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Ehmer, Josef#


* 7. November 1948, Gschwandt


Historiker, emeritierter Professor an der Universität Wien


Josef Ehmer
Josef Ehmer
Foto: privat

Ausbildung und wissenschaftliche Laufbahn#

Nach dem Besuch der Volksschule in Gschwandt (Oberösterreich) und dem Bundesrealgymnasium in Gmunden studierte Josef Ehmer ab 1968 die Fächer Geschichte und Germanistik an der Universität Wien, wo er 1976 bei Michael Mitterauer promovierte. Anschließend arbeitete er als Forschungsassistent am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, wo er sich 1989 habilitierte und als Dozent tätig war. Von 1993 bis 2005 lehrte Josef Ehmer als Professor für Allgemeine Neuere Geschichte an der Universität Salzburg, von 2005 bis zu seiner Emeritierung 2015 als Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. An beiden Universitäten war er auch Mitglied des Akademischen Senats. Von 2005 bis 2014 war Josef Ehmer Referent für die Historischen Wissenschaften im Kuratorium des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF/Austrian Science Fund) und in dieser Funktion auch Mitglied des Vorstands von HERA – Humanities in the European Research Area.

Seine Laufbahn war von zahlreichen internationalen Lehr- und Forschungsaufenthalten geprägt. Das Studienjahr 1974/75 verbrachte er als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) an der Universität München; die Jahre 1984-1986 als Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen. Gastprofessuren führten ihn an das Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin (1990/91) und an das European University Institute in Florenz (1997/98 und 2002/03). An der Cambridge Group for the History of Population and Social Structure war Josef Ehmer von 1978 bis 1989 regelmäßig zu mehrmonatigen Forschungsaufenthalten zu Gast; im Frühjahr 2008 war er Visiting Scholar am Centre for Quantitative Economic History der Cambridge University. Seit 2009 ist er Associate Fellow des Internationalen Geisteswissenschaftlichen Kollegs „Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive“ (re:work) an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er auch mehrmals längere Forschungsaufenthalte verbrachte.

Forschungsschwerpunkte#

Die Forschungsbereiche von Josef Ehmer erstrecken sich über ein breites Spektrum von sozialgeschichtlichen Themen. Dazu gehören Familie und Lebenslauf; Arbeit, Arbeiter und Arbeiterbewegungen; Handwerk und kleine Warenproduktion; Migrationen; Alter und Altern; Bevölkerungsgeschichte und Historische Demografie. Sein Hauptinteresse gilt dem langfristigen historischen Wandel dieser Phänomene von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart in einer europäisch vergleichenden Perspektive. Dabei interessieren ihn besonders nicht-lineare Entwicklungen und die Gemengelagen von alten und neuen historischen Formationen sowie die Beharrungskraft und Funktionalität von älteren Institutionen und Verhaltensweisen unter neuen sozialökonomischen Bedingungen. Dieses Interesse prägte bereits die Dissertation (Druckfassung 1980) und zieht sich über die Habilitation (Druckfassung 1991) bis in die Gegenwart.

Viele dieser Themen liegen im Überschneidungsbereich von Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften, was in zahlreichen interdisziplinären Kooperationen zum Ausdruck kommt. Unter anderem war Josef Ehmer Mitglied der Leitungsgruppe des Schwerpunktprogramms der DFG „Ursprünge, Arten und Folgen des Konstrukts ‚Bevölkerung’ vor, im und nach dem ‚Dritten Reich’“ (SPP 116, 2000-2007) sowie Mitglied der „Akademiengruppe Altern in Deutschland“ (Deutsche Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und acatech, 2005-2009) und der Interdisziplinären Arbeitsgruppe „A Future with Children. Fertility and the Development of Society” (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und Deutsche Nationale Akademie Leopoldina, 2009-2011). Seit 2012 ist Josef Ehmer Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission Demografischer Wandel (Deutsche Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina).

Ehrungen#

  • Dr. Theodor-Körner-Preis zur Förderung der Wissenschaft (Wien, 1980)
  • Heinz-Maier-Leibnitz-Preis des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft der Bundesrepublik Deutschland für Veröffentlichungen junger Wissenschaftler auf dem Gebiet der Historischen Jugend- und Familienforschung (Bonn, 1984)
  • Victor Adler-Staatspreis für die Geschichte sozialer Bewegungen (Wien, 1995)

