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Notiz 011: Im Raum bestehen#

von Martin Krusche

Derzeit ist in meinem Blick auf die Region ein Achse skizziert, die mein Interesse geweckt hat: Gleisdorf – Weiz – Passail – Fladnitz. Das entspricht, wie im vorigen Eintrag erwähnt, einer Wegstrecke, wie jener von Gleisdorf nach Graz. Doch beide Routen sind völlig verschiedener Art, egal, ob man ein Auto wählt oder öffentliche Verkehrsmittel. Diese Strecken durchmessen Räume, die von grundverschiedenen mentalen Klimata bestimmt sind.

Künstler Hartmut Skerbisch (†) zwischen einigen seiner Objekte. (Foto: Martin Krusche)
Künstler Hartmut Skerbisch (†) zwischen einigen seiner Objekte. (Foto: Martin Krusche)

Darin liegt auch noch dieses alte Muster. Zentren haben sich entwickelt, indem sie ihre Peripherie zur Provinz machten. Wer aus tradierten Zuständen heraus wollte, mußte gewöhnlich in die Zentren abwandern. Daher im vorigen Eintrag auch der Satz: „Kommunikationstechnologie wandelt die Modalitäten der Raumüberwindung.“

Freilich gab es immer wieder Beispiel von Menschen, die in lokaler Enge um eine erstaunliche Weite gerungen haben. In diesem Zusammenhang betone ich gerne: was uns gelingt, ruht auf den Vorleistungen anderer.

Wo unser Komfort zunimmt, neigen wir dazu, Dinge als gegeben zu betrachten und für selbstverständlich zu halten. Wer das nicht durchbrechen kann, bleibt in der Kunst aussichtslos und schlittert meist ins Dekorationsgeschäft.

Ich finde es reizvoll, gelegentlich hinter meine eigenen Denkkonventionen zu kommen. Das ist einer der Gründe für mein Faible, ab und zu antike Texte zu befragen. Irgendwann waren Dinge noch nicht geklärt. Jemand mußte Entscheidungen treffen, um einen Denkansatz dingfest zu machen.

Euklid lebte vermutlich im dritten vorchristlichen Jahrhundert. Ihm wird diese Aussage zugeschrieben: „Ein Körper ist, was Länge, Breite und Tiefe hat.“ Ferner: „Eines Körpers Grenze ist Fläche.“ Wer denkt, das sei banal, ignoriert die Vorleistungen anderer, aufgrund derer man zu so einer anmaßenden Meinung gelangen kann.

Diese Sätze sind anschauliche Beispiele, wie Menschen zu abstrahieren gelernt haben. Ich bin manchmal sehr davon bewegt, daß wir Quellen haben, die uns das zeigen. Das kann sogar tanzen. Euklid: „Eine Kugel, Sphera, ist der Körper, welchen der Halbkreis beschreibt, der sich um seinen unverrückbaren Durchmesser einmal ganz herumdreht.“

Es hilft mir, ab und zu Gedanken aufzugreifen, die eine Vorstellung bieten, wie etwas gedacht wurde, als es noch nicht selbstverständliches Gedankengut war. Ernst Mach verstand den physiologischen Raum als einen unserer sinnlichen Anschauung, „den wir bei vollem Erwachen unseres Bewußtseins fertig vorfinden“; im Gegensatz zum begrifflichen, zum metrischen Raum.

Künstler Niki Passath in seinem Atelier. (Foto: Martin Krusche)
Künstler Niki Passath in seinem Atelier. (Foto: Martin Krusche)

Als Autor pflege ich ein Vexierspiel zwischen begrifflichen und sinnlich-realen Räumen. Das erzwingt fast schon Schnittstellen zu anderen Kunstformen, die körperliche Objekte hervorbringen, in den Raum gehen. Aus Gesprächen mit Hartmut Skerbisch hab ich die Anforderung in Erinnerung, ein Werk müsse „im Raum bestehen“. Das wurde für mich zu einem sehr schönen Prinzip, das in meinem Rückblick ein „Der Satz muß im Raum bestehen“ wird. Ich vermute, an Skerbisch wurde oft unterschätzt, wie wichtig im Nuancen waren.

