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Thomas Bernhard#

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Thomas Bernhard
Thomas Bernhard (Foto)
© Otto Breicha, Wien, für AEIOU

Thomas Bernhard wurde am 9. Februar 1931 in Heerlen, Holland, als Sohn von Herta Bernhard und Alois Zuckerstätter geboren.


Seine Kindheit verlebte Bernhard hauptsächlich bei den Großeltern mütterlicherseits in Wien und Seekirchen am Wallersee (Salzburg). Nach der Heirat seiner Mutter wohnte Bernhard zuerst in Traunstein (Bayern), dann in Salzburg. Die prägende Persönlichkeit jener Jahre war sein Großvater mütterlicherseits, der Schriftsteller Johannes Freumbichler (1881-1949).


Er besuchte ein Internat in Salzburg, nach Kriegsende das Humanistische Staatsgymnasium in Salzburg, begann aber 1947 eine Kaufmannslehre.


1949 erkrankte er nach einer schweren Rippenfellentzündung an Lungentuberkulose, und verbrachte daher 1949 -51 mehrere Aufenthalte in Sanatorien und Lungenheilstätten. Die aus dieser Zeit erwachsene Beziehung Bernhards zu Hedwig Stavianicek bestand bis zu deren Tod im Jahre 1984.


Während der 1950er Jahre arbeitete er als Journalist und freier Schriftsteller und nahm im Salzburger Mozarteum Musik- und Schauspielunterricht.

1963 gelang ihm nach der Veröffentlichung mehrerer Lyrikbände mit dem Roman "Frost" der literarische Durchbruch. In rascher Folge erschienen zahlreiche weitere Romane und Erzählungen, 1970 wurde in Hamburg das erste Theaterstück unter der Regie von Claus Peymann aufgeführt ("Ein Fest für Boris").

Ab 1965 lebte Bernhard hauptsächlich auf einem Bauernhof in Ohlsdorf (Oberösterreich).


Ab 1970 wurde Bernhard zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Dramatiker, insgesamt achtzehn Theaterstücke wurden uraufgeführt, zwischen 1975 und 1982 veröffentlichte er autobiographische Erzählungen. Hatte sich Bernhard in seinen frühen Prosawerken mit der äußerlichen und innerlichen Absonderung und Entfremdung des Einzelnen von der bürgerlichen Gesellschaft auseinandergesetzt, so wendete er sich in den 70er Jahren seiner eigenen Lebensgeschichte zu und reflektierte in einer 5bändigen Biographie seine persönlichen Entwicklungsbedingungen: nationalsozialistische Erziehungsanstalt und katholisches Internat (Die Ursache. Eine Andeutung, 1975), seine Begegnung als 16-Jähriger mit gesellschaftlichen Außenseitern während seiner Lehrzeit als Lebensmittelhändler (Der Keller. Eine Entziehung, 1976), der Aufenthalt im Krankenhaus als Lungenkranker, wo er als hoffnungsloser Fall unter die Sterbenden eingereiht wird (Der Atem. Eine Entscheidung, 1978), das Leben in einer Lungenheilstätte, in der er wiederum zwischen Genesung und Rückfall von der Gesellschaft isoliert ist (Die Kälte. Eine Isolation, 1981), und schließlich der Rückblick auf seine ersten dreizehn Lebensjahre, in dem er auch von der Verachtung seiner Mutter und der Liebe seines Großvaters erzählt (Ein Kind, 1982)


Seit den 80er Jahren dominieren die Theaterstücke in Bernhards Werk, lange Monologe einsamer, mitunter grotesk komischer Menschen, die alle außerhalb der Gesellschaft stehen. Er entwickelt einen eigenen Erzählstil, der besonders mit Wiederholungen und indirekter Wiedergabe der meist monologischen Rede arbeitet.


Bernhard hat mehrere Stücke dem großen Schauspieler Bernhard Minetti gewidmet, 1976 auch ein Drama nach ihm benannt: Minetti. Darin spielt der Mime sich selbst als erfolglosen, verarmten Schauspieler, der erfolglos auf ein Engagement als König Lear wartet und sich zum Schluss aus Verzweiflung, "Wahrheitsfanatismus" und "Verfolgungswahn" selbst tötet.


Immer wieder gab es Aufregungen um seine Arbeiten: erregte er bereits mit seinen frühen Romanen beim österreichischen Publikum Missfallen, weil sie mit dem Klischee der schönen Heimat brechen, so kam es bei späteren Werken, in denen er mit dem Kulturbetrieb, der Geschichte und der Vergangenheitsbewältigung Österreichs und dem Antisemitismus abrechnet, zu heftigen Auseinandersetzungen (z.B. spektakuläre Beschlagnahmung des Romans "Holzfällen" 1984, Aufregung um sein letztes Theaterstück "Heldenplatz" 1988).


Thomas Bernhard starb am 12. Februar 1989 in Gmunden, Oberösterreich. Er hat als Autor von Gedichten, Erzählungen, Romanen und Theaterstücken ein Gesamtwerk geschaffen, das zu den bedeutendsten schriftstellerischen Leistungen des 20. Jahrhunderts zählt.


Eine testamentarische Verfügung des Autors verbietet zwar sämtliche Aufführungen, Drucklegungen und Rezitationen seiner Werke in Österreich, seit Gründung der T.-Bernhard-Stiftung 1998 wird diese Bestimmung von den Erben Bernhards aber nicht mehr aufrecht erhalten.


Das Thomas-Bernhard-Archiv in Gmunden am Traunsee (eine Einrichtung der Thomas Bernhard Privatstiftung) macht die literarischen Nachlässe von Thomas Bernhard und seinem Großvater Johannes Freumbichler öffentlich zugänglich.


