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DIE ÄRZTIN #

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Der die Frauen falsch einschätzte, Wr. Bilder

1919: Vor etwa 20 Jahren erschien eine kleine Schrift von Prof. Albert über das medizinische Studium der Frauen, das großes Aufsehen in den interessierten Kreisen erregte. Der berühmte Wiener Chirurg sprach den Frauen jede Fähigkeit zum ärztlichen Studium und Beruf glatt ab und begründete seine Anschauung mit den seither als Gemeinplätze sattsam bekannt gewordenen und auch schon wieder vergessenen Argumenten von physiologischen Schwachsinn des Weibes, von seiner physischen Minderwertigkeit, seiner Energielosigkeit und Schamhaftigkeit.

Trotzdem eröffnete die Wiener medizinische Fakultät, und bald nach ihr die der anderen Österreichischen Universitäten, im Jahr 1900 den Frauen ihre Pforten.

In Wien allein gibt es zur Zeit schon 100 praxisberechtigte Ärztinnen, der weitaus größte Teil von ihnen allerdings noch nicht selbständig, sondern in Spitälern arbeitend.

Die praktische Ausbildung für den ärztlichen Beruf beginnt bei uns – in anderen Ländern, auch in Deutschland wird schon während des Studiums mehr Gewicht auf praktische Betätigung gelegt - eigentlich erst nach der Promotion zum Doktor der gesamten Heilkunde. Der junge Arzt tritt zunächst als Aspirant in ein Krankenhaus ein, wird dann Sekundararzt mit Gehalt und freier Station und kann bei besonderer Qualifikation Assistent an einer Abteilung werden. Die Dauer dieser Ausbildungszeit, die der Reihe nach an allen Spezialabteilungen verbracht werden soll, beträgt vier Jahre und kann fallweise um je ein Jahr verlängert werden. Wer eine spezielle Ausbildung in einem einzelnen Fach anstrebt, tritt meist als Aspirant, das heißt als unbesoldeter Hilfsarzt, an eine Klinik ein und bemüht sich, eine Assistentenstelle zu erreichen, was aber bei der geringen Zahl der frei werdenden Stellen, die klinische Assistentur ist an keine Zeitdauer gebunden, und der großen Zahl der Bewerber nur wenigen gelingen kann.

Die Anstellung von Frauen als Hilfsärzte in den Spitälern stieß zunächst auf vereinzelte, schwache Widerstände, ging jedoch bald anstandslos vor sich und ist heute etwas selbstverständliches. Anders ist es mit der Besetzung von Abteilungsassistentenstellen durch Ärztinnen, die bisher von der Statthalterei ausnahmslos verweigert wurde, obwohl es schon zahlreiche Fälle gibt, in denen Ärztinnen diese Stellen vertretungsweise jahrelang inne hatten und voll ausfüllten. Es ist zu hoffen, dass die neue Regierung auch in dieser Frage mit dem unzeitgemäßen Vorurteil endlich brechen wird.

Was die klinischen Assistenzstellen anbelangt, die auf Vorschlag des Chefs der Klinik vom Unterrichtsministerium vergeben werden, so ist es bisher noch keiner Frau gelungen, eine solche zu erreichen; doch ist der Weg zu dieser ersten Stufe der akademischen Laufbahn auch den männlichen Ärzten, die auf kein anderes Vorrecht pochen können als auf das allgemeine Recht der freien Bahn für jeden Tüchtigen und denen ihre materielle Lage ein viele Jahre langes, geduldiges Zuwarten nicht gestattet, meist verschlossen, so dass hier von einer Zurücksetzung der Frauen nicht so ohne weiteres gesprochen werden kann.

Durch den Krieg und den durch ihn verursachten Mangel an jüngeren Ärzten im Hinterland war nicht nur in den schon bestehenden Zivilsanitätsanstalten eine große Nachfrage nach weiblichen Ärzten, sondern auch in den neu errichteten militärischen Reservespitälern sowie Flüchtlingslagern, in den bescheidenen Kriegsfürsorgestellen usw. wurden zahlreiche Ärztinnen angestellt. Die Ärztin im Militärspital, eine Vorstellung, die noch vor wenigen Jahren auch in den fortschrittlichst gesinnten Kreisen kaum Platz gefunden hätte, wurde durch die Not der Zeit eine gewohnte Erscheinung, ja es hat sogar einige besonders mutige Ärztinnen gegeben, die in Epidemiespitälern an der Front Dienst machten und sie zum Teil selbständig leiteten.

