!Verkürzte Form der Autobiographie von Alfred Missong sen.


__"Mein Leben und Arbeiten"__

Mein Vater, Oberingenieur Jakob Heinrich Missong, Leiter der Maschinenabteilung der Farbwerke Höchst, war der Sohn eines kleinen Gastwirtes aus Niederlahnstein. Während er eine recht traurige Kindheit verlebt hatte, gehörte meine Mutter den vornehmen und wohlhabenden Wiener Bürgerkreisen an.   Sie war eine gebürtige Ulster und Enkelin des Matthäus Salzer, des berühmten Buchdruckers und "Papierers", der 1878 verstarb. 
  
  
 Das religiöse Erbe, das ich vom Elternhause mitbekam, danke ich  ausschließlich meiner Mutter. Überhaupt scheine ich weit mehr nach ihr geraten zu sein, weil ich mich schon in meiner frühesten Jugend ganz als Österreicher, ja geradezu als Wiener fühlte.

In Höchst a. M. bewohnten wir eine eigene Villa, die mindestens acht Zimmer und einen großen Garten hatte. Das Einkommen, das mein Vater bezog, war auch für die damaligen Verhältnisse, in denen geistige Arbeit noch ganz anders gewertet wurde, als heute, ziemlich hoch.



 
 Im Jahre 1912 begann ich mit meinen Gymnasialstudien im sog. Lessing-Gymnasium, das ich nun bis zum Jahre 1917 besuchte. 

Im Sommer pflegten wir regelmäßig zur Großmama nach Wien bezw. nach Baden, wo sie jahraus, jahrein die Kur gebrauchte, zu reisen. Dieser Aufenthalt in Baden, in der österreichischen Luft, in der allein ich richtig atmen zu können meinte - bildete für mich jedesmal ein ganz großes Erlebnis. Immer, wenn die Kaiserhymne gespielt wurde, bekam ich eine Ganslhaut und Tränen der Rührung traten mir in die Augen. Bei "Heil dir im Siegerkranz", das ich in der Frankfurter Schule mitsingen mußte, passierte mir das nie. 


Auch den Beginn des ersten Weltkrieges erlebte ich in Baden bei Wien, und meine jugendliche Begeisterung für den Kaiser und seine Armee kannte keine Grenzen. Nie zuvor noch fiel mir die Rückkehr nach Frankfurt a. M. so schwer wie im Herbst 1914. 

Ich kam mir wie ein österreichischer Märtyrer vor. Auch die protestantische Atmosphäre ertrug ich schlecht. 



In unserer Familie fiel eine große, schicksalsschwere Entscheidung, die mich glücklich machte, obwohl sie mit viel Traurigem verbunden war. Wir Kinder übersiedelten mit unserer Mutter nach Wien, wo kurz zuvor unsere Großmama gestorben war. Am 7. Juni 1917 trafen wir in der Reichs-Haupt- und Residenzstadt, wie Wien damals noch hieß, ein und seit dieser Zeit habe ich Österreich nur noch einmal - während des Naziregimes - auf längere Zeit verlassen.

Diese Wohnung, die auf der sog. "Windmühlhöhe" zwischen Gersthof und der Krim, am Rande des Döblinger Friedhofes liegt, habe ich noch heute mit meiner Familie inne. 

Da ich noch nicht österreichischer Staatsbürger war, machte ich auf Anraten des Leiters der Militär-Oberrealschule ein Majestätsgesuch, das jedoch abschlägig beschieden wurde. Erst kurz vor meiner Matura  im Ottakringer Gymnasium(1921) kam meine Staatsbürgerschaftssache in Ordnung, d. h. ich wurde österreichischer Staatsbürger. 

Die Entlassung aus dem deutschen Staatsverband hatte ich jedoch schon 1917 erwirkt, sodass ich also vier Jahre lang "staatenlos" war.


Bei der Fronleichnamsprozession von 1918 sah ich zum ersten und einzigen Mal das Kaiserpaar. Kaiser Karl, der sehr ernst und sorgenbeschwert aussah, 

Um die Wende des Jahres 1918/19 fiel die erste politisches Phase meines Lebens, die bis zum dritten bezw. vierten Semester meiner Universitätsstudien währte. Ich las nicht bloß regelmäßig mit größter Gewissenhaftigkeit die "Reichspost", sondern auch "Das Neue Reich", jene konservative katholische Wochenschrift, die Dr. Joseph Eberle im Frühherbst 1913 zunächst noch unter dem Namen "Die Monarchie" begründet hatte. 


Außerdem besuchte ich Wählerversammlungen, und zwar keineswegs nur christlichsoziale, sondern auch sozialdemokratische und bürgerlich demokratische. Bei den Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung (Februar 1919) war ich als Stimmzettelverteiler der Christlichsozialen tätig 



Als dann zu Anfang 1919 im Zeichen der neuen Koalitionsfreiheit der Mittelschülerschaft als Gegengewicht gegen den "Deutschen" und gegen den "sozialistischen Mittelschülerbund" der sog. "Christlich-deutsche Studentenbund" ins Leben trat, wagte ich bereits bei der ersten großen Versammlung - noch etwas stotternd und lampenfiebrig - eine kurze Rede, die immerhin die Wirkung hatte, daß man auf mich aufmerksam wurde und mich in den provisorischen Arbeitsausschuß, der später von der "Bundesleitung" abgelöst wurde, wählte. Bis zu meiner Matura war ich nun ständig Mitglied der Bundesleitung des CDSB, und zwar in der Funktion des Schriftführers.


An zweiter Stelle ist der heutige Unterrichtsminister Dr. Felix Hurdes zu erwähnen, der in der Bundesleitung den tirolerischen Typ verkörperte und bei aller ernsten Sachlichkeit, mit der er unsere Probleme von damals anpackte, ein besonders lebenslustiger und heiterer Mensch war. Bei keinem größeren CDSB-Ausflug hat er, soweit ich mich zu erinnern vermag, gefehlt.


Ein ganz starker religiöser und patriotischer Idealismus gab dem CDSB und seinem Auftreten in der Öffentlichkeit das Gepräge. Es war beileibe keine kleingeistige Vereinsmeierei, die wir betrieben, trotzdem unsere Tätigkeit sich z. T. in Sitzungen und Versammlungen abspielte. Zahllos sind die Reden, die ich in diesen Jahren hielt. Teils in kleinen Gruppenversammlungen, teils bei imposanten Kundgebungen in großen Sälen. Man sagte mir damals oft, daß ich ein sehr guter und begeisternder Redner sei. Vielleicht war das wirklich nicht bloß Schmeichelei. 


Die Themen, um die es ging, waren bestimmt durch die Ziele des Bundes, der eine christliche Erneuerung der Gesellschaft anstrebte, die intensivste Anteilnahme des katholischen Volksteils an der demokratischen Gestaltung des österreichischen Staates erreichen, die Ideen des Friedens und der Völkerverständigung propagieren und das Verantwortungsbewußtsein der zukünftigen Generation der Gebildeten wachrufen wollte.
  
