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Der Mann, der Hitler die Ideen gab (Essay)#

Wilfried Daim in: Beobachter und Gestalter - Autoren in vier Jahrzehnten, Olzog, München, 1989

Das als erstes zitierte Buch stand nicht am Anfang der Verlagsarbeit. Nach Broschüren im Themenbereich der bayerischen „Gesellschaft für bürgerliche Freiheiten e.V." unter Vorsitz von Professor Dr. Erich Kaufmann, deren Studie "Die Dienstaufsichtsbeschwerde und die sogenannte Beamtenbeleidigung" wesentlichen Anstoß zur Verlagsgründung gegeben hatte, waren es die Professoren Ludwig Bergsträßer und Wilhelm Mommsen, die sich dem jungen Verlag anvertrauten. Bergsträßers „Geschichte der politischen Parteien" erlebte nach der Zwangspause im nationalsozialistischen Einparteienstaat mit ihrer 7. Auflage (1952) ihre erneuerte Anerkennung als Standardwerk auf dem noch spärlich wachsenden politischen Buchmarkt. Ähnlich stand es um Mommsens Sammlung der Parteiprogramme (1951).

Wenige Jahre nach der in mehreren Sprachen erfolgten Veröffentlichung der nachgelassenen Aufzeichnungen des Reichspressechefs Otto Dietrich unter dem Titel „12 Jahre mit Hitler" (1955) bot der Wiener Psychologe Dr. WILFRIED DAIM sein abenteuerlich anmutendes, aber bald von Zeitzeugen bestätigtes Werk über Hitlers Wiener Jahre an, aus dem die Begegnung mit dem Sektierer und Rassenfanatiker Adolf-Joseph Lanz, geb. 1874 in Wien, als Bruder Georg von 1893 bis 1898 im Zisterzienserstift Heiligenkreuz im Wiener Wald, der sich dann Dr. Georg Lanz von Liebenfels nannte, bekannt wurde. Dieser Lanz gründete 1900 seine Sekte als „Orden des Neuen Tempels". Weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus blieb diese Sekte - teils in Verbindung mit sinnverwandten Verbindungen wie der Thule-Gesellschaft - in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz virulent.

WILFRIED DAIM, Der Mann, der Hitler die Ideen gab - Von den religiösen Verirrungen eines Sektierers zum Rassenwahn des Diktators (1958), hier zitiert nach dem teilweisen Vorabdruck in „Politische Studien", Heft 97:

1905 wurde also von Lanz eine Zeitschrift gegründet mit dem Namen „Ostara, Briefbücherei der Blonden und Mannesrechtler". Sie diente zur Verbreitung des Lanz Ideen und erreichte in ihrer Glanzzeit 100 000-Auflage.

... sie erschien kontinuierlich zumindest bis 1918 in Wien. Dann wurde in den zwanziger Jahren eine Neuauflage begonnen und anfangs der dreißiger Jahre eine solche Neuauflage neuer- dings in Wien durchgeführt . . . Der Einfluß der Ostara scheint nicht gering gewesen zu sein. Sie ging nach Deutschland und wurde dort von Ludendorff und seiner Frau Mathilde gelesen. Sie ging nach England und begeisterte nach Lanz Lord Kitchener, den Sieger von Karthoum über die Madhisten. Lanz gefiel an Kitchener besonders dessen brutale Art den Negern gegenüber, die er zahlreich umbringen ließ. Für Kitchener bedeutete wiederum des Lanz Ideologie eine Rechtfertigung seines Handelns.

1907 hisste Lanz zum erstenmal auf dem Turm seiner Ordensburg Werfenstein die Hakenkreuzfahne. Auf goldenem Grund befand sich ein rotes Hakenkreuz, in den vier Ecken der Fahne konnte man vier blaue Lilien als Symbol der (Rassen-)Reinheit sehen. Wie alle christlichen Begriffe, so deutet er auch den Begriff der Reinheit um.

Die Ostara florierte, sie wurde in Tabak-Trafiken und in Buchhandlungen um 40 Heller verkauft. Man bekam sie auch in einer heute nicht mehr existierenden Tabak-Trafik in der Felberstraße Nr. 18. Nach den Aufzeichnungen der Wiener Polizei war Adolf Hitler nun vom 18. November 1908 bis 20. August 1909 in der Felberstraße Nr. 22, Tür 16, im 15. Wiener Gemeindebezirk gemeldet, also nur zwei Häuser weiter als jene Tabak-Trafik. Dort kaufte er sich aller Wahrscheinlichkeit nach „die ersten antisemitischen Broschüren", die er in einem Kapitel innerhalb von „Mein Kampf" erwähnt. Dieses relativ lange Kapitel trägt den Titel: „Wiener Lehr- und Leidensjahre." Nachdem er über seine Zweifel in bezug auf die Judenfragc berichtete, schreibt Hitler folgendes:

