiteres Buch erschienen. Sein Autor ist der Germanist und "Presse"-Redakteur, Norbert Philipp. Er hat 2019 im Braumüller-Verlag "Die Adern Wiens" herausgegeben. Beide Cottage-Bücher ergänzen einander ideal.

Der geistige Vater der verwirklichten Wiener Gartenstadt-Utopie war ein Star-Architekt der Ringstraße. Heinrich Ferstel (1828-1883) plante nicht nur öffentliche Gebäude und repräsentative Palais an Stelle der Stadtmauer. Er verfolgte auch zukunftsweisende städteplanerische Aktivitäten. Ferstel hatte an der Akademie der Bildenden Künste bei den Hofopern-Architekten August Sic(c)ard von Sic(c)ardsburg (1813-1868) und Eduard van der Nüll (1812-1868) studiert. 27-jährig, gewann er den Wettbewerb für die Votivkirche, damals noch außerhalb der Ringstraße. Sein "Meisterwerk der Neugotik" blieb das einzige in diesem Stil. Für spätere öffentliche Bauten, wie das Erste Chemische Institut, die Universität, das Bank- und Börsengebäude oder das Museum für Kunst und Industrie (MAK) bevorzugte er Formen der Renaissance. Der "Hauptvertreter der Wiener Baukunst der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts" wollte gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.

Auf Studienreisen durch England hatte Ferstel die Cottage-Idee kennengelernt: Frei stehende Ein- oder Zweifamilienhäuser mit Gärten. Mit dem Kunsthistoriker Rudolf Eitelberger (1817-1885) machte er sich Gedanken über "Das bürgerliche Wohnhaus und das Wiener Zinshaus". Sie kamen zum Schluss, dass es - aufgrund von Spekulation - in Wien zu viele Zinshäuser und zu wenige Wohnhäuser gab. Während sich Großbürger und Adelige Ringstraßenpalais bauen ließen, lebten breite Kreise der Bevölkerung sehr bescheiden. Für den Mittelstand entdeckten Ferstel, selbst Sohn eines Bankbeamten, und seine Mitstreiter das Cottage als ideale Wohnform, als Frischluft-Gegenmodell zum urbanen Industrie-Moloch. Norbert Philipp zitiert: Die enormen Vortheile dieses Systems in sanitärer, sittlicher und finanzieller Beziehung sprechen mit überzeugender Gewalt für dessen Einführung auch in Wien. Der Buchautor folgert: Wien war reif für ein "Cottage". Ferstel und Eitelberger hatten das Fundament dafür geschaffen.

Ziel des gemeinnützigen Wiener Cottage Vereins war es, Lebens- und Wohnqualität zu erschwinglichen Preisen zu schaffen. Proponenten waren Ferstels Mitarbeiter Architekt Carl Borkowski und der Jurist Edmund Kral von der Bodencreditanstalt. Das angesehene Institut verwaltete auch Vermögen von Mitgliedern des Kaiserhauses. Trotz der Wirtschaftskrise nach der Wiener Weltausstellung, die das Bankhaus unbeschadet überstand, geriet die Cottage-Idee zur Erfolgsstory. 1873 wurde der Ideenvater Heinrich Ferstel Obmann des Wiener Cottage Vereins, und stand ihm mit Expertise und Rat zur Seite, bis zu einem Tod. Innerhalb weniger Monate waren 51 Häuser errichtet, 1876/77 weitere 20. 1887 zählte man, inklusive der neu erworbenen Döblinger Parzellen, 150 Villen mit 1500 Einwohnern. 40 Jahre nach der Gründung standen schließlich 387 Häuser, die sich auf 16 Alleen verteilten, beschattet von 2000 Bäumen. Heute umfasst die Gartenstadt ca. 620 Grundstücke auf etwas mehr als einem Quadratkilometer.

