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Orchestrierung durch Knöpfe und Menüs. (Foto: Martin Krusche)
Orchestrierung durch Knöpfe und Menüs. (Foto: Martin Krusche)

Wischen statt drücken#

Von Martin Krusche#

Ich kann mich noch gut erinnern, in meiner Jugendzeit wurde es zu einer zentralen Frage von Kompetenz, es gehörte zur Bewältigung des Alltags. Ob nämlich jemand fähig ist, einen Videorekorder so zu programmieren, daß er eine gewünschte TV-Sendung im halbwegs richtigen Zeitfenster aufzeichnet, während man selbst außer Haus ist.

Daran knüpfte sich eine Reihe anderer Fragen. Ist die Videokassette lang genug? Ist sie nicht eine der überlangen, aus denen der betagte Rekorder Bandsalat macht? Hat man wohl nichts auf den Lieblingsfilm der Freundin draufkopiert? Falls ja, weshalb hat sie nicht das Plastikblättchen aus der Nische gebrochen, um so einen Kopierschutz auszulösen?

Ferner das ewige Ringen: drucke ich mir via Computer sauber beschriftete Klebeetiketten aus oder gehe ich schnörkellos mit schwarzem Filzstift drüber? (Kulturschande!) Belasse ich es bei den Kartonschubern oder besorge ich mir robuste Kunststoff-Boxes? (Auch die müssen dann sauber beschriftet und beklebt werden.)

Zum Glück hab ich in den Jahren davor schon mit dem raffinieren Radiowecker geübt, wie man so einen Apparillo programmiert. Aber es war angenehm, als Geräte auf den Markt kamen, da konnte man die passenden Zeiten für den Rekorder per Code aus der TV-Programmzeitschrift einlesen.

Wir hatten nun Jahrzehnte lang Zeit, unser Abstraktionsvermögen zu schulen, unser symbolisches Denken zu schärfen. Sobald ich das nächste Mal mit dem vollelektrischen Mietwagen unterwegs bin, sollte ich einmal durchzählen, wie viele physische Knöpfe, Hebel und Regler noch da sind; im Kontrast zu all den Funktionen, die ich per Menü aktivieren oder abschalten kann.

Rang und Ansehen#

Ich weiß es heute nicht mehr genau, ob ein guter Handwerker, wie etwa mein Opa Richard, der Steinmetz, vor 60, 70 Jahren für seine Handfertigkeit bestaunt wurde. Heute sind wir meist verblüfft, wenn wir sehen, was ein Mensch vom alten Schlag ohne Maschinen, nur mit Werkzeug und bloßen Händen, machen und bewirken kann.

War das früher auch so? Von den Leuten aus der agrarischen Welt, auf den überwiegend kleinen Wirtschaften der Oststeiermark, hat man handwerkliches Geschick nicht bloß erwartet, sondern ohne weiteres vorausgesetzt. Wie hätte jemand wirtschaftlich überleben können, wenn für jede Kleinigkeit ein Profi bezahlt werden mußte? Undenkbar!

Spätestens ab den 1980er Jahren war in meinem Umfeld klar, ein Mann sollte nicht nur Regale an die Wand dübeln können und Sesselleisten mit der Kappsäge bewältigen, er möge auch gut kochen und über einem Auto mit Panne nicht ratlos werden. (Sie ahnen nun vielleicht, weshalb ich Schriftsteller wurde, denn ich vermochte auf keinem dieser Felder zu glänzen.)

Am Rande der Kulturschande: rustikal beschriftete Kassetten. (Foto: Martin Krusche)
Am Rande der Kulturschande: rustikal beschriftete Kassetten. (Foto: Martin Krusche)

Natürlich hat mich der rasante Trend zum Wischen statt dem Drücken skeptisch werden lassen. Dann höre ich von einem Profi aus der Chipentwicklung, daß Mikrochip-Architekturen heute so enorm winzig und komplex seien, da wisse eigentlich niemand mehr, was in vielen erreichen des Chips vorgehe.

Ich erinnere mich gern, wie ich vor gut 30 Jahren als Hilfskraft beim Bau einer Galerie in einer Kindergruppe mitgewirkt hab. Dabei ging ich einem Tischler und einem Zimmermann zur Hand. (Ich sah zum ersten Mal in meinem Leben eine Schlagschnur, mit der man große Linien für saubere Schnitte markieren konnte.)

Ich begnügte mich mit dem Festhalten von Staffeln und Brettern in der gewünschten Position, während die Handkreissäge sich ins Holz fraß. Und ich erinnere mich an den heftigen Rüffel, welchen der Zimmermann kassierte, als er die Handkreissäge auf dem Estrich ablegte. „Du ruinierst mit das Sägeblatt“, schimpfte der Tischler, „ich schneide damit feine Möbelhölzer“.

Selbst in nahe verwandten Metiers teilt man also nur manche Kompetenzen und die Differenz wird schnell deutlich. Was ich damit sagen will? Wir sind schon lange von einer Welt der Dinge umgeben, die ist in ihre Größe, Vielfalt und in ihren fachlichen Eigenheiten derart überbordend, da bleibt uns Menschen gar keine andere Wahl. Wir müssen das Nichtwissen, die Unkenntnis, zu einem ganz normalen Teil unserer Befindlichkeiten machen.

Das hieße ferner, Unwissenden sollten wir nicht mit Abschätzigkeit begegnen. Nichtwissen ist der Normalzustand, in dem sich Nischen der Kompetenz zeigen können. Ach so, das wissen wir eh schon all die rund zweihundert Jahre der permanenten technischen Revolution? Gut! Aber dann wäre noch zu klären, was das für eine Kompetenz ist, die Wissensdefizite als akzeptablen Anteil enthält?

Haben wir eigentlich auch schon vor langer Zeit geklärt? Ich merk gerade, ich weiß jetzt eh nicht, was ich mir eigentlich gedacht hab, diese Glosse zu schreiben. Alles im Lot und nichts hängt schief. Oder?