Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Enthebung aus dem Alltag #

Auf dem Weg vom Ministranten zum katholischen Priester: Eine Re-Lektüre von Adolf Holls Buch "Tod und Teufel" (1973).#


Von der Wiener Zeitung (5. Juni 2022) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Peter Strasser


Bevorzugte zeitlebens eine milde Version religiöser Außeralltäglichkeit: Adolf Holl (1930-2020), hier 2003 mit der Auszeichnung des Österreichischen Staatspreises für Kulturpublizistik.
Bevorzugte zeitlebens eine milde Version religiöser Außeralltäglichkeit: Adolf Holl (1930-2020), hier 2003 mit der Auszeichnung des Österreichischen Staatspreises für Kulturpublizistik.
Foto: © apa / B. Gindl

Adolf Holls Buch "Tod und Teufel", sein zweiter publizistischer Erfolg nach dem Paukenschlag von "Jesus in schlechter Gesellschaft", ist sein vielleicht persönlichstes Werk. In ihm wird in aller Ausführlichkeit beschrieben, wie es kam, dass Holl vom Ministranten zum katholischen Priester wurde - um bald in dieser seiner Funktion, die ein streng keusches Leben erforderte, vom schlimmsten Feind der männlichen Tugend heimgesucht zu werden: der Hinneigung zum weiblichen Geschlecht.

Auch ansonsten war Holl umtriebig im weltlichen Sinne. Neben der Theologie studierte er Philosophie, Psychologie und Geschichte; die Religionssoziologie war ihm ein besonderes Anliegen. Denn die sozialpsychologischen Verschiebungen und ihre Auswirkungen auf das religiöse Kollektivbewusstsein der Gesellschaft, zumal in den Nachkriegsjahren, fanden Holls reges Interesse und ihren Niederschlag in praktisch allen seinen Publikationen. Die Weltlichkeit des Gottesmannes gab dessen religiöser Passion von Anfang an eine ketzerische Note.

Nach seiner Priesterweihe im Jahre 1954 wurde Holl zur Gewissheit, dass er die Botschaft des Christentums, wie sie von der römisch-katholischen Kirche dogmatisch interpretiert wurde, seinen Schülern und Studenten - er wirkte als Religionslehrer und Kaplan in zwei Wiener Pfarren, 1963 hatte er außerdem die Lehrbefugnis als Universitätsdozent erhal-ten - nicht einfach vorsetzen konnte. Der geforderte, religionspädagogisch konservative Kanon wirkte abschreckend, wobei der Verteufelung des Sexus, namentlich der Wollust (luxuria), eine besondere Rolle zukam.

Erotische Anfechtungen#

Die Aufbruchsbewegung, die von den kulturrevolutionären "Achtundsechzigern" ausging, warf ihre Schatten in den Studierstuben und studentischen Quartieren der späten Fünfzigerjahre voraus. Das bedeutete unter anderem, dass die erotischen Anfechtungen nicht mehr, wie Holls Beichtvater immer wieder eindringlich mahnte, als zutiefst sündhaft erlebt wurden. Im Gegenteil: Die neue rebellische Generation - meist Söhne und Töchter aus gutbürgerlichem Haus - behandelte das Geschlechtliche zusehends offen als eine dem Menschen gegebene Quelle legitimer Lebensfreude.

Und so durchzieht auch der Wandel im Verhältnis zur eigenen, testosterongesteuerten Männlichkeit Holls "Tod und Teufel", zwar dezent formuliert - welche sinnliche Sensation vermochte damals die unabsichtliche Berührung eines weiblichen Knies auszulösen! -, aber trotzdem ohne Vorbehalt.

Info#

Der vorliegende Text ist eine gekürzte Version des Nachworts zu Adolf Holls Buch "Tod und Teufel", das als Band 2 der Werkausgabe im Residenz Verlag soeben erschienen ist, herausgegeben von Harald Klauhs und Walter Famler.

Buchcover: Tod und Teufel
Buchcover: Tod und Teufel
Foto: © Residenz

Nach eigener Angabe hatte Holl schon als Vierzehnjähriger so halb und halb, vorerst zögerlich, dann immer bestimmter, den Wunsch, Priester zu werden. Damals war er bereits Ministrant, die Heilige Messe - das ist für das Kommende wichtig - wird gemäß lateinischem Ritus zelebriert. Die Liturgie war ein ausgefeiltes Ballett von eigener Schönheit und Eindringlichkeit. Die lateinischen Formeln, welche der junge Holl nur bruchstückhaft, wenn überhaupt verstand, hüllten das Tun des mit dem Rücken zur Gemeinde zelebrierenden Priesters in eine eigentümliche Aura - die Aura des "Heiligen".

