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Fehlender Respekt#


Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 398/2022

Von

Herbert Kohlmaier


Viele Menschen waren entsetzt, als sie erfuhren, dass das Personal in Krankenhäusern von Impfgegnern und Covid-Leugnern beschimpft oder gar attackiert wurde. Man kann dieses Vorgehen, das jedem Verstand zu widersprechen scheint, überhaupt nicht verstehen. Bedenken diese Leute nicht, dass sie selbst schon am nächsten Tag auf die Hilfe der pflegenden Berufe angewiesen sein könnten? Und hat man vor deren großen und höchst anstrengenden Leistungen überhaupt keinen Respekt? Das regt an, über den Begriff des Respekts nachzudenken, sowie darüber, welche Bedeutung er in unserer Gesellschaft hat. Das Wort ist auf das lateinische respectus zurückzuführen, also Rücksicht. Es sollte darunter eine grundsätzliche Haltung verstanden werden, die sich auf die gesamte uns umgebende Schöpfung bezieht. Wenn man einen Menschen respektiert, macht man sich seinen gesamten Wert bewusst, besonders seine Fähigkeiten und Leistungen. Dass dies auch geschieht, wo immer es angebracht ist, erscheint für jede Gemeinschaft unentbehrlich. Es geht dabei um Vorbilder, um wahre Autorität, ohne die ein Zusammenlebens nicht denkbar ist.

Das war natürlich immer allen bewusst, die eine führende Rolle in der Gesellschaft innehatten. Es wurde daher stets danach getrachtet, Respektgebietendes zu demonstrieren. Symbole und vorgeschriebene Verhaltensweisen sollten das bewirken, ebenso Titel und allerlei Attribute der Macht. Jeder sollte erkennen, dass es sich bei der betreffenden Person um jemanden handle, der aufgrund seiner Position unbedingt zu respektieren wäre. Heute noch ist der Auftritt mancher Staatspräsidenten von prächtig Uniformierten begleitet, die das Staatsoberhaupt mit zackigem Salutieren die allseits erwartete Referenz erweisen.

Doch derartige Äußerlichkeiten sind im Lauf der Zeit immer bedeutungsloser geworden. Natürlich muss die Staatsgewalt samt ihren Repräsentanten respektiert werden, vor allem indem man sich den Gesetzen und Verordnungen unterstellt. Die Entwicklung zur Demokratie hat aber eine bloße Berufung auf die Macht des Amtes unmöglich gemacht. Überall muss Autorität ordnungsgemäß verliehen und errungen werden. Sie kann nur durch rechtes Handeln, Besonnenheit, Weitsicht und Überzeugungskraft Bestand haben.

Allerdings führt der demokratische Wettbewerb, also der Kampf um Macht durch Wählerzustimmung, heutzutage immer mehr zu einer Beschädigung der Autorität von Ämtern. Politische Gegner und die Medien haben im Spiel der Kräfte die Regierenden zu kontrollieren und zu kritisieren. Das ist unentbehrlich, erfordert aber Redlichkeit und rechtes Maß. Dem, was zu beanstanden ist, muss immer ein Ideal gegenübergestellt werden, das allen gemeinsam ist. Daran fehlt es allerdings. Zunehmend wird Kritik aggressiv, herabsetzend und sogar verletzend. Das unbedachte Behaupten von skandalösen oder gar kriminellen Handlungen wird gängige Methode, um Wasser auf die eigenen politischen Mühlen zu lenken oder für Medien, Leserinteresse zu erwecken.

Das unbedachte und unbegründet Verurteilen breitet sich allerdings entsprechend dem „Vorbild“ öffentliches Leben in alle Bereiche aus. Hemmungen fallen, schon gar nicht wird allseits gutes Benehmen gepflegt. Nicht selten findet tatsächliche Gewaltausübung statt. Man muss nur bei Menschen nachfragen, die Berufe mit zahlreichen Personenkontakten ausüben, wie etwa Lehrer und öffentliche Ordnungshüter.

Womit wir wieder beim Respekt angelangt sind. Anspruch auf diesen hat jeder, er gehört zur Beachtung der Menschenwürde und der Menschlichkeit in der Gesellschaft. So sehr Missstände und Fehlverhalten korrigiert werden müssen, sollte dies immer auf objektive und sachliche Weise geschehen. Es darf nicht verabsäumt werden, den vorliegenden Umständen nachzugehen und zu prüfen, ob nicht auch Bemühen und gutwilliges Streben vorhanden sind. Es scheinen aber keine Hemmungen mehr zu bestehen, andere herabzusetzen und aufs Gröbste zu beleidigen. Die so genannten sozialen Medien werden zum Tummelplatz von Lügen und Hass.

