!!!WER MALTE DAS PORTRÄT HERZOG RUDOLFS IV. VON ÖSTERREICH?
!!Eine Spurensuche in der italienischen Frührenaissance 

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Von

__[Michael Mitterauer|Biographien/Mitterauer,_Michael]__

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Das Porträt Herzog Rudolfs IV. ist sicher eine besondere Zimelie des Dommuseums in Wien: Man darf vielleicht noch einen Schritt weiter gehen: Dieses Bild ist eine besondere Ikone der Geschichte Österreichs. Rudolf „der Stifter“ war nicht nur der Gründer der Universität Wien, er war auch der „fundator“ des Neubaus der Stephanskirche oder jener Landesfürst, unter dem das Land Tirol an Österreich kam. Solche Stichworte umreißen nur skizzenhaft seine Bedeutung auch noch für das heutige Österreich. Auch die Bedeutung seines Bildes für die Kunstgeschichte steht wohl außer Zweifel. Mit Sicherheit handelt es sich um eines der ältesten Fürstenporträts der europäischen Kunstgeschichte. Geht man von einem engen Begriff von „Porträt“ aus, so ist es das zweitälteste Tafelbild eines Herrschers nach dem König Johanns II. des Guten von Frankreich. Mit Sicherheit lässt sich schließlich auch sagen, dass es in den größeren Zusammenhang einer umfassenden Sepulkralkultur gehört, die Rudolf IV. für die Stephanskirche konzipierte. Und als hervorragendes Zeugnis spätmittelalterlicher Sepulkralkultur führt es in umfassendere mentalitätsgeschichtliche Zusammenhänge. Es lässt nachdenken, wie damals über Leben, Sterben und Weiterleben nach dem Tode gedacht wurde. In Hinblick auf diese verschiedenen Bedeutungsebenen erscheint die Frage „Wer malte das Porträt Herzog Rudolfs IV. von Österreich?“ durchaus als ein Problem von wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Relevanz.

[{Image src='AEIOU/Rudolf_IV._der_Stifter/Bildnis_Rudolf_IV_der Stifter.jpg' class='image_left' caption='Das Porträt Rudolfs IV.' alt='Das Portät Rudolfs IV.' width='300' height='466'}]

Die derzeit aktuelle Fassung über die „Historischen Schätze und Schlüsselwerke der Moderne“ des „Dom Museum Wien“ formuliert zu der hier gestellten Frage knapp: „Porträt Herzog Rudolfs IV. 1360-1365. Prager Hofwerkstatt?“. Sie bietet also einen bewusst kurz gehaltenen und als ungesichert ausgewiesenen Text. Der große Katalog des „Dom- und Diözesanmuseums Wien“ von 1987 schreibt ausführlicher. In den Ausführungen über den Stil des Porträts heißt es hier (S.7f.): „Die in den böhmischen Werken (Meister der Stammbaumfresken in Karlstein, Tafelbilder des Meisters Theoderich und seiner Werkstatt in Karlstein und in der Prager Nationalgalerie) auftretenden, stark schwellend-plastisch wirkenden Formen sind im Rudolfs-Porträt bei weitem nicht in diesem Maße zu finden. Auch der Kontrast zwischen dem modellierten Kopf und den kleinteiligen Brokat- und Kronenmusterungen ist in den erhaltenen Werken der Prager Hofkunst nicht im gleichen Verhältnis wie im Rudolfs-Porträt…..Es wäre aber denkbar, in dem Maler des Rudolfs-Porträts einen Maler der Prager Hofschule zu erblicken, der sich vom spezifisch Italienischen in der malerischen Auffassung gelöst hat.“ Nicht immer finden sich in der einschlägigen Literatur derart differenzierende Analysen. Soweit sie sich mit dem Maler des Porträts überhaupt beschäftigt, dominiert die Zuordnung zur Hofschule Kaiser Karls IV. und den Künstlerkreis um Meister Theoderich. Dass sich Rudolf IV. primär an seinem Schwiegervater Karl IV. orientiert habe, ist gleichsam ein Leitmotiv vieler Studien zu diesem Thema. In dieser Sichtweise war der österreichische Herzog primär ein Imitator des Kaisers. Eine solche Deutung widerspricht allerdings dem eindeutig nachweisbaren Sachverhalt, dass jedenfalls vom Frühjahr 1359 bis zum Tod Rudolfs zwischen den beiden Fürsten fast durchgehend ein starkes Spannungsverhältnis herrschte.

!Meister Theoderich und die Prager Hofwerkstätte

Meister Theoderich selbst ist als Schöpfer des Wiener Porträts Herzog Rudolfs IV. mit Sicherheit auszuschließen. Er wird zum ersten Mal im Buch der Prager Malerschule aus dem Jahr 1348 erwähnt – und zwar als „primus magister“, also als erster Meister der in Prag ansässigen Bruderschaft. 1352 erscheint er in einer Quelle als „malerius imperatoris“. Schon früher war er offenbar im Dienst Karls als König von Böhmen tätig und stieg dann durch die Karriere seines Herren zum kaiserlichen Hofmaler auf. Er war am Hradschin ansässig und besaß hier ein Haus. 1367 nennt ihn eine Urkunde Karls IV. als „pictor noster et familiaris“ – also der „familia“ des Fürsten im Sinne seiner Dienerschaft zugehörig. Es wird ihm hier der Dank für die Bemalung der Heiligkreuzkapelle auf der Burg Karlstein ausgesprochen. Er war also im Dienste seines Herren durchgehend stark ausgelastet – vor allem auch in den letzten Jahren der Lebenszeit Herzog Rudolfs, die als Entstehungszeit für dessen Porträt angenommen werden darf. Als Angehöriger der „familia“ Kaiser Karls IV. konnte Theoderich sich wohl nicht so ohne Weiteres für einen Auftrag in Wien verabschieden. Vor allem kommt er als Maler der von Rudolf beanspruchten und im Porträt verewigten Zackenkrone nicht in Frage, die Karl entschieden bekämpft hatte. 



[{Image src='OCKO.png' height='400' class='image_right' caption='Votivbild des Erzbischofs Johann Ocko von Wlaschim“ als Beispiel für eine porträthafte Darstellung Kaiser Karls IV. in einem Werk der Prager Hofwerkstatt - Quelle: Wikipedia' alt='Erzbischofs Johann Ocko von Wlaschim' width='209'}]

Auch aus der Perspektive der Auftragserteilung Herzog Rudolfs für sein Porträt ist eine Beteiligung des Meisters Theoderich aus Prag höchst unwahrscheinlich. Wie schon erwähnt war das Verhältnis Rudolfs IV. zu seinem kaiserlichen Schwiegervater durch viele Jahre seiner  Regierungszeit äußerst gespannt. Die Fälschung des Privilegium maius, dessen Bestätigung Kaiser Karl verweigerte, die von Rudolf angestrebte Nachfolge in Böhmen wie im Reich, vor allem auch die von Rudolf in seinen letzten Lebensjahren geschmiedete Allianz mit Ungarn, Venedig und oberitalienischen Fürsten führten - trotz der familiären Bindungen durch Rudolfs Gattin Katharina - zu starken Gegensätzen zwischen den beiden Fürsten. Karl hätte seinen „familiaris“ Meister Theoderich sicher nicht nach Wien ziehen lassen und umgekehrt Rudolf sich nicht gerade um Karls Hofmaler in Prag bemüht. So sehr Rudolf die kulturpolitischen Aktivitäten seines Schwiegervaters in Konkurrenz mit ihm imitierte – eine Abwerbung von dessen prominentem Hofmaler konnte und wollte er sich gewiss nicht leisten. 

!Thomas von Modena in Treviso und Karlstein

Konnte Herzog Rudolf IV. einen anderen prominenten Maler aus dem Umfeld von Meister Theoderich für sein Porträt gewinnen? So formuliert wird die Frage schwieriger zu beantworten. Sie bringt eine andere bedeutende Malerpersönlichkeit ins Spiel – nämlich Tommaso Barisini, besser bekannt unter dem Namen Thomas von Modena. Dieser Maler arbeitete relativ kurzfristig im Umfeld von Meister Theoderich, allerdings ohne eine ähnlich enge Bindung an den Kaiser. Sein Lebensweg erscheint für die Frage nach dem Maler des Rudolfsporträts besonders interessant. Thomas wurde etwa 1325/6 in Modena geboren. Bis 1344 ist er hier nachweisbar. Anschließend begegnet er in Treviso – also nicht unweit den habsburgischen Territorien. Von seinen Arbeiten in Treviso sind vor allem die vierzig Bilder großer Persönlichkeiten des Dominikanerordens von besonderer Bedeutung, die er mit der Datierung 1352 für den Kapitelsaal des Dominikanerkonvents  gemalt hat. Albertus Magnus ist hier verewigt, ebenso Thomas von Aquin, aber auch Kardinäle und ein Papst, der aus dem Orden hervorgegangen ist. Insgesamt handelte es sich um eine spezifische Galerie von „viri illustres“ – wie sie in dieser Zeit in Oberitalien aufkam – in diesem Fall auf den damals schon in ganz Europa verbreiteten Bettelorden bezogen. Die Besonderheit der Porträts großer Dominikanergelehrter des Thomas von Modena in Treviso ist eine sehr spezifische Wiedergabe der Persönlichkeiten - sowohl in physiognomischer Hinsicht als auch in der Eigenart ihrer Umwelt. Thomas malte sie an ihrem Arbeitstisch in realistischer Pose und so ausdrucksstark, dass man denken konnte, sie wären ihm alle Modell gesessen. Unter ihnen befindet sich übrigens auch der erste Brillenträger, dessen Bild in einem Porträt überliefert ist. Zweifellos bietet Thomas von Modena eine stark individualisierende Sichtweise auf Personen, wie sie sonst damals keineswegs selbstverständlich war – eine wichtige Station in der Entwicklung der Porträtkunst. 