Holls Schilderung über seinen Weg zum Priester ist geprägt von der Erinnerung an eine Zeit, die, wie es wohl heißen muss, "vorkonziliar" geprägt war. Den großen Umschwung brachte das Zweite Vatikanische Konzil, welches 1962 von Papst Johannes XXIII. einberufen und nach dessen Tod, 1963, von Paul VI. weitergeführt wurde. Dieses Konzil - es endete 1965 - war für die Kirche eine Wasserscheide. Nach dem Willen von Johannes XXIII. stand es unter dem Motto aggiornamento, also "Erneuerung", womit hier auch "Öffnung" gemeint war. Während der konservative Klerus bis heute mit Teilen der Kirchenreform hadert, befand sich Holl, ebenso wie andere reformeifrige Priester, in einer zwiespältigen Situation.

Die Liturgiereform entsprach dem Wunsch vieler Laien, die Heilige Messe auf Deutsch zu lesen. Der Priester vollzog die sakralen Handlungen fortan mit dem Gesicht zur Gemeinde. Die breitflächige, rituell demonstrierte Hinwendung zum Kirchenvolk wurde von Holl einerseits begrüßt. Andererseits vermisste er nun zusehends jenes Moment des Sakra-len, wofür die Gefühlmelange aus Furcht und Zittern vor dem Mysterium Gottes stand: das unüberwindliche Hingezogensein zur Herrlichkeit, zur unbegreiflichen Liebe Gottes, begleitet von der Angst des Sünders vor der Gewalt des Absoluten.

Holls religiöses Grundgefühl bezeichnete er selbst einmal als intentio pura: als das aller Inhalte entledigte, mystische Gerichtetsein auf das Heilige. Dabei fehlte allerdings die eigentümlich intime Beziehung, die er als Priester zu Jesus unterhielt, indem er die alte lateinische Zeremonie praktizierte, deren geheimnisvolle Atmosphäre in manchen Momenten auf die erwartungsvollen Mitzelebranten übersprang, bis hin zum Empfang der Kommunion nach der Wandlung.

Freilich hatte für Holl das "Geheimnis", wie es sich im angestammt römisch-katholischen Ritus offenbarte, stets auch etwas von der Gewalt des Absoluten an sich. Der aufwieglerische Pfarrer und Kirchenlehrer bevorzugte hingegen zeitlebens eine milde Version religiöser Außeralltäglichkeit, ein Gefühl der sanften Weltenthobenheit, des überwölbenden Beschütztseins vor dem Profanen, Banalen, Grobweltlichen. Holls Widersprüche in seiner Persönlichkeit und seinem Fühlen bilden zweifellos ein Element der Lebendigkeit und Lebensnähe, das seine Literatur - und eben auch in hohem Maße "Tod und Teufel" - auszeichnet.

Suspendierung 1976#

Doch die Irritation durch den Wandel ging wesentlich tiefer. In einer sich durchgehend säkularisierenden Welt, die zusehends vom Geist der Wissenschaft durchdrungen war, entstanden vielerlei Widerstände gegen altüberkommene, versteinerte Vorschriften der Kirche. Sie schienen keinen rechten Sinn mehr zu ergeben, beispielsweise das strikte Gebot priesterlicher Ehelosigkeit, das Zölibat, oder der ausnahmslose Ausschluss aller Frauen von den im engeren Sinne sakralen Handlungen.

Vieles von dem ist heute noch aktuell und umstritten. In "Tod und Teufel" liegt das Schwergewicht auf den zunehmenden Zweifeln, was die Existenz des Teufels - und damit der Hölle als Nachlebensort für alle schweren Sünder und Ungläubigen - sowie, generell, ein "jenseitiges" Leben betrifft, bis hin zur körperlichen Wiederauferstehung der Toten am Ende der Zeiten. Für Holls Suspendierung als Priester 1976, auf Betreiben der konservativen Glaubenskongregation vom liberalen Wiener Kardinal Franz König widerstrebend vollzogen, war nach außen hin Holls öffentliches Bekenntnis ausschlaggebend, mit einer Frau Tisch und Bett zu teilen. "Tod und Teufel" - Erstausgabe 1973 - lässt sich jedoch entnehmen, wie profund Holls Entfremdung von dem, wofür er als Religionslehrer und Priester einzustehen hatte, damals gewesen ist.

