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MITTELALTERLICHE TÜRME ALS WAHRZEICHEN#

Michael Mitterauer#

KIRCHTÜRME – LEUCHTTÜRME – GEMEINDETÜRME#

Der Südturm der Wiener Stephanskirche wurde als Glockenturm dieses Sakralbaus errichtet. In seiner Entwicklung blieb er freilich nicht auf religiöse Funktionen beschränkt. Schon von den frühen Phasen seines Ausbaus an übernahm er wichtige kommunale Traditionen. Bei vielen mittelalterlichen Kirchtürmen kam es zu ähnlichen Entwicklungen. Schon früh erhielten sie zusätzliche Aufgaben als Wachttürme, als Feuermeldestationen, als Kontrollplätze der Stadtverwaltung. Beim Wiener Stephansturm ist diese Verbindung verschiedener Aufgabenfelder allerdings in besonders ausgeprägter Form gegeben. So lässt sich – vom Wiener Stephandom ausgehend – auch eine vergleichende Geschichte der kommunalen Türme des Mittelalters versuchen. In vielen Städten des Mittelalters wurde neben einem hohen Kirchturm schon damals ein zweiter hoher Turm mit kommunalen Funktionen erbaut. Für diese Entwicklung stehen etwa die „belfroi“ in Flandern oder die „torri civiche“ in Oberitalien und in der Toskana. In Wien kam es nicht zu einer solchen Entwicklung. Das mittelalterliche Rathaus der Stadt erhielt keinen Rathausturm. Und bis in die „Gründerzeit“ des 19. Jahrhunderts verblieb es bei dieser Konstellation. Erst dann wurde – zusätzlich zum 137 Meter hohen Domturm – im baulichen Kontext des Neuen Rathauses ein rund hundert Meter hoher Rathausturm errichtet. In der Altstadt von Wien machte kein zweiter Turm dem Stephansturm Konkurrenz.

Dass Kirchenglocken auch städtische Funktionen übernahmen, wurde schon im Zusammenhang mit der Glockengeschichte von St. Stephan behandelt. Im 15. Jahrhundert installierte man eine Amtsglocke. 1435 wird erstmals die „Ratsglocke“ genannt. Die „Sturmglocke“ war noch – wie ursprünglich – in einem der „Heidentürme“ angebracht. Deutlicher als in diesen eher bürgerlichen Glockenfunktionen kommt der kommunale Aspekt in einer speziellen Einrichtung des Südturms von St. Stephan zum Ausdruck – nämlich in der „Türmerstube“. Ihre Lage auf 72 Meter bot einen großartigen Ausblick auf die Stadt und ihre Umgebung. Sie war der Sitz des städtischen Turmwächters. Bereits 1427 wurde sie fertiggestellt. Ab damals verzeichnen die Kirchenmeisterrechnungen eine Kammer mit dieser Bezeichnung. Die Stadt Wien kam für die Bezahlung der „Türmer“ auf. Als Naturalleistung erhielten sie Brennholz, ein „Hofgewand“, Filzschuhe und einen Wachtpelz. Für das Läuten der „Sturmglocke“ wurden sie besonders bezahlt. Die Türmerstube war auch ein idealer Ort für Leuchtsignale und andere Warnzeichen. Der Südturm von St. Stephan war also seit dem Spätmittelalter ein ständig bewohnter Turm – allerdings nicht durch einen Glöckner im Auftrag der geistlichen Obrigkeit, sondern durch einen Türmer im Auftrag der Stadt. Wo das Personal auf einem mittelalterlichen Turm von der Stadt bezahlt wurde, dort handelte es sich – partiell oder zur Gänze – um einen kommunalen Turm.

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Das sogenannte „Starhember-Bankerl“ in der Türmerstube des Stephansturms, benannt nach Ernst Rüdiger Graf Starhemberg, dem Stadtkommandanten von Wien 1683, wohl mittelalterlichen Ursprungs - Foto: ÖAKW
Rathaus
Das neue Wiener Rathaus - von 1872 bis 1883 nach Entwürfen des Architekten Friedrich von Schmidt im Stil der Neogotik errichtet.- Foto: Wikipedia

Als konkurrenzloser hoher Turm, der sakrale und profane Funktionen für die Stadt vereinigte, wurde der Stephansturm schon im Mittelalter zum Wahrzeichen der Stadt. Er blieb das Jahrhunderte hindurch bis in die Gegenwart. Die Bewohner der Stadt identifizierten und identifizieren sich mit ihm. Bedeutung gewann er in diesem Sinne auch für das sich ausbildende Landesbewusstsein und schließlich dann in ähnlicher Weise für das Staatsvolk der österreichischen Nation. In einer vergleichenden Sicht von kommunalen Funktionen städtischer Türme bzw. von kommunalen Türmen, die Stadtgemeinden im Mittelalter errichten ließen, lässt sich eine Geschichte des europäischen Kommunalismus schreiben. Die Geschichte des Kommunalismus ist eine wesentliche Komponente der europäischen Geschichte. Aus sozialgeschichtlicher Sicht lässt sich noch deutlicher formulieren: Kommunalismus ist ein essentielles Element des europäischen Sonderwegs der Gesellschaftsentwicklung. Und in dieser Geschichte des europäischen Kommunalismus spielen die mediterranen Seerepubliken eine entscheidende Rolle. Man wird besser von „mediterranen Seerepubliken“ sprechen – nicht von „italienischen“. Ihre verfassungsgeschichtlichen Grundlagen haben weder mit Italien als modernem Nationalstaat noch mit dem italienischen Sprachraum zu tun. Potentielle Seerepubliken haben sich im Mittelalter im byzantinischen Kulturraum ausgebildet – etwa auch an der östlichen Adriaküste, die man nicht so einfach als „italienisch“ charakterisieren kann. Am Beispiel dreier Türme mediterraner Seerepubliken, die für den europäischen Kommunalismus besondere Bedeutung gewannen, sei dies exemplarisch genauer ausgeführt.