[{Image src='Domenicani.jpg' height='400' class='image_left' caption='Thomas von Modena: Albert der Große (Fresco) - Quelle: Wikipedia' alt='Albertus Magnus' width='288'}] 

[{Image src='Hugo.png' height='400' class='image_left' caption='Thomas von Modena: Hugues de Saint-Cher - Quelle: Wikipedia' alt='Hugues de Saint-Cher' width='236'}]



Nur drei Jahre nach dem datierten Bilderzyklus in Treviso begegnet Thomas von Modena – fernab seiner bisherigen Wirkungsplätze - in Prag bzw. auf der Burg Karlstein, dem persönlichen „Heiligtum“ Karls IV. Der Kaiser hatte ihn in seine Residenzstadt geholt. Wann er ihn kennen gelernt hatte, wissen wir nicht. Da Karl IV. schon etwa 1350 mit dem Bau von Karlstein begonnen hat, wird die Berufung des Thomas von Modena bereits wenige Jahre später erfolgt sein. Mehrere Bilder, die er dort schuf, sind ausdrücklich mit „Tomas de Mutina pinxit“ bzw. in ähnlicher Form signiert. Einmal wählte der Maler am unteren Bildrand den eher humorvoll anmutenden Vers: „Quis opus hoc finxit? Tomas de Mutina pinxit. Quale fides lector, Barisini filius auctor.“

Konnte der lombardische Maler dieser Bilder in Karlstein vorausgeahnt haben, dass sein überraschendes Auftreten in Karlstein einmal heftige Kontroversen unter Kunsthistorikern auslösen sollte? Unter Kaiser Joseph II. gelangten 1782 drei der von Thomas von Modena gemalten Bilder, die in Karlstein ein Triptychon gebildet hatten, nach Wien in die Belvedere-Galerie. Noch in deren Katalog von 1875 wurden sie als „altdeutsche Malerei Nr. 1.“ eingestuft. Über den Ursprung von Bildern des Thomas von Modena kam es zu Diskussionen, ob nicht die Ölmalerei schon lange vor den Bildern der Brüder van Eyck in Böhmen ausgeübt worden sei. Der Lokalpatriotismus machte deshalb aus Thomas von Modena einen Thomas von „Muntimin“. Es sollte damit der Eindruck erweckt werden, dass der Maler aus einer böhmischen Ortschaft mit diesem Namen stammte. 1786 wurde die Gleichsetzung des Meisters der Karlsteiner Kunstwerke mit dem aus Modena stammenden Maler Tommaso Barisini in einer wissenschaftlichen Debatte noch als „bizarre Interpretation“ eingestuft. Die Diskussion um solche Fragen war so heftig, dass sogar der päpstliche Nuntius in Wien eingeschaltet wurde. Heute erscheint die Identität des in Karlstein tätigen Künstlers mit dem gleichnamigen Meister aus der Lombardei wissenschaftlich eindeutig gesichert. Der Einfluss des Thomas von Modena auf die Prager Schule der Malerei dürfte beträchtlich gewesen sein. Ihn als einen von deren Begründern einzustufen, geht aber wohl doch zu weit. Niemals wird er in Prag wie Meister Theoderich als „primus pictor“ oder als „malerius imperatoris“ bezeichnet. Er dürfte nach Treviso zurückgekehrt sein, wo er zwischen 1368 und 1379 verstarb. Die wichtigste Zeit seines Schaffens in Karlstein fällt mit der Entstehungszeit des Rudolfsporträts zusammen. Das Problem einer Auftragserteilung in Jahren der Spannung zwischen Kaiser Karl IV. und Herzog Rudolf IV. spricht in ähnlicher gegen ihn als Maler des Porträts von Rudolf wie gegen Meister Theoderich. Ließ die Rivalität zwischen den beiden Fürstenhöfen ohne Weiteres die Übernahme eines Hofkünstlers zu? Wann und wo sollten sich auch die Wege Herzog Rudolfs und Thomas‘ von Modena gekreuzt haben? Wahrscheinlicher ist es, dass Rudolf - zwar dem Beispiel seines Schwiegervaters folgend, aber doch auf ganz anderen Wegen - Kontakt zu einem großen Maler aus Oberitalien suchte und fand.

!Die Fürstenhöfe in Prag, in Wien und in Oberitalien

Die Kontakte des Wiener Hofs nach Oberitalien waren um die Mitte des 14. Jahrhunderts zunächst nicht so eng wie die des Prager Hofs. Karl war schon 1331 als böhmischer Kronprinz in Italien, wo sein Vater König Johann von Böhmen große Pläne mit ihm verfolgte. 1347 folgte er diesem als König von Böhmen nach. Auch als gewählter Gegenkönig im Reich betrieb Karl IV. eine aktive Italienpolitik. Auf seinem gut vorbereiteten Italienzug wurde er 1354 in Mailand zum König gekrönt und schließlich 1355 vom Kardinallegaten des Avignoneser Papstes in Rom zum Kaiser. Die Habsburger mussten aufgrund der geschwächten Macht der Familie zur gleichen Zeit in Italien viel zurückhaltender sein. Herzog Albrecht II. blieb hier in seiner Territorialpolitik auf die Region von Friaul beschränkt. Zu einer expansiven Politik in Oberitalien ging erst sein Sohn Rudolf IV. über. In seinen ersten Regierungsjahren engagierte auch er sich zunächst in Friaul. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem Patriarchen von Aquileja. In diesen Kontext gehört seine Kooperation mit der Republik Venedig, die ihn zu einem Besuch in der Dogenstadt führte. Mit dem Erwerb von Tirol 1363 griff seine oberitalienische Politik dann auch stärker in den Westen dieser Region aus. Zwei Dynastien hatten damals hier besondere Macht und enormen Reichtum – beide ghibellinisch orientiert: die Skaliger in Verona und die Visconti in Mailand. Die politischen Beziehungen zu ihnen sollten nach Rudolfs Plänen durch eine Heiratsallianz bekräftigt werden. Eine Eheschließung zwischen Rudolfs jüngstem Bruder Leopold und Viridis, der zweitältesten Tochter von Bernabò Visconti, dem Signore von Mailand, und der Beatrice della Scala, die ihrerseits eine Schwester von Cansignorio della Scala, dem Herren von Verona war, wurde ins Auge gefasst. Zumindest zweimal führte diese Politik Herzog Rudolf über Verona nach Mailand: Das erste Mal zur feierlichen Hochzeit des jungen Paares im Frühjahr 1365. Da waren die beiden mächtigsten Clans Oberitaliens wohl ziemlich vollständig versammelt. Das zweite Mal sollte wohl die politische Allianz vertieft und ausgebaut werden. Bei diesem Aufenthalt verstarb Herzog Rudolf. Bernabò ließ ihn in der Familienkirche der Visconti in einem wertvollen Gold-Seide-Stoff aufbahren. In diesem auf seinen Körper zugeschnittenen Totengewand wurde der Herzog nach Wien zurückgebracht. Cansignorio della Scala in Verona ließ den Leichnam nochmals öffentlich ausstellen.

 
> Vergleiche hierzu: [Michael Mitterauer, Das Leichentuch Herzog Rudolfs IV., Austria-Forum|AEIOU/Das_Leichentuch_von_Rudolf_IV.]
 
 
Cansignorio della Scala ist als eine ambivalente Persönlichkeit in die Geschichte Veronas eingegangen. Als ein mächtiger Fürst, der seine Residenzstadt großartig ausbaute und dazu namhafte Künstler gewann, aber auch als ein brutaler Machtmensch, der im Interesse seiner Herrschaftssicherung mit allen Mitteln gegen seine Familienangehörigen vorging. Seinen älteren Bruder Cangrande II., dem übrigens auch außerordentliche Grausamkeit nachgesagt wurde, ermordete er. Auch seinen jüngeren Bruder Alboino, der sich schon weitgehend von der Herrschaft zurückgezogen hatte, wollte er umbringen lassen. Da erhoben sich die Veroneser gegen ihn. Bald darauf verstarb Cansignorio. Ähnlich machtgierig, grausam und skrupellos war Cansignorios Schwager Bernabò in Mailand. Nach langjähriger Herrschaft wurde er schließlich von seinem Neffen Giangaleazzo Visconti beseitigt, der zugleich auch sein Schwiegersohn war, und verstarb in dessen Gefangenschaft - wahrscheinlich keines natürlichen Todes. Nach einem neuerlichen Brudermord unter den unehelichen Söhnen des Cansignorio beendete Giangaleazzo die Herrschaft der Scaliger in Verona. Aus solchen Familienverhältnissen stammte Viridis Visconti, die Rudolf seinem Bruder Leopold als Gattin vermittelt hatte. Im Verhalten Herzog Rudolfs IV. zu seinen Brüdern findet sich keinerlei Parallele zu den blutigen Familiendramen unter Verwandten, wie sie sich damals in den Signorien Oberitaliens abspielten. 
 