1971 war das Buch "Jesus in schlechter Gesellschaft" erschienen, eine theologische Tour de Force, welche Holl die Lehrbefugnis an der Universität kostete. Holl zeichnete ein Jesusbild, das sich mit dem Jesus der Amtskirche nicht mehr vereinbaren ließ, bis an den Punkt, wo - mit kühner Berufung auf die Quellen - Jesu Göttlichkeit in Frage gestellt und dessen Wille, eine Kirche zu gründen, unverhüllt bestritten wurde. Dafür rückte Holl Jesu Eintreten für die kleinen Leute und armen Sünder, für die Machtlosen gegen den Machtanspruch, Protz und Prunk der jeweils Herrschenden in den Vordergrund.

Das brachte dem Buch regelrecht den Ruf eines Manifests der sogenannten Befreiungstheologie ein, wie sie besonders in Lateinamerika florierte. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass dem Autor beim Schreiben eine derart radikale Rezeption - Jesus und Marx sozusagen in einer Linie - vorschwebte (obwohl, im linken Intellektuellenmilieu, in dem sich Holl bald bewegte, mochte ihm dieser Ruf seines Jesus-Buches auch schmeicheln).

Die Darstellungsweise in "Tod und Teufel" zeigt bereits ganz jene erzählerischen und kompositorischen Elemente, die Holls zahlreich nachfolgende Bücher so lebhaft und funkelnd machen werden. Mosaikartig, im Durchgang durch viele soziale Situationen und im Ausgriff auf fremde Sitten und Gebräuche wird ein religiöser Kosmos des Einverständnisses mit dem Glauben sowie des Zweifels an dessen dogmatischen Verengungen entworfen.

Peter Strasser, geboren 1950 in Graz, Universitätsprofessor an der Karl-Franzens-Universität Graz, seit 2015 im Ruhestand. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Ethik, Metaphysik und Religionsphilosophie. Autor zahlreicher Publikationen und Kolumnen. Träger des Österreichischen Staatspreises für Kulturpublizistik (2014).
Peter Strasser, geboren 1950 in Graz, Universitätsprofessor an der Karl-Franzens-Universität Graz, seit 2015 im Ruhestand. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Ethik, Metaphysik und Religionsphilosophie. Autor zahlreicher Publikationen und Kolumnen. Träger des Österreichischen Staatspreises für Kulturpublizistik (2014).
Foto: © privat

Am Ende des Buches berichtet Holl über ein Erlebnis, von dem er sagt, er vermöchte es anderen Menschen, auch befreundeten, nicht zu lehren. Es handelt sich um eine mystische Empfindung, die Holl nur selten und nur im priesterlichen Kontext der Heiligen Messe vor deren Reformierung zuteil wurde: "Gleichwohl geschieht es dann und wann, dass für Augenblicke ich mir vorkomme, als ob ich mit den Augen in die Hostie eindringen, in sie einsinken würde, zusammen mit dem Gefühl, mich in einer Wölbung zu befinden. Diese Empfindung habe ich wirklich. Ich möchte sie ungern unterdrücken."

Wandlung & Wölbung#

"Tod und Teufel" schließt mit dieser Episode, mit Holls Enthebung aus dem Alltag: einem Gefühl absoluter Geborgenheit. Wir mögen uns fragen, was das zu bedeuten habe - eine psychologische Ausnahmesituation, hirnphysiologisch erklärbar, also doch ganz und gar innerweltlich? Holl gibt darauf keine Antwort.

Aus manchen Gesprächen weiß ich, dass Holl seiner Leserschaft keine Antwort geben wollte, obwohl er, auch späterhin, die wissenschaftlichen Hypothesen und Experimente zur Entstehung religiöser Erlebnisse kannte und darüber berichtete. Der Ministrant von einst war auch als reifer Autor nicht willens, vollends auszuschließen, dass er in jener "Wölbung", in die er während des Aktes der Wandlung "einsank", seinem lieben Herrn Jesus ganz nahe war.

Darin wurzelte das Priesterliche an Holls Schreibweise bis zuletzt, weshalb aus seinen Büchern, trotz aller darin referierten obskuren Mythen und mythischen Brutalitäten, dem Lesenden durchgehend ein Moment der Besänftigung erfließt. Schon in "Tod und Teufel" geht es Holl um ein höheres geistiges, ein geistliches Einverständnis mit dem, was ist: mit der Welt als Schöpfung betrachtet, als ein Buch mit sieben Siegeln und einem unausschöpfbaren Reservoir an Geschichten, die über unser Gefängnis der Innerweltlichkeit hinausführen.

Wiener Zeitung, 5. Juni 2022