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Clemens Riha, Bernhard Riha, Silke Farmer-Wichmann: Wenn Wände reden könnten#

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Clemens Riha, Bernhard Riha, Silke Farmer-Wichmann: Wenn Wände reden könnten Wiener Zinshäuser: Ihre Geschichte und ihre Geschichten. Mit Fotos von Karoline Rais und Illustrationen von Mele Brink. Verlag Kremayr & Scheriau Wien. 304 S., ill., € 29,90

Die "Hausherrensöhn'l", deren Vater "ein Hausherr und Seidenfabrikant" war, gibt es schon lange nicht mehr. Das Wienerlieder-Erfolgsteam Wilhelm Wiesberg und Johann Sioly hat ihnen um 1880 eines seiner typischen ironischen Couplets gewidmet. Der gemütliche Herr Papa mit Samtkäppchen und Meerschaumpfeife gehört längst ins Reich der Alt-Wien-Nostalgie. Auch das klassische Zinshaus ist eine bedrohte Art. Konkret gingen zwischen 2007 und 2021 pro Jahr 150 bis 200 Gebäude durch Parifizierung und Abriss verloren. Die rund 10.000 Gründerzeit-Zinshäuser machen nur noch 6 % des Wiener Gebäudebestands aus - und stetig wird er kleiner, schreiben Clemens und Bernhard Riha. Sie müssen es wissen. Die Immobilientreuhänder gründeten schon in jungen Jahren ihre Firma, die sich mit der Entwicklung von Zinshäusern beschäftigt. Dabei nennen die beiden Brüder das Sanieren von Altbauten ihre "größte Erfüllung". Mit diesem Buch stellen sie ihr Faible für geschichtsträchtige Objekte anschaulich unter Beweis. Der repräsentative Band - mit Texten der Autorin Silke Farmer-Wichmann und Bildern der Werbefotografin Karoline Rais - erinnert in seiner Professionalität an Publikationen, mit denen Makler Interessenten für Luxusobjekte suchen. Doch die rund 50 hier vorgestellten Häuser stehen nicht zum Verkauf. Ihre EigentümerInnen pflegen eine besondere Beziehung dazu. Sie haben dem Autorenteam viele persönliche Geschichten erzählt. Sie handeln vom Amok-Ninja von Favoriten, einem liebestollen Einbrecher mit der Stichsäge, einem sehr entbehrlichen Untermieter, aber auch lustigen Begebenheiten. Mele Brink hat sie in freundlichen Karikaturen festgehalten.

Die Textautorin Silke Farmer-Wichmann war ziemlich überrascht, dass Zinshäuser keine Goldgruben sind, sondern eher so etwas wie Sparschweinchen. Hingegen wissen die Immobilienprofis: Die Mietpreisdeckelung für Altbauten macht niemanden mehr reich. Im Gegenteil. Die geringen Renditen von durchschnittlich zwei Prozent können Zinshausbesitzer:innen ganz schön in Bedrängnis bringen, wenn notwendige Sanierungen anstehen, besonders, besonders bei alten Mietverträgen. Da ist ein Filetieren des Zinshauses in einzelne Wohnungshäppchen manchmal die einzige Möglichkeit, ein Zinshaus lukrativ zu verwerten. Daran wollten die InterviewpartnerInnen aber nicht einmal denken, noch weniger an Abriss und Neubau.

Nach einem einführenden Spaziergang lernt man in jedem Kapitel ein bis sechs Objekte aus (fast) jedem der 23 Wiener Bezirke kennen, die meisten klassische Zinshäuser. In der City sind auch Palais darunter, wie das Stadtpalais Liechtenstein in der Bankgasse 9. Das Majoratshaus der Fürstenfamilie wurde 2008 bis 2013 um 100 Mio. Euro revitalisiert. Es gilt als erstes bedeutendes Bauwerk des Hochbarock in Wien. Im 19. Jahrhundert erhielt es Neo-Rokoko-Interieurs und intarsierte Parkettböden von Michael Thonet. Etliche der vorgestellten Objekte sind seit langem in Familienbesitz und dem entsprechend mit Emotionen und Erinnerungen verbunden. Das Biedermeierhaus Wien 2, Obere Augartenstraße 52 hat der Urgroßvater des Mehrheitseigentümers 1918 erworben. Der Vorfahre, der in der Gegend noch zwei weitere Objekte besaß, ließ auf seinem Grabstein "Hausbesitzer und Bürger von Wien" eingravieren - damals durchaus üblich. Der jetzige Eigentümer, der im Haus wohnt, meint hingegen, er sei selbst sein bester Hausmeister.