[{Image src='Cansignorio.png' class='image_left' caption='Die Skaligergräber in Verona - Quelle: Wikipedia' alt='Die Skaligergräber in Verona' width='430' height='311'}]

Die andere Seite im Wirken Cansignorios della Scala - seines unmittelbaren Zeitgenossen - mag Rudolf IV. imponiert haben. Noch gemeinsam mit seinem älteren Bruder Cangrande II. begann Cansignorio 1354 den Skaligerpalast großzügig auszubauen. Dieses Castelvecchio und die mit Zinnen bekrönte Festungsbrücke über die Etsch sind architektonische Meisterwerke. Cansignorio war es auch, der nach dem Vorbild antiker Imperatoren als Endpunkt einer Wasserleitung einen öffentlichen Brunnen auf dem Marktplatz errichtete, den eine antike Plastik schmückte. Diese sogenannte „Madonna Verona“ galt seither als die Personifikation der Stadt. Unter Cansignorio erreichte insgesamt die Bautätigkeit der Skaliger in Verona ihren Höhepunkt. Für Rudolf IV. muss die Stadt den Eindruck höchster Urbanität gemacht haben – vielleicht nur von der Weltstadt Venedig übertroffen, die er ja auch kennengelernt hatte. 



!Altichiero da Zevio als Hofmaler in Verona

Die Ausgestaltung der erweiterten Skaligerresidenz mit Fresken vertraute Cansignorio seinem Hofmaler Altichiero da Zevio an. Die Sala grande wurde von diesem mit Bildern der Eroberung Jerusalems im  Jüdischen Kriegs geschmückt, über den man bei Josephus Flavius nachlesen konnte. In den anschließenden Bogengängen unter der Loggia stellte er einen  Zyklus berühmter Männer der Antike dar. Auf letzteres Motiv kam er dann später wieder in der Sala dei Giganti in der Residenz der  DaCarrara in Padua zurück. Seine Bilder von „viri llustres“, die er für die Skaliger in Verona malte, hielt man lange Zeit für völlig verloren. Eine Restauration in jüngster Vergangenheit brachte jedoch sehr aufschlussreiche Restbestände zu Tage. Altichiero hatte hier einen Zyklus monochromer Fresken gemalt, die eine Serie von Profilporträts römischer Kaiser darstellte. Die Porträts waren durch die Darstellungen von Kaisern auf Münzen inspiriert. Römische Kaisermünzen hat man in Verona offenbar früh zu sammeln begonnen. Im Castelvecchio der  Stadt ist eine reiche Sammlung solcher Münzen überliefert, von denen einzelne in  den Bildern Altichieros zu finden sind. Es gab aber auch eine vermittelte Form der Überlieferung derartiger Münzbilder. Ein frühhumanistischer Schriftsteller und Domherr aus Verona namens Giovanni de Matociis hatte sie schon vor 1320 aufgegriffen, um seine große Darstellung der römischen Kaisergeschichte durch sie zu illustrieren. Er hatte eine weit ausholende  Geschichte der römischen Kaiser geplant und zum Teil auch realisiert, die von der Antike bis zu Kaiser Heinrich VII. reichen sollte. Der Luxemburger Heinrich VII. war als letzter deutscher König 1312 in Rom zum Kaiser gekrönt worden, aber schon 1313 verstorben. Giovanni de Matociis schrieb also eindeutig in ghibellinischer Tradition. Altichiero schloss an diese Gesinnung an, wenn er für Cansignorio della Scala in dessen neuen Palast Bilder römische Kaiser malte. Er war dabei um Porträthaftigkeit bemüht, indem er – genauso wie Giovanni de Matociis - auf antike Münzbilder zurückgriff. Die Übereinstimmung im Bild war wichtig, um dem Fürsten durch Kaiserbilder Herrschertugenden vor Augen zu führen.

Was mit einer solchen Konfrontation von Fürsten mit antiken Kaiserbildern beabsichtigt war, ergibt sich besonders deutlich aus einer Episode, die von Kaiser Heinrichs VII. Enkel, Kaiser Karl IV. berichtet wird. Der Kaiser traf 1354 zum ersten Mal mit dem berühmten Humanisten Francesco Petrarca zusammen. Dieser überreichte ihm einige antike Kaisermünzen, die er gesammelt hatte. In seiner Korrespondenz mit Freunden erläuterte er seine Aktion. Es ging  ihm nicht nur darum, dass Karl durch die Porträtbilder der antiken Vorgänger zu einer Nachahmung von deren Eigenschaften angeregt würde – er sollte auch auf seine Verpflichtung zu einer aktiven Kaiserpolitik in Rom aufmerksam gemacht werden. Nach dem Urteil späterer Humanisten ist er diesem Auftrag als römischer Kaiser nicht gerecht geworden. Was Karl interessierte, war eine traditionelle christliche Orientierung seiner Herrschaft, in deren Dienst er zahllose Reliquien sammelte. Sein „Heiligtum“ Karlstein legt von dieser Herrschaftskonzeption deutliches Zeugnis ab. Eine ähnliche Episode, wie zwischen Karl und Petrarca 1354 in Mantua spielte sich 1432 zwischen seinem Sohn Sigismund, also dem Urenkel Kaiser Heinrichs VII., und dem Humanisten Ciriaco von Ancona ab. Dieser überreichte dem Kaiser eine Goldmünze Kaiser Trajans, der als der gerechte Herrscher der Antike schlechthin galt. Es ging bei solchen symbolischen Handlungen also um Münzen mit Kaiserporträts, die herrscherliche Tugenden, aber auch herrscherliche Aufträge repräsentieren sollten. Altichiero da Zevio, dem Hofmaler des Signore von Verona waren solche Zusammenhänge sicher bewusst.

Als Herzog Rudolf IV. 1364 auf dem Weg nach Mailand erstmals an den Hof Cansignorios nach Verona kam, war Altichieros Ausgestaltung des Palasts mit Fresken eben abgeschlossen. Was man ihm über deren herrschaftliche Bedeutung erklärte, wissen wir nicht. Aber eine besondere herrschaftliche Bedeutsamkeit der Kaiserporträts konnte Rudolf auch von sich aus empfinden. Er sah sich damals wohl potentiell als nächster deutscher König und damit als Anwärter für die Kaiserkrone. Nicht anders konnte man es ja verstehen, dass Karl IV. die Kurfürsten darauf einzuschwören begann, nach ihm keinesfalls seinen habsburgischen Schwiegersohn zu wählen. Kaiserporträts wie die von Altichiero gemalten mussten in dieser Situation wohl Rudolfs besonderes Interesse wecken. Und mit dem Interesse an den Bildern auch sein Interesse an deren Maler. Die Fresken im neuen Signorenpalast von Verona waren ein prestigereicher Großauftag. Giorgio Vasari charakterisiert als Historiker der Kunst dieser Zeit Altichiero als eine bedeutende Persönlichkeit - „familiarissimo con i signori della Scala“. Schon unter seinen Zeitgenossen verfügte Altichiero über hohe Anerkennung.

Über Altichieros Werdegang vor den Fresken des Signorenpalasts in Verona wissen wir wenig. Er dürfte um 1330 in Zevio, einer kleineren Ortschaft - einige Kilometer südöstlich von Verona gelegen - zur Welt gekommen sein. Als sein Vater wird Domenico da Zevio genannt. Sein Lehrer war wahrscheinlich Turone di Maxio, der auch Turone da Verona genannt wurde. Von dessen Werken ist wenig überliefert. Er war der Maler einer Kreuzigung im Franziskanerkloster San Fermo Maggiore und eines Jüngsten Gerichts im Dominikanerkloster Sant’Anastasia. Bemerkenswert erscheint, dass man in drei seiner Figuren porträthafte Züge von Dante Alighieri zu erkennen glaubt, der einige Jahre seines Exils am Hof der Skaliger in Verona verbracht hatte. In sakralen Bildern die Physiognomien von Zeitgenossen zu verewigen, war dann eine durchgängige Praxis von Altichiero. In diesen Darstellungsformen wurzeln die Anfänge des sogenannten „Identifikationsporträts“, das in der Frühgeschichte der Porträtmalerei eine entscheidende Rolle spielt. Nach dem Abschluss seines frühen Meisterwerks im Palast Cansignorios 1364 fehlen im Leben des Altichiero da Zevio für einige Jahre quellenmäßige Belege. Ab 1369 ist er dann in Padua nachweisbar. 
 