Das Wort Jesu vom Splitter im Auge des Nächsten und dem Balken im eigenen wäre gerade in unserer Zeit ernst zunehmen. Betrachtet man es recht, besteht eine innige Verbindung des Respekts mit dem Gebot der Nächstenliebe. Diese erfordert ja, sich ganz in die Situation des Mitmenschen zu versetzen, der Anspruch darauf hat, so behandelt zu werden, wie man es selbst will. Respekt bedeutet Wertschätzung. Wird aber Anerkennung allseits verweigert, ist das Gift für die Gesellschaft. Das Überhandnehmen von Respektlosigkeit lässt Schlimmes befürchten. Oft lehnen heute Männer und Frauen, die zu verantwortungsvollen Tätigkeiten berufen und dafür geeignet wären, öffentliche Ämter wegen jener Missachtung ab, die ihnen dort entgegenschlägt.

Stellen wir uns sehr ernsthaft die Frage: ist es nicht ein Mangel christlicher Gesinnung, der unbedachte Rücksichtslosigkeit hervorruft? Doch wie steht es mit den Hütern der Frohbotschaft, die aufgerufen wären, nun ernste Mahnungen auszusprechen? Wie erfüllen sie ihre Aufgabe? Leider ist auch hier Bedrückendes festzustellen. Es scheint so, dass die Kirche Roms alles unternimmt, um jenen Respekt zu verlieren, der ihren Worten Gewicht verleihen würde. Ein unfassbares Zusammentreffen von Realitätsverweigerung und Unwilligkeit des Handelns zeigt sich. Man glaubt, Glaubensvorstellungen und Regeln beibehalten zu müssen, die aus längst vergangenen Zeiten stammen und für unsere heutige Welt nicht mehr geeignet sind. Dem Verlust von Ansehen und Mitgliedern wird nichts Wirksames entgegengesetzt. Man beschäftigt sich mit sich selbst und verharrt in einer durch selbst hergestellte Regeln hervorgerufenen Hilflosigkeit.

Besonders wenn man auf die Jugend und deren Einstellungen zu Religion und Kirche blickt, ist das Schlimmste zu befürchten, nämlich der Niedergang der Kirche und das bloße Verbleiben einer Gruppe uninspirierter Fundamentalisten. Wie viele respektgebietende Bischöfe gibt es noch? Der Kardinalfehler scheint zu sein, dass man wie einst glaubt, mit einer die Größe erhöhenden Kopfbedeckung samt Stab und Geboten Ehrerbietung zu gewinnen. Doch Gefolgschaft wäre in einer liberalen und individualistisch geprägten Gesellschaft nur durch das überzeugende Beispiel eines unverfälschten christlichen Idealismus zu erreichen.

Das alles ist längst bekannt und jene leiden darunter, die vom unverzichtbaren Wert einer Gemeinschaft des Glaubens überzeugt sind, aber ungehört bleiben. Sie sind verzweifelt, wenn der Öffentlichkeit ständig das Bild einer versagenden Hierarchie vor Augen geführt wird. Das Vertuschen sexueller Verfehlungen innerhalb der „heiligen katholischen Kirche“ hat unermesslichen Schaden herbeigeführt. Da nützt auch das Bemühen eines glaubwürdigen Papstes nichts, der das Übel des Klerikalismus erkennt, aber nicht zu überwinden imstande ist.

Neulich hat Franziskus betont, welchen unschätzbaren Wert Kinder für ihre Eltern haben. Das erwähnte der Moderator am Schluss einer Nachrichtensendung des ORF, wobei er anmerkte, dass die durchschnittliche Kinderzahl im Vatikan bei Null liege. Dem ist leider nichts hinzuzufügen. Mit dem Predigen von Wasser und dem Trinken von Wein kann man sich keinen Respekt verschaffen.

„Quidquid agis, prudenter agas et respice fixem“ -- was auch immer du tust, tu es klug und bedenke die Folgen. Diese Weisheit des Altertums scheint verloren gegangen zu sein. Das Oberflächliche und Unbedachte nimmt überhand, niemand scheint an die Folgen der Gewissenlosigkeit zu denken. Blickt man auf die USA, einst Leuchtturm der freien Welt, zeigt sich ein schreckliches Bild der Verrohung und Gewaltbereitschaft.

Mehr denn je bedürfte es nun christlicher Haltung, also der Beachtung dessen, was Jesus lehrte. Für die Kirche müsste das bedeuten, alles konstruierte Beiwerk der Vergangenheit zur Seite zu schieben und sich mutig sowie ganz ihrer wahren Aufgabe zu stellen. Das würde ihr großen Respekt verschaffen.