„Wie immer in solchen Fällen begann ich nun zu versuchen, mir die Zweifel durch Bücher zu beheben. Ich kaufte mir damals um wenige Heller die ersten antisemitischen Broschüren meines Lebens. Sie gingen nur leider alle von dem Standpunkt aus, daß im Prinzip der Leser die Judenfrage bis zu einem gewissen Grade mindestens kenne oder gar begreife. Endlich war die Tonart meistens so, daß mir Zweifel kamen infolge der zum Teil so flachen und außerordentlich unwissenschaftlichen Beweisführung für die Behauptung. Ich wurde dann wieder rückfällig auf Wochen, ja einmal auf Monate hinaus. Die Sache schien mir so ungeheuerlich, die Bezichtigung so maßlos zu sein, daß ich, gequält von der Furcht, Unrecht zu tun, wieder ängstlich und unsicher wurde."*)

Diese Sätze Hitlers enthalten viel mehr, als man zunächst vermuten würde. Hitler wollte sich seine Zweifel durch Bücher beheben. Nun verfiel er auf Broschüren. Er wird im Ton sogar etwas feierlich: „ . . . ersten antisemitischen Broschüren meines Lebens". Für eine sachliche Erzählung hätte genügt: „ . . . ersten antisemitischen Broschüren". Die Worte: „ersten meines Lebens" verwendet man meistens nur dort, wo man die besondere Bedeutung eines Sachverhalts herausstreichen möchte. Es ist ein wenig Pathos in den Worten, ähnlich, wenn auch weniger, wie in den bekannten: „Und da entschloß ich mich, Politiker zu werden", das in vielen seiner Reden wiederkehrt. . . .

Hitler besucht Lanz#

1909 wohnte Lanz von Liebenfels in Rodaun bei Wien. Wie er in einem persönlichen Gespräch mit Univ.-Prof. August Knoll, Dr. Erwin von Waterstadt und dem Verfasser dieses Artikels - es fand am 11. Mai 1951 in des Lanz Wiener Wohnung, Grinzinger Straße 32, statt - ausführlich erzählte, besuchte ihn der junge Hitler im Jahre 1909. Er berichtete ihm, daß er die Ostara fast regelmäßig gekauft hätte und ihm nur einige fehlten. Lanz schenkte ihm die fehlenden Hefte und gab ihm noch zwei Kronen, damit er nach Hause fahren konnte. Hitler machte einen außergewöhnlich armen Eindruck.

Ein anderer Zeuge, Dipl.-Ing. Josef Greiner, lebte mit Hitler längere Zeit im Männerheim in der Meldemannstraße. Er bestätigte dem Verfasser gegenüber, daß er bei ihm ganze Stöße von Ostaraheften gesehen hätte. Er berichtet weiter, daß Hitler auch längere Diskussionen mit einem ausgesprungenen Priester namens Grill über die Rassenprobleme geführt hätte. Grill war Jude und kam aus Galizien und hatte einen anderen, nur schwer aussprechlichen Namen. Während einer heftigen Diskussion in einem Wiener Kaffeehaus habe Grill sogar im Hinblick auf Lanz ausgerufen: „Der Kerl spinnt!" Damit scheint die tatsächliche Bekanntschaft Hitlers mit dem Werk und der Person des Lanz von Liebenfels eindeutig festgestellt. Aber nicht nur auf Hitler, auch auf andere führende Nationalsozialisten hatten die Schriften des Lanz großen Einfluß. Lanz nannte als Ostara-Abonnenten Prof. Hans Günther, den führenden Rassenideologen der NS-Zeit, dann Otto Hauser, Arthur Dinter, Dietrich Eckart u.a.

Christentum und Rassenideologie bei Lanz und Hitler#

Ein Ostaraheft trägt bezeichnenderweise den Titel: „Der Gral als das Mysterium der arisch christlichen Rassenkultreligion."

Die Gralsfeiern, die die Neutempler auf ihren Ordensburgen abhielten, stellten das zentrale Mysterium des Ordens dar. Sie feierten das rassenreine Blut. Rauschning berichtet von einem Gespräch mit Hitler, worin Hitler folgendes sagt: „Soll man nur eine Schar von wirklich Wissenden bilden? Einen Orden, die Brüderschaft der Tempeleisen um den Gral des reinen Blutes."