Als Wahrzeichen der drei großen Seerepubliken Venedig, Pisa und Genua haben drei Türme als Ausdrucksformen der Verfassungsentwicklung und als Bedeutungsträger kommunaler Identität in der europäischen Geschichte eine besondere Rolle gespielt. Es handelt sich um den Markusturm in Venedig („Campanile di San Marco di Venezia“), um den sogenannten „Schiefen Turm von Pisa“ („Campanile del duomo di Pisa“) und den Leuchtturm von Genua („Lanterna di Genova“). Diese drei Türme können – in lokalem und regionalem Kontext betrachtet – einen geeigneten Ausgangspunkt für einen strukturgeschichtlichen Vergleich europäischer Türmetypen des Mittelalters bieten. Und vor allem können sie die Frage beantworten helfen, warum gerade diese drei Türme dauerhaft zu Wahrzeichen ihrer Städte wurden.

Markusturm
Der Markusturm in Venedig, ursprünglich ein Wacht- oder Leuchtturm aus dem 9. Jahrhundert - Foto: Wikipedia
Torcello
Campanile der Basilica Santa Maria Assunta in Torcello - Foto: Wikipedia

Der Markusturm in Venedig.#

Der Markusturm in Venedig – im Volksmund bis heute als „padrone della casa“ bezeichnet – wird seiner historischen Langzeitfunktion entsprechend als „Campanile di San Marco“ verstanden. Ursprünglich wurde er allerdings nicht als Kirchturm erbaut. Seine verschiedenen Aus- und Umbaustadien spiegeln wichtige Phasen des regionalen Turmbaus im historischen Wandel. Seine gewaltige Höhe von 98,6 Metern erreichte er erst durch solche Ergänzungen. Er muss aber von Anfang an ein Turm von großen Dimensionen gewesen sein - weithin sichtbar und das Umland dominierend. Mit dem ersten Turmbau wurde zwischen 888 und 911 begonnen. Seine älteste Funktion war die eines Wachtturms, eines Wehrturms bzw. die eines Leuchtturms. 1152 wurde ihm eine Turmspitze aus gebranntem Ton aufgesetzt. Der Glanz dieser Spitze war für die Orientierung in den Hafen einfahrender Schiffe durch ihre deutliche Sichtbarkeit wichtig. Erst 1178 kam das oberste Geschoß mit Klangarkaden für Glocken hinzu – im Vergleich zu anderen oberitalienischen Glockentürmen also relativ spät. Erst jetzt handelte es sich bei diesem Turm mit Sicherheit um einen Kirchturm – nämlich dem von San Marco, der zur Hauptkirche des Dukats von Venedig gewordenen Kirche. Der Errichtung des gewaltigen Wacht- und Wehrturms, vielleicht auch schon Leuchtturms, im ausgehenden 9. Jahrhundert ging die Residenzverlagerung der Dogen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts voraus. Sie wurde vom Dogen Agnello Particiaco (809- 827) eingeleitet und von seinen Söhnen als seinen Nachfolgern vorangetrieben. Ältere Dogensitze waren Malamocco und Eraclea, die durch die Fixierung der Residenz am „hohen Ufer“ von Rialto endgültig verdrängt wurden. Hier wurde nun die Volksversammlung abgehalten, hier entstand ein erster „Dogenpalast“. Mit diesem wurde eine Palastkapelle verbunden. Sie sollte zum Aufbewahrungsort der von venezianischen Kaufleuten aus Alexandria entführten Reliquien des Evangelisten Markus werden. Dogenpalast und Markuskirche wurden in der Folgezeit großartig ausgebaut. Der Palast des Dogen erhielt keinen neuen Turm. Und auch der Kirchenbau erfolgte ohne einen neuen Turm des Palastkomplexes. Vielmehr wurde der alte mächtige Leuchtturm beibehalten und nur durch Klangarkaden für die Glocken ergänzt. Der Markusturm nahm dadurch eine Gestalt an, die weder mit dem Stil des Palasts noch mit dem der Dogenkirche korrespondierte.

Wie ein von vornherein als Glockenturm konzipierter Turm einer Bischofskirche aus der Zeit der Residenzverlagerung nach Rialto aussah, das kann man sich am Beispiel der nahegelegenen Basilika von Torcello bewusst machen. Torcello erlebte seine größte Blüte als Handelsemporium vom 7. bis zum 10. Jahrhundert. Hierher floh der Bischof der in der Völkerwanderungszeit aufgegebenen antiken Stadt Altinum und ließ die Basilika Santa Maria Assunta als seine Bischofskirche errichten. Liturgisch und stilistisch vertritt sie mit Ikonenwand und Mosaiken den Kirchenbau des byzantinischen Kulturraums. Im 11. Jahrhundert erhielt sie jedoch – den westlichen Entwicklungen der Zeit entsprechend - einen neuen Glockenturm. Er war von vornherein mit Klangarkaden ausgestattet. Zum Unterschied vom Markusturm war er von seinen Anfängen an ein Kirchturm. Die ursprüngliche Struktur des Markusturms von Venedig gehört typologisch zu den Wacht-, Wehr- und vor allem Leuchttürmen des venetischen Dukats im Frühmittelalter. Leuchttürme spielten in der Region der alten Seerepublik Venedig generell eine sehr große Rolle. Dank ihrer Lage in den Lagunen konnten einige Städte dieser Region schon früh einen relativ geschützten Handelsverkehr ausüben. Die Sicherung der Schifffahrt durch Leuchttürme war dabei ein essentielles Element. Solche Leuchttürme hatten insofern eine kommunale Basis als der Dukat von Venedig unter byzantinischer Oberhoheit damals eine Vielzahl von Stadtgemeinden umfasste. Viele von ihnen standen in unmittelbarer Kontinuität zu römischen Städten, die unter dem Druck durchziehender Völkerschaften in gesicherte Positionen in Meeresnähe auswichen. Sie alle waren primär auf den Seehandel angewiesen. Und für den Schiffsverkehr bedurften sie der Orientierung durch Leuchttürme. Leuchttürme spielten in den Anfängen der Türmelandschaft im Umland von Venedig eine entscheidende Rolle.

