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Peter Reichert und Linde Prelog: Wien auf und neben der Spur#

Bild 'Reichert'

Peter Reichert und Linde Prelog: Wien auf und neben der Spur. Schwarz-Weiß-Fotos und Texte. Edition My Morawa Wien. 128 S., ill., € 15,-

Dieses inspirierende und intellektuelle Bilder-Buch ist schon das dritte seiner Art des Künstler-Ehepaars Peter Reichert und Linde Prelog. 2016 erschien "Wiener Mischung", drei Jahre später "Anderswo in Wien". Beide Autoren sind Wahlwiener, vielleicht hat ihr unkonventioneller Blick auf die Stadt damit zu tun. Peter Reichert kommt aus der Schweiz. Als ausgebildeter Werbegrafiker studierte er Musik und wirkte als Lehrer für Orgelspiel. 2000 kehrte Peter Reichert zu seiner Profession als selbstständiger Grafiker und Fotograf zurück. Linde Prelog stammt aus der Steiermark. Als Schauspielerin erhielt sie Engagements für Theater, Kabarett und Musical, TV- und Kinofilme. Als Autorin gestaltete sie Soloprogramme mit eigenen Texten und Liedern und schrieb mehrere Bücher. Bisher entstanden ein Kinderbuch und drei Wien-Bücher gemeinsam mit Peter Reichert. Der neue Band mit Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Jahrzehnt 2012 - 2022 und den unkonventionellen Texten folgt dem bewährten Konzept. Der fotografische Blick richtet sich hinter die Kulissen der Metropole, auf das Unscheinbare und meist übersehene Alltägliche. Die gereimten und ungereimten Texte wollen, so die Autorin, Schichten hinter dem Sichtbaren aufdecken. Fabulierend, assoziierend, hintersinnig, pointierend laden sie zum "Spurenlesen" ein.

13 Spuren sind es, die das Autorenpaar verfolgt. Architekturen zeigt spannende Gegensätze von Alt und Neu wie die Überbauung der Stadtbahnbögen in der Spittelau mit dem Zaha-Hadid-Bau … spitz, frech und gewagt / kraftvoll und selbstbewusst / scheinbar schwerelos / gewaltig und nahezu gefährlich charakterisiert ihn Linde Prelog. Gespiegelte Welt nennt sie spiegelnde Fassaden und ihre Gegenüber. Risse durch die Zeit zeugen von verlorener Existenz. Die Relikte der Firmenaufschrift "Salon der Dame" stimmen ebenso elegisch wie die Silhouette eines demolierten Vorstadthauses an der Feuermauer des Nachbargebäudes. Sehensunwürdig ist die Welt der Obdachlosen, die sich hinter Sehenswürdigkeiten wie dem Michaelerplatz verbirgt. Vom Krieg verwundet führt u. a. zum Mahnmal auf dem Judenplatz und den Soldatengräbern auf dem Zentralfriedhof, der größten Kriegsgräberstätte des 2. Weltkriegs in Österreich.

Glorreiche Zeiten sorgt dafür, dass der Humor im Buch nicht zu kurz kommt. Da präsentiert sich der kaiserliche Adler auf der Gloriette von seiner Rückseite und das berühmte Winterhalter-Portrait der Kaiserin Elisabeth ziert ein E-Mobil namens "Sisi-Express". Köstlich passt dazu die Parodie von "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten". Spuren der Künste kann man in Auslagen finden. Wie einst, als Wanderhändler Gipsbüsten anboten, gibt es da z.B. Johann Strauß in drei Größen von 17 bis 90 €. Vergänglichkeiten erblickt man überall in der Stadt. Gesprungene Trittplatten ergeben, mit künstlerischem Blick festgehalten, eine abstrakte Grafik. In diesem Kapitel tauchen erstmals diskrete Nahaufnahmen von Menschen auf: Eine Greisin zählt ihr (letztes?) Geld, während eine gepflegte ältere Dame asiatisches Fastfood konsumiert. Eine alte Frau am Rollator riskiert den Blick in ein Boutiquen-Schaufenster, als wollte sie sagen: "Das ist nichts für mich". Das sind nun Interpretationen, aber die Bilder wollen ja auf die Gedankenspuren führen, die durch Assoziation in zeitlose Themen münden wie Leben und Vergänglichkeit, Sehnsucht und Träume, Planen und Scheitern. Beredte Spuren führen zur von Übergriffen gezeichneten Sphinx-Figur im Schlosspark Belvedere und zum armen Heiligen Sebastian, den die Touristenscharen auf dem Stephansplatz keines Blickes würdigen.

Als Zweite Welt im Licht machen sich Schatten auf Schwarz-Weiß-Fotos besonders gut, ob an der Secession oder am Hauptbahnhof. Die Natur erfüllt Grüne Hoffnungen in Parks, romantisch am Donaukanal, zeitgeistig im Gemeinschaftsgarten Alsergrund, wo ein Hochbeet "Giess mich" fleht. Apropos Aufschriften: Dem Sinn auf der Spur sind Kirche und religiöse Gruppierungen, aber auch T-Shirt- und Rucksackträger. Highlight dieses Kapitels ist eine Spiegelinstallation im 7. Hof des Alten AKH, die den Fotografen und die Autorin in Personalunion zeigt. Den Ausklang bilden Wegsame Spuren, die sieben weißen Linien, die als Bodenmarkierungen blinden Menschen Orientierung geben sollen. Jedes der 13 Kapitel wird von einem Haiku eingeleitet. Diese japanische Form der Lyrik besteht aus 17 Silben (fünf, sieben, fünf, ohne Reim). Der abschließende liest sich so: Wegsame Spuren / Zielführendes Angebot / Liniengetreu.

hmw