 
 
  
Die  Studentenbundszeitung "Neue Jugend"
 bildete die Tribüne, in der die Erstlinge meiner Journalistik erschienen. Das Blatt kam seit Frühjahr 1919 allwöchentlich heraus und stand unter der Leitung von Prof. Dr. Oskar Hergeth; ich gehörte dem Redaktionskomitee an.
50 größere und kleinere Artikel von mir erschienen in der "Neuen Jugend". 


Der eigentliche unumstrittene geistliche Führer des Studentenbundes war der heutige Kanonikus Dr. Karl Rudolf, der von uns geradezu abgöttisch verehrt wurde, 

 Er schuf die sog. "Neuen Jugend"-Runden, in denen wir uns durch Diskussion die Verhaltungsregeln für die verschiedensten Situationen des Lebens zu erarbeiten suchten. Die "Wahrhaftigkeit" spielte in diesen Aussprachekreisen die vorherrschende Rolle, weil wir jungen Menschen nichts so sehr verabscheuten, wie Lüge und Heuchelei.
 
 
Außer Dr. Rudolf nahm Msgr. August Schaurhofer, dem ich später ein kleines monographisches Denkmal gesetzt habe, maßgebenden Einfluß auf die "Neue Jugend", der wir uns zurechneten. Schaurhofer konnte in geradezu unvergleichlicher Weise über die Anwendung der Grundsätze des Christentums auf das soziale Leben sprechen. Immer bildete dabei die Bergpredigt, die er als das A und O christlicher Haltung nahezubringen wußte, den Ausgangspunkt der Betrachtungen. 

Ihm, diesem gütigen, edlen und weisen Priester, danke ich es, daß ich gefeit wurde gegen die Herabwürdigung des Christentums zur Phrase und demagogischen Parteiparole. Und außerdem machte er als erster mich mit den Gedankengängen F. W. Foersters, in dem ich heute noch meinen größten Lehrer der politischen Ethik verehre, bekannt.

Prof. Michael Pfliegler, der erst etwas später in den CDSB-Kreis kam, verkörperte damals mehr die nationale Richtung und wurde zum Initiator der romantischen Bewegung, in die der Studentenbund dann hinüber glitt.

Sobald der CDSB in die Neuland-Bewegung mit all ihrer romantischen Schwärmerei und Zivilisationsverachtung überging, war es für mich Zeit zum Ausscheiden.


Als ich im Sommer 1921 mit meinem Maturazeugnis die Bestätigung der Reife für die Universität in Händen hatte, nahm ich noch als österreichischer Delegierter an der "Quickborn'-Tagung auf Burg Rothenfels teil, und dann lagen CDSB und Neuland hinter mir. 

Ich habe mit meiner Ablehnung dieser Jugendbewegung, die später von einer hohen kirchlichen Persönlichkeit treffend als "Neolandismus" bezeichnet wurde, Recht behalten. Sie hat sich in den entscheidenden Jahren 1937/38 nicht nur nicht bewährt, sondern ist schändlicherweise zu einer Schlüsselstellung des Nationalsozialismus im katholischen Bereich geworden.


Der Mann, der hierfür die Hauptverantwortung trägt -Dr. Anton Böhm - ist mir dann in meinem Berufsleben noch einmal begegnet, da er jahrelang derselben Zeitschriftenredaktion wie ich angehörte.


Kurz bevor ich "civis academicus" wurde, starb mein Vater. 

Obwohl Dr. Ignaz Seipel, den ich von gelegentlichen Vorträgen im Studentenbund her kannte, mir dringend riet, mich für die Jurisprudenz, die größere berufliche Aussichten biete, zu entscheiden wählte ich das Studium der Staatswissenschaften. Es war, wie ich später erkennen mußte, ein schwerer Fehler, daß ich Seipels Rat nicht gefolgt bin, denn in der Tat hingen die vielen Schwierigkeiten, die ich im Berufsleben hatte, meist damit zusammen, daß man - ganz zu Unrecht - im doctor rer. pol. nur einen schwachen Abguß des doctor jur. erblickte. Der Staatsdienst vor allen sperrte sich groteskerweise gerade gegen jene Akademiker, welche die Wissenschaft vom Staate studiert hatten.
   


Die intensive Befassung mit Staatslehre, Soziologie und Völkerrecht machte mir viel Freude und brachte mich, da ich sehr bald zu dem engeren Kreis der Jünger von Kelsen und Spann gehörte, auf den Gedanken, den politischen Ambitionen abzusagen und die Universitätslaufbahn ins Auge zu fassen. 



Ein Zwischenfall, der meine freundschaftliche Verbindung mit Spann jäh zerriß, sollte die Verwirklichung meiner wissenschaftlichen Pläne zunichte machen. Obwohl mir die "reine Rechtslehre" Kelsens mit ihrer unerbittlichen Logik mächtig imponierte und ich in ihr auch heute noch eine großartige wissenschaftliche Leistung erblicke, hatte ich doch auch viele Sympathien für Spannsche Gedankengänge, wodurch meine demokratische Auffassung zeitweilig etwas durchlöchert wurde. An Spanns Ganzheitslehre gefiel mir beileibe nicht der Nationalismus und Staatsfetischismus Hegelscher Provenienz, sondern vielmehr jene "Ganzheitsstufe", zu der Spann niemals emporgestiegen ist: die Ganzheit "Menschheit" bezw. "Christenheit". Da Spann eine Periode des Katholizismus hatte, brachte er mir viel Sympathie entgegen. 



Mein Freund Dr. August M. Knoll, heute Inhaber der soziologischen Lehrkanzel Prof. Spanns, führte mich im Hause Spann ein, und Spann ahnte die längste Zeit gar nicht, was für eine "kosmopolitische Schlange" er an seinem Busen nährte. 


Mein erster Aufsatz gegen den Nationalsozialismus, den ich 1924 in der Zeitschrift "Neuland" unter dem Titel "Was sollen wir zum deutschen Faschismus ~[sic] sagen?" schrieb, öffnete ihm die Augen. Ich befaßte mich in dieser polemischen Arbeit, die wohl die erste, in Österreich erschienene Gesamtabrechnung mit dem Hitlerismus darstellte,  mit der ns. Weltanschauung und fällte über sie als die Antipodin der Bergpredigt und damit des Christentums überhaupt das denkbar vernichtendste Urteil. Als Spann von diesem Aufsatz erfuhr erklärte er, mir nicht mehr die Hand reichen zu können,Wir schieden als Feinde voneinander und ich wußte nun, daß ich durch Spann keinerlei Förderung meiner Habilitationspläne erwarten dürfe.