Chioggia
Torre Sant’Andrea in Chioggia, ursprünglich Wacht- oder Wehrturm, erst sekundär mit der Kiche Sant’Andre verbunden - Foto: Wikipedia
Caorle
Campanile des Doms von Caorle - Foto: Wikipedia

Ein interessantes Beispiel für einen Campanile, der auf einen älteren Leuchtturm zurückgehen dürfte, stellt in Venetien der Glockenturm des Doms von Caorle dar. Es handelt sich bei diesem 42 Meter hohen Rundturm um ein auffälliges Bauwerk, dessen verschiedene Bauabschnitte unterschiedlichen historischen Epochen entstammen. Als Glockenturm des Doms ist der Hauptteil des Turms dem 11. Jahrhundert zuzurechnen – also der Frühzeit der Entstehung von Glockentürmen in Oberitalien. Es muss aber eine vorausgehende Baustruktur gegeben haben. Das wird aus dem Umstand erschlossen, dass die Basis des Turms aus Steinblöcken aus Istrien besteht - der Kirchturm des 11. Jahrhunderts jedoch aus Ziegeln gemauert wurde. Man vermutet, dass die älteren Bauteile einem frühmittelalterlichen Leuchtturm zuzurechnen sind. Für die Funktion eines ursprünglichen Leuchtturms spricht auch die günstige Position an der Meeresküste. Mit diesem späteren Campanile des Doms korrespondiert in Caorle ein kleinerer Glockenturm. Er gehört zum Heiligtum Santa Maria dell’Angelo am Oststrand von Caorle. Der Glockenturm stammt in diesem Fall aus dem 13. Jahrhundert. Auch hier wird ein Leuchtturm oder Wachtturm als Vorgängerbau angenommen – allerdings einer von geringeren Dimensionen. Die beiden Kirchen, zu denen die beiden Campanili gehören – nämlich der Dom und das Marienheiligtum – sind durch ein altes Brauchtum miteinander verbunden. Es wird „Incendio del Campanile“ genannt. Der Ritus findet in bestimmten Jahresabständen jeweils Mitte Juli statt. Der Campanile des Doms wird dabei an allen seinen Öffnungen auf mehreren Geschoßen hell erleuchtet. Aus Anlass dieses „Incendio“ findet eine Prozession zwischen den beiden Kirchen statt. Es mag sein, dass in diesen Lichtbräuchen des „Incendio“ ältere Funktionen eines Leuchtturms nachwirken. In der Gegenwart wird jedenfalls der eindrucksvolle Rundturm für eine Nacht zu einer außerordentlichen Touristenattraktion. Sowohl als Glockenturm als auch in seiner vermuteten ursprünglichen Funktion als Leuchtturm ist der „Campanile del Duomo di Caorle“ jedenfalls älter als der Markusturm in Venedig.

Ähnlich verhält es sich mit dem „Torre di Sant’Andrea“ in Chioggia an der Südlagune von Venedig. Auch hier handelt es sich um einen Turm, der ursprünglich keine sakralen Funktionen gehabt hat. Er ist viel älter als die Kirche Sant’Andrea, der er sekundär als Glockenturm zugeordnet wurde. Seine ursprüngliche Funktion war wohl die eines Wacht- oder Leuchtturms. Eine Errichtung spätestens im 10. Jahrhundert kann wahrscheinlich gemacht werden. Auch hier geben die Baumaterialien Hinweise: Der Backsteinbau steht auf einer Basis von älteren Hausteinen aus Istrien. Anders als der Rundturm von Caorle findet sich beim Turm von Chioggia eine quadratische Grundlage. Diesbezüglich stimmt er mit dem Markusturm von Venedig überein. Auch er erreicht eine beachtliche Höhe – nämlich 78 Meter. Seine namengebende Bedeutung erlangte dieser Turm erst durch eine Installation aus viel späterer Zeit. Häufiger als „Torre di Sant’Andrea“ wird er als „Torre dell’Orologio bezeichnet. Diesen Namen verdankt er der in seinem fünften Stockwerk installierten Räderuhr. Sie gilt als eine der ältesten mechanischen Uhren der Welt. Dieser späte Ruhm lässt ihn in seiner Bedeutung als Vorgängerbau des Markusturms zurücktreten. Beim Verhältnis zwischen Leuchtturm und Kirchturm geht es im kulturellen Einzugsbereich von Venedig sicher nicht nur um einander vorausgehende oder nachfolgende Funktionen. Viele Türme der Region, die primär als Glockenturm geplant waren, haben auch dem Schiffsverkehr als Orientierungspunkte gedient. Die beiden Funktionen schlossen einander ja gegenseitig nicht aus. Der Markusturm von Venedig war auch nach seiner Umplanung zum Glockenturm für einfahrende Schiffe als Orientierungspunkt wichtig. Leuchtende Turmdächer und vergoldete Figuren von Heiligen oder Engeln auf der Turmspitze konnten bei Tageslicht den Lotsen helfen. Ob auch nachts von Kirchtürmen Leuchtsignale ausgingen, lässt sich aus historischer Perspektive nicht leicht rekonstruieren. Jedenfalls haben die hohen Kirchtürme von Venetien im Lagunen- und Küstenbereich sicher nicht nur sakrale Funktionen ausgeübt. Dass der Campanile von San Marco bis weit in den Adriaraum hinein als Vorbild für Kirchtürme diente, lässt sich in diesem Kontext von Mehrfachfunktionen gut verstehen.

