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Altenberg, Peter #

eigentlich Richard Engländer


* 9. 3. 1859, Wien

† 8. 1. 1919, Wien


Schriftsteller


Peter Altenberg
Peter Altenberg
© Ch. Brandstätter Verlag, Wien, für AEIOU

Peter Altenberg wurde als Richard Engländer am 9. 3. 1859 in Wien als Sohn einer wohlhabenden Wiener Kaufmannsfamilie geboren.


Statt die Volksschule zu besuchen, wurde Altenberg von Hauslehrern unterrichtet, für die Erziehung sorgte der Hofmeister.

Altenberg besuchte das Akademische Gymnasium in Wien; beim ersten Anlauf zur Matura fiel er durch, denn die Vorgabe war, einen Aufsatz über den "Einfluss der Neuen Welt (Amerika) auf die Alte" zu verfassen. Altenberg behauptete später ein einziges Wort hingeschrieben zu haben: "Kartoffeln".

Das begonnene Studium der Botanik und Medizin in Wien blieb ebenso wie ein Studium der Rechtswissenschaften in Graz erfolglos. Altenberg brach auch eine in Stuttgart begonnene Buchhändlerlehre ab. Der Psychiater Ludwig Schlager diagnostizierte 1883 die Unfähigkeit Altenbergs, den Normen eines Lebens der Mittelschicht zu entsprechen und riet seiner Familie davon ab, ihn unnötigem Stress auszusetzen. Die Diagnose lautete: "Übererregbarkeit des Nervensystems".


Das Pseudonym Altenberg entlieh er der gleichnamigen Ortschaft an der Donau, nahe Greifenstein bei Wien, wo er im Alter von etwa 20 Jahren bei einem Schulfreund, dessen Vater der Herausgeber der "Neuen Freien Presse" war, einige Zeit verbracht hatte.


Durch das ärztliche Attest für arbeitsunfähig erklärt, begann Altenberg das Leben eines Bohemien zu führen und verkehrte in Varietes, Theatern, Salons und vor allem im Kaffeehaus. Der Name Altenberg ist untrennbar mit dem Café Griensteidl in Wien verbunden, in dem er ab 1890 Stammgast war, danach besuchte er das Café Central, wo er mit Adolf Loos und Karl Kraus freundschaftlich verkehrte. Zudem war Altenberg mit Schriftstellern des Gruppe Jung-Wien, u. a. Egon Friedell, Richard Beer-Hofmann, Felix Salten, Alfred Polgar und Arthur Schnitzler befreundet.

Altenberg beschäftigte sich schon damals mit der Literatur, er schrieb Prosaskizzen, in diesen ging es ihm um die Darstellung von Sinneseindrücken und er entwickelte den für ihn typischen Telegrammstil. Karl Kraus schickte ohne Altenbergs Wissen die in seiner Wohnung verstreut liegenden Manuskripte an S. Fischer in Berlin.


Das erste Buch erschien 1896 unter dem Titel "Wie ich es sehe". Soziales oder politische Interesse war Altenberg fremd. Vorbilder fand er im französischen Prosagedicht, im Wiener Feuilleton und der französischen Literatur, u. a. bei Joris-Karl Huysmans.


Das Werk Altenbergs besteht aus Prosaskizzen, es sind Momentaufnahmen, die in konzentrierter Form, im "Telegrammstil der Seele" das Leben und die Gesellschaft Wiens um 1900 zeigen. Altenbergs Kunst besteht darin, mit wenigen "literarischen Pinselstrichen" ein umfassendes Bild zu schaffen, ein ganzes Panorama der Gesellschaft, ein ganzes Netz von Beziehungen auferstehen zu lassen.

Bis zu Altenbergs Lebensende erschienen noch zehn weitere Buchpublikationen, darunter etwa Ashantee (1897), Neues Altes (1911), Semmering 1912 (1913), Fechsung (1915) und Mein Lebensabend (1919).


Altenberg, der andauernd an psychischen und physischen Krisen und Depressionen litt, verbrachte seine letzten zehn Lebensjahre zu einem großen Teil in Alkoholentzugs- und Nervenheilanstalten. Seinem Bekenntnis zur in Wien gerade in Mode gekommenen vegetarischen Lebensweise stand ein exzessiver Alkohol- und Tablettenkonsum gegenüber.