Ich hatte inzwischen Freundschaft mit dem damals ganz weit rechtsstehenden Dr. Ernst Karl Winter, dem 3. Wiener Vizebürgermeister der autoritären Aera, geschlossen und war unter dem Einfluß seiner zweifellos überragenden geistigen Persönlichkeit in eine Art konservativer Isolierzelle geraten, die mir die Rückkehr ins tagespolitische Getriebe so gut wie unmöglich machte.


 Eines Tages - es war im Frühling 1925 - fragte mich Dr. Winter, ob ich nicht bereit wäre, in die Redaktion Dr. Eberles, des Herausgebers der katholischen Wochenschrift "Das Neue Reich", einzutreten. Die Gespräche kamen rasch zum Abschluß und am 15. Juni 1925 trat ich bereits als "literarische Hilfskraft" in die Redaktion dieser  Zeitschrift ein  , die im Verlag der Tyrolia erschien.

Dr. Eberle lud mich bereits im Oktober ein, in die Redaktion der Wochenschrift "Schönere Zukunft", die er - im Eigenverlag - unter Preisgabe seiner bisherigen Chefredakteurstelle beim "Neuen Reich" vorbereitete, einzutreten. Ich folgte ihm und gehörte von da an mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 1928 dem Redaktionsstab der "Schöneren Zukunft" an. 
 
 
 Da die Zeitschrift ihren weitaus größten Leserkreis in Deutschland hatte - die Auflageziffer betrug zwischen 10.000 und 18.000, wovon mehr als zwei Drittel an deutsche Abonnenten gingen - verlor sich die spezifisch österreichische Note, die dem "Neuen Reich" eigen gewesen war, immer mehr, und es trat die deutsche Mitteleuropaidee an ihre Stelle. 
 

 Dies und der geradezu pathologische Antisemitismus, der von Dr. Eberle gepflegt wurde, führten dazu, daß ich mich innerlich stark von der Zeitschrift und ihrer Programmatik distanzierte.weil sie vieles enthielten, was ich nicht zu verantworten bereit war. Nicht weniger als sechs Pseudonyme dienten mir zur "Tarnung". 
 
 Dem Redakteur Dr. Anton Böhm fiel es hingegen nicht schwer, diese Linie zu vertreten, denn er hatte sich schon während der VF-Aera, in der er äußerlich den loyalen Österreicher spielte, weitgehend auf die Seite der katholischen Schleppträger Hitlers geschlagen und wurde im Jahr 1938 sogar zum nazistischen Kommissar der "Reichspost" bestellt.
 
 
Ich unternahm - im Jahre 1928 - noch einmal den Versuch, mich publizistisch selbständig zu machen. Ich schied aus der Redaktion der "Schöneren Zukunft" aus und begann nun den Leidensweg des freien Schriftstellers, den ich aber nicht durchzuhalten vermochte. Wohl gelang es mir, eine ganze Reihe größerer und kleinerer Arbeiten verschiedenster Art und Themenstellung in der in- und ausländischen Presse unterzubringen, aber eine tragbare Existenzgrundlage war damit nicht zu gewinnen. 
 
 
 Die Blätter, für die ich regelmäßig oder doch häufiger schrieb, waren die Münchener "Allgemeine Rundschau", die von E W. Foerster herausgegebene "Menschheit" (später "Die Zeit"), die Münchener "Soziale Revue" und das Luzerner "Vaterland". Auch zu dem Mitarbeiterkreis der "Reichspost" durfte ich mich zählen. 
 
 
 
 Eine engere Verbindung zu Dr. Funder, dem ich viel zu verdanken habe, ergab sich allerdings während der Zeit des autoritären Regimes. Eine ganze Anzahl von Leitartikeln, die damals in der "Reichspost" erschienen, entstammten meiner Feder, ohne daß die Öffentlichkeit etwas davon erfuhr. Auch Dr. Eberle, der es höchst ungern sah, wenn seine Redakteure an anderen Blättern mitarbeiteten, wußte nichts davon.
 

Im Juni 1930 führte ich meine Braut Juliane Riepl, die als Redaktionssekretärin in der "Schöneren Zukunft" tätig war und zunächst noch in dieser Stellung verblieb, als Gattin heim. 


Die vier Kinder (Agnes, geb. 1931, Alfred geb. 1934, Zita geb. 1937, und Irene geb. 1943), die mir meine Frau schenkte, bildeten das Zeugnis und Unterpfand unseres ehelichen Glücks.

1927 war die "Österreichische Aktion" erschienen, eine Sammlung programmatischer Studien, für die ich drei Beiträge geliefert habe: "Europa", "Österreichs Politik seit 1866/68" und "Entproletarisierung". 1931 folgte eine im Jahrbuch der österreichischen Leogesellschaft publizierte sozialpsychologische Studie über "Die Welt des Proletariats", 1933 das Buch "Heiliges Wien" und 1936 die Monographie "August Schaurhofer", zu der Prof. Dr. Michael Pfliegler das Geleitwort schrieb. 


Die "kalte Liquidation" des österreichischen Parlamentarismus im März 1933 löste bei mir keineswegs Freude und Genugtuung aus. Ich war tieferschüttert und glaubte von vornherein nicht an den glücklichen Ausgang des autoritären Experiments. 

 Die Vorgangsweise der Regierung Dr. Dollfuß, mit dem ich noch während meiner Studentenzeit persönlich gut bekannt war, erschien mir als rechtlich anfechtbar und als politisch verfehlt. Mir war  klar, daß der "Zweifrontenkrieg", den Dollfuß begann, nur mit einer Katastrophe enden könne. 
 
In dieser kritischen Zeit setzte ich große Hoffnungen auf die "Aktion Winter", während ich mich von einer intensiveren Mitarbeit in der "Vaterländischen Front" absichtlich fernhielt. Winter erwies sich leider als eine Persönlichkeit, der es an dem notwendigen politischen Fingerspitzengefühl und an der Methode der rechten Menschenbehandlung fehlte. Im Nu hatte er alle konservativen Kreise gegen sich, ohne die Linke wirklich auf seine Seite bringen zu können. So mußte er schließlich scheitern, und damit war die Chance einer Verständigung mit den Sozialisten, ohne die Österreich nicht gegen den anstürmenden Nazismus verteidigt werden konnte, verspielt. 
 
 
 Die einzige Möglichkeit, Österreich noch zu retten, sah ich nun in dem Plan einer Restauration der Monarchie auf dem kleinösterreichischen Raum. Ich nahm daher durch Vermittlung meines Freundes Prof. Freiherr v. Zeßner-Spitzenberg Verbindung mit dem Chef der Dynastie auf und erstattete diesem regelmäßig Bericht über die innen- und außenpolitische Situation Österreichs, wie sie sich mir darstellte. 
  
 
Daneben bereitete ich die Herausgabe einer "Österreichischen Bücherei" vor, die im Heimat-Verlag, Brixlegg erschien und es immerhin auf 10 Bände brachte. 
 
