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Schindel, Robert#

* 4. 4. 1944, Bad Hall (Oberösterreich)


Lyriker, Autor, Regisseur


Robert Schindel. Foto., © Harry Weber, Wien, für AEIOU
Robert Schindel. Foto.
© Harry Weber, Wien, für AEIOU

Robert Schindel wurde am 4. April 1944 in Bad Hall in Oberösterreich geboren.

Seine Eltern, Gerti Schindel und René Hajek, österreichische Kommunisten jüdischer Herkunft, waren im Sommer 1943 von Frankreich aus als "elsässische Fremdarbeiter" unter den Decknamen Susanne Soël und Pierre Lutz nach Linz eingeschleust worden, um im Auftrag der Exil-KPÖ hier eine Widerstandsgruppe aufzubauen.
Nach der Entdeckung der Mission wurden die Eltern nach Auschwitz deportiert. Der Vater wurde im März 1945 in Dachau ermordet, die Mutter überlebte Auschwitz und Ravensbrück, kehrte 1945 nach Wien zurück und fand ihren Sohn wieder, den sie vor der Deportation in einem Wiener Kinderheim der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) verstecken konnte.

Nach dem Besuch eines Gymnasiums (das er wegen disziplinären Probleme verlassen musste) begann er 1959 eine Buchhändlerlehre, die er ebenfalls abbrach, um auf Reisen zu gehen (u.a. nach Paris und nachSchweden, wo er sich als Tellerwäscher durchschlug).

Aufgewachsen im Umfeld der KPÖ war Robert Schindel von 1961 bis 1967 selbst aktives Parteimitglied. 1967 holte er die Matura nach und begann an der Universität Wien zunächst Jus und später Philosophie zu studieren. Er wurde Mitbegründer und Wortführer der nach Berliner Vorbild geschaffenen Studentenbewegung "Kommune Wien", dem radikalsten Teil der Wiener Studentenbewegung, und engagierte sich in maoistischen Kreisen.

1969 gründete er die literarische “Gruppe Hundsblume“, in deren Zeitschrift seine ersten lyrischen Werke erschienen. Seinen Lebensunterhalt verdiente er zunächst durch zahlreiche (Gelegenheits-)Jobs, u.a. bei Post und Bahn, als Bibliothekar der Wiener Hauptbücherei (1975 bis 1980) und als Nachrichtenredakteur bei 'Agence France Press' (1981 bis 1983). Daneben entstanden Arbeiten für Film, Fernsehen und Rundfunk. Seit 1986 lebt Robert Schindel als freier Schriftsteller in Wien.

Nach frühen Prosaversuchen veröffentlichte er eine Reihe von immer erfolgreicheren Gedichtbänden, bis er 1992 mit dem Roman "Gebürtig" auch als Prosaautor ein breites Leserpublikum gewann. (Der Roman, in dem sich Schindel in ironisch-sarkastischer Weise mit Antisemitismus und Vergangenheitsbewältigung in Österreich auseinandersetzt, wurde 2002 mit Peter Simonischek verfilmt.)
Nach weiteren Romanen und Gedichtbänden gab er 2007 (zusammen mit Michaela Feurstein-Prasser und Gerhard Milchram) unter dem Titel "Jüdisches Wien" einen Stadtführer über die jüdische Leopoldstadt heraus.

Von 1997 bis 2001 war Robert Schindel Juror beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb; 2006 initiierte er (gemeinsam mit Rudolf Scholten und Johann Pichler) das seither jährlich in Heidenreichstein stattfindende Festival "Literatur im Nebel". Seit 2009 leitet Robert Schindel Lehrveranstaltungen am Institut für Sprachkunst der Universität für angewandte Kunst und unterrichtet bei Schreibwerkstätten.

Auszeichnungen, Ehrungen (Auswahl)#

  • Förderpreis des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie, 1989
  • Förderpreis des österreichischen Staatspreises für Literatur, 1992
  • Förderpreis des Marburger Literaturpreises, 1992
  • Dr. Emil-Domberger-Literaturpeis der B'nai B'rith Européen, 1992
  • Erich-Fried-Preis, 1993
  • Stadtschreiber von Klagenfurt, 1995/96
  • DAAD-Stipendium zu Berlin, 1997
  • Eduard Mörike Preis der Stadt Fellbach, 2000
  • Preis der Stadt Wien, 2003
  • Helga Verkauf-Verlon Preis, 2005
  • Jakob Wassermann Literaturpreis, 2007
  • Kulturpreis des Landes Oberösterreich für Literatur, 2009
  • Johann-Beer-Literaturpreis der OÖ Ärztekammer, 2013
  • Heinrich-Mann-Preis, 2014

Werke (Auswahl)#

Bücher

  • Gott schütze uns vor den guten Menschen, 1995
  • Ohneland. Gedichte vom Holz der Paradeiserbäume 1979-1984, 1986
  • Geier sind pünktliche Tiere. Gedichte, 1987
  • Im Herzen die Krätze. Gedichte, 1988.
  • Ein Feuerchen im Hintennach. Gedichte 1986-1991, 1992
  • Gebürtig. Roman. 1992
  • Die Nacht der Harlekine. Erzählungen, 1994
  • Gott schütz uns vor den guten Menschen. Jüdisches Gedächtnis - Auskunftsbüro der Angst, 1995
  • Immernie. Gedichte vom Moos der Neunzigerhöhlen, 2000
  • Nervös der Meridian. Gedichte, 2003
  • Zwischen dir und mir wächst tief das Paradies. Liebesgedichte. (Vorw.: André Heller; Ill.: Christof Šubik), 2003
  • Mein liebster Feind. Essays, Reden, Miniaturen, 2004
  • Kassandra. Roman, 2004
  • Fremd bei mir selbst. Die Gedichte (1965-2003), 2004
  • Jüdisches Wien. (Stadtführer, gem. m. M. Feurstein-Prasser, G. Milchram), 2007
  • Mein mausklickendes Saeculum, 2008
  • Der Krieg der Wörter gegen die Kehlkopfschreie. Das frühe Prosawerk, 2008
  • Dunkelstein. Eine Realfarce, 2010
  • Man ist viel zu früh jung. Essays, Reden und Bekenntnisse, 2011
  • Der Kalte. Roman, 2013
  • Scharlachnatter. Gedichte, 2015
  • Don Juan wird sechzig. Heiteres Drama, 2015

