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Schichten und Nuancen#

(Nach einer Kontroverse mit Ada Kada)#

von Martin Krusche

Vorweg, im Grunde gehört es seit wenigstens Anfang der 1990er Jahre zum Grundwissen in der Netzkultur, daß Chats erstens meist härter wirken, als sie intendiert sind und zweitens die Online-Medien ein Tempo ermöglichen, welches Eskalationen fördert. Das ist allerdings durch jüngere Entwicklungen neu sortiert worden.

Ada Kada: Lichttrommel auf A Punkt H Punkt Platz.
Ada Kada: Lichttrommel auf A Punkt H Punkt Platz.

Was in den frühen Tagen der Netzkultur als „Flaming“ galt, das Beschimpfen und Schikanieren von Andersdenkenden, war ursprünglich in Foren verpönt und wurde gewöhnlich von der Administration abgestellt. Manche „Trolle“ wechselten dann gerne ihre Identität, um sich erneut in Gruppen breit zu machen und sich in das Leben anderer Menschen zu bohren.

Daher kam die Empfehlung „Don’t feed the troll!“ Füttere den Troll nicht, geh nicht auf seine Inputs ein, das ermutigt ihn bloß zum Weitermachen und erhöht das Risiko, daß die Gruppe gesprengt wird. So viel als kleine Vorgeschichte, um darauf hinzuweisen, daß wir solche alten Netzkultur-Konventionen nicht mehr haben. Die Social Media wurden längst zu virtuellen Terrains, wo das „Flaming“ und das „Trollen“ zu üblichen Verhaltensweisen zählt.

Daraus folgt, daß wir für unsere Kommunikationssituationen selbst in höherem Maß verantwortlich sind als in den frühen Netzkultur-Tagen. Facebook ist ein Paradies der kleinen und großen Schlachten. Hier kann man jeden Tag, jede Stunde neuen Ärger kriegen oder mit Menschen Streit anzetteln. Soweit der Hintergrund dieser Episode, bei der es bald darauf ankam, Schichten und Nuancen zu erkennen.

Kontroversielles#

Ich habe auf der Website von Kunst Ost eine Glossen-Serie eingerichtet, die von einer Gleisdorfer Protestbewegung ausgelöst wurde, denn unter meinen Fenstern tut sich inzwischen allwöchentlich viel zum Thema Corona, wobei sehr unterschiedliche Stimmen laut werden. Manche dieser Stimmen werben für dubiose Lager. Auf dieser Leiste wurde „Ada Kada: Zwischenstand“ zu meinem ersten Beitrag des 2022er Jahres.

In dieser Notiz heißt es unter anderem: „Ada Kada ist eine Künstlerin, die in Graz einige markante Akzente gesetzt hat. Sie ist Impfpflichtgegnerin. Damit steht sie in einem anderen Lager als ich (mit meinen bisher drei Impfungen). Da derzeit maßgebliche Kreise Österreichs übereingekommen sind, daß es eine Impfflicht geben soll, ist Ada Kada erheblich unter Druck geraten, denn diese Verpflichtung, bei Weigerung mit Strafe belegt, wird höchstwahrscheinlich kommen.“ (Dieses „höchstwahrscheinlich“ ist inzwischen relativiert, denn die aktuelle Omikron-Variante des Virus zeigt Wirkungen, die einen so massiven Eingriff in Persönlichkeitsrechte vermutlich nicht mehr rechtfertigen.)

Ada Kada
Ada Kada

Wir hatten im Facebook eine kleine Kontroverse. Dabei notierte ich unter anderem: „gut, text hat immer kontext und subtext. ergo pägt meine lesweise meine schlüsse daraus. was ich neuerdings hier gesehen und gelesen hab, zeigt mir eine ada kada in präfaschistischer pose, hinreichend begabt, eine neofaschistin zu werden. aber vielleicht hab ich was übersehen und meine deutung hinkt. wird sich ja noch weisen.“