Der „Schiefe Turm“ von Pisa#

Anders als der Campanile von San Marco in Venedig wurde der Campanile der Kathedrale von Pisa von Anfang als Glockenturm geplant. Das ist schon am äußeren Erscheinungsbild des Domensembles von Pisa zu erkennen. Stilistisch ist das Gesamtbild dieses Gebäudekomplexes von Blendarkaden aus weißen marmorähnlichen Steinen geprägt. Das gilt für die drei wichtigsten Gebäude des Ensembles – die Domkirche, das Baptisterium und den Glockenturm. Dem Neubau des Pisaner Doms, der 1064 begonnen wurde, liegt ein einheitliches Planungskonzept zugrunde. Dieser Neubau erfolgte fast zeitgleich mit dem der Markuskirche in Venedig. Beide Seerepubliken standen damals auf einem Höhepunkt ihrer Machtentfaltung. Hinsichtlich der beiden Campanili ergibt sich allerdings ein wesentlicher Unterschied. Der Glockenturm von Pisa wurde von vornherein als Kirchturm errichtet. Mit einem Leuchtturm, wie er in Venedig die Vorstufe bildete, hat er auf den ersten Blick überhaupt nichts zu tun. Man muss auf der symbolischen Ebene beginnen, um zu verstehen, dass auch in Pisa der Campanile mit einem Leuchtturm in Verbindung zu bringen ist. Die neuere Forschung hat diesen Schritt unternommen. Am berühmten Campanile von Pisa findet sich an der Basis ein Relief eingemauert, das einen Leuchtturm zwischen zwei Schiffen darstellt. Im Kontext ikonographischer Überlieferungen konnte die Forschung zeigen, dass es sich um eine Darstellung des „Portus Pisanus“ handelt. Mit ihm identifizierte sich die Stadt in besonderer Weise. Innerhalb des engeren Stadtgebietes verfügte die Stadt zwar über einen Stadthafen, der durch die hier gefundenen Schiffe aus der Antike Berühmtheit erlangte. Das mittelalterliche Pisa verdankte seine überragende Stellung als Seemacht aber ihrem vorgelagerten Seehafen an der Mündung des Arno ins Meer. Dieser wichtige Hafen der hochmittelalterlichen Seerepublik wurde 1290 total zerstört. 1284 hatten die Pisaner gegen ihren Hauptkonkurrenten im Mittelmeerhandel, nämlich die Seerepublik Genua, bei der vor der Einfahrt in den „Portus Pisanus“ gelegenen Insel Meloria eine vernichtende Niederlage erlitten. Genua ließ diesen wichtigen Hafen der Konkurrentin völlig zerstören. Die Genuesen nahmen sich dabei, wie die Quellen der Zeit berichten, die Vorgehensweise des siegreichen Rom gegen Karthago nach dem dritten Punischen Krieg zum Vorbild. „Salz in die Ackerfurchen“ zu streuen, um ewige Unfruchtbarkeit zu bewirken, war damals ein Bild dieses totalen Vernichtungskriegs. Genua ließ im „Portus Pisanus“ alle Hafenanlagen einschließlich der Türme abreißen. Die große Hafenkette, die zwischen zwei dieser Türme gespannt werden konnte, wurde abmontiert. Einzelne Kettenglieder wurden in genuesischen Kirchen ausgestellt, wo man sie als Zeichen des Triumphes bis ins 19. Jahrhundert hinein zeigte. Auch Florenz – ebenso mit Pisa konkurrierend - bekam einen Anteil an solchen Kettengliedern. Hier wurden sie am Baptisterium, dem Hauptheiligtum der Stadt, öffentlich gezeigt. Auch diese aufstrebende Stadtgemeinde war neben Genua an der Vernichtung des „Portus Pisanus“ beteiligt, der – real und symbolisch - die Vormachtstellung der Seerepublik Pisa ausgemacht hatte. Obwohl im „Portus Pisanus“ keine Baulichkeit die Vernichtung von 1290 überdauerte, wissen wir aus ikonographischen und literarischen Quellen wie die Hafenanlage ausgesehen hatte. Es standen dort Rundtürme. Die Hafentürme der Zeit vor der Katastrophe gehörten alle schon seit der Antikezu diesem Bautypus. Das gilt auch für die Leuchttürme von Meloria, jener Vorinsel, bei der die Pisaner ihre Vormachtstellung gegenüber den Genuesen endgültig verloren hatten. Hier sind alte Leuchttürme als Rundtürme belegt. Schon bald nach der Niederlage von Meloria 1284 und der Zerstörung des „Portus Pisanus“ begann die Republik Pisa 1303/5 mit der Errichtung eines neuen Leuchtturms. Die Ortswahl fiel auf eine felsige Landzunge bei Livorno. Und wieder war es ein Rundturm, und zwar ein dreistufiger Turm, wie er auf dem Basisrelief des Domcampanile dargestellt ist. Er wurde offenbar der „Torre Magnale“ nachgebaut, die als Teil des Defensivsystems des „Portus Pisanus“ zwischen 1154 und 1163 errichtet worden war. 1173 wurde im Rahmen des Domensembles mit dem Bau des Campanile begonnen, auf dem sich das erwähnte Basisrelief mit der Leuchtturmdarstellung befindet. Nur wenige Jahre liegen zwischen dem Bau des Hafenturms und dem des Kirchturms mit seinem beziehungsvollen Relief. Man muss nicht nach auswärtigen Vorbildern suchen, um zu erklären, warum man in Pisa beim Domturm diese eigenartige Rundform wählte, die dazu beitrug, ihn zum charakteristischen Wahrzeichen der Stadt zu machen.