[{Image src='Altichiero.png' height='270' class='image_right' caption='Altichiero: Kreuzigungsgruppe Sant’Antonio, Padua - Quelle: Wikipedia' alt='Altichiero: Kreuzigungsgruppe Sant’Antonio Padua' width='467'}]

Wo er in der Zwischenzeit arbeitete, wissen wir nicht. War er an einer anderen Hofhaltung in Dienst genommen worden? War vielleicht Rudolf IV. kurzfristig sein Auftraggeber? In Padua schuf Altichiero dann neuerdings richtungsweisende Werke: Zu nennen sind in diesem Zusammenhang zunächst seine Fresken in der Kapelle des heiligen Jakob in der Basilika des heiligen Antonius - in der Stadt seines Grabs schlicht „Il Santo“ genannt. Dann die Fresken im Oratorium des heiligen Georg und schließlich seine profanen Bilder in der „Sala dei Giganti“ des Palasts der Signorendynastie Da Carrara. In der Reggia Carraresi arbeitete Altichiero mit mehreren anderen renommierten Künstlern der Region zusammen, die von der kunstsinnigen Herrscherfamilie gefördert wurden. Altichieros Bilder in der Sala dei Giganti waren maßgeblich von Francesco Petrarcas „Uomini illustri“ inspiriert. Bis auf eines sind sie alle verloren gegangen. Dieses eine stellte Petrarca selbst dar. Es ist zum berühmten Porträt dieses großen Vertreters von Frührenaissance und Humanismus geworden.
 
!Altichiero da Zevio und Francesco Petrarca

Altichiero verewigte Petrarca nicht nur einzeln in diesem Porträtbild. Er porträtierte ihn auch gemeinsam mit anderen Persönlichkeiten seines näheren und weiteren Umfelds – so etwa als Kryptoporträts in der Kreuzigung im Oratorio di San Giorgio. Hier ist ebenso Petrarcas getreuer Schüler, Freund und Sekretär Lombardo della Seta zu erkennen. Der hatte Petrarca an seinem Lebensende begleitet und seinen Nachlass in Arquà, dem heutigen heutigen „Arquà Petrarca“ verwaltet. Das Haus in dieser idyllisch gelegenen Örtlichkeit in den Euganeischen Hügeln hatte Petrarca von seinem besonderen Förderer Francesco il Vecchio, dem Herrn von Padua, geschenkt erhalten. Auch dieser sein Patron ist auf den Bildern Altichieros in Padua erkennbar, ebenso dessen Sohn und Nachfolger Francesco Novello. Der ganze Kreis, der Petrarca in seinen letzten Lebensjahren umgab, wurde von Altichiero in seinen Fresken verewigt. Altichiero war mit Petrarca persönlich befreundet. Seine Werke wurden vom großen Dichterfürsten inspiriert. Der Kult der „viri illustres“ erhielt von Petrarca Schriften entscheidende Impulse – seine Thematik geht jedoch deutlich weiter zurück. In Verona etwa ist der schon genannte Humanist und Historiker Giovanni de Matociis als ein Vorläufer zu sehen, der seinerseits Altichiero beeinflusst hat.

Verona und Padua sind damals künstlerisch in enger Wechselwirkung zu  sehen. Neben antiken Münzbildern und nach ihnen gestalteten Porträts sind in diesem Zusammenhang auch frühe Medaillen zu nennen. Die ältesten überlieferten Porträtmedaillen stammen von den Da Carrara als Signori von Padua und reichen bis ins frühe 14. Jahrhundert zurück. Mit ihnen korrespondierende Darstellungen sind als Abfolge von Fürstenbildern in den „Liber de principibus  Carrarensibus“ des Paulus Vergerius  eingegangen. Eines dieser Bilder wird unmittelbar der Werkstatt des Altichiero zugeordnet. Insgesamt zeigt sich in diesen Zusammenhängen eine auf antike Münzen zurückgehende Tradition der Veroneser Malerschule. Sie ist allerdings nur eine der Wurzeln des spätmittelalterlichen Fürstenporträts.

[{Image src='Altichiero_ritratto_di_Francesco_Petrarca.jpg' height='270' class='image_left' caption='Altichiero: Ritratto di Francesco Petrarca; Porträt des Francesco Petrarca - Quelle: Wikipedia' alt='Altichiero, Ritratto di Francesco Petrarca' width='229'}][{Image src='Ritratto.png' height='270' class='image_left' caption='Altichiero: Ritratto di Francesco Petrarca, Porträtbilder einer Gruppe um Francesco Petrarca - Quelle: Wikipedia' alt='Altichiero, Ritratto di Francesco Petrarca, Porträtbilder einer Gruppe um Francesco Petrarca' width='285'}]




Vasari berichtet, dass Altichiero in seinen späten Jahren nach Verona zurückgekehrt ist. Auch zwischendurch scheint er in den 70er und 80er Jahren nach Verona in die Stadt seiner Jugend und seiner Ausbildung gekommen zu sein und hier gearbeitet zu haben. Wie seine Werke in Padua sind auch die in Verona von seinem stark individualisierenden und um persönliche Charakteristik bemühten Malstil gekennzeichnet. Wenn Rudolf IV. bei seinem Aufenthalt in Oberitalien einen guten Porträtisten gesucht hat – in Altichiero da Zevio konnte er ihn finden. Das Beispiel des Thomas von Modena, den Karl IV. in den frühen 50er Jahren nach Prag bzw. nach Karlstein geholt hat, zeigt: Eine Berufung für eine zeitlich begrenzte Auftragsarbeit an einem kunstsinnigen Fürstenhof nördlich der Alpen war damals durchaus möglich. Den della Scala in Verona standen damals neben Altichiero da Zevio noch andere bedeutende Maler zur Verfügung. Es war für Cansignorio della Scala kein Problem, ihn nach Vollendung seines Erstlingswerks an einen anderen Hof ziehen zu lassen. Falls Rudolf IV. ihn von Verona nach Wien holte, dann wurde dieser Aufenthalt allerdings durch den frühen Tod des Herzogs schon bald beendet. Wie schon betont sind einige der Hauptwerke Altichieros partiell oder insgesamt verloren gegangen – etwa seine erste bedeutende Arbeit in der Sala grande im Palast der Skaliger in Verona oder der Großteil der Bilder im Palast der Da Carrara in Padua. Wir wissen von ihnen deshalb, weil Autoren, die diese Bilder kannten und von ihnen beeindruckt waren, über sie berichteten. So sind es zum Teil die lebensgeschichtlichen Darstellungen über Altichiero, die auf seine außerordentliche Bedeutung für das Kunstschaffen der Frührenaissance verweisen. Sicher zu Recht wird er als Gründer der „Veroneser Schule“ bezeichnet. Für diese war seine porträthafte Zugangsweise charakteristisch. Der Kreis von Mitarbeitern und Schülern, die von ihm beeinflusst wurden, umfasste große Künstlerpersönlichkeiten. Auch aus heutiger Sicht lässt sich diese Stilrichtung als ein eigenständiger Zweig der Renaissance-Malerei verstehen. Über seine Freundschaft mit Francesco Petrarca eröffnet sich insgesamt ein Zugang, der die Position Altichieros im geistigen Horizont der Frührenaissance besser erschließt. „De viris illustribus“ war schon im Kreis von Cicero ein Leitthema der klassischen lateinischen Literatur gewesen. Die maßgeblichen Autoren der Frührenaissance griffen es wieder auf – und ihnen folgend die großen Maler der Zeit. Vor allem Francesco_Petrarca war für dieses „rinascimento“ richtungsweisend. Von den humanistisch orientierten Schriftstellern schloss sich ihm etwa später Giovanni Boccaccio an. Nach 56 Biographien bedeutender Männer der Antike setzte er mit 106 Lebensgeschichten „De mulieribus claris“ fort. Das antike Leitmotiv „De viris illustribus“ wurde dann auch in christlicher Einkleidung aufgegriffen. In Porträts umgesetzt sind wir ihm bei den vierzig Großen des Dominikanerordens in Treviso schon begegnet.

Als sich Petrarca in Verona mit den Briefen Ciceros beschäftigte, war er Gast im Hause des Guglielmo Guarienti da Pastrengo im Stadtteil Vicolo Verità. Dieses Haus war damals Mittelpunkt eines Zirkels von Intellektuellen, die sich für die klassische Antike interessierten – ebenso aber auch für Flüchtlinge aus anderen oberitalienischen Städten. Schon Dante Alighieri hatte dort gewohnt. Er war ein Freund von Petrarcas Vater gewesen. Und Dantes Sohn Pietro setzte mit Petrarca die freundschaftlichen Familienbeziehungen fort – jetzt selbst schon als Hausbesitzer in Verona. Was das Haus des Guglielmo Guarienti für Literaten so anziehend machte, war nicht zuletzt die Nähe zur berühmten „Biblioteca Capitolare“, der traditionsreichen Bibliothek des Veroneser Domkapitels. Sie gilt offiziell als „più antica biblioteca del mondo“. Dort waren unerhörte Reichtümer an Schriften antiker und mittelalterlicher Autoren zu finden. 1320 wurde Dante vom Domkapitel eingeladen, dort eine Konferenz abzuhalten. Petrarca benützte die Bibliothek 1345 und vielfach noch später. Ein solcher Exkurs in die literarische Umwelt des Altichiero erscheint notwendig, um den intellektuellen Hintergrund zu verstehen, in dem der Künstler in den 30er und 40er Jahren des 14. Jahrhunderts in Verona aufwuchs. Und er kehrte später immer wieder in seine Heimatstadt zurück. Verona war insgesamt eine Stadt, in der viel an Relikten aus der Antike zu sehen war – aber auch bedeutende Monumente aus späteren Stilepochen. Dieser Bezug auf historische Architektur seit der Antike ist für die Gestaltung von Altichieros Bildern in der jeweiligen Einordnung seiner zentralen Bildmotive in reale und imaginierte Baukonstellationen sehr charakteristisch. Sie lässt das später zu behandelnde Votivbild für einen Nachkommen der della Scala an der Wiener Stephanskirche eindeutig seiner Schule zuordnen.