Politisches und gesellschaftliches Engagement#

Josef Ehmer stammt aus einer Arbeiterfamilie. Seine Eltern Maria (1910-1992) und Josef (1905-1975) waren im kommunistischen Widerstand gegen Austrofaschismus und Nationalsozialismus tätig und erlitten schwerste Verfolgungen.[1] Ab Beginn seines Studiums an der Universität Wien war Josef Ehmer in der linken Studentenbewegung aktiv, Anfang der 1970er-Jahre gehörte er zu den Gründern des Kommunistischen Studentenverbandes (KSV). Als Assistent engagierte er sich in der gewerkschaftlichen Vertretung der Hochschullehrer. Josef Ehmer war Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) und der Historischen Kommission dieser Partei. Zu Ende der 1980er-Jahre gehörte er zu einer Gruppe von Reformern innerhalb der KPÖ, die die „Überwindung stalinistischer Strukturen und Traditionen“ und das Aufgehen der Partei in einer “Neuformation der Linken“ anstrebte.[2] Nach dem Scheitern dieses Projekts verließ Josef Ehmer die KPÖ und distanzierte sich von allen Varianten des Kommunismus. Der Schwerpunkt seines Engagements liegt seitdem vor allem im Überscheidungsbereich von zivilgesellschaftlichen Initiativen und außeruniversitärer Wissenschaft, wie z.B. in der Erwachsenenbildung, Lehrerfortbildung und in Mentoring-Initiativen. Er ist unter anderem Vorstand des „Edith-Saurer-Fonds zur Förderung geschichtswissenschaftlicher Projekte“ und war viele Jahre lang Mitglied des Vorstands der ITH (International Conference of Labor and Social History).

Publikationen (Auswahl)#

Monografien

  • Familienstruktur und Arbeitsorganisation im frühindustriellen Wien, (= Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 13), Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1980.
  • Sozialgeschichte des Alters (= Neue Historische Bibliothek), Frankfurt/M.: Suhrkamp 1990.
  • Heiratsverhalten, Sozialstruktur, ökonomischer Wandel. England und Mitteleuropa in der Formationsperiode des Kapitalismus, (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 92), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991.
  • Soziale Traditionen in Zeiten des Wandels. Arbeiter und Handwerker im 19. Jahrhundert, (= Studien zur Historischen Sozialwissenschaft 22), Frankfurt/M.: Campus 1994.
  • Bevölkerungsgeschichte und Historische Demographie 1800 – 2000 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 71), München: Oldenbourg 2004 (zweite aktualisierte und erweiterte Auflage 2013; japanische Übersetzung Kyoto 2008)

Herausgeberschaften

  • Josef Ehmer war bzw. ist Mitherausgeber zahlreicher geschichtswissenschaftlicher Zeitschriften. Er gehörte dem Herausgebergremium der “Enzyklopädie der Neuzeit“ an (16 Bände, Stuttgart: Metzler Verlag 2002-2012; engl.: Encyclopedia of Early Modern History Online, Brill 2014-2019), in der er (gemeinsam mit Friedrich Lenger) den Bereich „Lebensformen und sozialer Wandel“ betreute.
  • (gemeinsam mit Michael Mitterauer) Familienstruktur und Arbeitsorganisation in ländlichen Gesellschaften, Wien: Böhlau 1986.
  • (gemeinsam mit Peter Gutschner) Das Alter im Spiel der Generationen. Historische und Sozialwissenschaftliche Beiträge, Wien: Böhlau 2000.
  • (gemeinsam mit Richard Wall und Tamara K. Hareven) Family History Revisited. Comparative Perspectives, Newark: Delaware University Press 2001.
  • (gemeinsam mit Jürgen Reulecke und Rainer Mackensen) Ursprünge, Arten und Folgen des Konstrukts ‚Bevölkerung’ vor, im und nach dem ‚Dritten Reich’, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009.
  • (gemeinsam mit Catharina Lis) The Idea of Work in Europe from Antiquity to Early Modern Times, Aldershot: Ashgate 2009.
  • (gemeinsam mit Otfried Höffe) Bilder des Alters im Wandel. Historische, interkulturelle, theoretische und aktuelle Perspektiven, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft: Stuttgart 2009 (Nova Acta Leopoldina, NF 99, Nr. 363).
  • (gemeinsam mit Mitchell Ash) Universität – Politik – Gesellschaft, Wien-Göttingen: Vienna University Press 2015 (=650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert, Bd. 2).