Pisa
Der „Schiefe Turm“ von Pisa wurde von vornherein dem Stil des Domensembles angeglichen - Foto: Wikipedia
Relief Pisa
Reliefdarstellung des „Portus Pisanus“ am „Schiefen Turm“ - Foto Wikipedia
Pisa
Reliefdarstellung des „Portus Pisanus“, als Beutegut der rivalisierenden Seerepublik in Genua erhalten - Foto: Wikipedia

Der Glockenturm des Doms von Pisa war mit einer Höhe von hundert Metern geplant. Der Markusturm von Venedig hatte damals wohl schon eine Höhe von fast hundert Metern erreicht. Man darf wohl nicht annehmen, dass die geplante Höhe in Pisa mit einer in Venedig bereits erreichten Höhe zusammenhing. Es ging sicher nicht um ein Feilschen um ein paar Meter zwischen den beiden mächtigen Seerepubliken. Aber sicher wollten beide einen möglichst hohen Turm als Zeichen ihrer Bedeutsamkeit schaffen. Sowohl in Venedig als auch in Pisa war der Untergrund für den Bau eines hohen Turms schlecht. Beide Seerepubliken lagen ja in Lagunenlandschaften. In Venedig hatte der Boden den mächtigen Turm schon seit dem neunten Jahrhundert getragen. In Pisa war man sich von Anfang an der Unsicherheit des Terrains bewusst. Trotzdem wurde das Wagnis begonnen. 1185 – zwölf Jahre nach Baubeginn – begann sich der Turmstumpf nach Südosten zu neigen. Zehn Jahre ruhte der Bau. Dann versuchte man zu korrigieren. Ab dem dritten Stockwerk wurden die vier folgenden mit einem Neigungswinkel gebaut, um die Schieflage auszugleichen. Nochmals wurde der Bau unterbrochen. 1372 entschied man, mit einer Glockenstube abzuschließen. Der Turm hatte - entgegen den ursprünglichen Plänen - nur eine Höhe von 56 Metern erreicht. Trotz der schwierigen Statik wurden im Campanile zahlreiche Glocken angebracht. Sieben der historischen Glocken sind bis heute erhalten. Die älteste von ihnen, die „Pasquereccia“, stammt noch aus dem Jahr 1262. Sie wurde von einem Pisaner Meister gegossen. Pisa hatte schon damals eine bedeutende Tradition des Glockengusses. Das dürfte auch mit dem Umstand zusammenhängen, dass man in den nahegelegenen „Colline Metallifere“ die erforderlichen Erze abbauen konnte. Den neuen Dom mit einem reich ausgestatteten Glockenturm zu ergänzen war in der damaligen Phase des Campanile-Baus in der Toskana wohl unumgänglich. Als ein mit weißen Blendarkaden ausgestatteter Rundturm stellt der „Torre Pendente“ von Pisa eine kunsthistorische Ausnahmeerscheinung dar, die ihn nicht nur seiner Schieflage wegen zu einem Wahrzeichen machte. Es gibt keine Linie der Nachahmung, die an ihn anschließt, wie das beim Markusturm in Venedig der Fall war. Zum einen ist das wohl durch den Umstand zu erklären, dass Pisa früh sein Kolonialreich verlor, während Venedig das seine noch durch Jahrhunderte erhalten konnte. Zum anderen könnte der unglückliche Verlauf des Baus dazu beigetragen haben, dass man von einer Nachahmung absah. So blieb der „Torre Pendente“ einmalig. Und gerade dieser Sachverhalt prädestinierte ihn, zum Wahrzeichen der Stadt und der historischen Seerepublik zu werden.

Im Vergleich zu Venedig ist für die Seerepublik Pisa festzuhalten, dass in der Zeit der Errichtung von Dom und Campanile nicht ein Doge an der Spitze des Gemeinwesens stand, sondern der Erzbischof der Stadt die maßgebliche Autorität darstellte. Der bischöfliche Palast lag nahe dem Dom. Er verfügte über keinen eigenen Turm. Das gilt auch für den Sitz des Stadtrats bei der Kirche San Sisto – dem zweiten Zentrum der Altstadt. Am Festtag des heiligen Sixtus hatten die Pisaner seit dem frühen 11. Jahrhundert große Seesiege errungen, die ihre maritime Vorrangstellung im westlichen Mittelmeer begründeten. So ergab sich in Pisa eine ganz andere Herrschaftstopographie als in Venedig. Dort wurde der dominierende Turm neben dem Dogenpalast zum Herrschaftssymbol ausgestaltet, hier der Glockenturm der erzbischöflichen Kathedrale.

Der Leuchtturm von Genua#

Die dritte der drei großen mediterranen Seerepubliken des Mittelalters hat ein Wahrzeichen von eindeutig profanem Charakter. Der Leuchtturm der Stadt war für ihren Seehandel von existenzieller Bedeutung. Ohne Leuchtturm war kein nächtlicher Schiffsverkehr möglich und auch nicht die Ein- und Ausfahrt bei Tag. Diese existenzielle praktische Bedeutung kam auch auf der symbolischen Ebene zum Ausdruck. Die „Torre della Lanterna“ von Genua war und ist das Wahrzeichen der alten Hafenstadt. Der Leuchtturm wurde zum städtischen Symbol schlechthin. Man hat ihn als „quasi un totem della genovesità“ charakterisiert, also gleichsam als Zeichen mythisch-verwandtschaftlicher Beziehungen – verbindend für alle Genuesen, gleichgültig ob ausgewandert oder in der Stadt verblieben. In diesem Wahrzeichen ist die ganze Geschichte der mächtigen Seerepublik des Mittelalters lebendig.