!Rudolf IV. und die oberitalienischen Maler

Anders als für Theoderich von Prag oder für Thomas von Modena würde es für die Lebenswege Rudolfs IV. und Altichieros da Zevio passen, dass sie im Porträt des österreichischen Herzogs konvergierten. 1364/5 müssen sich diese Lebenswege der beiden in Verona gekreuzt haben. Wie Karl IV. etwa ein Jahrzehnt zuvor einen bedeutenden lombardischen Maler für sein Burgheiligtum Karlstein gesucht und gefunden hat, darf man annehmen, dass auch Rudolf IV. für seine Grabanlage in St. Stephan sich um einen oberitalienischen Meister bemüht hat. In der Region von Venezien war damals die „ars nova“ stark vertreten. Und einen bedeutenden Vertreter dieser „neuen Kunst“ wollte Rudolf wohl für sein Porträt gewinnen. Die Entscheidung, dass über seinem Grabe einmal ein Porträtbild angebracht werden sollte – die muss Rudolf aus eigenen Überlegungen getroffen haben. Einen Porträtisten von höchstem Niveau konnte er in Altichiero da Zevio in Verona finden. Und Altichiero war für ihn wohl nicht nur als Maler interessant, sondern insgesamt als ein bedeutender Künstler, der als Freund Petrarcas den neuen Geist seiner Epoche vertreten konnte. Passte ein Porträt des Altichiero da Zevio in eine Grabanlage, wie sie Rudolf IV. für sich und seine Familie in der Stephanskirche in Wien plante?

Das Konzept der neuen Herzogsgruft stimmte zunächst strukturell mit dem überein, das Rudolfs Vater, Herzog Albrecht II., in dem von ihm gegründeten Kartäuserkloster Gaming vorgesehen hatte. (Link Michael Mitterauer, Die Gräber der Habsburger, Austria Forum). Dieses umfasste als untere Ebene die Gruft, in der 1358 Albrecht neben seiner Gattin Johanna von Pfirt bestattet wurde. Auf den beiden Särgen wurden große Bleitafeln angebracht. Die Texte der Tafeln gaben den Titel des verstorbenen Fürsten und die Namen seiner Kinder an. Rudolf IV. dürfte als ältester Sohn und Nachfolger an diesen Texten von 1358 noch mitgewirkt haben. Das Grabmal, das in Gaming oberhalb der Gruft – also auf dem Niveau des Kirchenbodens – angelegt worden war, ist nicht erhalten.

Auch Rudolfs Grabanalage in St. Stephan begann mit der Gruft, in der die Särge aufgestellt werden sollten. Der erste Familienangehörige, der hier begraben wurde, war der 1362 verstorbene Herzog Friedrich III., Rudolfs jüngerer Bruder. Auf der zweiten Ebene oberhalb der Gruft sollte das Grabmonument für Rudolf und seine Gattin Katharina von Böhmen entstehen. Es war also auch hier von vornherein ein Doppelgrab für das Herzogspaar geplant. Die Inschrift auf der Tumba verweist allerdings noch auf die Kinder Herzog Albrechts und der Johanna von Pfirt insgesamt. Hier ist die ursprüngliche Konzeption des Kenotaphs noch zu erkennen. Auf der Tumba befindet sich dann – dreidimensional skulpturiert – das Herzogspaar in porträthaften Zügen. Auch das entsprach durchaus der Tradition. Aber schon 1362 begann Rudolf in St. Stephan mit einer dritten Ebene der Grabanlage. An der rechten Seitenwand wurde im Chorraum die Gedächtnisinschrift für den so jung verstorbenen Herzog Friedrich III. angebracht. Viel ausführlicher gestaltet ist die unmittelbar benachbarte Inschrift für Rudolf IV. von 1365. Auf dieser dritten Ebene – unterhalb des Epitaphs – wurde dann das noch zu Lebzeiten von Rudolf entstandene Porträt des Herzogs angebracht. Das war grundsätzlich ein neues Element. Eine Vorbildwirkung für die neue Habsburgergrablege in St. Stephan seitens der Skaligergräber in Verona, die Rudolf IV. sicher gesehen hat, konnte sich schon auf Grund struktureller Unterschiede zwischen den jeweiligen Grabeskirchen nicht ergeben. In Wien wurde die neue Grablege des Herzogshauses in die Hauptkirche der Stadt einbezogen, die gerade von Rudolf in noch größeren Dimensionen erweitert wurde – in Verona hingegen war Santa Maria Antica, die traditionelle Familienkirche der della Scala, die Ausgangsbasis, deren enger Rahmen durch die großartigen Grabmonumente der Signori gesprengt wurde. Sie mussten schließlich außerhalb des Kirchenraums fortgesetzt werden. Insofern konnte es hinsichtlich des architektonischen Rahmens der Sepulkralkultur zu keiner Vorbildhaftigkeit Veronas für Wien kommen. Das schließt freilich nicht aus, dass das Fürstenporträt als neues Element und wohl auch als Höhepunkt von Rudolfs Grabkonzept auf Eindrücken beruhte, die Rudolf in Oberitalien gewonnen hatte.

!Fürstengräber um die Mitte des 14. Jahrhunderts

Fragen wir nach neueren Fürstengräbern in Oberitalien, die Herzog Rudolf gekannt haben könnte, so ist neben Verona vor allem an Venedig zu denken. Rudolf hat in Zusammenhang mit seiner Territorialpolitik in Friaul Venedig besucht und war wohl von der Urbanität dieser Metropole – ebenso wie von der Veronas oder Mailands – stark beeindruckt. In der Dogenrepublik gab es – durch die spezifischen Verfassungsverhältnisse bedingt – sehr vielfältige Formen von Grabanlagen. Der Doge wurde zwar seit alters auf Lebenszeit gewählt – eine Weitergabe seines Amtes an einen Sohn war jedoch grundsätzlich ausgeschlossen. Dementsprechend kam es nicht zur Entstehung dynastischer Familiengrablegen. Ein besonders bemerkenswertes Dogengrab aus neuerer Zeit, das Rudolf gesehen haben könnte, war das des Francesco Dandolo und seiner „Dogeressa“ Elisabetta Contarini von 1339 im Kapitelsaal des Franziskanerklosters Santa Maria Gloriosa - verkürzt „Frarikiche“ genannt 


[{Image src='Dandolo_Monument.png' height='400' class='image_right' caption='Grabmal des Francesco Dandolo und seiner Gattin 1339, Kapitelsaal des Franziskanerklosters Santa Maria Gloriosa - Quelle: Wikipedia' alt='Grabmal des Francesco Dandolo' width='423'}]



Der Kapitelsaal einer Bettelordenskirche war insofern ein guter Aufstellungsort für ein Grabmonument, als der Bestattete dort im Zentrum jener Klostergemeinschaft lag, deren Fürbitte bei Gott als besonders wirkkräftig gedacht wurde. Das Grabmonument Francesco Dandolos und seiner Ehefrau folgte einem spezifischen Konzept. Es war mit einem Tafelbild ausgestattet. Der Schöpfer dieses Tafelbilds war Paolo Veneziano, der für die Dogen als Hofmaler arbeitete. Er galt als einer der bedeutendsten Maler seiner Zeit, der die venezianisch-paduanische Malschule maßgeblich beeinflusst hat - und durch sie nicht nur Thomas von Modena, sondern auch Altichiero da Zevio. Das Tafelbild des Grabmals stellt Francesco Dandolo und seine Gattin Elisabetta dar, wie sie – von ihren Namenspatronen dem heiligen Franz von Assisi und der heiligen Elisabeth von Thüringen geleitet - der Gottesmutter Maria und dem Jesuskind präsentiert werden. Das Motiv des Tafelbilds am Dogengrab steht in byzantinischer Tradition. Paolo Veneziano war auch in seinem Malstil byzantinisierend. Für Altichiero da Zevio gilt er als ein maßgeblicher Vorläufer. Für Herzog Rudolf konnte das Monument in Venedig als Vorbild für die Aufnahme eines Tafelbilds in sein Grabkonzept dienen. Auch in Verona hatte Rudolf IV. Tafelbilder in Verbindung mit Grabmälern sehen können – etwa in der Franziskanerkirche San Fermo Maggiore, die damals neu erbaut worden war. Porträtkunst und Tafelmalerei hatten im Verona der Frührenaissance eine besondere Heimstätte. Tiziana Franco hat den „Tombe di uomini eccelenti della fine del XIII alla prima metà del XV secolo“ am Beispiel von San Fermo eine spezielle Studie gewidmet, die diesen Zusammenhang bestätigt.
 