Wenn ich derzeit einerseits meine Verständigung mit Michael Maier vertiefe, andrerseits die mit Niki Passath weiterzeichne, hat das viel mit meinem Bedürfnis zu tun, immer wieder aus dem Begrifflichen herauszukommen.

Ich hab mehrfach davon gesprochen, abseits des Landeszentrums ein Leben in der Kunst zu führen, ohne vom Kulturbetrieb völlig abgeschnitten zu sein. Dazu können wir heute recht junge Kombinationen von individueller Mobilität und Kommunikationstechnologie nutzen.

In dieser Gemengelage tauchen freilich auch Fragen nach dem Broterwerb auf. Die werden gerade im Genre Kunst traditionsgemäß vollkommen besinnungslos mit anderen Fragen vermengt. Es ist verblüffend, welch energische Zurufe immer wieder aus dem Publikum hereinkommen, die uns Künstlern empfehlen, wie wir uns zu Geld verhalten sollen.

Mein Standard-Einwand: Broterwerb ist eine soziale Kategorie, keine der Kunst. Natürlich ignorieren Leute wie wir den Markt nicht, denn wer ohne Alimentierung durch andere Menschen zurechtkommen muß, bleibt auf ein angemessenes Jahreseinkommen angewiesen. Das verhindert keineswegs eine kritische Einstellung zum Markt und zum Regelbetrieb. Es sind oft die größten Heuchler aus anderen Metiers, die uns Künstlern eine Art skurriles „Reinheitsgebot“ aufbürden möchten, indem sie die Verquickung von „wahrer Kunst“ und schnödem Geld als anrüchig behaupten.

Dieses dümmliche Delegieren eigener Ansprüche, denen man sich als nicht gewachsen erweist, gehört zum Standardprogramm kleinbürgerlichen Kunstverständnisses, mit dem wir uns nicht weiter zu befassen brauchen.

Di grundverschiedenen Bedingungen der urbanen Räume und der Provinz bilden sich in vielen Details ab. (Foto: Martin Krusche)
Di grundverschiedenen Bedingungen der urbanen Räume und der Provinz bilden sich in vielen Details ab. (Foto: Martin Krusche)

Stefan Ripplinger hat in seinem Essay „Vergebliche Kunst“ klar auf den Punkt gebracht, wovon hier unter anderem die Rede ist, wenn nämlich „die Künstler zu Vermarktern werden, lösen sie auf, was sie schufen. Kunst verliert sich in der Ware.“

Da will dann also ein Teil des werten Publikums angeblich mich vor solchem Malheur beschützen, indem es mir einen „sauberen Umgang“ mit Geldfragen rät? Dabei will es mich in das Geschäft seiner eigenen Sinnstiftung einspannen. Daher bevorzuge ich, daß wir solche Aufgaben hübsch trennen. Ich regle mein Verhältnis zu Kunst, Waren und Markt selbst und sie mögen ihre Sinnfragen eigenständig bearbeiten, ohne mich dabei zu instrumentalisieren.

Damit kann ich mich wieder der Raumfrage widmen, die zwischen mir und anderen Kunstschaffenden steht. Was uns an physischer Distanz trennt, will auf vielfache Art überbrückt werden.

Manches ereignet sich in Ansässigkeit. Anderes wird zur Quest. Zur Reise, zu einer Abenteuerfahrt, die Klärungen bringen soll. Raumüberwindung. Apropos antike Texte. Aischylos läßt Klytaimnestra in der Orestie „Agamemnon“ an einer Stelle sagen: „Es braucht zur Heimkehr noch zurück die zweite Fahrt, bevor des Seezugs Doppelbahn vollendet ist.“ Ausfahrt. Heimkehr. Das unverzichtbare Wechselspiel im Raum…