Genua
Der Leuchtturm von Genua - Foto: Wikipedia

Die „Lanterna“ ist ein mächtiges Monument. Sie hat ein hohes Alter und war Jahrhunderte hindurch der höchste Leuchtturm Europas. Die Turmhöhe beträgt 76 Meter. Zählt man den Fels hinzu, auf dem der Turm steht, ergibt sich eine Feuerhöhe über dem Meeresspiegel von 117 Metern. Auf eine Distanz von 36 Seemeilen ist der Leuchtturm für Schiffe sichtbar. Die Position des Leuchtturms am Vorgebirge von San Benigno war seit seinen Anfängen immer dieselbe. Der erste Turm an dieser Stelle wurde 1128 erbaut – also später als der große Turm von Venedig und erst lange nach den Leuchttürmen Pisas im Mündungsgebiet des Arno. Auch aus der Perspektive des Leuchtturmbaus ist Genua die jüngste der drei großen Seerepubliken. Die „Lanterna“ von Genua ist ein quadratischer Bau aus Naturstein, der in Carignano in Piemont gewonnen wurde. Es ging um die Härte und Widerstandskraft des von fernher herbeigeschafften Baumaterials, nicht wie in Pisa um marmorgleichen weißen Kalkstein, der hier die strahlende Wirkung des Domensembles ausmachte. Der quadratische Grundriss der „Lanterna“ von Genua unterscheidet sich von den Rundtürmen in den Häfen von Pisa. Sein Vorbild könnte der quadratisch-mehrstufig angelegte „Pharus“ von Alexandria gewesen sein, der große Leuchtturm im Orient, der seit der Antike zu den „Sieben Weltwundern“ zählte und dementsprechend den Leuchtturmbau im Mittelmeerraum beeinflusste. Die Genuesen werden ihn noch gekannt haben, als sie im 12. Jahrhundert ihren ersten Leuchtturm errichteten. „faro“, die italienische Bezeichnung für Leuchtturm, leitet sich ja auch vom Vorbild in Alexandria ab. Anders als die Glockentürme von Pisa und Venedig, war der Leuchtturm von Genua nicht Teil eines größeren Siedlungskomplexes. Auf dem Vorgebirge, auf dem er erbaut wurde, gab es nur das kleine Benediktinerkloster San Benigno. Sehr häufig betreuten im Mittelmeerraum Mönche frühe Leuchtturmanlagen. Das passte zu ihrer Lebensweise, bedeutete aber nicht, dass die Leuchtturmaktivitäten irgendwie religiösen Charakter hatten. In Genua wurden die Leuchtturmwärter aus dem Klösterchen am Vorgebirge schon frühzeitig von besoldeten städtischen Amtsträgern abgelöst, die hier mit ihrer Familie wohnten. Die Siedlungsferne der „Lanterna“ hielt sich bis in die Neuzeit. Erst im 18. Jahrhungert wurde sie in die Stadtmauer einbezogen. Wie Pisa war auch Genua im Hoch- und Spätmittelalter eine Stadt der vielen Türme. Mittelalterliche Stadtansichten vermitteln diesbezüglich ein eindrucksvolles Bild. Neben den vielen Kirchtürmen der beiden Bischofsstädte bewirkten vor allem die zahlreichen Geschlechtertürme diesen Eindruck. In Venedig fehlte dieses Element des mittelalterlichen Städtebaus in Oberitalien. Das lässt sich nicht aus der Sozialstruktur der Seerepublik erklären, die genauso von einem patrizischen Stadtadel geprägt war, sondern wohl aus den physischen Gegebenheiten der Lagunenstadt an der Adria. Pisa und Genua waren innerhalb der Stadtmauern gedrängt mit Geschlechtertürmen bebaut, deren Zahl man auf hundert bis hundertfünfzig schätzt. In Pisa war es ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Gemeindebildung, dass Erzbischof Daimbert in seiner Türmeordnung von 1088/92 auf gleicher Turmhöhe der Geschlechter bestand. In Genua wirkten viel länger die gewaltsamen Konflikte zwischen den führenden Geschlechtern weiter. Die Struktur der Stadt blieb von solchen Geschlechtertürmen und ihnen zugeordneten Quartieren bestimmt. Die Stärke der stadtadeligen Familien bedeutete hier eine besondere Schwäche der Gemeinde. Keiner dieser Geschlechtertürme erlangte jedoch eine derartige Bedeutung für die Stadt, wie sie die „Lanterna“ als wichtigster Gemeinschaftsbau der Hafenstadt hatte.