Hatte Rudolf IV. auf seinen Fahrten nach Oberitalien vielleicht auch Padua besucht? Hier hat die Porträtmalerei in Verbindung mit der Sepulkralkultur damals einen besonderen Höhepunkt erlebt – wohl vor allem durch die Verehrung des frühen Franziskanerheiligen Antonius von Padua in seiner Grabeskirche bedingt. Einige Höhepunkte oberitalienischer Grabkunst seiner Zeit waren Herzog Rudolf bekannt. Für neue Konzepte zur Ausgestaltung seiner Grabanlage konnte er in dieser hochentwickelten Kunstregion sicher Anregungen gewinnen. Mit dem von ihm in Auftrag gegebenen Porträtbild hat er jedenfalls gegenüber dem Grabmal seiner Eltern in Gaming eine entscheidende Innovation beigetragen. Ob Herzog Rudolf IV. am Hof des Cansignorio della Scala dessen Hofmaler Altichiero da Zevio persönlich kennengelernt hat, darüber haben wir keine Information. Dessen viel bewunderten Freskenzyklus mit den Porträts großer Persönlichkeiten der Antike hat er sicherlich gesehen Ein Auftrag für das ein Porträt Herzog Rudolfs in Wien kann aber durchaus auch durch Mittelsmänner zustande gekommen sein. Dass die Entstehung dieses Porträts auf politischen Kontakten des Herzogs basierte, ist sehr wahrscheinlich. Oberitalienische Fürstenstädte haben dabei als Kontaktorte eine weit größere Plausibilität als die Residenz von Rudolfs Schwiegervater in Prag, die aus politischen Gründen dafür nicht in Frage kam.

Was konnte ein Altichiero da Zevio Herzog Rudolf IV. bieten? Er hatte den Palast eines Fürsten ausgestaltet. Seine repräsentativen Bilder umfassten historische Szenen zu Themen der Antike. Sein „Jüdischer Krieg“ nach der Darstellung des Josephus Flavius war ein solches Thema. Vor allem war er aber in der Porträtmalerei auf der Basis antiker Kaisermünzen ausgewiesen, die in Verona schon wichtige Vorläufer hatte.  Sicher war Altichiero aus seiner vorangehenden Ausbildung auch mit der Darstellung religiöser Motive vertraut. Von seinem Lehrer Turone sind überhaupt nur Werke aus Kirchen bekannt. Aber schon Turone hatte sich in solchem Kontext mit Kryptoporträts bedeutender Zeitgenossen beschäftigt – unter anderem vielleicht dem des großen Dante Alighiero, der in der Künstlermetropole Verona am Skaligerhof Zuflucht gefunden hatte. Was Herzog Rudolf IV. von Altichiero erwarten durfte, war durchaus ein Porträt, das im Rahmen der Grabarchitektur über der Tumba und den Särgen der Herzogsgruft angebracht werden konnte – in unmittelbarer Nähe zum Hochaltar, wo für den Herzog und seine Angehörigen mit vollem liturgischen Prunk Gedächtnisgottesdienste gefeiert werden sollten.


!Fürstengräber und Fürstenbilder

Fürstenporträts über dem Grab des dargestellten Herrschers waren um die Mitte des 14. Jahrhunderts ein neues Genre der Malerei. Zwei sehr unterschiedliche Entwicklungstendenzen führten in diese Richtung. Die byzantinische Kirche kannte seit alters Bilder von Kaisern und Kaiserinnen als Objekte sakraler Verehrung. Diese Traditionslinie fand im 14. Jahrhundert vor allem in den Fürstenbildern serbischer und bulgarischer Herrscher ihren Niederschlag. Die serbischen Nemjaniden ließen sich alle mit dem für Heilige charakteristischen Nimbus abbilden – vor allem auf Fresken in den von ihnen erbauten Grabeskirchen, später aber auch auf Tafelbildern. Diese zeigen dabei eindeutig porträthafte Züge. Die Grabeskirchen solcher Fürsten waren von vornherein als Stätten von deren kultischer Verehrung nach ihrem Tod konzipiert. Das Fürstenbild in individualisierender Darstellung war also in der Ostkirche schon lange vor der Westkirche integrierender Bestandteil der Sepulkralkultur. Die Ikone als zweidimensionale Darstellungsform von Heiligen, wie sie seit dem Bilderstreit dogmatisch erlaubt war, erfasste im byzantinischen Kulturraum durchaus auch zweidimensionale Abbildungen von Fürsten in ihren Grabeskirchen. Die Entwicklung des Fürstenbilds in der Westkirche war eine ganz andere. Sie hatte ihren Schwerpunkt nicht in der zweidimensionalen Malerei, sondern in der dreidimensionalen Plastik. Fürstengräber mit porträthaften Zügen reichen hier bis weit vor das Fürstenporträt des 14. Jahrhunderts zurück. (Link: Michael Mitterauer. Zum Porträt Herzog Rudolfs IV. Austria Forum.) Auch in der Malerei haben sie hier frühe Wurzeln. Eine wichtige Entwicklungslinie markiert dabei das Stifterporträt. Stifterbilder in Kirchen waren freilich in der Westkirche zunächst deutlich von Heiligenbildern unterschieden. Kleinformatig am Rand des Heiligenbilds hinzugefügt bedeuteten sie zunächst noch kein besonderes Problem. Solche Votivbilder von Heiligen, auf denen sich auch der oder die Stifter verewigten, nahmen im Verlauf des Mittelalters stark zu. Wie verhielt es sich aber dann, wenn Fürsten zu Heiligen wurden? Wer durfte wie dargestellt werden? In der Westkirche gab es – anders als in der Ostkirche – eine zentrale Instanz, die über die Heiligenverehrung entschied, nämlich den Papst. Papst Gregor IX. (1227-1249) regelte das Heiligsprechungsverfahren neu – wohl in Zusammenhang mit der Kanonisation des Franziskus von Assisi. Der wurde - vor allem seit seiner Stigmatisierung - schon zu Lebzeiten wie ein Heiliger verehrt. Es gab bereits vor seinem Tod Heiligenbilder, die ihn darstellten. Als er 1226 starb, wurde er schon zwei Jahre später von Papst Gregor IX. heiliggesprochen. In bildlichen Darstellungen, aber auch in Formen der Nachbenennung wirkte sich dieses Ereignis rasch aus.

!Fürstenbilder und Heiligenbilder

Die erste Persönlichkeit fürstlichen Stands, die nach der Reform des Kanonisationsverfahrens heiliggesprochen wurde, war die Landgräfin Elisabeth von Thüringen – eine ungarische Königstochter mit vielen als heilig verehrten Personen in ihrem Verwandtenkreis. Der erste heiliggesprochene König des Spätmittelalters folgte nach langem Kanonisationsprozess erst 1297, nämlich König Ludwig IX. von Frankreich. Rascher verlief das Verfahren bei dessen Großneffen Ludwig von Anjou, Erzbischof von Toulouse, Bruder König Roberts von Neapel und vor allem frommer Angehöriger des Franziskanerordens. Bezeichnend für den Zusammenhang zwischen Heiligsprechung und Porträtmalerei ist das berühmte Bild, das König Robert sofort nach dem Abschluss des Heiligsprechungsverfahrens seines Bruders 1317 beim renommierten Sieneser Maler Simone Martini in Auftrag gab. Das dargestellte Thema: Der heilige Ludwig von Toulouse krönt seinen Bruder Robert. Robert ist auf diesem Bild kleiner aber eindeutig porträthaft dargestellt, Ludwig als neuer Heiliger hingegen größer und eher hieratisch stilisiert. 
 

[{Image src='Simone.png' height='400' class='image_left' caption='Simone Martini, Der heilige Ludwig von Toulouse krönt seinen Bruder König Robert - Quelle: Wikipedia' alt='Simone Martini, Der heilige Ludwig von Toulouse krönt seinen Bruder König Robert' width='274'}]

In der Westkirche erscheint der Status einer Person vor und nach der Heiligsprechung grundsätzlich verschieden: Der Heilige ist Fürbitter im Himmel. Man kann zu ihm beten und seine Intervention für Lebende, aber auch für im Fegefeuer Büßende bei Gott erbitten. Eine lebende Person wird anders gestellt. Man kann für sie beten, aber nicht zu ihr. Altichiero da Zevio hat sich – obwohl in seinem Malstil in mancher Hinsicht byzantinisierend – in der Darstellung der Personen auf seinen Bildern eindeutig westkirchlich verhalten. Seine sakralen Bilder zeigen häufig Massenszenen – etwa seine Kreuzigung im Oratorium des heiligen Georg in Padua. Die nach dem Bericht der Evangelien beim Kreuz stehenden biblischen Gestalten sind durchwegs mit dem Heiligennimbus dargestellt. Er hat aber auch ihm nahestehende Zeitgenossen in die Massenszenen einbezogen – etwa seinen Gönner Francesco il Vecchio da Carrara, seinen Freund Francesco Petrarca, dessen Sekretär und andere Persönlichkeiten des Petrarca-Kreises. Alle diese zeitgenössischen Begleitpersonen erscheinen ohne Nimbus – bei aller persönlichen Verehrung natürlich auch Petrarca selbst. Wie wollte Herzog Rudolf IV. gemalt werden, als er sein berühmtes Porträt in Auftrag gab? Als „uomo illustre“, der seiner Nachwelt als großer Fürst präsentiert wird? Beschränkt auf solche Intentionen wird sein Porträt heute häufig interpretiert und die religiöse Dimension dabei vernachlässigt. Wollte er als Kirchenstifter präsent sein, für den in seiner Grabeskirche gebetet werden sollte? Er hat sein Bild zu Lebzeiten in Auftrag gegeben – damals noch nicht wissend um seinen nahen Tod. Aber das Porträt war für sein Grabmal bestimmt. Die Vorbereitungen für die Gottesdienste zu seinem Gedenken hatte er in großer liturgischer Feierlichkeit schon früh zu planen begonnen. Das zeigen seine ausführlichen Dispositionen für die Geistlichkeit seiner Grabeskirche. Wollte er sich mit diesem Bild einen Patz im Diesseits oder im Jenseits sichern? Eine derart dichotomisch unterscheidende Überlegung ist wohl von vornherein verfehlt. War das für ihn überhaupt trennbar? Wir kennen seine Gedanken in den verschiedenen Phasen der Entstehung des von ihm gestifteten Grabmonuments nicht. Und wir könnten sie aus heutiger Mentalität wohl auch nur mehr schwer nachvollziehen.

