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Manfried Rauchensteiner: Betrifft Geschichte.#

Bild 'Rauchensteiner'

Manfried RAUCHENSTEINER: Betrifft Geschichte. Ein Streifzug durch die Zeiten. Böhlau Verlag Wien. 412 S., € 40,-

"Betrifft Geschichte" nennt sich nicht nur eine äußerst informativen Beitragsserie im ORF-Radio Ö1. Nun hat Manfried Rauchensteiner, der langjährige Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums (1992-2005) ein 400-seitiges Buch mit dem selben Titel herausgegeben. Der mehrfach ausgezeichnete (Militär-)Historiker begibt sich darin auf einen "Streifzug durch die Zeiten". Basis sind seine in verschiedenen Publikationen erschienen Artikel, Aufsätze und Feuilletons aus den letzten drei Jahrzehnten. In den Vorbemerkungen stellt der - inzwischen 81-jährige - Autor fest, dass es ihm "einigermaßen nicht leicht gefallen" ist, jene Arbeiten auszuwählen, die er selber gerne noch einmal lesen wollte.

Das erste Kapitel ist das kürzeste, obwohl es von mehreren Jahrhunderten handelt. "Gestalter der Geschichte" umfasst die Epoche zwischen 1500 und 1914. Maximilian I. eröffnet den Rückblick. "Er hatte den Landsknechten … eine straffe einheitliche Organisation gegeben. … Die Kanonen wurden zu einer notwendigen Begleitwaffe der infanteristischen Söldnerheere." Prinz Eugens Schlacht bei Zenta (1697) bildet den nächsten Schwerpunkt. Hier gewährt der Text, abseits der sonst dominierenden militärhistorischen Perspektive, Einblick in den Alltag der kämpfenden Männer: "Die meisten Soldaten waren abergläubisch, trugen in ihren Kleidern Zettel oder Symbole, gelegentlich auch Kräuter, die in das Gewand eingenäht waren, um kugelfest zu machen. Umgekehrt verwendeten sie beim Gießen von Kugeln alle möglichen Beigaben und Sprüche, um todsicher zu treffen." 1806 verzichtete Franz II. auf die Würde eines römisch-deutschen Kaisers. Er begründete das Kaisertum Österreich, das er als Franz I. bis zu seinem Tod regierte. "Die Preisgabe der römisch-deutschen Kaiserwürde war letztlich auch nichts anderes als ein Akt der Notwehr, denn es hatte bereits akute Gefahr bestanden, dass Napoleon I., der Kaiser der Franzosen, nach der Krone Karls des Großen griff. Und das sollte ihm verwehrt werden …" Nächstes Event: Die Enthüllung des Erzherzog-Carl-Denkmals auf dem späteren Heldenplatz. Von dem solcherart Geehrten wird berichtet, dass er eine Reform des Heerwesens eingeleitet hatte. "Österreichs Streitmacht war imponierend. Die k. k. Armee stellte 360.000 Mann ins Feld. … ", dazu kamen geschätzte 150.000 Angehörige von Landwehrtruppen. Dass es weit leichter ist, einen Krieg zu beginnen, als ihn zu beenden, galt besonders in der letzten Phase der napoleonischen Kriege. Bisher hatte meist Österreich die Auseinandersetzungen begonnen. "1813 war es jedoch das zum Binnenland und auf einen Gebietsrest reduzierte Österreich, das am intensivsten über einen neuen und vielleicht dauerhaften Frieden nachdachte." Der Wiener Kongress (1814/15) sollte nach der Niederlage Napoleons in den Koalitionskriegen Europa neu ordnen. "Dass Österreich auch die Kosten einer derartigen Monsterveranstaltung auf sich nehmen wollte, und das drei Jahre nach dem Staatsbankrott von 1811, irritierte zum wenigsten. … 'Kongressieren' war immer noch billiger als Kriegführen. Der gute Kaiser Franz machte sich aber zunächst noch keine Vorstellung von den Kosten …" Sie lagen umgerechnet bei 130 Mio. €. "Am 9. Juni (1815) unterzeichneten Vertreter Österreichs, Frankreichs, Englands, Preußens, Russlands, Schwedens und Portugals im Vorzimmer Metternichs das Dokument. … (Metternich) wollte durch eine Art Konferenzdiplomatie, bei der abermals Österreich die Hauptrolle spielen sollte, die Ordnung perpetuieren. Es ist ihm nicht gelungen."