 
 Diese "Bücherei", deren Einzelbände Format und Umfang der Inselbücher hatten, sollte in populärer, aber doch literarisch hochwertiger Form die geistige und kulturelle Wesenheit Österreichs in kleinen Einzeldarstellungen charakterisieren. Im ersten Band behandelte Paul Thun-Hohenstein die "österreichische Lebensform", der zweite Band war dem "Wiener Kaffeehaus", der dritte "Johann Strauss" gewidmet. Der vierte Band befaßte sich mit den "Schöpfungen österreichischer Techniker", der fünfte mit "Österreichs Wirtschaftsstruktur". Im sechsten Band skizzierte Univ.-Prof. Dr. Hantsch "Österreichs Friedensbemühungen 1916/18", in Band sieben handelte Carry Hauser "Von Kunst und Künstlern in Österreich" ab. Für den achten Band hatte ich Heinrich Suso Waldeck gewonnen, der eine hübsche "Lese aus Abraham a Sancta Clara" zusammenstellte. Die beiden letzten Bände galten dem Tiroler Politiker Perthaler und der "Wiener medizinischen Schule". 
 

 Unter dem Pseudonym Thomas Murner verfasste ich die wohl unerbittlichste Kampfschrift gegen den Hitlerismus, den "Nazispiegel", der 1932 erschien. 
 
 Ab 1933 wurde ich  regelmäßiger Mitarbeit er an der Wochenschrift "Der christliche Ständestaat", die Prof. Dietrich v. Hildebrand leitete. 28 große Aufsätze habe ich unter den Pseudonymen Dr. Hugo Diwald, Dr. Otto Brunner, Dr. Ernst Fürth für den "Christlichen Ständestaat" geschrieben. Ich zitiere ihre Titel, um deutlich zu machen, welche Themen mir damals am Herzen lagen. Dem ersten Aufsatz, der am 3. Dezember 1933 erschien und den Titel "Staatsgestaltung im Geiste der "Quadragesimo anno" trug, folgten: "Österreichs europäische Friedensmission", "Deutschland im Zeichen des Blutmaterialismus", "Ein neues Arbeitsrecht in Deutschland", "Die Sixtusaffäre", "Triest und Mitteleuropa", "Österreichs staatsrechtliche Entwicklung", "Privatrechtliche Wiedergutmachung der habsburgischen Dynastie", "Österreichs Konkordat mit dem Hl. Stuhl", "Sophistik als Theologie des .Brückenbauens'", "Nationaler Katholizismus", "Das .Reich' als Mythus und als Wirklichkeit", "Deutschland als Völkerrechtsbrecher", "Mitteleuropas Wirtschaftsproblematik und ihre europäische Lösung", "Österreich 1918-1934", "Dr. Karl Lueger", "Der Gottesstreiter Franz Joseph Rudigier", "Die Restaurationsfrage als außenpolitisches Problem", "Kaiser Karl als Regent", ,Antisemitismus in Österreich", "Franz Palacky und die österreichische Idee", "Mehr Würde!", "Wir brauchen die Arbeiter", "Non possumus", "Thomas G. Masaryk", "Ein Jubiläum des Völkerrechts", "Der christliche Staat und die Juden", "Wilson und Benedikt XV". Der letztgenannte Aufsatz war mein Schwanengesang als Mitarbeiter des "Christlichen Ständestaates", von dem dann nur mehr wenige Nummern erschienen. 


Die Gruppe um Prof. Zeßner-Spitzenberg, die sich um die Erwerbung des "Christlichen Ständestaates" bemühte, hatte mich als Chefredakteur in Aussicht genommen. Hitler aber machte einen Strich durch diese Rechnung.

Je mehr der Antisemitismus - auch in den katholischen Kreisen Österreichs -wütete, desto mehr fühlte ich mich zu den Juden hingezogen und empfand es als meine Verpflichtung, schützend vor die verfolgte und gepeinigte Judenschaft zu treten. Natürlich nicht, um die Juden in ihrem jüdischen Glaubensbekenntnis
"erstarren" zu lassen, sondern im Sinne der Missionsaufgabe, die den Christen gestellt ist und die nirgendwo so wenig erfüllt wird wie gerade gegenüber dem auserwählten Volk des Alten Bundes. 


Im Hildebrandkreis hatte ich die Bekanntschaft des Kaplans Johannes Österreicher gemacht, der mich als Mitarbeiter an dem von ihm ins Leben gerufenen "Paulus-Werk" gewann. 


Obwohl ich nach dem Juliabkommen vom Jahre 1936 nicht den geringsten Zweifel mehr hegte, daß Österreich verloren sei, weil es die Verständigung mit der Arbeiterschaft nicht erreicht und den Anschluß an die Kleine Entente und die Westmächte nicht gefunden hatte, verhielt ich mich doch so, als ob man noch auf längere Sicht planen und arbeiten könne. 


Einer meiner Lieblingsgedanken war ein "Österreichisches Staatslexikon", das in zwei Bänden alle historisch-politischen Ereignisse und Persönlichkeiten, alle staatsrechtlichen sowie alle sozial-und wirtschaftspolitischen Probleme Österreichs behandeln sollte. Ich arbeitete den Plan eines solchen Lexikons sowie ein umfangreiches Schlagwortverzeichnis aus und erhielt die Zustimmung des Bundeskanzlers Dr. Schuschnigg zu dem Projekt. Kommerzialrat Wiedling vom "Verlag für Jugend und Volk" interessierte sich für die Sache, und wir führten lange Verhandlungen, die aber nicht zum Abschluß kamen, weil der Verleger meinte, man müsse doch auch die "National-Betonten" zur Mitarbeit heranziehen. 


Wie bereits erwähnt, wandte ich nach dem Scheitern der ,Aktion "Winter" meine Hauptaufmerksamkeit dem Restaurationsgedanken zu. Ich wollte einen wenigstens bescheidenen Beitrag zu seiner Popularisierung leisten und machte mich daher erbötig, eine größere Arbeit über "Die soziale Monarchie" zu verfassen. 

Darin sollte unter Benutzung der Handschreiben Kaiser Ottos an die verschiedenen österreichischen Ehrengemeinden und unter Verwertung der Dissertation des Kronanwärters dargelegt werden, daß eine modern gestaltete Monarchie eine gesunde Grundlage für den Staat bildet.


 Die Ausarbeitung der Schrift war rasch vonstatten gegangen, und schon im Spätherbst 1937 hatte Kaiser Otto die wichtigsten Kapitel in Händen. Ich legte Gewicht darauf, in einer persönlichen Unterredung den ganzen Entwurf mit dem Kaiser durchbesprechen zu können. Mitte Jänner 1938 fand diese Unterredung im fürstlich-liechtensteinschen Schloß in Vaduz statt. Es war mein erstes Zusammentreffen mit dem Sohn und Erben Kaiser Karls und hinterließ mir einen ganz tiefen und starken Eindruck. Mit einer dreistündigen Unterbrechung während der Mittagszeit dauerte unsere Besprechung von 10 Uhr vormittags bis 6 Uhr abends, also ca. 5 Stunden. 
 
