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Christine RIGLER: Diese Komödie ist eine Tragödie. Werk und Leben des Schriftstellers Peter Turrini#

Christine RIGLER: Diese Komödie ist eine Tragödie. Werk und Leben des Schriftstellers Peter Turrini / Biographie, HAYMON, 2019 / Rezension von Guenther Johann

Christine RIGLER: Diese Komödie ist eine Tragödie. Werk und Leben des Schriftstellers Peter Turrini
Christine RIGLER: Diese Komödie ist eine Tragödie. Werk und Leben des Schriftstellers Peter Turrini

RIGLER, Christine: „Diese Komödie ist eine Tragödie. Werk und Leben des Schriftstellers Peter Turrini“, Innsbruck Wien 2019

Ich glaubte vieles über Peter Turrini zu kennen. Unsere Wege kreuzten sich mehrmals im Leben und ich versuchte kein Theaterstück ungesehen und kein Buch von ihm ungelesen zu lassen. Aber hier habe ich wieder viel Neues gelernt und gelesen. Nun ja, die Autorin – Christine Rigler – ist als Literaturwissenschafterin und Leiterin des Archivs der Zeitgenossen an der Donau-Universität Krems sehr nahe an Peter Turrinis Werken dran, denn sie verwaltet in diesem Archiv auch den Vorlass von Peter Turrini. Noch in meiner Zeit als Vizerektor der Donau-Universität hatte ich Peter Turrini zu einer Lesung nach Krems geholt. Jetzt sind all seine Manuskripte und Werke dort gelandet. So schließt sich der Kreis – die Jordankurve.

Die hier vorliegende Biografie ist sehr gut gelungen. Das sage ich, auch wenn ich als Fan von Turrini voreingenommen bin.

Die Autorin gliedert sie in acht Kapitel, beginnt aber nicht auf der Zeitachse mit der Geburt und Kindheit des zu Beschreibenden, sondern mit der Geburt seiner Dichterschaft und dem Entstehen seiner ersten Werke. Ende der 60er Jahre begab er sich zu einem typischen Hippieleben auf die griechische Insel Rhodos. Dort erprobte er aber nicht nur die damalige Drogenszene, sondern schrieb auch sein erstes Stück „Rozznjogd“. Schlagartig (deswegen der Vergleich mit einer Geburt) wurde er bekannt und zum Dichter. Das Stück provozierte. Im Programmheft stellte er sich vor: „ich komme aus maria saal in kärnten. Wer bei uns kalbsbraten ißt stößt zweimal, wer schweinsbraten ißt, dreimal auf. Dies brachte mich auf die idee, vom katholizismus zum free jazz zu konvertieren. um dem würgegriff der ländlichen liebenswürdigkeit zu entgehen, ging ich nach wien.“ (Seite 15) Das Stück war ein Schock für die Wiener Theaterwelt, obwohl es Turrini nicht so gewollt hatte: „Nein, ich will das Publikum nicht schockieren, sondern durch den Schock zu einem Denkvorgang anregen.“ (Seite 23) In die Jugend und Kindheit geht die Autorin erst im zweiten Kapitel ein und beschränkt sich nicht nur in der Erzählung von Fakten des zu Biografierenden und dessen Vorfahren, sondern auch welche Eindrücke und Erfahrungen seinen Werdegang als Dichter beeinflussten. So die Familie Lampersberg, die ihm eine andere Welt erschloss. Sein Vater, ein aus Italien stammender Kunsttischler, hatte nie Anschluss an die Dorfgemeinschaft bekommen. Er blieb ein Fremder. Peter definierte es so, dass sein Vater ein italienischer Einwanderer war, „welcher es nie bis an den Stammtisch der Einheimischen schaffte.“ (Seite 215) Darin ist auch begründet, dass es in vielen Stücken den Bezug zu Flüchtlingen und Fremden gibt. Aber auch die Klassengesellschaft findet sich in späteren Werken wieder. Sein Vater gehörte nicht der konservativen Bauernschaft an. Er war dem linken Lager zuzuschreiben. Nach der Hauptschule besucht Peter Turrini die Handelsakademie, deren Fachgebiet ihn absolut nicht interessiert, aber die Eltern in diesem Beruf – vor allem im Bankensektor – eine sichere Einkunftsquelle sahen. Mehr interessierte sich der Schüler Turrini für Projekte wie seine Schülerzeitung, in der er etwa die nationalsozialistischen Lehrer anprangerte und fast aus der Schule geworfen wurde. Er aber gibt nicht auf und schrieb in einer Folgeausgabe „Niemals sind wir jedoch gewillt, in die Fußstapfen demokratischer Leisetreter zu steigen.“ (Seite 58)

Peter Turrini hatte immer einige Jahre mit einem bestimmten Wiener Theater intensiver zusammengearbeitet. Dem trägt auch die Autorin dieser Biografie Rechnung, indem sie jeweils ein Kapitel dem Volkstheater (1963-1973), eines dem Burgtheater unter Claus Peymann und letztlich eines dem Theater in der Josefstadt widmet.