Das ergab freilich Klärungsbedarf. Künstlerin Ada Kada hat, wie ich später erfahren konnte, eine anarchistische Seite, ist mit Leuten der Antifa vertraut, war also ihrerseits einigermaßen verdutzt, so eine Mitteilung zu erhalten. Ich meinte im weiteren Verlauf: „ich weiß im moment noch nicht, ob du da grade in eine rolle geschlüpft bist oder deine realen ansichten zur debatte stellst. das machen mir die postings noch nicht hinreichend klar.“

Mir war überdies wichtig festzustellen: „ich bin übrigens überzeugt, daß man in einer demokratie alles, ausnahmslos alles, denken und sagen kann. keine limits. aber man kann nicht alles publizieren, ohne einwände zu kassieren. also: kickl-hupe, afd-ministrantin, sowas schert mich nicht, ist bloß kolorit.“

Damit wollte ich klar machen, daß ich kein Problem habe, mich mit Menschen zu unterhalten, deren Ansichten ich ablehnen muß. Das sind zwei verschiedene Aspekte menschlicher Gemeinschaft. Ich bin aber kompromißlos für einen Bann menschenverachtender Publikationen. Wir haben unsere Reglements für den öffentlichen Diskurs nun mehr als ein halbes Jahrhundert lang bearbeitet und präzisiert. Das betrifft Österreich und Deutschland in der Nachfolge jenes Deutschen Reiches, in dem der Holocaust erdacht und realisiert wurde, um diese Verbrechen quer über den Kontinent zu verbreiten.

Verständigungsschritte#

In anderen Ländern finden wir folglich nicht die gleichen Haltungen, Bedingungen und Reglements. Ada hatte vorgeschlagen, daß wir unsere Debatte in realer Begegnung fortführen. Gute Idee, denn Telekommunikation läßt – wie eingangs beschrieben - vieles schärfer erscheinen, als es intendiert war. Das mögliche Tempo der Dialoge vertieft Differenzen, während wir auf das Lesen von Gesten und Mimik (als zusätzlicher Information) verzichten müssen.
Klaus Messner
Klaus Messner

Unser Gespräch ging dann über einige Stunden. Klaus Messner vom Kollektiv „zweite liga für kunst und kultur“ hatte sich zu uns gesellt. Wir gingen in eine Praxis des Kontrastes, bei der sich eine ganze Reihe von Schnittpunkten herausarbeiten ließen, zu denen wir Konsens haben.

Da tut sich vor allem ein breites Kontext-Feld auf. Ada stammt aus Polen, hat rund ein Jahrzehnt in Spanien verbracht, dann etliche Jahre in der serbischen Vojvodina, lebt nun in Österreich. Das heißt, ihre Biographie hat sich vor einer ziemlich breitformatigen und in die Tiefe gestaffelten historischen Hintergrundfolie entfaltet. Zeitgeschichte brachial!

Konkreter, weil ich nicht voraussetzen kann, diese Details seien allgemein geläufig: Polen war das erste Land, das Hitler überfallen ließ. Eine junge Nation, die davor lange hat ringen müssen, um die Teilung in der Herrschaft von Österreich, Preußen und Rußland loszuwerden. Spanien mit seinem Bürgerkrieg, der auch ein Trainingsfeld unserer Faschisten war (Legion Condor etc.), das Franco-Regime. Serbien mit dem hohen Blutzoll serbischer Leute im Konzentrationslager Jasenovac, einem Sonderfall, von kroatischen Ustaschen betrieben. Nun Österreich, wo das alles noch viel zu jung ist, als daß wir den Faschismus unter unseren Leuten verläßlich abgearbeitet und gebannt hätten.

Ada Kada hat sich in letzter Zeit vor allem auf Arbeiten im öffentlichen Raum konzentriert. Aktuell die „Lichttrommel auf A Punkt H Punkt Platz“. Klaus Messner ist mit dem performativen Bereich und dem direkten Dialog mit Publikum bestens vertraut. Außerdem repräsentieren wir verschiedene Generationen, wurden in unterschiedlichen Zeitfenstern sozialisiert.

In all dem mag ein weiterer Hinweis liegen, daß Ada Kada nicht zu einer präfaschistischen Position neigt. Ich hab mit ihr und Messner erörtert, worauf es sich nun konzentrieren ließe, wenn wir zum Beispiel mit künstlerischen Mitteln auf die gegenwärtige Situation regieren.

