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Schönheit#

(Ein Exkurs)#

Von Martin Krusche#

Erscheinung, Klang, Geschmack, der ja zu einem wesentlichen Teil vom Geruch bestimmt wird, aber auch Worte, Sätze, Gedanken, Prozesse; auch wie sich etwas anfühlt, wenn man es berührt… Ich habe nun eine Reihe von Gesprächen geführt, in denen ich von folgender Frage ausging: Ist Schönheit ein Inhalt und ein Statement oder etwas anderes?

Solche Erörterungen kann man mit einem populären Bonmot sofort beenden: „Schönheit liegt im Auge des Betrachters.“ So mag sich jemand aus der Affäre ziehen und die Stagnation begrüßen.

Wenn wir nicht mehr in Frage stellen, was wir zu wissen meinen, sind wir im Status trivialer Formationen angelangt. Da geht nichts schief, da passiert nichts, da gibt es keine Überraschungen, aber auch keine Entwicklung.

Ganz so wie bei der Evolution selbst, die ja am liebsten stabile Verhältnisse herstellt? Oder? Genau! Es ist ganz anders! Stagnation ist immer ein alarmierender Zustand. Zustandsänderungen führen uns in die Zukunft.

Wovon ausgehen?#

Um es klar zu machen, das waren nun Erörterungen im Zusammenhang mit ganz verschiedenen Kompetenzfeldern. Schönes kann einen erfreuen. Aber die häufigste Antwort lautetet in meinen Gesprächen: Nein, Schönheit ist kein Inhalt. Was dann? Eine Relation. Ausdruck der Wechselwirkung verschiedener Fakten und Inhalte. Ich werde eine Statue, ein Gebäude, ein Automobil vermutlich erst dann für schön halten, wenn mich diese Erscheinungen rundum, wenn sie mich aus ganz verschiedenen Blickwinkeln beeindruckt haben. (Selbst die Redensart „Form folgt Funktion“ kam nicht von einem Techniker, sondern von einem Bildhauer.)

Monika Lafer und Richard Mayr
Monika Lafer und Richard Mayr
Norbert Gall
Norbert Gall

Wir haben aus dem antiken Griechenland allerhand Schönheitsideale und einschlägige Debatten erhalten. Renaissance, Klassizismus… DADA! Die Diskussionen enden nicht. Mindestens im Zusammenhang mit alten Handwerkstechniken erwarten wir üblicherweise, daß Praktisches auch schön ist, daß ein Handwerker ästhetische Qualitäten bieten kann. Eigentlich geht es immer darum, welche Wahrnehmungserfahrungen bei uns ausgelöst werden.

Petra Kickenweitz und Chris Scheuer
Petra Kickenweitz und Chris Scheuer

Ästhetische Erfahrungen#

Ich hatte jüngst zwei Anlässe, dieses Thema zu forcieren. Einerseits eine Ausstellung mit Arbeiten von Joseph Beuys, andererseits eine persönliche Begegnung, die mich ins Grübeln brachte. Was Beuys angeht, gibt seine Arbeit reichlich Anlässe, um über das Verhältnis zwischen Inhalt und Form zu reden. Zwar hat uns Beuys auch Werke hinterlassen, deren formale Schönheit unbestreitbar ist, aber sehr vieles kommt für diese Einstufung nicht in Betracht.

Mir war schon im ersten Moment klar, was Graphic Novelist Chris Scheuer bewegte, auf den Teil einer Beuys-Arbeit mit dem Pinsel zu reagieren. Ich hab das ins Zentrum einer eigenen Zeit.Raum-Episode gestellt. („Der Strich“, siehe den Link am Seitenende!) Ein Exponat, anhand dessen sich gut über Schönheit sprechen läßt.

Bezugssysteme #

Doch in der Kunst greifen verschiedene Bezugssysteme. Zwei davon sind dominant: Die Welt der Sinnlichkeit und die Regeln der Kunst. Sinnliche Wahrnehmung verrät uns, ob wir etwas als schön oder häßlich empfinden, ob es uns anspricht oder nicht. Das ist sehr individuell. Wahrnehmung, altgriechisch: Aisthesis, schafft eine persönliche Auffassungen von Ästhetik.