Nach dem Niedergang der väterlichen Firma im Jahre 1904 sah sich Altenberg zunehmend gezwungen, Geld von Freunden und Förderern zu erschnorren. Finanziell unterstützt wurde Altenberg durch Spendenaufrufe befreundeter Künstler, auch seine regelmäßige Mitarbeit bei Blättern wie der "Wiener Allgemeinen Zeitung" und dem "Prager Tagblatt" sowie bei bedeutenden Zeitschriften wie die Berliner "Die Schaubühne", "Die Fackel" und "Simplicissimus" konnten ihm kein ausreichendes Einkommen sichern.


So lebte er ohne eigene Wohnung zumeist in einfachen Hotelzimmern in Wien und am Land, in Gmunden und auf dem Semmering, und ab 1913 schließlich im Wiener Grabenhotel in der Dorotheergasse. Als Wiener Original blieb er über seinen Tod hinaus bekannt.


Franzensbrückenstraße, © Rainer Lenius
Franzensbrückenstraße
© Rainer Lenius
AKG Beethovenplatz, © Rainer Lenius
AKG Beethovenplatz
© Rainer Lenius

Peter Altenberg starb am 8. 1. 1919 in Wien.


Er erhielt ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gr.0/1/84) und im 19. Wiener Bezirk ist ihm eine Gasse gewidmet.


In Wien 2, Franzensbrückenstraße 3, am Akademischen Gymnasium, Wien 1, Beethovenplatz, das er besuchte und an einem seiner vielen Wohnsitze, dem Grabenhotel, Wien 1, Dorotheergasse 3, sind Gedenktafeln angebracht.

Werke (Auswahl)#

  • 1896: Wie ich es sehe. 1. Aufl. 246 S. Berlin, S. Fischer
  • 1897: Ashantee. 1. Aufl. VII, 204 S. Berlin, S. Fischer. Umschlagentwurf unter Verwendung einer Fotografie von Frisch
  • 1900: Was der Tag mir zuträgt. 55 neue Studien. 1. Aufl., XV, 250 S., 1 Abb. Berlin, S. Fischer, 1901. Einband: Carl Leistikow
  • 1905: Pròdromos. 1.-2. Tsd, 205 S. Berlin, S. Fischer, 1906
  • 1907: Märchen des Lebens. 1.-2. Tsd., 213 S. Berlin, S. Fischer, 1908
  • 1908: Die Auswahl aus meinen Büchern. 1.-2. Tsd., 147 S, 3 Abb. Berlin, S. Fischer. Umschlag- und Einbandentwurf: E. R. Weiß
  • 1909: Bilderbögen des kleinen Lebens. 1. Aufl., 221 S. Gln. Berlin, Reiß
  • 1911: Neues Altes. 1.-3. Tsd., 214 S. Berlin, S. Fischer
  • 1912: Semmering 1912. 1-2. Tsd. 217 S., 1 Abb. Berlin, S. Fischer, 1913
  • 1915: Fechsung. 1.-2. Tsd. 280 S., 1 Abb. Berlin, S. Fischer
  • 1916: Nachfechsung. 1.-3. Aufl. (Tsd.), 352 S., 1 Abb. Berlin, S. Fischer
  • 1918: Vita ipsa. 1.-4. Aufl. (Tsd.), 318 S., 1 Abb. Berlin, S. Fischer
  • 1919: Mein Lebensabend. 1.-8. Aufl. (Tsd.), 364 S., 1 Abb. Berlin, S. Fischer. Einbandentwurf: K. E. Mende.
  • 1921: Das Altenbergbuch. Hrsg.: Egon Friedell. Leipzig, Wien, Zürich: Verlag der Wiener Graphischen Werkstätte, 424 S., zahlr. Abb.
  • 1925: Der Nachlaß. Hrsg., Vorw.: Alfred Polgar. 1.-4. Aufl. (Tsd.), 158 S., 1 Abb. Berlin, S. Fischer
  • 1930: Nachlese. Einl. Marie Mauthner. Wien, Lányi, 68 S., zahlr. Abb.
  • 1932: Peter Altenberg. Auswahl aus seinen Büchern von Karl Kraus. 530 S. Wien, Schroll. 1901: 3. Aufl. Einbandentw.: Carl Leistikow.