Aufsätze

  • Rote Fahnen - blauer Montag. Soziale Bedingungen von Aktions- und Organisationsformen der frühen Wiener Arbeiterbewegung, in: D. Puls, E.P. Thompson u.a., Wahrnehmungsformen und Protestverhalten. Studien zur Lage der Unterschichten im 18. und 19. Jahrhundert, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979, 143-174.
  • Frauenarbeit und Arbeiterfamilie in Wien. Vom Vormärz bis 1934, in: H.-U. Wehler (Hrsg.), Frauen in der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts = Geschichte und Gesellschaft 7 (1981), H. 3/4, 438-473. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht).
  • Zur Stellung alter Menschen in Haushalt und Familie. Thesen auf der Grundlage von quantitativen Quellen aus europäischen Städten seit dem 17. Jahrhundert, in: H. Konrad (Hrsg.), Der alte Mensch in der Geschichte, Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1982, 109-153.
  • Ökonomischer und sozialer Strukturwandel im Wiener Handwerk - von der industriellen Revolution zur Hochindustrialisierung, in: U. Engelhardt (Hrsg.), Handwerker in der Industrialisierung. Lage, Kultur und Politik vom späten 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert = Industrielle Welt 37, Stuttgart: Klett-Cotta 1984, 78-104.
  • Lohnarbeit und Lebenszyklus im Kaiserreich, in: Geschichte und Gesellschaft 14 (1988), H. 4, 448-471. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht).
  • The Making of the "Modern Family” in Vienna 1780-1930, in: History & Society in Central Europe, Budapest 1991, 7-29.
  • The "Life Stairs". Aging, Generational Relations and Small Commodity Production in Central Europe, in: T. Hareven (ed.), Ageing and Generational Relations over the Life Course: A Historical and Cross-Cultural Perspective, Berlin/New York: Walter de Gruyter Verlag 1996, 53-74.
  • Worlds of mobility: Migration patterns of Viennese artisans in the 18th century, in: G. Crossick (ed.), The artisan and the European town, Aldershot: Scolar Press 1997, 172-199.
  • Traditionelles Denken und neue Fragestellungen zur Geschichte von Handwerk und Zunft, in: Friedrich Lenger (Hg.), Handwerk, Hausindustrie und die Historische Schule der Nationalökonomie. Wissenschafts- und gewerbegeschichtliche Perspektiven, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 1998, 19-77.
  • Migration und Bevölkerung. Zur Kritik eines Erklärungsmodells, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte XXVII (1998), 5-29 (Bleicher Verlag).
  • Tramping Artisans in Nineteenth-Century Vienna, in: D.Siddle (ed.), Migration, Mobility and Modernization (= Liverpool Studies in European Populations vol 7), Liverpool: Liverpool University Press 2000, 164-185.
  • Marriage, in: David Kertzer and Marzio Barbagli (eds.), History of the European Family, vol. 2: Family Life in the Long Nineteenth Century, Yale University Press: New Haven, London 2002, 282-321.
  • Das Alter in Geschichte und Geschichtswissenschaft, in: Ursula M. Staudinger, Heinz Häfner (Hrsg.), Was ist Alter(n)? Neue Antworten auf eine scheinbar einfache Frage (=Schriften der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 18), Berlin: Springer-Verlag 2008, 149-172.
  • Quantifying mobility in early modern Europe: the challenge of concepts and data, in: Journal of Global History 6 (2011), 327-338.
  • Work versus Leisure: Historical Roots of the Dissociation of Work and Later Life in Twentieth-Century Europe, in: Cornelius Torp (Hrsg.), Challenges of Aging. Pensions, Retirement and Generational Justice, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2015, 135-164.
  • Arbeitsdiskurse im deutschen Sprachraum des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Jörn Leonhard, Willibald Steinmetz (Hrsg.), Semantiken von Arbeit: Diachrone und vergleichende Perspektiven (=Industrielle Welt Bd. 91), Böhlau Verlag: Köln 2016, 93-113.
  • Zur Geschichte des Normalarbeitsverhältnisses: Rekonstruktion und Kritik, in: Johanna Muckenhuber/Josef Hödl/Martin Griesbacher (eds.), Normalarbeit – Vergangenheit oder Zukunft?, Bielefeld: transcript Verlag 2018, 21-39.
  • Work and workplaces, in: Bert de Munck/Thomas Max Safley (eds.), A Cultural History of Work in the Renaissance (1450-1650), Bloomsbury: London 2019, pp. 67-87 (= A Cultural History of Work, vol. 3).
  • Altersbilder und Konzeptionen des Alter(n)s im historisch-kulturellen Vergleich, in: Karsten Hank/Frank Schulz-Nieswandt/Michael Wagner/Susanne Zank (Hrsg.), Alternsforschung. Handbuch für Wissenschaft und Studium, Nomos Verlag: Baden-Baden 2019, 19-45.

Anmerkungen#

[1] Ilse Korotin (Hg.), biografiA. Lexikon österreichischer Frauen. Band 1 A-H, Wien: Böhlau 2016, S. 666 f.
[2]Josef Ehmer, Die Kommunistische Partei Österreichs, in: Herbert Dachs u.a. (Hg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs. Die Zweite Republik, Wien: Manz 1997, S. 323-332, hier S. 326.

Redaktion: K. Ziegler