Zu Beginn muss der junge Schriftsteller auch noch jobben und nimmt die verschiedensten Berufe an. Bei einem, dem italienischen Schreibmaschinenhersteller Olivetti, kreuzten sich unsere Wege. Turrini – er war Schreibmaschinenvertreter - sagte später zu mir „Beim Schreiben der Verkaufsberichte habe ich das Dichten gelernt.“ Turrini war inzwischen mit einer jungen Schauspielerin (Susanne Liebermann) verheiratet und sie trat in seinem Einpersonenstück „Kindsmord“ auf. Mit seinen ersten Stücken – darunter auch „Sauschlachten“ erlangte er Bekanntheit, zweifelte aber an der gesellschaftspolitischen Wirksamkeit des Theaters. Er wandte sich dem Schreiben für Film und Fernsehen zu. Christine Rigler widmet dieser Epoche (1973 – 1980) das vierte Kapitel des Buches. In dieser Phase entstanden die beiden Fernsehserien „Alpensaga“ und „Arbeitersaga“. Als Sympathisant der KPÖ kritisiert er einerseits in der Alpensaga den Bauernstand mit deren politischer Heimat und in der Arbeitersaga auch die sozialistische Partei. Die „Alpensaga“ entstand durch kollektives Schreiben und Zusammenleben mit Wilhelm Pevny und dem Filmregisseur Dieter Berner. Sie gründeten eine Wohngemeinschaft, um dem Konzept der traditionellen Kleinfamilie zu entkommen. Die Zusammenarbeit der Künstler hielt länger als die Wohngemeinschaft. Die Produktion der „Alpensaga“ war mit vielen Stolpersteinen und Schwierigkeiten bestückt. „Es war ein Kulturkampf, den wir uns heute nicht mehr vorstellen können.“ (Seite 115) Enttäuscht kam er 1980 wieder zum Theaterschreiben zurück: „Reumütig stehe ich vor der verlassenen Geliebten Theater und bitte um Gnade.“ (Seite 125) Freunde stellten ihm ein Landhaus im Weinviertel zur Verfügung, wo neue Stücke wie „Josef und Maria“ entstanden. In der Abgeschiedenheit wurde er wieder kreativ. Dazwischen kam es zu einer Amerika- und Russlandreise mit Dichterkollegen wie H.C. Artmann und Helmut Qualtinger. Nach Israel reist er zur Aufführung seines Stücks „Der tollste Tag“. An einen Freund in Amerika schrieb er in der Nachschau, dass ihn die Sowjetunion mehr beeindruckte als Amerika und er die Menschen dort ehrlicher empfand.

1983 schuf sich Turrini einen eigenen Rückzugsort am Rand der Stadt Retz, wo er gemeinsam mit dem Ehepaar Berner, Hilde Berger und Rudi Palla ein Renaissancehaus erwarb. Um der Gemeinschaft beim Schreiben zu entkommen, stellte ihm ein Pater – der spätere Erzbischof von Wien Kardinal Christoph Schönborn eine Zelle im Dominikanerkloster Retz zur Verfügung. Politische Engagements brachten ihn nach Wien: die Protestbewegung gegen den Bau eines Kraftwerks in den Hainburger Donauauen und die Wahl von Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten. Mit Claus Peymann kam die Schaffensperiode am Burgtheater. Obwohl Peymann ein schwieriger „eckiger“ Mensch ist, engagierte sich Turrini für seine Vertragsverlängerung. Peymann kam nach Wien, als sich Turrini dem Film und Fernsehen abwandte. Die Interessen der Beiden trafen sich und brachten viele Stücke hervor. Auch hier blieb die Kritik der konservativen Gesellschaft nicht aus. In diese Phase fiel auch ein Libretto zu einer Oper, die Friedrich Cerha komponierte und die in der Wiener Staatsoper aufgeführt wurde. Nachdem Peymann Wien verlassen hatte suchte auch Turrini eine neue Schaffensstätte und fand sie mit dem neuen Direktor des Theaters an der Josefstadt Herbert Föttinger. Das konservative Vorstadttheater wandelte sich und engagierte sich für zeitgenössische Gegenwartsdramatik. In dieser Zeit trat auch seine langjährige Gefährtin Silke Hassler in sein Leben. Sie ist auch seine Dichterkollegin, mit der gemeinsam viele Stücke und Texte entstanden. „Wir streiten nie über Alltagsfragen. Aber der Silke und mir ist jede Formulierung, die wir noch nicht gut finden, jede Leidenschaftlichkeit wert. Lieber schneide ich mir einen Finger ab, als dass ich einen Satz stehen lasse, von dem ich nicht überzeugt bin.“ (Seite 201) Letztlich kommt in den letzten Seiten des Buches auch das Archiv der Zeitgenossen an der Donau-Universität und deren Leiterin, die die Autorin dieser Biografie ist, zu Wort. Sie beherbergt den Vorlass von Peter Turrini und das war die Basis für das vorliegende Buch. Turrini – jetzt auch Großvater – zog sich vollständig ins Weinviertel und ein eigenes, umgebautes Presshaus zurück. Selbst bei gesundheitlichen Problemen, wie nach einem Herzinfarkt und einer Operation diktierte er noch im Krankenhaus Texte für das Stück „Fremdenzimmer“. Das Buch ist sehr zeitnah und erwähnt auch die Aufführung der Oper „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ im April 2020 in München, zu der Turrini das Libretto schrieb. Aufgehört hat er auch nicht sich politisch zu engagieren und zeigt nicht zu goutierende politische Bewegungen kritisch auf.