!Ein Votivbild aus dem Altichiero-Kreis am Stephansdom

Herzog Rudolf IV. ließ sich in Zusammenhang mit der von ihm konzipierten Sepulkralkultur mehrfach mit porträthaften Zügen darstellen. Eine besonders gut erhaltene Skulptur des Fürsten findet sich am sogenannten „Singertor“ von St. Stephan. In der Vorhalle des „Singertors“ wurde 1895 unter einem Epitaph ein Fresko freigelegt, das sich mit Sicherheit der Veroneser Malschule des Altichiero da Zevio zuordnen lässt. Das Votivbild ist Antonio della Scala gewidmet, der zusammen mit seinem älteren Bruder Brunoro 1404 nochmals ganz kurzfristig Signore von Verona werden konnte. Sie beide waren Enkel von Cangrande II. della Scala und Großneffen von Cansignorio. Durch ihre Großtante Beatrice della Scala waren sie mit Viridis Visconti verwandt - der Tochter des Bernabò Visconti, die Herzog Rudolf IV. seinem jüngeren Bruder Leopold als Ehegattin vermittelt hatte. Viridis war noch am Leben, als die della Scala aus Verona vertrieben wurden. Ihr ältester Sohn Wilhelm war damals Oberhaupt der leopoldinischen und der albertinischen Linie des Hauses Habsburg. Wann Antonio della Scala starb, wisssen wir nicht genau. Auch sein Begräbnisort ist unbekannt. Vielleicht wurde er in der Augustinerkirche bestattet, die der Burg der österreichischen Herzoge in Wien benachbart lag. Das Kloster der Augustiner-Eremiten war 1327 von König Friedrich dem Schönen, dem Onkel Herzog Rudolfs IV. gegründet worden. Seine Gruft galt als bevorzugter Bestattungsort des habsburgischen Hofadels. Von Antonos  Bruder Brunoro, der  erst 1437 starb, sowie anderen der nach Wien geflohenen della Scala-Geschwistern ist es gesichert, dass sie in der Augustinergruft begraben wurden. Für nahe Verwandte des Herzogshauses war ein solcher Bestattungsort naheliegend. Eine Bestattung in der Herzogsgruft selbst wäre nicht in Frage gekommen. In St. Stephan wurde das Andenken an den ehemaligen Signore von Verona durch das Votivbild wach gehalten, das wohl seine Geschwister gestiftet haben.

[{Image src='Thronende_Madonna.jpg' height='500' class='image_right' caption='​Votivbild eines Nachkommen der Skaliger. Nach: Evelyn Klammer, Familienbande: Auftraggeberschaft und Funktionen eines Wandbildes des Veroneser Quattrocento am Wiener Stephandom, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 59. Band, Heft 2 (2017) pp. 262-270 ' alt='Votivbild des r. della Scala nach: Evelyn Klammer, Familienbande: Auftraggeberschaft und Funktionen eines Wandbildes des Veroneser Quattrocento am Wiener Stephandom, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 59. Band, Heft 2 (2017) pp. 262-270) - Quelle: Wikipedia' width='291'}]



Das Votivbild aus der Vorhalle des „Singertors“ von St. Stephan befindet sich in rekonstruierter Form heute im Historischen Museum der Stadt Wien. 1962 wurde es in der Großausstellung „Europäische Kunst um 1400“ im Kunsthistorischen Museum präsentiert. Der Katalog der Ausstellung vermerkte damals: „Nach Fiocco ist es Brunoro della Scala, der 1404 aus Verona an den Hof des Kaisers geflüchtet war. Der Heilige hinter ihm wäre Abt Bruno, Gründer des Karthäuserordens. Nach Suido ist das Fresko dem Kreis des Altichiero zuzuschreiben. Fiocco hält es für eine Jugendarbeit des Stefano da Verona, von dem er annimmt, dass er Brunoro della Scala nach Wien gefolgt ist, bei welcher Gelegenheit er in direkten Kontakt mit der böhmischen und österreichischen Malerei getreten ist.“ So überzeugend - vor allem aus stilistischen Gründen - die Zuordnung des Votivbilds zum Kreis des Altichiero da Zevio und besonders zu dessen ebenso nach Zevio benannten  Schüler Stefano da Verona erscheint, so wird man doch in einem Punkt dem Text des Katalogs von 1962 widersprechen müssen: Der auf dem Votivbild dargestellte Heilige hinter dem Stifter ist sicher nicht der heilige Bruno. Das Glöckchen in der Hand des Heiligen deutet klar auf den Heiligen Antonius den Eremiten – den hochverehrten Wüstenvater aus dem dritten Jahrhundert.   Er war offenbar der Namenspatron des Antonio della Scala. Für die grundsätzliche Frage der Zuordnung des Bildes zum Altichiero-Kreis ist dieser Kritikpunkt am Katalogtext von 1962 allerdings ohne Belang.

!Zwischen Verona und Wien

Brunoro della Scala starb 1437 nach einem tatenreichen Leben in Wien. Das Votivbild, das an seinen Bruder Antonio erinnert, wird wohl schon lange davor entstanden sein. Stefano da Zevio bzw. da Verona, der aller Wahrscheinlichkeit nach das Fresko gemalt hat, verstarb um 1450 in Verona. Stefanos Vater Giovanni war, bevor er nach Verona kam, Hofmaler von Herzog Philipp II. von Burgund und später dann von Giangaleazzo Visconti in Mailand. Stefano kam also genealogisch aus einer Künstlerfamilie von hohem Rang. Seine beiden Brüder Giovanni Antonio und Giovanni waren auch Maler – ebenso sein Sohn Vincenzo.   Stefano selbst war ein Freund des  Pisanello, der ebenso wie er zu den großen Malern Veronas gehörte. Wenn Stefano da Verona bzw. da Zevio der Maler des Votivbilds an der Stephanskirche war, so muss er wohl kurzfristig für die Durchführung dieses Auftrags nach Wien gerufen worden sein. Mit den della Scala war er nach deren Vertreibung offenbar weiterhin in Kontakt. Er war aber sicher nicht ein „familiaris“ des Brunoro della Scala, wie man nach der Charakteristik im Ausstellungskatalog von 1962 schließen könnte. Das wäre mit seinen eigenen Verpflichtungen in und um Verona nicht vereinbar gewesen. Ebenso auch nicht mit denen des Brunoro della Scala, der als Condottiere und Diplomat durch ganz Europa zog. Brunoro war eng mit Kaiser Sigismund verbunden. In seiner Jugend wurde er zunächst – gemeinsam mit seinem Bruder Antonio – an dessen Hof erzogen. Eine für die ganze Familie weittragende Entscheidung traf Kaiser Sigismund 1412, als er Brunoro und seinen Brüdern den Titel „vicarius generalis sacri Romani Imperii“ verlieh. Damit war für die Nachkommen des alten Signorengeschlechts weiterhin der Anspruch auf die Stadtherrschaft in Verona verbunden, den sie allerdings nie wieder realisieren konnten. Verona blieb seit 1405 fest unter der Kontrolle Venedigs. Brunoro stand mit Kaiser Sigismund auf der Gegenseite. Venedig setzte auf ihn ein hohes Kopfgeld aus. Es würde hier zu weit führen, die vielfältigen militärischen und diplomatischen Aktivitäten Brunoros im Einzelnen anzuführen. Er war jedenfalls eine Persönlichkeit von hohem politischem Rang – auch wenn er nicht mehr wie seine Vorfahren über ein mächtiges Territorium verfügte. Er starb in der habsburgischen Residenzstadt und wurde in der Augustinerkirche bestattet.

