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Reizpunkt und Mythos#

Der Eiffelturm ist eine Verdichtung von Bedeutung, ein "hyperimage" dieser Welt: Alexander Kluy erschließt die Geschichte und Ikonographie dieses einzigartigen Monuments.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 29./30. November 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Ingeborg Waldinger


der Pariser Eiffelturm
Phantasmagorie und Symbol der Moderne: der Pariser Eiffelturm.
© Robert Bressani

"Spinnengewebe aus Metall" - so kommentierte der französische Schriftsteller Joris-Karl Huysmans einst den Eiffelturm. Jenes Bauwerk also, das anlässlich der Pariser Weltausstellung 1889 errichtet und zum modernen Repräsentationssymbol der Seine-Metropole, ja von ganz Frankreich geworden war.

Huysmans’ Vergleich war durchaus nicht als Huldigung der filigranen Stahl-/Eisenkonstruk-tion gedacht. Vielmehr überschüttete der Schriftsteller den epochalen Bau mit Zuschreibungen, die einem tief wurzelnden Protest entsprangen - dem Einspruch eines Ästheten gegen das Ökonomische und Utilitaristische des Maschinenzeitalters: "Arc de Triomphe der Industrie, Turm zu Babel, Vulcanus, Zyklop (. . .), in Bau befindlicher Fabrikschornstein", wetterte Huysmans weiter. Und da dieses Monstrum, das ursprünglich nur sechs Monate lang stehen sollte, nicht mehr aus dem Blickfeld rückte, machte der Schriftsteller es auf seine Art klein: Der Turm sei ja "noch nicht einmal gewaltig! - Wenn man ihn von unten sieht, scheint er nicht die Höhe zu haben, die man uns verkündet".

Zur Ikone stilisiert#

Huysmans hatte das Eisenbauwerk als Kirchturm einer neuen Kirche - des Kapitalismus - gegeißelt. Doch der riesige, alles überragende Turm beleidigte auch das Auge des Ästheten. Damit war er freilich nicht allein: Schon zwei Jahre vor seiner Eröffnung, am 14. Februar 1887, sprach sich eine prominente Riege von Kulturträgern und Architekten in einem offenen Brief gegen die Errichtung dieses "unnützen und missgestalteten" Turms aus. Sie protestierten gegen die merkantilen Ideen des Maschinenbauers, gegen die Verschandelung der "großartigen steinernen Blüte" Paris, in der die Seele und geniale Schöpferkraft Frankreichs erstrahlten.

Unzählige Schriftsteller, Maler, Fotografen und Filmemacher, aber auch Chansonniers und Werbegurus haben den Eiffelturm seither in ihr ganz eigenes Licht gerückt. Sie haben ihn poetisiert, dämonisiert oder bildlich demontiert - und so zur Ikone stilisiert.

Welchen Imagewandel dieses legendäre Bauwerk im Laufe seines Bestehens erfahren hat, wie aus diesem "visuellen Reizpunkt" ein Mythos wurde - diesem komplexen Phänomen geht Alexander Kluy in seiner umfassenden Monographie nach: "Der Eiffelturm. Geschichte und Geschichten" heißt der empfehlenswerte Band. Das minutiös recherchierte Buch zeichnet sich durch eine breite Perspektive aus. Denn Alexander Kluy bettet die Geschichte dieses Bauwerks ein in die Sozial-, Kunst- und Mentalitätsgeschichte der verschiedenen Epochen. Mitunter geraten die Exkurse (Weltausstellungen, Technik, Pariser Konzertcafés) vielleicht etwas zu ambitioniert, dennoch besticht dieses an Zitaten pralle Werk (der bibliographische "Apparat" umfasst 60 Seiten) auch durch gute Lesbarkeit.

Kristallisationspunkt#

Neben den Beispielen aus Literatur, Kunst, Film und Musik bietet das Buch auch eine ausführliche Biographie des Turmkonstrukteurs Alexandre Gustave Eiffel (1832-1923). Darin ist etwa nachzulesen, dass Klein-Gustave von einer gar arg frömmlerischen Großmutter aufgezogen wurde - was mit ein Grund für seine spätere Hinwendung zu Wissenschaft und Republik war. Viele Brücken und Bahnhofshallen hat Eiffel entworfen, in Frankreich und vielen anderen Ländern, aber auch die tragende Unterkonstruktion der New Yorker Freiheitsstatue.

Der Eiffelturm stellte zudem eine technische Revolution dar: Die Bauteile waren vorgefertigt, seine Weltrekordhöhe von 325 Metern wurde erst im Jahr 1930 mit dem Chrysler Building gebrochen. In der vierten Etage hatte Eiffel sich ein funktionsfähiges Appartement eingerichtet, in dem er manch prominente Gäste empfing.

Solch ein zeichenhafter Kristallisationspunkt zieht nicht nur Myriaden von Touristen an, sondern auch dunkle Kräfte: Anarchisten, Terroristen - oder Betrüger, die den Turm gleich mehrmals verkaufen. Auch diese Kapitel rekapituliert Kluy in seiner Reverenz an eine große Kulturikone.

Information#

Alexander Kluy. Der Eiffelturm. Geschichte und Geschichten. Matthes & Seitz, Berlin 2014, 352 Seiten, 35,90 Euro.
Wiener Zeitung, Sa./So., 29./30. November 2014