Die Abkunft der Ideologie Hitlers von der des Lanz sieht man in der Kongruenz der beiden Lehren. Lanz verwendet seine theologische Bildung sehr gut. Er überträgt das weltgeschichtliche Grundschema des Christentums in seine Rassenideologie. Der absolute Wert ist beim Christentum Gott, bei Lanz die blondblaue Rasse. Der Vertreter des absolut Bösen ist beim Christentum der Satan, Lanz bezeichnet ihn als den Dunkelrassigen, im besonderen als den Juden. Bei Lanz beherrschten im ursprünglich paradiesischen Zustand die blondblauen Götter die Erde. Eva, die Stammutter, wurde vom Affendämon verführt, und als Frucht dieser Verbindung entstanden die Mischrassen. Die Vermischung der beiden war eigentlich Sodomie. Daher sind die Mischrassen keine richtigen Menschen, sondern Halbtiere. Dadurch entstand die Erbsünde, durch die sich der eigentliche Mensch, der Arier, immer wieder selbst aus dem Paradies treibt. Doch immer wieder neu schafft der blondblaue Mensch Kultur und immer wieder neu wird diese von Dunkelrassen zerstört. Propheten bekämpften diese Rassenmischung, so ist ein Ostaraheft mit „Moses als Antisemit" betitelt. Und schließlich kommt der Rassenerlöser Christus Frauja (der Name Christus in der Bibel des Gotenbischofs Ulfilas), der die Rassenreinheit kündet. Er will den blondblauen Gott zur Auferstehung durch reine Zucht führen.

„Bibliomystikon oder die Geheimbibel der Eingeweihten" heißt ein zehnbändiges Werk von Lanz, in dem er die Erlösung des blondblauen Menschen aufzeigt. Lanz also überläßt die Erlöserrolle Christus und bescheidet sich mit einer Reformatorrolle.

Hitler war weniger bescheiden, er nimmt die Erlöserrolle für sich in Anspruch, Christus ist nur ein blondblauer Arier. Die Zeit nach dem Erlöser ist ein Ringen um den endgültigen Durchbruch. Da die Rassenmischung das eigentlich Böse ist, kommt durch sie alles Üble auf die Welt. Dann ist aber natürlich die Reinzucht ein Werkzeug der Auferstehung. Die Erlösung kommt also, wenn sich das blondblaue Blut wieder losgerungen hat, aus der Verfallenheit der Niedermenschheit. Lanz hat eine endgültige Prophetie: Eines Tages werden sich die Blondblauen aller Länder vereinigen und in einer ario-heroischen Weltrevolution die Dunklen wieder versklaven. Die Niederrassigen müssen den Blondblauen versprechen, „willige Diener" zu sein, dafür werden sie gut behandelt, denn „der höhere Mensch ist ein tierfreundlicher Mensch". Aber weniger werden müssen deshalb die Minderrassigen auch. Hierbei empfiehlt er die verschiedenen Methoden, die auch Hitler mit bekannten Erfolg angewendet hat.

Auf die tiefenpsychologische Grundlage der Ideologie Lanz und auch der Hitlers wollen wir nicht eingehen, denn daß beide nur schwer pathologischen Ursprungs sein können, zeigt wohl die unglaubliche Wirklichkeitsfremdheit dieser beiden Ideologien. Aber trotzdem erschienen nach 1945 Tausende Seiten von des Lanz Schriften in der Schweiz neu.

Von Hitler verleugnet#

Noch um die Zeit der Machtübernahme des Nationalsozialismus deutet Lanz in seiner Schriftreihe „Luzerner Briefe" an, daß er wohl dazu geeignet wäre, Chefideologe des Dritten Reiches zu werden. Aber Hitler wollte davon nichts wissen, er verleugnete die Ostara und ließ dem Lanz Schreibverbot erteilen, wahrscheinlich um vor dem Ausland den Ursprung seiner Ideologie zu verdecken. Mit dem Krieg brach für Lanz alles zusammen, er bekam Angst vor den Alliierten, die Wien besetzt hielten. Seine Ordensburg in Ungarn wurde zerstört und mit ihr das gesamte Briefarchiv des Ordens. Aber immer noch war Vater Jörg das Haupt seiner treuen Anhänger. Er sehnte sich zurück nach Heiligenkreuz, wo er gerne begraben werden wollte. Aber dieser Wunsch, neben dem Grabmal Heinrich des Grausamen seine letzte Ruhestätte zu haben, konnte ihm nicht erfüllt werden. Er starb, versehen mit den Sterbesakramenten, am 22. April 1954 in seiner Wiener Wohnung. Im Zisterzienserhabit mit dem Ordenskreuz des ONT auf der Brust wurde er im Grab seiner Eltern Johann und Katharina Lanz in Penzing beigesetzt.

*) Adolf Hitler, Mein Kampf, Jubiläumsausgabe 1939, S. 65.