 
 
 Sie verlief sehr formlos, d. h. wir saßen einander als Diskussionspartner gegenüber, tauschten Zigaretten miteinander aus und unterhielten uns über alle weltpolitischen und innerösterreichischen Fragen, ohne daß dabei das eigentliche Thema -meine Schrift über "Die soziale Monarchie" - zu kurz gekommen wäre. Wohl zeigte es sich, daß in manchen Fragen, z. B. in der Judenfrage und in der Beurteilung der autoritären Staatssysteme unsere Auffassungen auseinander gingen, aber in allen entscheidenden Punkten ließ sich unschwer eine völlige Übereinstimmung der Ansichten erzielen. 
 
 
 Während ich die Kapitulation Österreichs ohne einen einzigen Schuß richtig voraussagte, war Kaiser Otto überzeugt, daß Hitler Österreich nur mit Waffengewalt nehmen könne und daß er einen wenigstens symbolischen Widerstand finden werde. 
 
 
 Als ich vom jungen Kaiser, der sich im allgemeinen als gut informiert erwiesen und von der liebenswürdigsten Seite gezeigt hatte, Abschied nahm, geschah es in dem sicheren Gefühl: entweder wird er in aller Kürze das Schicksal Österreichs in seine Hand nehmen und es zum Guten wenden oder das Unheil des zweiten Weltkriegs bricht unfehlbar über Europa herein und führt zur vorläufigen Auslöschung der österreichischen Staatlichkeit. Nach Wien zurückgekehrt arbeitete ich mit vermehrtem Eifer an der Fertigstellung meiner Schrift, die dann als "corpus delicti" der Gestapo in die Hände fiel, während die einzige Kopie aus Vorsicht in den Ofen wanderte, als ich bereits in "Schutzhaft" saß. Ein eigenartiger Zufall wollte es, daß ich den letzten Strich an dem Manuskript am 11. März 1938 machte, und zwar wenige Minuten vor dem telephonischen Anruf eines Freundes, der mir das Ultimatum Hitlers und die Absage der Schuschniggschen Volksabstimmung meldete.
 
 
Sogleich nach Schuschniggs Besuch in Berchtesgaden hatte ich Baron Zeßner-Spitzenberg bestürmt, telephonisch nach Steenockerzeel zu berichten, daß nach meiner Meinung die sofortige Rückkehr des Kaisers nach Österreich unbedingt notwendig sei. Gleichzeitig übersandte ich der Pariser Zeitung "L´Aube" (die heute Or gan des MRP ist) einen in französischer Sprache verfaßten Hilferuf.
 
 
 Kaiser Otto hat unter dem Eindruck meiner eindringlichen Mahnung das bekannte Angebot an Schuschnigg gerichtet, selbst die Kanzlerschaft zu übernehmen.
Als ich um ca. 7 Uhr abends des 11. März von der Sekretärin Dr. Funders die Bestätigung erhalten hatte, daß Schuschnigg in wenigen Minuten seine Abschiedsrede im Radio halten werde, nahm ich mir gar nicht mehr die Zeit, diese Rede anzuhören, sondern verständigte mich mit Dr. Kogon und Klaus Dohrn, dem Redakteur des "Christlichen Ständestaates", über unsere sofortige Abreise mit Dr. Kogons Auto. 


In einer halben Stunde war mein Koffer gepackt, und ich nahm mit todwundem Herzen Abschied von den Meinen - meiner Frau, meinen drei Kindern und meiner alten Mutter. Wir fuhren zu Dritt in die Nacht hinein - mit dem Ziel Tschechoslowakei. Bereits vor Erreichen der Staatsgrenze wurden wir festgenommen. Man brachte uns zu einem ersten Verhör in die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf und von dort ins Wiener Polizeigefangenenhaus, wo es von politischen Häftlingen nur so wimmelte. Während meine "Schutzhaft", bei der ich nach einigen Wochen die "Liesl" mit dem Landesgerichtsgefängnis vertauschte, nur etwas über 3 Monate dauerte, kam Dr. Kogon ins KZ nach Buchenwald, wo er bis zum April 1945 verblieb. 

Ich wurde ziemlich formlos entlassen und erhielt sogar meinen Österreichischen Paß ausgefolgt. 

Im Juli nahm ich meinen Urlaub und reiste in die Schweiz, ohne daß mir seitens der Grenzwächter irgend welche Schwierigkeiten gemacht wurden. Ein erstes Asyl fand ich bei einem guten alten Freund in Mels (Kanton St. Gallen), wohin im August meine Familie - mit Ausnahme meiner Mutter - nachkam. Später übersiedelten wir nach Stans (Kanton Nidwaiden). Bis zum Frühjahr 1939 aßen wir in der Schweiz das Brot der Verbannten und mitleidig Aufgenommenen. 


Im März 1939 folgten wir der Einladung unseres Freundes Dr. Walter Breitenfeld nach Jugoslawien. In Futog (Backa) - im Schatten des alten Chotek-Besitztums, das Dr. Breitenfelds Gattin, eine geborene Gräfin Schönborn, zur Hälfte geerbt hatte -, wurde uns der Aufenthalt so angenehm wie nur irgend möglich gemacht. 

Nach dem Einmarsch der Ungarn in die Backa 1941 nahm die schwäbische Bauernschaft , der wir als Emigranten aus dem "Reich" immer schon sehr suspekt waren die "Regierung" des Ortes in die Hand. Natürlich hatten die nazistischen Bauernjogln nichts Eiligeres zu tun, als mich unter dem Prätext, ich sei ein Jude und englischer Spion, verhaften zu lassen. 

Vor ca. 40 versammelten, sich sehr gewichtig vorkommenden schwäbischen Halbanalphabeten mußte ich mich "verantworten". Da meine "Richter" keine einigermaßen plausible Handhabe gegen mich fanden, ließen sie mich nach dem "Verhör" wieder frei. 


Bei den Serben des Dorfes hatte ich dadurch ungeheuer an Prestige gewonnen. Fast jeder Serbe grüßte mich mit besonderer Ehrerbietung. Das schwäbische Regime dauerte glücklicherweise nur wenige Tage und wurde dann von den einmarschierenden Ungarn abgelöst.



Die Ungarn behandelten uns durchaus respektvoll und anständig, und ich entschloß mich im Sommer 1941, eine Reise nach Budapest zu unternehmen, um dort vielleicht eine berufliche Stellung zu finden. Erst bei meiner zweiten Budapester Reise im September 1941, an der auch meine Frau und Kinder teilnahmen, gediehen die Unterhandlungen mit dem Herausgeber des deutschen katholischen Kirchenblattes so weit, daß es nur noch der schriftlichen Vereinbarung bedurfte. 