Dem kann ein Werk nach den Regeln der Kunst völlig entgegenstehen, sogar widersprechen, und ist womöglich dennoch ein bedeutendes Kunstwerk. Auch wenn es von niemandem als schön empfunden werden sollte. Selbst das Abstoßende kann nach den Regeln der Kunst bedeutend sein.

Wer bestimmt diese Regeln? Ein Bonmot besagt: „Was Kunst ist, bestimmen Menschen, die etwas von Kunst verstehen.“ (Das könnte von Franz West stammen.) Der Satz hilft uns nicht weiter, sondern ist ein Ausdruck von Ironie.

Regeln der Kunst ergeben sich aus laufender Kunstpraxis und Reflexion, aus den Debatten, die in verschiedenen Metiers geführt werden. Kunstschaffende aller Couleurs, Sammler, Feuilleton, Markt, Legionen von Interessierten führen derlei Debatten. Seit wenigstens zweieinhalb Jahrtausenden wissen wir davon, weil Texte überliefert wurden.

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Richard Mayr mit einem Modell des Alfa Romeo Giulia-TZ von 1963 im Design von Ercole Spada

Ich gehe hier nicht näher auf den alten Streit ein, ob erlesene Kennerschaft oder der Geschmack eines Massenpublikums eher recht haben. Allein die Themenstellung verrät schon, daß hier verschiedene Lager konkurrieren. Da wird es zu keiner Fusion kommen, Konsens ist offenbar kaum notwendig.

Kontraste#

Ich hab eine Begegnung erwähnt. Das meint eine Frau, die ich für schön halte und die vermutlich kaum die Hälfte von dem auf die Waage bringt, was mich ausmacht. Daran fand ich zweierlei interessant und wollte es genauer wissen. Erstens: wie ist es, physisch als so zartes Wesen in der Welt zu sein? Das kann sich jemand nicht vorstellen, der selbst wie eine Werkbank gebaut ist und sein halbes Leben lang immer dort durch Mauern rannte, wo es ihm gerade paßte, statt sich nach einer Tür umzusehen.

Und wie mag es sein, als schöner Mensch in der Welt zu sein, auf den übrige Menschen selbstverständlich anders reagieren als auf unscheinbare oder gar abstoßende Leute? Zusammengefaßt: da hab ich nichts erfahren. Darüber konnte ich kein Gespräch erreichen. Das kam auch in einigen anderen Begegnungen so. Zumindest so viel hat sich bestätigt: egal, wie attraktiv ich jemanden finde, das deckt sich eventuell nur wenig mit der Selbstwahrnehmung dieser Person.

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Pädagoge Franz Wolfmayr (links) und Architekt Winfried Lechner, beide in verschiedenen Genres versiert, bei denen es auf Schönheit ganz erheblich ankommen kann; was den Grill und das Weinsortiment einschließt.

Menschen, die ich schön finde, an denen ich nichts aussetzen kann, entdecken an sich selbst allerhand Kritikwürdiges. Vielleicht liegt darin ein Hinweis, der Platon und Aristoteles in ihrer Auffassung bestätigt. Nämlich: der Mensch sei ein „Zoon politikon“, ein Wesen, das zum Leben in Gemeinschaft neigt. In eben dieser Gemeinschaft, in wechselseitiger Wahrnehmung und Kommunikation darüber entstehen dann einige Klarheiten. Eben auch zur Frage nach der Schönheit. In wechselnden Schwerpunkten, mit wandelbaren Idealen.

Aber seit der griechischen Antike sind allerhand grundlegende Motive bestenfalls variiert, auch kontrastiert, jedoch nicht abgeschafft worden. Ich nehme an, wir sollten in einer weiteren Debatte über Archetypen reden, die einiges mit der Conditio humana zu tun haben, soweit ich sie nicht für universell halte. Denn für die gesamte Menschheit wird sich kaum allgemeinverbindlich sagen lassen, was das Schöne sei.


Zu den Bildern#

Auf den Fotos sehen Sie: Norbert Gall (Marketingfachmann), Petra Kickenweitz (Architektin), Winfried Lechner (Architekt), Richard Mayr (Fotograf), Monika Lafer (Malerin, Kunsthistorikerin), Chris Scheuer (Graphic Novelist) und Franz Wolfmayr (Pädagoge). Norbert Gall hatte zu Anschauungszwecken eine kleine Auswahl von Automobilminiaturen mitgebracht, wobei dem Designer Ercole Spada (Zagato) besonderes Augenmerk galt.