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Ökotourismus statt Rinderweide #

Wie ein Viehzüchter seinen Landbesitz im kolumbianischen Urwald für Ökotourismus öffnete, anstatt ihn als Weidegrund zu nutzen und abzuholzen. Ein seltener Lichtblick in einer Region, die gerade der Fleischindustrie zum Opfer fällt. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Die Furche (24. September 2020)

Von

Ralf Leonhard


Hin zum Ursprung. Das Naturschutzgebiet El Horeb ist auf eine private Initiative hin entstanden und zieht nun immer mehr Menschen an, die ursprüngliche Natur zu genießen.

Don Alfonso Ovalle sieht eigentlich wie der typische kolumbianische Viehzüchter aus: einen breitkrempigen Strohhut auf dem Kopf, Schnurrbart, sonnengegerbte Haut. Vor knapp zwei Jahrzehnten war er auch noch überzeugt, dass die Rinderwirtschaft ihn und seine Familie ernähren würde. 1995 kaufte er ein Grundstück im Caquetá, einer Region im Süden Kolumbiens, wo der dichte Urwald in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter abgeholzt, niedergebrannt und in Viehweiden verwandelt wurde. Die feuchtheiße Gegend knapp nördlich des Äquators wurde gleichzeitig immer mehr in den Strudel des bewaffneten Konflikts hineingezogen. Kleinbauern entdeckten den Coca-Strauch als hochrentable Ergänzung zum Subsistenzanbau, die ihnen erlaubte, die Kinder in die Schule zu schicken und sich den einen oder anderen Luxus zu leisten. Für die FARC-Guerilla wurden die Plantagen zur sicheren Einkommensquelle, als sie begann, von den Bauern Schutzgelder einzuheben. Im Gegenzug hielt sie ihnen die Armee vom Leib, die mit mechanischen oder chemischen Mitteln gegen die verbotenen Kulturen zu Felde zog. „Der Caquetá war damals das Ende der Welt in Kolumbien. Das Land gehörte niemandem, jeder konnte sich hier niederlassen, Urwald roden und Weidegras säen.“

Das Paradies neu entdeckt #

Zwei Generationen später entdeckte Alfonso Ovalle, dass der Wald auf seinem 80 Hektar großen Grundstück ein kleines Paradies war. Als er die abgeholzten Flächen wieder zuwachsen ließ, hielten ihn Nachbarn und Kollegen für verrückt. Sein Plan, Touristen anzulocken, galt als hoffnungslos utopisch: „Die Leute machten sich lustig. Wie sollten Touristen kommen, wenn hier in der Gemeinde La Montañita schon zwei Bürgermeister ermordet wurden und jede Woche zwei bis drei Tote zu beklagen waren?“ Die FARC überfielen Dörfer, und es herrschte Angst auf dem Land. „Aber wir haben trotzdem angefangen.“

Damals herrschten noch Kriegsbedingungen, und ohne Rücksprache mit der Guerilla war nicht daran zu denken, Fremde in den Wald zu bringen. Man musste also ins Gespräch kommen, erinnert sich Don Alfonso: „Ab einem bestimmten Moment stellte sich heraus, dass die FARC eigentlich strategische Verbündete waren weil sie den Wald schützten. Uns haben sie nichts getan, und sie halfen uns, den Wald von illegalen Jägern, Holzfällern und Räubern seltener Tiere freizuhalten. Die Behörden waren dazu nicht imstande.“ Trotzdem hatten die Leute noch Angst. Vor drei Jahren hat sich dann alles geändert, als das Friedensabkommen zwischen Regierung und FARC unterzeichnet wurde. Seither habe sich die Besucherzahl vervielfacht, freut sich Ovalle, dessen Stand auf der Tourismusmesse in Bogotá bestens besucht ist.

Die Tourismusmesse in Bogotá Ende Februar ist jedes Jahr ein Treffpunkt, wo Vertreter von kleinen Projekten oder ganzen Regionen mit Reiseveranstaltern zusammenkommen. Das koloniale Juwel Cartagena an der Atlantikküste mit breiten Stränden vor der Tür ist schon lange ein Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Archäologisch Interessierte kennen die präkolumbischen Statuen von San Agustín und das prächtige Goldmuseum in Bogotá. Doch als Tourismusland ist Kolumbien bisher eher ein Geheimtipp für Reisende mit einer Dosis Abenteuergeist gewesen. Als einziges Land in Südamerika kann Kolumbien mit langen Küsten an Atlantik und Pazifik aufwarten. Drei Gebirgszüge der nördlichen Anden und Anteile am Amazonas wie auch am Orinoco-Becken bescheren dem Land eine Artenvielfalt, die nur hinter der von Brasilien zurücksteht. Zwischen den Küsten, den Regenwäldern und den schneebedeckten Gipfeln der Vulkane herrschen alle vorstellbaren Klimazonen der Erde. Dieser Reichtum an unberührter Natur, gewürzt mit Bilderbuchdörfern aus der Kolonialzeit, wird erst nach und nach als Potenzial für den Tourismus entdeckt. Das trifft vor allem auf ehemalige Kriegsgebiete wie den Caquetá zu.