Auch die Kirchtürme von Genua konnten dem Leuchtturm nicht annähernd Konkurrenz machen. Insgesamt 37 Campanili haben sich bis heute in der alten Hafenstadt erhalten. Der bedeutendste unter ihnen war und ist sicher der „Campanile di San Lorenzo“, der Turm der Kathedrale. Er ist ein Campanile im Verständnis von Glockenturm, nicht als freistehender Turm der Domensembles wie in Pisa. Er wurde beim Neubau der Kathedrale zu Anfang des 12. Jahrhunderts im Konzept einer Doppelturmfassade begonnen. Der zweite geplante Turm der Kathedrale wurde jedoch nicht vollendet. Eine besondere kommunale Bedeutung hat der ausgebaute Turm von San Lorenzo in seiner Geschichte nie gewonnen. Als ein bedeutungsvoller Turm bestand das ganze Mittelalter hindurch und bis ins 20. Jahrhundert hinein der romanische Campanile der alten Kathedrale San Siro. Diese erste Kathedrale der Stadt geht auf eine Kirche des 4. Jahrhunderts zurück. Spätestens Anfang des 12. Jahrhunderts – also noch in der Frühzeit des Baus von Glockentürmen in Oberitalien - erhielt sie einen Campanile. Dieser uralte Turm zeigte im 19. Jahrhundert schon Zeichen der Baufälligkeit. Als der Einsturz des Campanile von San Marco in Venedig am 14. Juli 1902 eine Stimmung der Angst in ganz Italien auslöste, begann man den Kirchturm aus der Frühzeit der Stadtgemeinde von Genua abzureißen. Anders als in Venedig gab es in der genuesischen Öffentlichkeit keinerlei Bedürfnis, den Turm beim Grab des ersten Stadtbischofs Syrus wieder aufzubauen. Um einen besonders symbolträchtigen Turm der ehemaligen Seerepublik dürfte es sich also nicht gehandelt haben. Beim Leuchtturm der Stadt unternahm man hingegen immer wieder Anstrengungen, um ihn für die Zukunft zu erhalten.

Seerepubliken und Leuchttürme#

Bei den drei großen mediterranen Seerepubliken Venedig, Pisa und Genua ergibt sich bei genauerer Betrachtung eine hohe Bedeutung von Leuchttürmen für diese Gemeinwesen – sowohl auf real praktischer als auch auf symbolischer Ebene. Man wird sich die Frage stellen dürfen, ob dieser Befund für mediterrane Seerepubliken verallgemeinerbar ist. Es wäre dabei etwa zu untersuchen, inwieweit symbolisch bedeutsame Türme aus der Frühzeit der jeweiligen Hafenstädte mit Leuchttürmen oder mit Kirchtürmen zusammenhängen. Solche Zusammenhänge könnten - wie bei Venedig, Pisa und Genua selbst – auf sehr unterschiedlichen Ebenen liegen. In Hinblick auf die Bedeutung von Glocken für den Bau von hohen Kirchtürmen bzw. von hohen Kirchtürmen als Orientierungspunkten für die Schifffahrt wäre wohl bei einzelnen Seerepubliken zu analysieren, welche Funktionen jeweils Kirchtürme in der Entstehungsgeschichte dieser Gemeinwesen hatten. Hat man Kirchtürme als Leuchttürme bei Nacht und als Orientierungspunkte bei Tag eingesetzt? Klangarkaden, die für die Glocken erforderlich waren, eigneten sich ja auch für Lichtsignale und ähnliche Formen der Kommunikation. In Venetien haben sich Hinweise in diese Richtung gezeigt. In Süditalien lässt sich eine zeitliche Entsprechung zwischen früher Entwicklung von Seerepubliken einerseits, dem Bau von sehr hohen bzw. sehr bedeutungsvollen Glockentürmen andererseits mehrfach feststellen. Amalfi, Salerno und könnten Beispiele dafür sein. Amalfi war in dieser Region - wie überhaupt unter den mediterranen Seerepubliken - die älteste, die eine solche Charakteristik verdient. Gaeta entwickelte sich in ganz ähnlichen Formen. Gemeinsam mit den Amalfitanern und Gaetanern fuhren die Salernitaner schon im 10. Jahrhundert die tyrrhenische und adriatische Küste entlang den Po aufwärts auf die Märkte von Pavia. Alle drei Hafenstädte hatten sehr alte und prägnante Glockentürme, den höchsten Salerno. In Gaeta findet sich die eigenartige Konstruktion eines Glockenturms durch den ein großes Tor zum Meer führt. Eine ganz analoge maritim orientierte Turmkonstruktion kennzeichnet den Campanile von Trani in Apulien aus. Wie Amalfi hatte auch Trani sehr früh ein Seerecht entwickelt, muss also für den mediterranen Schiffsverkehr außerordentliche Bedeutung gehabt haben. Waren die Kirchtürme solcher früher Seerepubliken auch für die Schifffahrt von Bedeutung? Hinweise auf Zusammenhänge dieser Art müssen hier skizzenhaft bleiben.

Trani
Der Campanile von Trani - Foto: Wikipedia
Gaeta
Der Campanile von Gaeta mit einer ähnlichen Konstruktion - Foto Wikipedia

Kirchtürme und Leuchttürme, die zu Wahrzeichen von Seerepubliken wurden, könnten ein interessantes Thema mittelalterlicher Stadtgeschichte sein. Die „großen Drei“ – Venedig, Pisa und Genua – geben unterschiedliche Konstellationen vor, wie Funktionen von Türmen miteinander in Zusammenhang stehen konnten. Die jeweiligen Positionen von kirchlichen und weltlichen Zentren erscheinen bei einer solchen Analyse interessant – ebenso die von Herrschaft und Genossenschaft. Die mediterranen Seerepubliken erscheinen als Frühformen kommunaler Gemeinwesen für die Entwicklung des europäischen Kommunalismus von besonderem Interesse. Entlang dieser Entwicklungslinie lässt sich in der Gestaltung ihrer Türme viel an realen gesellschaftlichen Verhältnissen, aber auch an symbolischen Ausdrucksformen ablesen.

Leuchttürme und Laterne#

In einen interessanten architekturgeschichtlichen Zusammenhang, der weiterverfolgt zu werden verdient, führt die Bezeichnung des Wahrzeichens von Genua, der dritten der drei großen Seerepubliken. „Laterna“ stammt letztlich von einem altgriechischen Wort für „Leuchter“ oder „Fackel“, das in die lateinische Sprache übernommen wurde. Mit dieser verbreitete es sich in mehrere romanische Sprachen – etwa „laterne“ im Französischen, „linterna“ im Spanischen oder „laterna“ im Italienischen sowie „lantern“ im Englischen und „Laterne“ im Deutschen. In allen diesen Sprachen wurde es auch zu einer Bezeichnung eines Architekturelements und damit zu einem Begriff der Kunstgeschichte. In diesem fachlichen Kontext nennt man sowohl Kuppelaufsätze als auch Turmaufsätze „Laterne“. Damit schließt sich ein etymologischer Zusammenhang, der zu den „Laternentürmen“ führt.