Die Mitarbeit der Frauen in der militärärztlichen Tätigkeit wurde im Laufe des Krieges so selbstverständlich und notwendig, dass zu wiederholten Malen von den zuständigen Behörden die Einführung einer militärischen Dienstpflicht, die bisherige Kriegstätigkeit der Ärztinnen erfolgte auf Grund freiwilliger Meldung, für weibliche Ärzte erwogen wurde.

Soviel über die Anstellung von Ärztinnen in öffentlichen Sanitätsanstalten, zu der nur noch einige Worte über die persönliche Stellung der Ärztin zu den Spitalspatienten zu sagen wären. Das Publikum der Spitäler, das ja fast ausschließlich der ärmeren Bevölkerungsschicht angehört, hat gleich zu Beginn die neu auftauchende „Frau Doktor“ sympathisch begrüßt. Kaum jemals ist es vorgekommen, dass selbst Männer sich weigerten sich von einer Frau untersuchen zu lassen und die weiblichen Patienten haben haben sich besonders in den Ambulatorien fast immer darum bemüht, von einer Ärztin behandelt zu werden. Heute ist die Ärztin in jedem Spital etwas Selbstverständliches und keinem der Patienten fällt es ein, zwischen ihr und den männlichen Ärzten einen prinzipiellen Unterschied zu machen, sowie ja überhaupt das Misstrauen in den Wert und Ernst der Frauenarbeit nur in jenen Gesellschaftsklassen anzutreffen ist, denen die Erwerbsarbeit der Frauen ihrer Kreise etwas absolut Fremdes ist, oder es wenigstens bisher war.

Es gibt in Wien einige Schulärztinnen, so zum Beispiel an der staatlichen Lehrerinnenbildungsanstalt, an der Zentrallehranstalt für Frauengewerbe, an den fachlichen, gewerblichen Fortbildungsschulen, an den Fortbildungsschulen des Gremiums der Wiener Kaufmannschaft und an mehreren privaten Schulen. Ferner sind einige Ärztinnen von der Allgemeinen Arbeiter-Krankenkasse und der Wiener Bezirkskrankenkasse angestellt.

Über die Stellung der Ärztin in der Privatpraxis lässt sich wohl noch kein abschließendes Urteil fällen, da hinzu die Zahl der Ärztinnen noch zu klein und die Dauer ihrer Tätigkeit noch zu kurz ist. Wir haben in Deutschösterreich und besonders in Wien eine Reihe von praktischen Ärztinnen und einzelne Spitalsärztinnen für Frauen-, Kinder-, Haut-, Nerven- und Augenkrankheiten sowie einige Zahnärztinnen.

Was nun die so vielfach angezweifelte physische Eignung der Frau zum ärztlichen Beruf anbelangt, so kann man ihr diese nach den bisherigen Erfahrungen gewiss nicht ohne weiteres absprechen, wobei ja auch zu erwägen ist, dass die verschiedenen Arten der ärztlichen Tätigkeit ganz verschiedene Anforderungen an die physische Leistungsfähigkeit stellen. Der Augenarzt zum Beispiel oder der Hautspezialist hat einen körperlich viel weniger anstrengenden Beruf als der viel beschäftigte praktische Arzt, der Chirurg oder Geburtshelfer. Sicherlich werden die Frauen sich hauptsächlich immer jenen ärztlichen Spezialfächern zuwenden, die weniger große Anforderungen an ihre körperlichen Widerstandsfähigkeit stellen, es werden zum Beispiel nur selten Frauen den anstrengenden Beruf des Landarztes wählen, und besonders zarten und schwachen Frauen ist vom Studium der Medizin abzuraten.

Das ureigenste und ersprießlichste Gebiet für die Frauen in der ausgedehnten ärztlichen Berufstätigkeit scheint dort zu liegen, wo sie ihre erworbenen Kenntnisse in den Dienst ihrer angeborenen spezifisch weiblichen Wesenseigenheit: der Mütterlichkeit und Hilfsbereitschaft stellen kann, das ist auf allen Gebieten der öffentlichen Gesundheitspflege, der bei uns erst in jüngster Zeit erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet wird. Als Schulärztin, als Polizei- und Armenärztin, in der Mutterschutz-, und Säuglings- und Kinderfürsorge, bei der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten in der weiblichen Bevölkerung wird die Ärztin nicht nur dem Arzt Gleichwertiges leisten, sie wird auch in vielen Fällen durch ihr besonderes weibliches Mitempfinden und Verstehen der einförmigen Berufsarbeit eine wohltätige persönliche Note aufprägen.

QUELLE; Die Frau, 22. Februar 1919, Österreichische Nationalbibliothek ANNO

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