Ausgaben#

  • Das große Peter Altenberg Buch. Hrsg., Nachw. Werner J. Schweiger. Wien, Hamburg 1977
  • Peter Altenberg: Expedition in den Alltag. Gesammelte Skizzen. 1895-1898. Hrsg. Werner J. Schweiger. Wien, Frankfurt 1987 (Gesammelte Werke in fünf Bänden 1)
  • Peter Altenberg: Extrakte des Lebens. Gesammelte Skizzen. 1898-1919. Hrsg. Werner J. Schweiger. Wien, Frankfurt 1987 (Gesammelte Werke in fünf Bänden 2)
  • Peter Altenberg: Wiener Geschichten. Hrsg. Burkhard Spinnen. Frankfurt/Main 1995
  • Peter Altenberg: Auswahl aus seinen Büchern von Karl Kraus. Nachw. Christian Wagenknecht. Frankfurt/Main, Leipzig 1997
  • Peter Altenberg: Sommerabend in Gmunden. Szenen und Skizzen zwischen Semmering und Salzkammergut. Hrsg. Burkhard Spinnen. Frankfurt/Main 1997
  • Peter Altenberg: Wiener Nachtleben. Hrsg. Burkhard Spinnen. Frankfurt/Main 2001


Leseprobe#

aus

Peter Altenberg - Vita Ipsa

Ein Nest sich bauen, wirklich sein höchsteigenes, apartes, von allen anderen unterschiedenes Nest! Wie der Vogel es Halm für Halm sorgsam zusammenträgt! Und jedes Nest ist anders, grundverschieden, hat gleichsam irgendwie den Charakter des Besitzers, des Bewohners. Ja, die Vögel haben halt nicht das Unglück, Architekten für Innen-Einrichtung in der Vogelwelt zu besitzen, die für 10 000 Mark ein schönes Logis herstellen! Mein einfenstriges Kabinett im fünften Stock des Grabenhotel ist mein Nest, Halm, für Halm zusammengesucht seit 20 Jahren. Die Wände ganz bedeckt mit Photos: Die Prinzessin Elisabeth Windisch-Grätz im 5. Lebensjahre. Dieselbe mit ihren vier Engels-Kindern. Franz Schubert und Hugo Wolf, Beethoven und Tolstoi, Richard Wagner und Goethe. Japanische Sumpfvögel, der Berg Fushij, ein großes Kruzifix aus der Bozener Holzbildnerschule, Gustav Klimts Schubertidylle, Schloss Orth im Winter, Grablegung von Ciseri; Photos von: Bertha L., Klara P., Nah-Baduh aus Accra, Paula Sch., Grete H., Kamilla G., Fräulein Mayen. Fräulein Mewes, und meine dreiunddreißig geliebten Ton-Vasen und vierundsechzig japanischen Kleinkunst-Sachen, zusammengeschnorrt von Verehrerinnen. Kurz alles meinem Sein, meinem Geschmacke, meinen inneren Erlebnissen entsprechend. Ein Nest! Wenn ich denke, wer dieses geliebte Kabinett einmal in Bausch und Bogen erben wird, da freut mich wirklich das ganze Sterben nicht!

[Vita Ipsa, 1918, S.61f]