In diesem Augenblick griff wieder eine höhere Macht ein. Ich und meine Familie wurden in Budapest  verhaftet und nach "Grossdeutschland" abgeschoben, so wie der deutsche Gesandte in Budapest es angeordnet hatte. 

Da die Gestapo in Wirklichkeit so gut wie nichts von meiner im Ausland entfalteten gegen "das Reich" gerichteten Tätigkeit wußte, dauerte meine zweite Wiener "Schutzhaft" nur etwa 6 Wochen. Eines Tages im Spätherbst 1941 durfte
ich mein Pinkerl schnüren und stand dann als sog. "freier Mensch" am Schottenring. 


Schon im Dezember 1941 trat ich meinen Dienst als quasi-Anwalt an. Es war eine interessante Tätigkeit, bei der ich viel profitierte - nicht zuletzt auch Menschenkenntnis. Alle Rechtsfälle, mit denen es ein Anwalt normalerweise zu tun hat, kamen mir unter. 


So gräßlich das Leben während des Naziregimes für mich und die Meinen im allgemeinen war - wir bangten ja immer vor neuen Persekutionen und vor meiner Einberufung - beruflich war ich eigentlich sehr zufrieden, und ich habe damals des öfteren erwogen, ob ich nicht doch noch zur Advokatur hinüberwechseln soll.


Mindestens dreimal im Jahr erhielt ich Vorladungen zur Wehrmacht und immer wieder gelang es mir, mit Hilfe der CV-Ärzte, die als Militärärzte tätig waren, krank genug zu erscheinen, um schließlich eine av-Qualifikation zu erhalten. So blieb mir der "graue Rock des Führers" erspart. Selbst dem "Volkssturm" entging ich, weil der Ortsgruppenleiter mich als "Staatsfeind" registriert hatte und daher nicht einmal eine Aufforderung zur Vereidigung an mich ergehen ließ.


Da ich regelmäßig die Berichte des Londoner Senders hörte und mit der
Widerstandsbewegung - vornehmlich mit Dr. Felix Hurdes und Lois Weinberger - in ständiger Verbindung war, hatte ich ein ziemlich klares Bild von der militärischen und politischen Situation. 


 Einmal wäre ich mit meiner Frau fast unter den Trümmern des Hauses Stubenring 20, in dem sich die Anwaltskanzlei befand, "begraben worden". 


Ein guter Engel hieß uns eiligst in den Luftschutzkeller flüchten, und zwei Minuten später war die Anwaltskanzlei in Schutt und Asche gelegt! 

Unmittelbar nach der Befreiung nahm ich wieder Verbindung mit meinem Freunde Dr. Hurdes auf und stellte mich der in Gründung begriffenen österreichischen Volkspartei zur Verfügung. Die ersten Zusammenkünfte fanden im Schottenhof statt. Dort wurde der Aufruf der ÖVP von mir entworfen. 

Und kurze Zeit später erhielt ich den Auftrag, das Programm der Partei zu konzipieren. In Zusammenarbeit mit Dr. Hans Schmitz schuf ich so die "programmatischen Leitsätze", die noch heute das ideelle Gerüst der ÖVP bilden.



Inzwischen war die Übersiedlung der ÖVP in die Falkestraße erfolgt, und ich übernahm das "Referat für Volksaufklärung, Publizistik und Verlagswesen". 



Als Referatsleiter gehörte ich dem engsten Mitarbeiterkreis an und nahm an den Parteileitungssitzüngen, die damals von Minister a. D. Pernter präsidiert wurden, teil. Erst das plötzliche Revirement im Leitungsapparat der Partei, das nach einigen Wochen erfolgte, drängte mich in die Stellung eines Parteibeamten zurück. Das war die erste große Enttäuschung, die mir durch die Partei zuteil wurde. Ich hatte die ersten Redner- und Schulungskurse für die Parteifunktionäre organisiert und eine Menge geistiger Fundamentierungsarbeit geleistet. Insbesondere war die grundsätzliche Festlegung unserer Stellungnahme zur Sozialisierungsfrage meiner Initiative zu danken. In Konferenzen, an denen u. a. Vizekanzler a. D. Schumy und der damalige Unterstaatssekretär Dr. Lugmayr teilnahmen, wurde diese Stellungnahme ausgearbeitet. Sie diente als erste Wegweisung in dem Dickicht der Sozialisierungsdebatten. Da im Zuge der organisatorischen Umgestaltung, die das ganze Presse- und Verlagswesen der Partei Sektionschef a. D. Edmund Weber anvertraute, mein Referat zur Liquidierung bestimmt war, konzentrierte ich nun meine Arbeit zur Gänze auf die Vorbereitung einer programmatischen Parteizeitschrift.


Die Idee einer solchen Zeitschrift war mir schon lange vorgeschwebt. Da die Parteiführer mein Projekt guthießen, sah ich eine große und verantwortungsvolle Aufgabe vor mir, die mich darüber hinwegtröstete, daß ich aus dem Leitungsapparat der Partei ausgeschieden worden ward. 

Ich wollte mich nach wie vor ganz der Partei widmen und schlug daher ein Angebot, das mir Staatsrat a. D. Dr. Funder machte, aus. Hätte ich es angenommen, so wäre mir viel Ärger und Sorge erspart geblieben und ich hätte eine gesicherte und relativ unabhängige Position gewonnen.


Es war von vornherein klar, daß die Bezüge, die ich als Chefredakteur der geplanten Parteizeitschrift beanspruchen durfte, keine ausreichende Existenzgrundlage für meine sechsköpfige Familie abgeben könnten. Die Partei hatte daher bei Staatssekretär Fischer, der in der provisorischen Staatsregierung das Unterrichtsressort leitete, darauf gedrungen, daß mir die öffentliche Verwaltung eines großen Buchverlages übertragen werde. 


Ende Mai 1945 trat ich dieses Amt im Wilhelm Andermann Verlag an. Es war ein schweres Stück Arbeit, das ich dort zu leisten hatte, da die Bücherlager z. T geplündert und die ganze Buchhaltung in Berlin geführt worden war. Trotz namenloser Schwierigkeiten gelang es mir, den Verlag auf eine gesunde kommerzielle Grundlage zu stellen und eine ganze Reihe von bedeutenden Werken herauszubringen. 

