Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Elmar Samsinger - Christian Handl: Die Berndorfer Stilklassen#

Bild 'Samsinger'

Elmar Samsinger - Christian Handl: Die Berndorfer Stilklassen. Kral Verlag Berndorf. 196 S., ill., € 14,90

1843 war das Gründungsjahr der k. k priv. Berndorf-Metallwarenfabrik. Ihr Direktor Alfred Krupp kam aus Essen (D). Sein Bruder Hermann wurde technischer Leiter und stiller Teilhaber. In Berndorf begannen sie die Produktion mit 50 Arbeitnehmern, vier Jahrzehnte später waren es 1800. Die Fabrik erzeugte vor allem Tafelgerät und Kochgeschirr. Schon 1838 hatte Krupp eine Löffelwalze zur Herstellung von Besteck aus Alpacca - einer Kupfer-Zink-Nickel-Legierung - zum Patent angemeldet. Das in jeder Hinsicht günstigere "Neusilber" fand in der Gastronomie und Hotellerie, bei Bahn- und Schifffahrtsunternehmen dankbare Abnehmer..

1860 besaß das Werk die erste Dampfmaschine, 1877 einen Bahnanschluss, 1881 elektrisches Licht. Die Metall-Industriellen erwiesen sich - wie in Deutschland - in Niederösterreich als sozial denkende Unternehmer. Es gab nicht nur Krankenversicherung, Betriebsarzt und Fabriksschule. Arthur Krupp, der seinem Vater als Fabriksleiter nachfolgte, ließ eine ganze Stadt für seine Mitarbeiter errichten. Sein Hausarchitekt war Ludwig Baumann, der bei Gottried Semper studiert hatte und in Wien u. a. den Umbau der Hofburg leitete. Er plante in Berndorf u. a. zwei Cottage-Siedlungen für die Arbeiter, Infrastruktureinrichtungen wie Bäckerei, Speisehalle und Fleischfabrik und Kulturbauten wie das Theater. Der evangelische Bauherr ließ auch eine neobarocke katholische Kirche bauen und zwei "Schulpaläste" errichten.

Die nach seiner Idee gestalteten "Stilklassen" finanzierte er privat. Sie waren sein viertes Schulprojekt nach dem Motto Bildung macht frei - Bildung macht fein. Arbeiterkinder sollten, so Arthur Krupp, "frühzeitig das Gefühl für Schönes bilden". Das konnten sie später in die Firma einbringen. Krupp engagierte bekannte Künstler, neben Architekt Baumann, der die künstlerische Oberaufsicht erhielt, waren es Max Hegele, Planer der Luegerkirche am Zentralfriedhof, der Schulbaufachmann Hans Peschl, der k. k. Hof-Dekorationsmaler Wilhelm Ladewig, der den Wiener Rathauskeller dekorierte und Rudolf Jüttner, der prominenteste Kirchenmaler seiner Zeit. Gemeinsam mit Stuckateuren und Kunsttischlern schufen sie zwölf "Lehrzimmer" für die Knaben- und die Mädchenvolksschule.

Das Ägyptische Lehrzimmer gilt als großartigstes. Es repräsentiert das Alte Reich, in dem Ramses II. regierte. Arthur und Margret Krupp hatten das Land der Pharaonen bereist und waren begeistert. Auch ihre Arbeiterkinder sollten einen Eindruck davon bekommen. Das Dorische Lehrzimmer führt in das klassische Griechenland zur Zeit der großen Philosophen, der Perserkriege und des Kampfes zwischen Athen und Sparta. Einer vom Vesuv verschüttete Villa inspirierte das Pompejanische Lehrzimmer. Sein Mobiliar ist besonders aufwändig. Das Byzantinische Lehrzimmer erinnert an orthodoxe Kirchen der Spätantike. Markant ist die beschlagene Eichentür mit einem Löwen-Türklopfer aus Bronze. Er stammt, wie die phantasievollen Türschnallen, aus der Berndorfer Fabrik.

Über das Maurische Lehrzimmer schreibt Elmar Samsinger, es zieht einen in den Bann und lässt die Hochkultur von al-Andalus aufleuchten. Vorbilder waren die Holzdecke der Universitätskirche in Alcala de Hernares bei Madrid, die Goldene Pforte der Mesquita von Cordoba und Säulen der Alhambra. Das alles ist mit großer Phantasie historistisch zusammengesetzt. Im Romanischen Lehrzimmer erinnert das Portal an die Benediktinerabtei in Trebitsch, die Dekoration an den Dom von Pécs. Die Kassettendecke des Gotischen Lehrzimmers trägt neben den Wappen der Kronländer auch jene von Berndorf und der Familie Krupp.

Das Lehrzimmer der römischen Renaissance gemahnt an Florenz. Schloss Versailles war das elegante Vorbild des nach Ludwig XIV. benannten Zimmers. Für das "Barocke Klassenzimmer" stehen Hildebrandt, Prinz Eugen und sein Belvedere. Prachtliebe und Repräsentation im Kleinen strahlt auch das Klassenzimmer aus. Portal und Decke sind stuckbeladen. Am Rokoko Lehrzimmer zeigt sich die Differenzierung zwischen Mädchen- und Knabenvolksschule. Während sonst die Details unterschiedlich gestaltet sind, gibt es nur bei den Mädchen eine Rokokoklasse. In Pastellfarben, verspielten Formen und überquellendem Stuckdekor vermittelt sie den Eindruck eines höfischen Gesellschaftszimmers. Der Werkraum der Knaben ist dagegen schmucklos. Schließlich führt das Empire Lehrzimmer in die Zeit Napoleon Bonapartes. 2009 entstand ein Erweiterungsbau mit sechs neuen Stilklassen. Die HTL Malerschule Baden-Leesdorf gestaltete sie zu den Themen Impressionismus, Expressionismus, Kubismus, Dadaismus, Surrealismus und Popart.

Gekonnt verbindet Elmar Samsinger die Stilklassen mit ihrem historischen Kontext und in origineller Weise mit Kaufmannsbildern.. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts prägten die Sammelbilder, die man beim Kauf von "Liebigs Fleischextrakt" erhielt, die Vorstellungen der Konsumenten von fernen Ländern und fremden Völkern. Besonders begehrt waren historische und exotische Szenerien aus Afrika, dem Orient, Asien, Amerika und Ozeanien. Wilde Tiere, Eingeborenendörfer, exotische Früchte und fremdländische Bräuche wurden in eleganten Sammelalben gehortet. Einen Höhepunkt erreichte das Kaufmannsbild zwischen 1900 und dem Ersten Weltkrieg. Damals entstanden auch die Stilklassen. So bilden die kleinen Chromolithographien eine passende Ergänzung zu den Künstlerkarten von einst und den Aufnahmen, die der Profifotograf Christian Handl für das Buch angefertigt hat. Es war eine Herausforderung in belebten Schulklassen Museumsbilder zu gestalten, weiß der Autor. In der Gegenüberstellung mit den alten Ansichten kommen sie im zweiten Teil des Buches besonders gut zur Geltung. Zugleich dokumentieren sie die detailgetreue, einfühlsame Restaurierung der mehr als 100-jährgen Unterrichtsräume, die im Rahmen von Führungen zu besichtigen sind. Interessante Geschichten dazu kann man in diesem gelungenen Buch nachlesen.

hmw