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Daniel Habit, Christiane Schwab, Moritz Ege, Laura Gozzer, Jens Wietschorke (Hg.) : Kulturelle Figuren#

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Daniel Habit, Christiane Schwab, Moritz Ege, Laura Gozzer, Jens Wietschorke (Hg.) : Kulturelle Figuren. Ein empirisch-kulturwissenschaftliches Glossar. Festschrift für Johannes Moser. Mit Beiträgen von Alina Becker, Franziska Becker, Beate Binder, Annegret Braun, Christian Carbonaro, Eveline Dürr, Moritz Ege, Simone Egger, Katharina Eisch-Angus, Alexa Färber, Sönke Friedreich, Irene Götz, Laura Gozzer, Miriam Gutekunst, Daniel Habit, Emily Hartmann, Sabine Hess, Anja Kittlitz, Burkhart Lauterbach, Walter Leimgruber, Erwin Lindemann, Rolf Lindner, Nils Jul Nielsen, Max Ott, Sanja Potkonjak, Alex Rau, Olga Reznikova, Johanna Rolshoven, Regina Römhild, Kirsten Salein, Brigitta Schmidt-Lauber, Maria Schwertl, Friedemann Schmoll, Klaus Schriewer, Christiane Schwab, Alexandra Schwell, Nevena Škrbić Alempijević, Marketa Spiritova, Bernhard Tschofen, Libuše Hannah Vepřek, Jens Wietschorke. Münchner Beiträge zur Volkskunde, Band 49. Waxmann Verlag Münster - New York. 324 S., 37,90 .

Begriffe wie "typisch" oder "Stereotypen" für bestimmte Menschen(gruppen) werden meist abwertend verwendet. Wohl deshalb spicht die Kulturwissenschaft lieber von "kulturellen Figuren". Dieser Begriff "steht für einen dezidiert kulturwissenschaftlichen Ansatz, der literarisch-idiografischen Perspektiven, der konstitutiven Medialität von Figuren und Figurierungen sowie ihren performativen Aspekten. " Ein Forscher, der sich speziell damit auseinandergesetzt hat, ist Johannes Moser, der Leiter des Instituts für Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sein 65. Geburtstag ist für fast 40 FachkollegInnen Anlass für diese Festschrift, "die das facettenreiche Spektrum seiner kulturwissenschaftlichen Arbeit spiegeln und viele Menschen zusammenführen soll, die mit ihm wissenschaftlich sowie persönlich verbunden sind. " Der in Graz geborene Jubilar lehrte in Graz, Frankfurt, Dresden und München. Dementsprechend international sind die Beiträge. Manchmal übertrieben wirkendes Gendern erschwert die Lektüre der anspruchsvollen Texte.

Die Gliederung ist ebenso originell wie naheliegend. Die "Figuren" werden alphabetisch von "Anon" über "Ossis und Wessis" bis "Zuagroaster" gereiht. Speziell in Österreich vertraut sind "der echte Wiener", der "Steirerbua" und die "Zuagroasten". Der "echte Wiener" den Jens Wietschorke beschreibt, ist untrennbar mit der 1975 bis 1979 vom ORF produzierten Fernsehserie verbunden. Der Protagonist Edmund Sackbauer - dargestellt von Karl Merkatz - kommt wie der Autor Ernst Hinterberger aus dem Kleinbürgermilieu der Arbeiterviertel. "Mundl" wirkt wie eine Karikatur der "einfachen Leute". Der renommierte Schauspieler Karl Merkatz (Filme, Burgtheater, Salzburger Festspiele) lehnte die Rolle zunächst ab. "Dieser Edmund Sackbauer war ein ordinärer, brutaler Familienvater, der ohne Rücksicht auf Verluste alles niedergeschrien und zugeschlagen hat, wann immer ihm etwas nicht passte. Nein, so einen Menschen wollte ich nicht spielen." Das Drehbuch wurde nach den Wünschen des Darstellers adaptiert. Jens Wietschorke, der in Wien Universitätsassistent und stellvertretender Institutsvorstand war, ehe er nach der Habilitation nach München ging, schreibt: "Der Mundl ist ein proletarischer Trottel, dessen großspurige Reden keinerlei Rückhalt in seinem Verhalten finden. Talente scheint er wenige zu haben. Anstand auch nicht." Auf die Frage, "Was also ist echt am echten Wiener?" antwortet der deutsche Kulturwissenschaftler mit der bekannten Tatsache: "Authentizität ist immer im Auge des Betrachters." (Rolf Lindner). Er zitiert den Autor Ernst Hinterberger, der in seinen Romanen und Drehbüchern immer darauf bestanden hat, eine soziale Realität der Vorstadt zu porträtieren: "Des sand meine Leit". Wietschorke fasst zusammen: "Die Kombination aus plumper Übertreibung und feinstem Hintersinn sowie die humoristische Urgewalt des Wiener Idioms sorgen dafür, dass der Mundl nicht als schlecht gemachtes Klischee, sondern als schillernde und vielfach anschlussfähige popkulturelle Figur in das kulturelle Imaginäre der Stadt eingegangen ist."