Der Kuss von Pacha Mama #

Auch das Naturreservat El Horeb, nicht viel mehr als anderthalb Stunden vom Flughafen der regionalen Metropole Florencia entfernt, ist Produkt einer Privatinitiative. Etwa 100 Hektar unberührter Urwald, der vor einigen Jahren von den Mitarbeitern der nahe gelegenen Vicaría Sur, einer Missionsstation des Frauenordens Claret, aufgekauft wurde. Einer davon ist der diplomierte Tierzüchter Guillermo Vargas, der sich seit einigen Jahren ganz dem Reservat Horeb widmet. Horeb, das ist der heilige Berg aus der Bibel. Den Namen hat eine der Schwestern aus der Missionsstation vorgeschlagen. Für Vargas passt das. Jede Wanderung durch den bergigen Dschungel ist für ihn ein spirituelles Erlebnis. „Hier im Horeb beginnen wir unseren Rundgang bei einer Quelle, die aus einem Felsen bricht. Sie heißt ,Der Kuss der Pacha Mama‘. Hier werden wir Mutter Natur um Erlaubnis bitten, den Weg durch sie fortsetzen zu dürfen“, eröffnet er den Ausflug in sein kleines Reich.

Der Weg führt über glitschige Pfade zwischen Baumriesen mit dicken Lianen und schlanken Stämmen über Felsen und Bäche, durch riesige Ameisenhaufen und zerklüftete Schluchten. Ständige Begleiter sind die Vögel des Urwalds, fliegende und kriechende Insekten und hin und wieder ein Affe, der sich kreischend von einem Baumwipfel meldet. Vor einer Höhle macht Guillermo halt und erzählt über alle Merkwürdigkeiten, die hier zu sehen sind: ein Baum, dessen Wurzeln sich um einen Felsen klammern weil die Erde, die ihn einst hielt, weggewaschen wurde. Am Eingang der Höhle kann man Spuren verschiedener wilder Tiere im Sand sehen: Gürteltier, Ameisenbär. Einmal entdeckte Guillermo den Tatzenabdruck eines Pumas. Sie suchen diesen Platz auf, weil sie von der Felswand Salz lecken können.

Auch im Inneren der Höhle blüht und gedeiht das Leben. Um die 5000 Fledermäuse jagen und schlafen hier, darunter Blutsauger, Insektenfresser und Fruchtfresser. Sie hängen von den Felsen oder flattern aufgeregt über die unerwartete Störung durch das enge Gewölbe. Biologen von der Universität, die die Höhle untersucht haben, finden es bemerkenswert, dass hier drei Arten zusammenleben. „Das ist auch ein Hinweis darauf, dass dieses Gebiet in seinem ursprünglichen Zustand erhalten ist und reich an Nahrung sein muss, die diese große Fledermausfamilie ernähren kann“, sagt Guillermo Vargas.

„Früher konnte ich keine Touristen hierherbringen weil die FARC diese Höhle als Unterschlupf benutzten. Wenn es regnete oder wenn die Armee mit einem Spionageflugzeug drüberflog, das auf Wärme reagiert, haben sie sich hier versteckt.“ Leere Konservendosen, Zahnbürsten, Medikamente und Flaschen zeugen davon, dass sich hier Menschen längere Zeit aufgehalten haben.

Auch Rubén Darío Polo beweist, dass man die Natur nicht zerstören muss, wenn man sie nutzen will. Während er Touristen über den Río Orteguaza schippert, erzählt er ihnen die blutige Geschichte des Caquetá, über den Beginn des Gummi-Booms und den Krieg mit Peru in den frühen 1930er Jahren, als die peruanische Armee im Süden einfiel, um die reichen Kautschukplantagen zu erobern. Auf einer sandigen Insel mitten im Fluss wird dann ein Badestopp eingelegt, und auf einer anderen Insel gibt es ein Picknick.

Der Regierung, die auf Bergbau und Monokulturen wie Ölpalmen und Zuckerrohr als Wirtschaftsmotor setzt, ist nachhaltiger Tourismus bisher kein großes Anliegen. „Die Behörden … Also bei uns haben weder die Bürgermeister noch der Gouverneur aktiv in den Tourismus investiert“, klagt Alfonso Ovalle. Alles bleibe der Privatinitiative überlassen: „Wir laden die Amtsträger immer wieder ein, dass sie den Tourismus als etwas erkennen sollen, das nicht nur die Wirtschaft, sondern auch den Frieden fördert.“

Die Furche, 24. September 2020