Andere haben ihren Altbau erst in jüngster Zeit erworben und zu neuem Leben erweckt. Wien 5, Schlossgasse 15 war in den 1990-er Jahren das schiachste Haus der Gasse, heute eine grüne Oase und ein Musterbeispiel der Denkmalpflege. Ständiger Streit mit Handwerkern stand auf der Tagesordnung. Manche dachten, die Frau kennt sich eh nicht aus. Wilhelmine B. musste sich zur Wehr setzen, gewann acht Prozesse und meint nun: Wahrscheinlich hänge ich deshalb so an dem Haus.

Meist geht es um das Bewahren der gebauten Schätze, doch werden auch Beispiele der kreativen Nutzung und gekonnten Modernisierung vorgestellt. So verwandelte sich ein Offiziershotel im Bezirk Landstraße, Schützengasse 25, in ein Wohn- und Geschäftshaus und dessen Hintertrakt in ein Kunstatelier. Dem Eckhaus in Margareten, Schönbrunner Straße 111/Amtshausgase 9 sieht man sein Baujahr 1870 nicht an. Aus dem Keller wurde ein Wellnesszentrum und auf dem ausgebauten Dach überrascht ein 15 Meter langer Swimmingpool mit 26 Grad warmen Wasser.

Der Nobelbezirk Döbling ist mit drei Objekten vertreten. Theophil Hansen, von dem das Parlament, die Börse und der Musikverein stammen, baute in der Reithlegasse 10 für ein Mitglied der Familie Schwarzenberg. Manche Türschnallen in der Villa tragen die Beschriftung "Musikverein". Der gepflegte Garten ist eine Augenweide und auch über Garagen, die früher Pferden und Wagen Platz boten, dürfen sich die Mieter freuen Apropos, Garagen: Im Eckhaus Pyrkergasse 7/Vormosergasse 1 nehmen sie auf 60 m Länge den ganzen Keller ein. Zwar hat das Haus, ein Werk des Architekten Ernst Epstein, auf den in Wien an die 100 Objekte zurückgehen, seine Jugendstilfassade eingebüßt, wird aber trotzdem als "ein Zinshaus mit dem gewissen Etwas" vorgestellt. Goltzgasse 7 ging als "Dachausbau mit Granate und Gerüstturnier" in die Geschichtensammlung ein. Der Großonkel der heutigen Besitzer hat es 1910 für sich errichtet. Als Stadtbaumeister war er auf der Höhe der Zeit. Er dekorierte das Haus außen wie innen mit Jugendstilelementen und stattete es - seinerzeit nicht selbstverständlich - mit Fließwasser und elektrischem Licht aus. Aufgrund der soliden Bausubstanz wagten die Erben den Dachausbau, was bei ihnen vorerst einen kleinen Schock verursachte. In einem Hohlraum war ein Blindgänger versteckt. Der Fund ist nun ebenso eine Reminiszenz wie die mehrfachen Einbrüche über das Gerüst. Jetzt genießen die Besitzer von ihrem blühenden Dachgarten einen "atemberaubenden Blick über die Dächer Wiens". Dass das Autorenteam Gerlinde und Hans Hörmayer bei Kaffee und Zucchinikuchen interviewen durfte, ist diesem eine Erwähnung wert.

Überhaupt muss die Arbeit an diesem schönen Buch (Gratulation zu Idee und Ausführung!) eine sehr angenehme gewesen sein. Das merkt man den Geschichten im lockeren Plauderton, gepaart mit soliden Fakten aus dem Dehio-Kunsthandbuch und Fachkenntnis an. Die EigentümerInnen präsentieren sich als sympathische ZeitgenossInnen mit Verantwortungsbewusstsein und Liebe zu ihrem Besitz. Diese Liebe war an allen Ecken und Enden zu spüren und das machte es so schön, dieses Buch zu schreiben - ein Buch über Häuser und Menschen.

hmw