Der Hauptteil, der rund die Hälfte des Buches ausmacht, umfasst die Kapitel "Von Sarajewo bis Padua, 1914-1918", "Republik und Diktatur, 1918-1938", "Der ' Führer' und die Folgen" sowie "Daheim und in der Nachbarschaft". Zum Ersten Weltkrieg zitiert der Autor den expressionistischen Dichter Georg Trakl: "Alle Straßen münden in schwarze Verwesung". "Dem Kaiser wurde die Kriegserklärung vorgelegt und er unterfertigte sie. … 17 Millionen Tote sollten folgen. " Die Opferzahlen des Zweiten Weltkriegs sind (laut "Wikipedia") umstritten. Dort heißt es: "Für die durch direkte Kriegseinwirkung Getöteten werden Schätzungen von 60 bis 65 Millionen angegeben. Die Schätzungen, die Verbrechen und Kriegsfolgen einbeziehen, reichen bis zu 80 Millionen." Der österreichische Historiker Ernst Hanisch hat festgestellt, "dass historische Perioden oft nicht das sind, was sie zu sein scheinen, die fünfziger Jahre länger dauerten als nur zehn Jahre, dafür das 20. Jahrhundert wiederum sehr viel kürzer war als 100 Jahre. Geschichte hält sich nicht an Kalender."

Der "Fall Waldheim" führt in die jüngste Gegenwart. ("Wikipedia" erinnert, dass Rauchensteiner 1987 Mitglied einer von der österreichischen Regierung eingesetzten Kommission war, die in Belgrad Archivmaterial zu Waldheims Tätigkeiten auf dem Balkan seit 1942 sichten sollte. Deren in kürzester Frist erstelltes und Waldheim entlastendes Ergebnis wurde jedoch als Rehabilitierungsversuch bewertet.) Rauchensteiner schreibt: "Ein britischer und ein amerikanischer Fernsehsender bereiteten ein Medientribunal vor. … Alles wurde fernsehgerecht aufbereitet, auch der Urteilsspruch des Lordrichters. Doch der sprach ein klares 'nicht schuldig'. Die vorgesehenen Wiederholungen des Fernsehprozesses wurden gestrichen."

Für den Abschnitt "Biografisches" wählte der Autor ganz unterschiedliche markante Persönlichkeiten aus: Prinz Eugen von Savoyen (1663-1736), vier Feldmarschälle der Albertiner (18. und 19. Jahrhundert), Clemens Lothar Fürst Metternich (1773-1859), Kaiser Karl (1887-1922), Stalin (1878-1953), Otto Franz Rösch (1917-1995) und Johann Christoph Allmayer-Beck (1918-2017). Der Doyen der österreichischen Militärhistoriker leitete von 1965 bis 1983 als Vor-Vorgänger Rauchensteiners das Heeresgeschichtliche Museum. "18 Jahre war er die Seele des Museums. Es war 'sein' Haus, das er neu- und umgestaltete, dessen Sammlungen er wissenschaftlich durchforstete und vor allem auch erweiterte."

Im Kapitel "Vom Sammeln und Ausstellen" nennt der Autor den ältesten Museumsbau Österreichs "eine zu Stein gewordene Idee". Selbst langjähriger Chef des Hauses im Arsenal macht er "Anmerkungen zu einem Leidensweg", spricht von Anforderungen, Überforderungen und Herausforderungen. Auch Kontroversen und Ärger verschweigt er nicht und schließt: "Für meine Person möchte ich aber doch deponieren, dass ich niemals Direktor eines 'Historyland' sein möchte." Stichworte im letzten Abschnitt "Nicht ganz Alltägliches" sind der Traditionstag der österreichischen Soldaten (seit 1955 am 7. September), Galeerensträflinge, Kampf um die Stadt, Heldenplatz, Nationalfeiertag, Erinnerung, Feindbilder und die Frage "Warum Krieg? Darüber diskutierten Sigmund Freud und Albert Einstein. "Auf die Frage Einsteins, wann die Menschen friedfertiger werden würden, wusste auch Freud nur zu antworten: Im Verlauf der Evolution. Nur wissen wir nicht, ob er damit Tausende, Zehntausende oder Millionen Jahre meinte."

hmw