Taugliche Befunde#

Um nun auf Genauigkeit zu achten, scheint es nützlich, unsere Begriffe zu überprüfen. Ein Hinweis aus meiner Mantra-Kiste: Wenn wir keine Begriffe haben, wissen wir nicht, worüber wir reden. Es geht um einen stichhaltigen Befund des Status quo, damit der Arbeitsansatz stimmt.

Wir haben zwischen 2010 und 2020 eine Serie krisenhafter Momente durchlaufen, die sich kurios verbinden, verdichten. Das wurde jüngst vom Corona-Problem hart konturiert. Dabei mußten wir mit mehreren Regierungen zurechtkommen, da etliche Kräfte in Regierungsämtern oder Regierungsnähe eine staunenswerte Dichte an Fehlleistungen abgeliefert hatten.

Mahnmal auf dem Boden des Konzentrationslagers von Jasenovac.
Mahnmal auf dem Boden des Konzentrationslagers von Jasenovac.

Dazu eine Menge Probleme mit Krisenmanagement und Krisenkommunikation im Corona-Kontext. Aber welche Krisen? Ein interessantes Konvolut. Die Weltwirtschaftskrise im Kielwasser amerikanischer Malversationen und Drecksgeschäfte der Jahre 2008/2009 (Lehman Brothers und Konsorten.) Big Data. Wir stecken überdies mitten in der Vierten Industriellen Revolution und die meisten Leute haben es noch nicht bemerkt.

China mischt die Weltwirtschaft auf, greift nach Europa (und nach anderen Kontinenten), dürfte auch soziokulturell in unsere Richtung anschieben. Donald Trump hat tragende Konzepte der Demokratie sturmreif geschossen. Durch den Run auf das Kapitol vor rund einem Jahr wurde deutlich, wie knapp es war, auf daß der frisch gewählte Joe Biden hätte gleich wieder fallen können.

Putin klopft in Europa heftig auf den Busch, um zu klären, wie stabil hier nun welche Machtverhältnisse sind. Derweil haben wir uns von massiven Fehlern im Umgang mit Flüchtlingsbewegungen noch nicht erholt. Zugleich stehen wir vor dringenden Fragen und interessanten Aufgaben, was Klimabelange angeht.

Während wir für all das, zuzüglich der Corona-Probleme, ein stabiles Gemeinwesen dringend brauchen, so auch hauptsächlich kompetente Personen in Politik und Verwaltung, feiert die Neue Rechte ihre Ernte aus rund 40 Jahren konsequenter Arbeit. (Siehe dazu meine Notiz „Bücher und Klarheiten“!)

Bei den Gleisdorfer Protestzügen hab ich es oft hören können: „Frieden, Freiheit, keine Diktatur!“ Ein Slogan der antisemitischen Qanon-Bewegung, in deren Spur wir inzwischen zunehmend Berichte finden, wie Medienleute und medizinisches Personal beschimpft, bedroht, auch körperlich attackiert werden. (Das wäre dann wohl „Demokratie neu“.)

Stolpersteine am Grazer Griesplatz
Stolpersteine am Grazer Griesplatz

Eine wachsende Brutalisierung unserer Gesellschaft ist in vielen Winkeln unübersehbar, während wir in den schon genannten Umbrüchen stecken, die kraftvoll bearbeitet werden sollten. Wie auch immer, ich will mit Kada und Messner nächste Schritte tun. Wir werden nun nichts gründen, denn alles, was man gründen könnte, wurde längst gegründet.

Wir wollen erst einmal unsere Verständigung voranbringen, um zu erkunden, auf welche Art uns all das gemeinsam etwas angeht. Begriffe, prüfen, Konsens-Check, Optionen abklopfen. Wenn wir sehen, wo nun die individuellen Prioritäten liegen, zeigt sich, welche Schnittpunkte es allenfalls nahelegen, ein gemeinsames Vorhaben zu bereden. Für die restlichen Optionen genügen aktive Anwesenheit und adäquates kommunikationsverhalten.