Eine Ruskin-Vase mit natürlicher Überlauf-Glasur gefällt mir besser als alle die Meißener Künsteleien und Ziselierungen in Porzellan. Ich bin gegen Spitzenhöschen in Porzellan. Wenn schon, denn schon. Von Hölzern liebe ich den Vogelahorn, die graue Platane, die hellgelbe Esche, das rötliche Kirschholz. Da kann man mir weder Nuß noch Birn einreden. Ich bin für Perlmutter, Bernstein und Schildkrot. Ein Kamm aus geflecktem Schildplatt (Karett-Schildkröte) achte ich gleich einem edlen Kunstgegenstande. Ebenso eine tiefe Schale aus irisierender Perlmutter und einen halb hellen halb wolkigen dicken Bernsteinspitz für edle Zigaretten. Alles, was noch einen Hauch der absolut und ewig genialen Natur in sich trägt, ist mir als Kunstgegenstand werter als wenn die Menschen "zuviel", also zuwenig daraus schon gemacht haben! Im Kasten will ich noch den adeligen Baum selbst fast erblicken, daher schwärme ich für stark gemaserte, gefladerte Möbel, für Sommer-Zimmer mit Zirbelholz-Möbeln. Nur nichts ausdenken, ausknobeln, meine Herrschaften, sondern der Natur auf ihren geheimnisvoll einfachen Spuren folgen! Zweckmässigkeit = Natürlichkeit [...] Mein Tintenfäßchen ist aus braunem Glas, fabelhaft leicht zu reinigen, kostet 2 Kronen, und heißt noch dazu "Bobby", also jetzt "Robert". Es ist daher ein Kunstwerkchen, es erfüllt seinen Zweck, stört niemanden und ist schön braun. Von kunstgewerblichen Gegenständen, die Etwas vorstellen, nehme ich die Porzellan-Tiere der Königl. Kopenhagen-Manufaktur aus, da z. B. das "Käuzchen", der "Eisvogel", die zwei "Enten", die "Gans", der "Nußhäher", der Natur höchst abgelauscht sind. [...] Bei Uns glaubt man leider, daß etwas schön sei, weil es teuer ist. [...]"

[Vita Ipsa, 1918, S.47ff]

"Wie ist Ihr Zimmer eingerichtet?!" "Es stehen Tag und Nacht die Fenster weit offen!"

[Vita Ipsa, 1918, S.96]

LITERATURHAUS

Literatur#

H. C. Kosler (Hg.), Peter Altenberg, Leben und Werk in Texten und Bildern, 1981
A. Barker, Telegrammstil der Seele. Peter Altenberg - eine Biographie, 1998



Kunstmappe "Peter Altenberg: Kaffeehaus"#


Von der Zeitschrift "Wiener Zeitung" freundlicherweise zur Verfügung gestellt.


Radierung, Jürgen Schlotter
Radierung v. Jürgen Schlotter zu "Peter Altenberg: Das Kaffeehaus"
© Wiener Zeitung

Radierung, Dieter Zurnieden
Radierung v.Dieter Zurnieden zu "Peter Altenberg: Das Kaffeehaus"
© Wiener Zeitung



Zeitlebens in finanzieller Not, existierte Altenberg von kleinen Honoraren als Cabaretkritiker, seinem in Vollendung zelebrierten "Schnorrertum" und vom Geld diverser Gönner, deren Gaben seine Schriftstellerkollegen, vor allem sein größter Unterstützer Karl Kraus, durch Sammlungsaufrufe in der Presse eintrieben.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte der nervlich zerrüttete Literat weitgehend in Sanatorien. Er starb, nachdem man ihn tags zuvor "schwer benommen und delirierend" (Alfred Polgar) in seinem Hotelzimmer aufgefunden hatte, am 8. Januar 1919 an einer Lungenentzündung.

Vierhundert Trauergäste versammelten sich anlässlich der Beisetzung dieses "wahren Dichters und Genies der Nichtigkeiten" (Franz Kafka) auf dem Zentralfriedhof, wo Peter Altenberg in einem "Ehrengrab" bestattet wurde. (Oliver Bentz)


Die Abbildungen und obiger Text stammen aus der von Oliver Bentz und Markus Dahmann herausgegebenen Kunstmappe "Peter Altenberg: Kaffeehaus", bei der sich die Künstler Wolfgang Buchta, Thomas Duttenhoefer, Jürgen Schlotter (Abbildung links), Herwig Zens und Dieter Zurnieden (Abbildung rechts) der Herausforderung der künstlerischen Interpretation von Altenbergs bekanntem Gedicht über die Vorzüge dieser Wiener Institution stellten.

Die exklusiv gestaltete Kunstmappe mit fünf Radierungen, deren Deckel zudem eine Bronzeplakette mit dem Porträt Altenbergs aus der Hand des Bildhauers Thomas Duttenhoefer ziert, ist in einer Auflage von dreißig Exemplaren erschienen. (Kontakt: drobentz@yahoo.de)


Wiener Zeitung,, Samstag, 2. Oktober 2010

Weiterführendes#

Quellen#



Redaktion: I. Schinnerl