Der gemeinsame Ursprung aller Architekturlaternen liegt in den antiken Leuchttürmen, von denen einige wenige das ganze Mittelalter hindurch erhalten blieben. Auf den erst im Spätmittelalter verfallenen Pharos von Alexandria wurde schon hingewiesen. Der Herkulesturm in A Coruna an der Atlantikküste von Galicien blieb durchgehend in Betrieb. Er war nicht nur Seefahrern bekannt sondern auch zahlreichen Pilgern, die auf dem Landweg Santiago de Compostella aufsuchten – immerhin das unter den Wallfahrtsheiligtümern der westlichen Christenheit nach Jerusalem und Rom im Spätmittelalter stets an dritter Stelle genannte.

Lange Zeit vor der Aufnahme von Laternen in die christlich-europäische Baukunst findet man Laternen als Aufsatz von Minaretten, die in ihrer Architektur zuweilen ganz bewusst an antike Leuchttürme anknüpften. Vor allem in Nordafrika war das der Fall. Die Moschee von Kairouan, die seit islamischer Frühzeit die viertheiligste der Religionsgemeinschaft war, ist hier zu nennen. Auch das Minarett der großen Moschee von Sevilla orientierte sich an der Leuchtturmarchitektur der Antike. Mit der Bezeichnung „Giralda“ wurde es in die Kathedrale von Sevilla übernommen. Die faktische bzw. symbolische Bedeutung dieses islamischen Zweigs der Weiterentwicklung solcher Architekturtraditionen wird diskutiert. Auf süditalienische Beispiele von Kirchtürmen in Seerepubliken, die eine Wacht- oder Leuchtturmfunktion besessen haben dürften wie etwa in Trani oder Salerno, wurde schon hingewiesen. Türme, die mit Plattformen und zurückgestuften laternenartigen Aufsätzen abschließen, werden derart interpretiert.

Kairouan
Die Große Moschee von Kairouan mit ihrem Minarett, dem Wahrzeichen der Stadt - Foto: Wikipedia
Sevilla
„La Giralda“ in Sevilla ursprünglich Minarett der Großen Moschee, seit 1248 Glockenturm der Kathedrale - Foto: Wikipedia
Laternen als „Architekturelement“ sehen kunsthistorische Überblicke im mittelalterlichen Europa schwach vertreten: „Erst seit der Spätrenaissance … werden wieder Kirchtürme errichtet und mit Kuppeln oder Hauben abgeschlossen, auf denen kleine Laternen aufsitzen; die Kuppeln bzw. Hauben haben jedoch nunmehr nur noch eine tragende bzw. vermittelnde Funktion und werden im Innern nur noch in Ausnahmefällen von den – insgesamt funktionslos gewordenen und dekorativ oder repräsentativ gemeinten - Laternen belichtet“ heißt es etwa in einem einschlägigen Wikipedia-Beitrag zum Thema „Laterne“. Zum Thema „Laternenturm“ findet sich ein „Wikipedia“- Eintrag, der sich im Wesentlichen mit Vierungstürmen beschäftigt: „Als Laternentürme (französisch ‚tour-laterne‘, englisch ‚lantern-tower‘ werden zum Kircheninnern hin geöffnete und belichtete Türme über der Vierung mit einem quadratischen oder seltener auch polygonalen Querschnitt bezeichnet. Runde Türme oberhalb der Vierung werden meist als Tambours oder als Zimborien (spanisch ‚cimborrio‘) bezeichnet“. Die Akzentuierung der Vierung wird dann mit „ehemals auch liturgisch wichtigen Bereichen einer Kirche“ in Zusammenhang gebracht. Von den Fenstern solcher Laternentürme heißt es, dass durch sie „als ‚überirdisch’ empfundenes Licht“ einströmt. Formulierungen dieser Art lassen sich als vorsichtige Hinweise darauf verstehen, dass „Laternen“ als „Architekturelemente“ sowie „Laternentürme“ als Phänomene der Architekturgeschichte mit Liturgie und Empfindungen von Heiligkeit zu tun haben könnten. Sieht man Leuchttürme und Kirchtürme auch als ein Thema der Kunstgeschichte, so wird man solchen Zugangsweisen eine höhere Bedeutung beimessen müssen. Eine Beschäftigung mit mittelalterlichen Türmen als Wahrzeichen auf komparativer und interdisziplinärer Basis mag dafür eine geeignete Grundlage bieten.

LITERATUR

  • Barbara Schedl, St. Stephan in Wien. Der Bau der gotischen Kirche (1200-1500), Wien 2018, vor allem S. 106 ff
  • Ernst Pitz, Europäisches Städtewesen und Bürgertum. Von der Spätantike bis zum hohen Mittelalter, Darmstadt 1991
  • Michael Mitterauer und John Morrissey, Pisa: Seemacht und Kulturmetropole, Wien 2011
  • Fulvia Donati, La tradizione erudita sul Porto Pisano a San Piero di Grado e schemi per l’iconografia portuale, Pisa 2012
  • Markusturm (Venedig) – Wikipedia
  • Campanile del Duomo di Caorle –Wikipedia
  • Orologio della Torre di Sant’Andrea (Chioggia) – Wikipedia
  • Leuchtturm von Genua – Wikipedia
  • Laterne (Architektur) – Wikipedia
  • Laternenturm – Wikipedia