An Neuauflagen erschienen: "Rilke und Benvenuta" von Magda von Hattingberg, "Slowakische Märchen" von Robert Michel und Cäcilie Tandler, "Unter gotischen Dächern" von Rudolf Haybach und "Ein Tag des Lebens" von Orio Vergani. Neue Verlagswerke waren "Zwischen Mars und Apoll" (Die Briefe des Cosimo dei Medici), "Vienna gloriosa" von Ann Tizia Leitich, "Reise durch das Biedermeier" von Heinrich Laube. "Michael Neder" von Karl Hareiter, "Österreichische Sagen" von Cäcilie Tandler (mit einem Vorwort aus meiner Feder). "Ninotschka" von Katajew, "Anton P Tschechow" von Maurice Hirschmann und "Geschichten aus meiner Jugend" von Emil Ertl. Außerdem brachte ich das reizende nachgelassene Werk "Goneril" des österreichischen Freiheitskämpfers Roman K. Scholz, einen Gedichtband "Leise Dinge" von Feilander, den Lebensroman Grabbes "Dichter, Tor und Tod" von Robert Hofmann und zwei Werke, die Stoffe aus der Zeit der deutschen Zwingherrschaft behandeln, heraus. Den Roman "Wird es einmal wieder Tag?" von Helmuth Berger und die Novelle "Der Richter" von August Jentsch. 



Wenn man bedenkt, unter welch schwierigen Bedingungen - Papierknappheit, Fehlen des Bindematerials, ständige Stromausfälle usw. - in den Jahren 1945/47 gearbeitet werden mußte, so erscheint diese Verlagsproduktion, die ich als Leiter des Andermann-Unternehmens zustandebrachte, doch ganz respektabel. 


Geplant hatte ich noch die Herausgabe folgendr Werke: Eine große österreichische Kulturgeschichte, für die ich Dr. Wilhelm Böhm als Autor gewonnen hatte, ein Sammelwerk "Das Buch vom österreichischen Geist", das, aus der Feder der bedeutendsten Gelehrten und Literaten, einen Querschnitt durch das Österreichische Geistesleben geben sollte, und ein Buch "Über musikalische Graphik" von Dr. H. Sündermann. Außerdem wurde die Herausgabe einer philosophischen Kleinbuchreihe, die dem Zusammenhang von Philosophie und Leben dienen sollte, erwogen. Die Absatzstockungen im Land und die Aussperrung des österreichischen Buches vom deutschen Markt warfen alle diese Pläne über den Haufen. 


Eines Tages begann die Defizitwirtschaft, und der Verlag geriet auf die absteigende Linie. Viele Monate mühte ich mich um die Aufnahme von Krediten, um Steuerstundungen und um Erschließung des deutschen Marktes. Über allen diesen Bemühungen waltete ein Unstern; sie brachten keinen Erfolg. Das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, dem ich als öffentlicher Verwalter unterstand, behandelte meine Eingaben und Anregungen als quantite negligeable, bis ich im Dezember 1948 in aller Form um meine Enthebung bat, weil mir klar geworden war, daß unter den gegebenen Verhältnissen eine Sanierung des Verlages unmöglich sei. Immerhin wurde es Mai 1949, bis man meinem Enthebungsgesuch stattgab. 


Die letzten Monate meiner Verwaltertätigkeit stellten unerhörte Anforderungen an meine Nervenkraft und führten Ende Mai 1949 zu einem Nervenzusammenbruch, unter dessen Nachwirkungen ich noch ein volles Jahr zu leiden hatte.



Der Traum, im Buch- und Verlagswesen eine dauernde berufliche Stellung zu finden, war ausgeträumt, und ich sah mich allein auf meine redaktionelle Tätigkeit, die mich natürlich nicht voll in Anspruch nehmen konnte, zurückgeworfen. Finanziell bedeutete das für meine Familie eine wahre Katastrophe, zumal ich noch mit einer Menge rückständiger Steuern und sonstiger Schuldverpflichtungen belastet war. Dazu kam noch mein labiler Gesundheitszustand und die Krise des "Österreichischen Verlages", der die "Österreichischen Monatshefte" herausgibt.

Aber alle diese Sorgen und Beschwernisse wären zu ertragen gewesen, wenn ich nicht Woche für Woche von neuem hätte feststellen müssen, daß die "Öster-
reichischen Monatshefte" auch nicht annähernd so gewürdigt wurden, wie sie es wohl verdient hätten. 

Die Zeitschrift hatte sich 1945, wo es nur ganz wenige Blätter gab und die anderen Parteien selbst noch mit keinem programmatischen Organ hervorgetreten waren, gut eingeführt. Ihre anfängliche Auflage betrug 15.000 und von allen politisch und journalistisch maßgebenden Persönlichkeiten des eigenen Lagers gingen mir Worte warmer Anerkennung und hohen Lobes zu. 

Die kleinen Geister, die das Korps der Parteifunktionäre bildeten, aber fanden keinen Geschmack an dem "viel zu hohen Niveau" der "Österreichischen Monatshefte", für die ich die Elite der Parteipolitiker ebenso wie führende Gelehrte und hervorragende Schriftsteller als Mitarbeiter gewonnen hatte. Den Grundstock der Leser bildeten natürlich die Gebildetenkreise, die sich aber - nicht zuletzt wegen der absoluten Vorherrschaft der Mittelmäßigkeit innerhalb des Parteigefüges - mehr von der Politik distanzierten. Die Partei schleppte die Zeitschrift gleichsam als ein notwendiges Übel aus bloßen Prestigegründen mit, ohne von ihrer Notwendigkeit und wichtigen Funktion überzeugt zu sein. Auch die österreichisch-nationale Linie, die ich in der Zeitschrift stets einhielt, wurde in der Zeit, da man aus wahltaktischen Gründen die Gunst der ehemaligen Nazis zu gewinnen versuchte, als peinlich empfunden. Man machte mir zuweilen die Vorhaltung, die "Österreichischen Monatshefte" seien mein Organ, nicht das der Partei.

Als dann Edmund Weber mit Krach aus dem österreichischen Verlag ausschied und Karl Flödl als Generaldirektor an seine Stelle trat, war das Pressewesen und namentlich das politische schon weitgehend ein Defizitgeschäft geworden. Die "Österreichischen Monatshefte" wurden daher stets von neuem auf die "Abbauliste" gesetzt. 

Im Frühjahr 1949 dezimierte man mein Redaktionssekretariat, indem man meine Sekretärin entließ und meinen redaktionellen Mitarbeiter in eine andere Abteilung des Verlages versetzte. Ich mußte die Sekretärin nun mit einer anderen Abteilung teilen. Der eigentliche Schlag aber erfolgte im Dezember 1949, als ich eines Tages durch einen Setzer der Druckerei erführ, daß keine Manuskripte für die "Österreichischen Monatshefte" mehr gesetzt werden dürften, da die Zeitschrift eingestellt werde. 

Erst einige Tage später wurde mir von Minister Dr. Hurdes und Generaldirektor Flödl die Richtigkeit dieser Nachricht insoweit bestätigt, als man mir mitteilte, es werde eine Fusionierung mit der Funktionärzeitschrift der Partei "Angriff und Abwehr", die Prof. Dobrowolny geleitet hatte, vorgenommen. 

Ich sah mich vor ein fait accompli gestellt und mußte, wollte ich meine materielle Existenz nicht gänzlich aufs Spiel setzen, die Weiterführung der fusionierten "Monatshefte" auf mich nehmen.