Möglich war der rasche Aufschwung durch perfekte Planung und Organisation unter Ausschaltung der Immobilien-Spekulation. Die Eigentümer konnten ihre gesunden und billigen Wohnhäuser mit Hilfe von Ratenzahlungen erwerben. Noch anderes wirkte sich positiv auf das Stadterweiterungsgebiet aus: Die Förderung durch das Herrscherhaus, besonders den Bruder des Kaisers, den "Bürger-Erzherzog" Karl Ludwig (1833-1896). Er übernahm auch das Protektorat über den Türkenschanzpark. Zum Dank setzte man ihm 1906 im Zentrum der Ansiedlung ein Denkmal in Form eines Brunnens, der nicht mehr besteht. Etwas Besonderes waren auch die Cottage-Servitute, ein Paket aus Prinzipien, das für alle verbindlich werden sollte, die ein Cottage erwerben wollten. … Wer hier schön wohnen will, lässt auch den Nachbarn hier schön wohnen… Denn in jedem Fall sollte es auf "gegenseitige Rücksichtnahme" beruhen. … "Keine Bauten auszuführen, welche auch nur einem der übrigen Cottagebesitzer die freie Aussicht, das Licht und den Genuss frischer Luft benehmen würden, ferner keinerlei Gewerbe auf diesen Realitäten zu betreiben … vermöge des damit verbundenen Lärms oder möglicher Feuersgefahr den Nachbarn belästigen würde." .

Für die Häuser waren jeweils ein Viertel, für die Gärten drei Viertel der Grundstücke vorgesehen. Die Gärten grenzten aneinander, um größere Grünräume zu schaffen. Bauwerber hatten die Wahl zwischen 13 individuell variierbaren "Normalplänen". Zwei Baufirmen führten die Aufträge aus, das ermöglichte eine optimale Preisgestaltung. In allen Straßen gab es Alleen, asphaltierte Gehsteige, gutes Trinkwasser und Kanalisierung. Viertelstündliche Omnibusverbindungen und Einspänner-Standplätze ermöglichten den Transport vom damals noch nicht eingemeindeten Vorort in die Innenstadt.

Mit den Fortschritten und neuen Interessentengruppen stiegen die Ansprüche. Gegen die Jahrhundertwende ließen sich höhere Beamte, Offiziere, Musiker, Schauspieler, Fabrikanten, Professoren und Ärzte nieder. Die Wohlhabenden zogen ins Cottage und das Grundbuch liest sich wie ein "Who is who". Die Villen wurden prächtiger, das Cottage zählte zu den besten Adressen Wiens. Schulen und Forschungseinrichtungen, wie die Universitätssternwarte und die Hochschule für Bodenkultur, entstanden. Casino, Eislaufverein und Tennisplätzen ermöglichten den Bewohner die Pflege soziale Kontakte.

Das Cottage blieb nicht immer ein Stück "ideales Wien". Norbert Philipp spart in seinem Buch die dunklen Zeiten nicht aus, besonders Die Vertreibung der Juden aus dem Cottage. Hier lebten viele jüdische Familien, Unternehmer, Philanthropen, Kunstmäzene, Schriftsteller wie Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hofmann und Felix Salten, auch der Zionist Theodor Herzl. Der Erste und der Zweite Weltkrieg rissen tiefe Wunden in das fein gesponnene soziale Netz und in das Ensemble. Immobilienhaie taten ein Übriges. Immer wieder erwies sich der Denkmalschutz als zahnlos. Trotzdem kann der Autor feststellen, dass verträumte Gassen noch immer zum Spazieren, Entdecken und Kennenlernen einladen. Eine besondere Rolle im Cottage spielt der Türkenschanzpark - der erste, aus Privatinitiative entstandene "Volkspark" Wiens. Initiator war wieder Heinrich Ferstel, der aber die Eröffnung nicht mehr erlebte. Statt der Sandgruben auf der Türkenschanze entstand mit Hilfe großzügiger Sponsoren ein englischer Garten mit seltenen Gehölzen und einer Aussichtswarte. Hier, bei der Paulinenwarte kündigte Franz Joseph 1888 zur Park-Eröffnung die Eingemeindung der Vororte an. Vier Jahre später war es so weit. Die Gemeinde Wien übernahm auch den Türkenschanzpark und erweiterte ihn 1908-1910.

hmw