Filme

  • Gebürtig. Drehbuch und Regie (mit Georg Stefan Troller und Lukas Stepanik). Nach dem gleichnamigen Roman, 2001
  • Supertex. Drehbuchmitarbeit, 2002

Weiterführendes#

Leseprobe#

Robert Schindel - "Der Kalte"

Krieglach saß mit seiner Frau Emmy beim späten Frühstück. Er hatte schlechte Laune wie zumeist am Morgen. Er hing in seinem Frühstücksstuhl drin, als wäre er ein draufgeworfenes Kleidungsstück, gähnte ständig und wartete, dass Emmy ihm sein durchaus frugales Essen vorsetzte. Als Schinken, Eier und Käse auf dem Tisch standen und sie ihm den Tee eingoss, erhob er sich, holte sein Labgetränk, wie er es nannte, und schüttete es dazu. Emmy bedachte diese Verrichtung mit einem kurzen Blick, um sich hernach ihren Tee an die Lippen zu führen. Er schwieg.

Gestern Abend war Emmy aus Edlach allein zurückgekehrt, sie war in der Wohnung Schadekgasse etwas zugange, fuhr noch spät nach Einwilligung ihres Gemahls in sein Atelier, um hier bei ihm zu übernachten. Nächsten Tag wollte sie mit ihm einen ausgedehnten Spaziergang im Prater unternehmen, damit er nach tagelangen und angestrengten Arbeiten sich wieder in den Alltag eingehen konnte. Ohne sie würde Krieglach den ganzen Tag im Atelier verbleiben, seinem Getränk zusprechen und zeichnen. Wenn bei anderen Gedanken durchs Hirn strichen, dann fertigte er stattdessen Kritzelzeichnungen an, große nervöse kreiselhafte Ausrückungen, schnell und mit Geschnaufe hingeworfen. Ohne Emmy würde er nachmittags einnicken, sich in Kriegsträumen wälzen, um hernach weiter und weiter zu kritzeln und zu schnaufen. Abends würde er sich aufmachen, seinen Galeristen in der Zollergasse aufzusuchen. Wenn sich niemand anderer einfand, würde er mit dem Galeristen zu politisieren anfangen, sich im Laufe des Abends immer mehr und weiter in Rage reden. Emmy würde ihn von dort abholen. Dann würden die beiden noch in ein Lokal gehen, etwas essen, und Krieglach würde dort weitere Leute finden, mit denen er streiten und schimpfen konnte. Emmy saß stets ruhig dabei, schätzte den Zeitpunkt ab, an dem sie begann, ihren Mann von der jeweiligen Auseinandersetzung wegzuzerren, oder sie erkannte vor ihm seinen Müdigkeitsgrad, sodass es ihr möglich wurde, ihn sachte zum Aufbruch zu bringen.

Als nun das Telefon läutete, warf Emmy einen Blick auf Herbert. Er hob seine Augen zum Plafond und stand auf. Während er mit dem Bürgermeister redete, trug sie das Geschirr hinaus. Als sie zurückkam, saß er in seinem Sessel.

"Purr kommt."
"Wann?"
"Gleich."
"Was will er?"
"Geht dich nichts an."
"Geh ich?"
"Bleib."
Purr hatte in der linken Hand Blumen, in der rechten eine Flasche Zubrówka. Emmy Krieglach nahm ihm den Mantel ab und die Blumen, führte ihn herein. Krieglach stand auf, verneigte sich, breitete die Arme aus.

"Was führt dich her, mein Fürst, welche Mühe, um elf am Vormittag?" Und er nahm den Zubrówka entgegen. Purr lachte und wollte antworten.
"Sag nichts, Doktor Purr. Lass mich raten."
"Kaffee?", fragte Emmy. Purr nickte. Sie ging.
"Du willst dir das Monumenterl anschauen, welches ich da hinten steh hab, und verhüllt, wie du schnell bemerken wirst."
"So ist es, Herbert. Ich bin verpflichtet, mir vor den großen Streitereien im Gemeinderat das Wunderwerk anzuschauen. Du wirst verstehen, ich muss ja kennen, was ich verteidige und vertrete."
"Das musst du nicht, Schorschi, das musst du einen Dreck. Du kennst mich, du kennst mein Zeug, du hast die Entwürfe gesehen, wir haben gequatscht, und jetzt musst du dich überraschen lassen, wie alle. Schnapsl?"
"Nein danke, Herbertl, das geht nicht. Ich sage dir gleich. Ich muss das Werk in Augenschein nehmen."
Emmy kam mit einer Thermoskanne herein, aus der sie dem Bürgermeister Kaffee einschenkte. Nach einem kurzen Blick auf Krieglach setzte sie sich dazu.

S. 166-168

© 2013, Suhrkamp
LITERATURHAUS Wien
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Quellen#

Redaktion: I, Schinnerl