Im Jänner 1950 erschien die erste Nummer der "Österreichischen Monats-
hefte" in der neuen Gestalt: Kleinformat, schwacher Artikelteil und ca. 25 Seiten Polemiken unter dem Titel "Angriff und Abwehr". Selbstverständlich empfand ich diese ohne meine Konsultierung durchgeführte "Reform" der Zeitschrift als eine weitgehende Desavouierung meiner bisherigen Publizistik zugunsten der Partei. 



An einer Werbung für die Zeitschrift hat es vier Jahre lang nahezu völlig gefehlt. Die Ideen und Anregungen, die von den vier Jahrgängen der "Österreichischen Monatshefte" (1945/49) lanciert wurden, werden wohl erst später in ihrer Bedeutung für den geistigen Wiederaufbau des österreichischen Staates erkannt werden. 


Ich glaube mit meinen eigenen Aufsätzen auch einen vielleicht doch nicht ganz unwichtigen Beitrag zur Ausformung der Parteiprogrammatik geleistet zu haben, wenn auch die Partei selbst davon so gut wie nichts weiß.Nicht weniger als 38 große programmatische Aufsätze habe ich in der Zeit von Oktober 1945 bis Dezember 1949 veröffentlicht. 
 
 Ich zähle sie hier in chronologischer Folge auf, um eine Übersicht über die von mir behandelten Themen zu ermöglichen: "Wie kam es 1933/38 zur Krise der österreichischen Demokratie?", "Österreichertum - einmal zu Ende gedacht", "Graf Ottokar Czernin", "Sterbender Antiklerikalismus", "Schuld und Sühne in der Politik", "Erlöste Politik", "Freiheit von Furcht", "Christentum und Demokratie", "Österreich und der Weltfriede", "Trauerspiel Deutschland", "Fakultative oder obligatorische Zivilehe?", "Das Recht der Ungeborenen", "Politische Weihnachtsbetrachtungen" "Österreichs Entwicklung zur Demokratie", "Menetekel 1934", "Der letzte habsburgische Regent", "Der Schutz des keimenden Lebens in Frankreich", "Weltanschauung und Wirtschaftsordnung", "Aporien der Demokratie", "Eine sozialistische Zweischwertertheorie", "Die ,kleine' Komintern", "Politik und Metapolitik", "Die politische Theorie de Marxismus", "Um unser Recht", "Glückbringende Schuld", "Auf dem Wege zur europäischen Union", "Lebendige Demokratie", "Privatkapitalismus und Staatskapitalismus", "25 Thesen über die österreichische Nation", "Das Emigrantenproblem", "Die Staatstheorie des Solidarismus", "Sensationelle Absage an den Marxismus", "Die ÖVP und die Parteilosen", "Das Handbuch des demokratischen Sozialismus", "Entproletarisierung durch Solidarismus", "Christentum und Politik", "Sinn- und Formwandel der Reichsidee", "Wir und der VdU". 
 
In den neuen "österreichischen Monatsheften" veröffentlichte ich bis April 1950 drei Aufsätze: 
 
 "Souveränität und Totalität", "Die politikfreien Räume" und "Ideen und Tatsachen in der Politik". 
 
 
 Als Parteipublizist habe ich überdies zwei Broschüren "Die österreichische Nation" (zwei Auflagen!) und "Die Weltverpflichtung des Christen" veröffentlicht, außerdem schrieb ich in der 1945 von mir geschaffenen Schriftenreihe "Politische Stichworte" über "Demokratie". 
 
 
 Alle diese Arbeiten, die irgendwie in die Tiefe der Probleme hineinzuleuchten versuchen, wären zusammen mit meiner großen in "Wissenschaft und Weltbild" erschienenen Studie "Materialismus und Proletariat" vielleicht wert, in einem Buch zusammengefaßt zu werden. Man könnte ihm den Titel "Logos und Politeia" geben. Wer aber hätte den Mut, ein solches Buch heute zu verlegen?
 
 
 
In dem an sich so sorgenvollen und für mich unerfreulichen Jahr 1949 erlebte ich doch immerhin auch eine Freude, nämlich das Erscheinen der zweiten Auflage meines erstmalig im Jahre 1933 erschienenen Buches "Heiliges Wien". Es war der Dom-Verlag, der dieses völlig umgearbeitete und wesentlich ergänzte Werk, das ich in engster Zusammenarbeit mit den Pfarrern und Klostervorstehern ausgearbeitet habe, neu herausbrachte. Zum Unterschied von manchen anderen wenig marktgängigen literarischen Neuerscheinungen des Jahres 1949 fand, bezw. findet es einen verhältnismäßig guten Absatz.


Während ich diese Zeilen zu Papier bringe, steht irgendwo im Außenministerium meine Bewerbung um den Posten eines Presseattaches im Ausland zur Erwägung.
Ich muß hoffen, daß dieses Projekt seine Verwirklichung findet wird; denn mit der beruflichen Stellung, die ich jetzt einnehme, kann ich mich nicht zufrieden geben, weil sie mich weder ausfüllt, noch mir auch nur annähernd so viel trägt, wie ich zur Erhaltung meiner sechsköpfigen Familie brauche.  Von all den Plänen meiner Parteifreunde, mich irgendwo in der Industrie "unterzubringen", erwarte ich schon deshalb nichts, weil ich nicht glaube, daß ich zu solcher bloßer Erwerbsarbeit, die ich nur als schweres Opfer empfinden könnte, bestimmt bin.
 
Der Versuch, eine ausgedehnte, freie publizistische Tätigkeit zu entfalten, den ich in der letzten Zeit neuerlich unternahm, hat mir zwar manche Möglichkeiten - namentlich in der Schweiz ("Schweizer Rundschau"), bei der "Österreichischen Furche" beim "Volksboten" und beim "Freiheitskämpfer" neu erschlossen, aber im großen und ganzen erweist es sich doch, daß auf diesem Wege nur gelegentlich sehr bescheidene Honorare erzielt werden können, die keine nennenswerte Erhöhung des Einkommens sichern.

Ich erwarte also, daß ich in den nächsten Monaten in die diplomatische Pressearbeit hineinsteigen und damit vielleicht überhaupt in die Diplomatie hinüberwechseln kann. In der Parteipolitik habe ich nur Enttäuschungen erlebt und bin daher nolens volens bereit, diesen aussichtslosen Weg zu verlassen. 

Erst im März 1950 erfuhr ich wieder, wie sehr parteipolitischer Aufstieg von seltsamen Zufälligkeiten abhängt. Die Zufälle aber wirken stets gegen mich. So werde ich auch von der Arbeit in der Bezirksgruppe der ÖVP Döbling, der ich als Pressereferent und Redakteur der in der Wahlzeit 1949 erschienenen "Döblinger Nachrichten" unbedankt gedient habe, Abschied nehmen mit dem Bewußtsein, gutes gewollt, aber keinen Sukkurs erhalten zu haben.




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