Noch bedeutsamer als Brunoro della Scala war Nikodemus della Scala – der älteste der vielen Brüder aus der Skaligerfamilie, die aus Verona über die Alpen in den Norden geflohen waren. Seine Bedeutung lag allerdings nicht im militärischen sondern im geistlichen Bereich. Am Konzil von Konstanz 1414 bis 1418 war er in maßgeblicher Funktion beteiligt. 1422 erhielt er die Würde eines Fürstbischofs von Freising, nachdem er schon zuvor als Bischof von Gurk bzw. von Trient zur Diskussion stand. In seiner Diözese erwarb er sich vor allem um die Durchsetzung der Konzilsbeschlüsse von Konstanz und Basel große Verdienste. In seiner Amtszeit beschenkte er den Freisinger Dom mit zahlreichen Kunstwerken. In Wien ließ er einen neuen Hochaltar für seine Domkirche in Freising anfertigen. Aus seinem Familienbesitz stammte eine wertvolle byzantinische Marienikone aus dem 12. Jahrhundert, das sogenannte „Freisinger Lukasbild“. Der Weg dieses Heiligtums von einem Kaiser aus der Dynastie der Paläologen über verschiedene europäische Fürstenhöfe nach Freising zeigt den enormen Reichtum und die vielfältige Vernetzung der Visconti – della Scala – Verwandtschaft. Sie wirkte auch noch nach dem Machtverlust dieser beiden großen Dynastien Oberitaliens lange nach. Mit dem Wiener Hof blieben die della Scala durch viele Jahrzehnte eng verbunden. Ausdruck dieser politischen Verbindung sind die Begräbnisorte der Familie nach dem Verlust der Familienkirche Santa Maria Antica in Verona und des zugehörigen Friedhofs, der wegen seiner prunkvollen Reitergräber so berühmt ist. In der Generation von Bischof Nikodemus und Brunoro wurde die Wiener Augustinerkirche zur Grablege von sechs Geschwistern aus dem Hause della Scala – neben Bischof  Nikodemus von Freising und Brunoro die Brüder Fregnano und Bartolomeo sowie die Schwestern Katharina und Oria (d.i. „Laura“). Leider sind  in der Augustinerkirche keine Grabmonumente von ihnen erhalten. Die Beziehungen der della Scala aus Verona zu den Habsburgern in Wien reichen jedenfalls von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis in die Sechzigerjahre des 14. Jahrhunderts zurück. Das Votivbild beim „Singertor“ an der Stephanskirche ist der letzte künstlerisch bedeutsame Ausdruck dieser Beziehung – das Porträt Herzog Rudolfs IV. wohl ihr erster.

!Rudolf IV. und die oberitalienischen Signorien

Aus der Frühphase der Beziehungen der Habsburger zu den della Scala und den Visconti erscheint ein namenkundlicher Hinweis von Interesse. Noch bevor Rudolf IV. 1365 seinen jüngeren Bruder Leopold mit Viridis, der Tochter der Beatrice della Scala und des Bernabò Visconti verheiratete, gab dieses Ehepaar einem Sohn den Namen Rodolfo. In der Literatur wird 1364 als Jahr der Geburt angegeben. Dieser Name kam bis dahin in den Dynastien der beiden oberitalienischen Signorien nicht vor. Er ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Ausdruck der sich anbahnenden neuen Allianzen. Rudolfs junge Schwägerin Viridis hatte bei ihrer Heirat also schon einen nach dem österreichischen Herzog nachbenannten Bruder. Rodolfos älterer Bruder Lodovico/Luigi hatte offenbar noch seinen Namen nach dem 1347 verstorbenen Kaiser Ludwig IV. dem Bayer erhalten. Wittelsbacher und Visconti waren bereits Bündnispartner, zwischen denen Heiratsallianz und Nachbenennung erfolgte. Gegenüber den Luxemburgern waren die Verhältnisse konträr. Herzog Rudolf IV. von Österreich war zwar der Schwiegersohn von Kaiser Karl IV., aber auch dessen großer Konkurrent. Viele Jahre hindurch durfte sich Rudolf einerseits Hoffnung machen, dem noch söhnelosen Schwiegervater nachzufolgen, andererseits verpflichtete dieser die Kurfürsten, nach seinem Tod nur ja nicht Rudolf zu wählen. Dass dieses Konkurrenzverhältnis in unterschiedlichen Aufträgen an oberitalienische Künstler seinen Niederschlag gefunden haben dürfte, wurde schon einleitend erwähnt.
 
!Ein bedeutender Maler aus Verona

Ein bedeutender Maler aus Verona wurde in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts nach Wien geholt, um am Stephansdom ein Votivbild für einen Vertreter der della Scala-Dynastie zu schaffen. Stefano da Verona bzw. da Zevio, der diesen Auftrag erhielt, kam aus der Malerschule des Altichiero da Zevio. Wie seine Benennung zum Ausdruck bringt, verstand er sich sogar aus derselben Ortschaft stammend wie der große Altichiero, der Begründer der Veroneser Schule. Im Hintergrund solcher Künstlerberufungen standen immer wieder politische Beziehungen der Auftraggeber. Fragt man nach dem Maler des Porträts Rudolfs IV. so stellt das Votivbild für Antonio della Scala beim Singertor des Stephansdoms eine wichtige Spur dar, die nach Oberitalien weist – konkreter noch: nach Verona. Altichiero da Zevio als Maler dieses bedeutsamen Fürstenporträts zu vermuten, gewinnt in einem solchen Kontext an Wahrscheinlichkeit.

!!LITERATUR

* Highlights aus dem Dom Museum Wien. Historische Schätze und Schlüsselwerke der Moderne Hrsg. von Johanna Schwanberg. Berlin/Boston 2017
* Johanna Schwanberg (Hg.) Dom Museum Wien. Kunst Kirche Gesellschaft, 1. Auflage Berlin/Boston 2017, darin: Michael Viktor Schwarz, Eine Pionierleistung europäischer Malere. Das Bildnis Rudolfs des Stifters (S. 239-248) und Islamische Kunst in Europa: Ein Stoff für Diskussionen. Der Professor für islamische Kunstgeschichte Markus Ritter im Gespräch mit Johanna Schwanberg (S. 249-262)
* Dom- und Diözesanmuseum Wien. Katalog Wien 1987
* Europäische Kunst um 1400. Achte Ausstellung unter den Auspizien de Europarates, Wien 1962
* Barbara Schedl, St. Stephan in Wien. Der Bau der gotischen Kirche (1200-1500), Wien 2018
* Ernst Karl Winter, Rudolph IV. von Österreich, 1. Band, Wien 1934
* Ferdinand Seibt, Karl IV. Ein Kaiser in Europa 1346 bis 1378, München 1978
* Josef Riedmann, Verona als Residenz der Skaliger
* Alfred A. Strnad, DELLA SCALA, Brunoro, in : Dizionaro Biografico degli Italiani 37, 1989
* Evelyn Klammer, Familienbande: Auftraggeberschaft und Funktionen eines Wandbildes des Veroneser Quattrocento am Wiener Stephansdom https://www.jstor.org/stable/26406045?
* Judith Claus, Mittelalterliche Architektur im Bild. Die Darstellung von Bauten in den Fresken des oberitalienischen Malers Altichiero, Doktorthese TU Berlin
* Leiter (della Scala), Adelsfamilie  https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Leiter_(...
* Theoderich von Prag https://de.wikipedia.org/wiki/Theoderich_von_Prag
* ADB:Mutina, Thomas von https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Mutina._Thomas_von
* Tommaso da Modena https://it.wikipedia.org/wiki/Tommaso_da_Modena
* Cansignorio della Scala  https://de.wikipedia.org/wiki/Cansignorio_della_Scala 
* Guglielmo della Scala https://it.wikipedia.org/wiki/Guglielmo_della_Scala
* Nicodemo della Scala  https://it.wiki/Nicodemo_della_Scala
* Antje Bosselmann-Ruickbie und Carmen Roll (Hg.) in Zusammenarbeit mit Katharina Blänsdorf und Heike Stege, Das Freisinger Lukasbild. Der Weg der Ikone von Mailand nach Freising 
* Turone https://it.wikipedia.org/wiki/Turone
* Margaret Plant, Portraits and Politics in Late Trecento Padua: Altichiero’s Frescoes in the S. Felice Chapel, S. Antonio  https://jstor.org/s3050143?seq=1/analyzetable
* Tiziana Franco, Tombe di uomini eccellenti (dalla fine de XIII alla prima metà del XV secolo)  http://www.academia.edu/8815736/Tombe_di_uomini_eccele...
* Altichiero https://it.wikipedia.org/wiki/Altichiero
* File:Altichiero Head oft he Virgin.jpg https://commons.org/wiki/File:Altichiero_Head_of...
* Category:Altichiero da Zevio https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Altichiero_da_Zevio
* Altichiero  https://it.wikipedia.org/wiki/Altichiero#Opere
* Francesco Petrarca a Padova  - Comune di Padova http://www.padovanet.it/informazione/francesco-petrarca-padova
* Guariento di Arpo  https://it.wikipedia.org/wiki/Guariento_di_Arpo
* Paolo Veneziano  https://de.wikipedia.org/wiki/Paolo_Veneziano
* WikipediA Chiesa di Sant’Anastasia (Verona) https://it.wikipedia.org/wiki/Chiesa_di_Sant’Anastasia_(Verona) 
* Arte Mosaico Ravenna  https://lucamaggio.wordpress.com/tag/Altichiero_da_zevio
















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