Auch Bernhard Tschofen war am Wiener Institut tätig, er wirkt jetzt in der Schweiz. Sein Thema ist der "Steirerbua" wie im Jodler "I bin a Steirerbua, i hab a Kernnatur." Die erste bekannte Aufzeichnung stammt vom Wiener Bürgerschullehrer Karl Liebleithner, aus dem Jahr 1892. Um die Jahrhundertwende machten Schrammelmusiker und Salonjodler das Lied in Wien bekannt. Die (schon 1854 fertiggestellte) Semmeringbahn trug zur Popularität bei. Jubelfeste der Bahn und Sonderfahrten kamen nicht ohne den jungen Mann im Trachtengewand aus. Peter Rosegger berichtete von "Steirerabenden". Zuwanderer, die dank der neuen Bahnverbindung in Wien Arbeit fanden und sich in Gesangs- Heimat- und Trachtenvereinen hier trafen, sangen das Lied gerne. Im 21. Jahrhundert mutierte der kernige Älpler zum traurigen Wiener Straßensänger. Die Band S.T.S. widmete ihm 1984 den Song "Fürstenfeld". Bernhard Tschofen stellt fest: "Es übersetzt die Geschichte eines in Wien erfolglosen Straßenmusikanten aus der steirischen Provinz in Bild einer kaum verzeichneten Alltäglichkeit und war, wie das Lied, als Parodie gedacht. " Der Austropop-Hit beginnt: "Langsam find't der Tag sei End und die Nacht beginnt / In da Kärntnastroß'n do singt ana, "Blowin in the wind" / Hat a greanes Rökkel an, steht da ganz valurn / Und der Steffl, der schaut owi, auf den armen Steirabuam." Zum 75. Geburtstag von Arnold Schwarzenegger (2022) formulierten die Zeitungen "Vom Steirerbua zum Weltgewissen". Und der "Volks-Rock'n' Roller Andreas Gabalier bezeichnet sich gerne als "Steirer-Bua, der gelegentlich aneckt." Der Liedermacher und Weltmusiker Hubert von Goisern gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Neuen Volksmusik, die Rockmusik mit Elementen traditioneller Volksmusik kombiniert. Bernhard Tschofen stellt eines von dessen Liedern an das Ende seines Aufsatzes: "Sein in Text und Sound bewusst ambivalentes Stoasteirisch mit der Refrainzeile "I bin koan Steirerbua" erschien erst 2015, auf dem Album "Federn", und damit zu einer Zeit, als die distanzlose Bezugnahme auf die vom Steirerbuam respräsentierten Werte und Ordnungen längst wieder salonfähig geworden war: "I bin koan Steirerbua / I hab koan Kern-Natur / I mach euch g′wiss a Schand / Nit nur in Steirerland / I bin zwar gross und stark /Aber i tua ma hart / Mit dera Lederhosen-Musi dort."

Schließlich widmet sich Brigitta Schmidt-Lauber den "Zuagroasten". Ihr Text lässt ahnen, was eine einfache Internet-Recherche bestätigt. Die in Kiel geborene Universitätsprofessorin und langjährige Leiterin des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien. zählt selbst zu dieser Kategorie. Zuvor als Professorin am Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Universität Göttingen tätig, hat sie 2020 ihren Hauptwohnsitz nach Oberretzbach im Weinviertel verlegt. Dort betreibt sie, gemeinsam mit KünstlerInnen und Menschen aus der lokalen Bevölkerung das Projekt "SchauFenster". Auf der Homepage "About Schaufenster" schreibt sie: "Das SchauFenster sollte von Beginn an kein Treffpunkt für intellektuell-künstlerische Zweitwohnsitzer:innen sein, keine Kolonie zugezogener städtischer Milieus im ländlichen Raum verkörpern, sondern einen Ort des Austauschs der unterschiedlichen Menschen vor Ort, der Reflexion und der Abwechslung darstellen." Vorangegangen waren langjährige teilnehmende Beobachtungen in der Region an der tschechisch-österreichischen Grenze. Dort erhielt die Alltagskulturwissenschaftlerin "autoethnographische Einblicke, die mir ethnographische Einblicke verschafften." Ihr Resümee: "So sind Zuagroaste im nordwestlichen Weinviertel exemplarische 'neue' Mitbürger:innen, die gesellschaftliche Veränderungen verkörpern, das dörfliche Leben prägen und auf der Suche nach dem 'guten und richtigen Leben' ihre Landdomizile hegen und pflegen. Die Figur der 'Zuagroasten' ist Ausdruck der Zeit, insofern diese Lebensform oftmals mit einem erhöhten 'Natur'- und Nachhaltigkeitsbewusstsein einhergeht und soziales Engagement sowie Respekt vor den vorgefundenen Verhältnissen an den Tag legt. … Eine Sozialfigur wie der:die 'Zuagroaste' eröffnet mithin alltagskulturwissenschaftliche Zugänge zu allgemeinen Veränderungen gesellschaftlichen Zusammenlebens und seiner Folgen."

hmw