--> Thomas Bernhard im Interview zu den Salzburger Festspielen (Video-Album)

Auszeichnungen, Preise (Auswahl)#

  • Österreichischer Staatspreises für Literatur (1967)
  • Anton-Wildgans-Preis (1968)
  • Georg-Büchner-Preises (1970)
  • Grillparzer-Preis (1972)
  • Premio Mondello (1983)
  • Prix Medicis (1988)

Werke (Auswahl)#

  • Auf der Erde und in der Hölle, Gedichte, Salzburg 1957
  • In hora mortis, Gedichte, Salzburg 1958
  • Unter dem Eisen des Mondes. Gedichte, Köln 1958
  • die rosen der einöde. fünf sätze für ballett, stimmen und orchester, Frankfurt/Main 1959
  • Die Irren / Die Häftlinge, Privatdruck, Klagenfurt 1962
  • Frost, Roman, Frankfurt/Main 1963
  • Amras, Frankfurt/Main 1964
  • Verstörung, Roman, Frankfurt/Main 1967
  • Prosa, Frankfurt/Main 1967
  • Ungenach, Erzählung, Frankfurt/Main 1968
  • Watten, Ein Nachlaß, Frankfurt/Main 1969
  • Ereignisse, Berlin 1969
  • An der Baumgrenze, Erzählungen, Salzburg 1969
  • Ein Fest für Boris, Frankfurt/Main 1970
  • Das Kalkwerk,. Roman, Frankfurt/Main 1970.
  • Der Italiener, Salzburg 1971
  • Midland in Stilfs, Drei Erzählungen. Frankfurt/Main 1971
  • Gehen, Fankfurt/Main 1971
  • Der Ignorant und der Wahnsinnige, Frankfurt/Main 1972
  • Der Kulterer, Drehbuch 1974
  • Die Jagdgesellschaft, Frankfurt/Main 1974
  • Die Macht der Gewohnheit, Komödie. Frankfurt/Main 1974
  • Der Präsident. Frankfurt/Main 1975
  • Korrektur. Frankfurt/Main 1975
  • Die Ursache. Eine Andeutung. Salzburg1975
  • Die Berühmten. Frankfurt/Main 1976
  • Der Keller. Eine Entziehung. Salzburg 1976
  • Minetti. Ein Portrait des Künstlers als alter Mann. Frankfurt/Main 1977
  • Der Atem. Eine Entscheidung. Salzburg 1978
  • Immanuel Kant. Komödie. Frankfurt/Main 1978
  • Der Weltverbesserer. Frankfurt/Main 1979
  • Vor dem Ruhestand. Eine Komödie von deutscher Seele. Frankfurt/Main 1979
  • Die Billigesser. Frankfurt/Ma1980
  • Die Kälte. Eine Isolation. Salzburg1981
  • Über allen Gipfeln ist Ruh. Ein deutscher Dichtertag um 1980. Komödie. Frankfurt/Main 1981
  • Am Ziel. Frankfurt/Main 1981 Ein Kind. 1982
  • Beton. Frankfurt/Main 1982
  • Wittgensteins Neffe. Eine Freundschaft. Frankfurt/Main 1982
  • Der Untergeher. Frankfurt/Main 1983
  • Der Schein trügt. Frankfurt/Main 1983
  • Holzfällen. Eine Erregung. Frankfurt/Main 1984
  • Der Theatermacher. Frankfurt/Main 1984
  • Ritter, Dene, Voss. Frankfurt/Main 1984
  • Alte Meister. Komödie Frankfurt/Main 1985
  • Auslöschung. Ein Zerfall. Frankfurt/Main 1986
  • Einfach kompliziert. Frankfurt/Main 1986
  • Elisabeth II. Frankfurt/Main 1987
  • Der deutsche Mittagstisch. Dramolette. Frankfurt/Main 1988
  • Heldenplatz. Frankfurt/Main 1988
  • Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen. Drei Dramolette. Frankfurt/Main 1990


Literatur:

  • W. Schmidt-Dengler, Der Übertreibungskünstler, 1989
  • B. Sorg, T. Bernhard, 1992
  • H. Höller, T. Bernhard in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 1993
  • W. Schmidt-Dengler (Hg.), T. Bernhard, 1997
  • A. Pfabigan, T. Bernhard, 1999
  • J. Hoell, T. Bernhard, 2000.



Essay#

Virtuose der Empörung#

Am 9. Februar wäre Thomas Bernhard 80 Jahre alt geworden. Zu Lebzeiten skandalisiert, ist er heute – ungeachtet des von ihm verfügten Österreich-Banns – präsenter denn je.#


Von der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (Donnerstag, 10. Februar 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Daniela Strigl


„Wogte das gesunde Volksempfinden rechts, so kritisierte man links das Totalitäre an Thomas Bernhards Kritik.“


Thomas Bernhard
Thomas Bernhard
Foto: IMAGNO/Otto Breicha

Ginge es nach Werner Schneyder, dann verliefe Thomas Bernhards 80. Geburtstag sang- und klanglos: In zehn Jahren, so prophezeite der als Literaturexperte nicht ganz so brillante Kabarettist nach dem Tod des Schriftstellers 1989, würde der allenthalben Überschätzte vergessen sein. Heute ist Thomas Bernhard präsenter denn je, eher ein Wiedergänger der Erregungskunst als ein Klassiker, von dem naturgemäß nichts Neues kommt.

Seit Jahren füttert Suhrkamp den Markt mit frischen Bernhardiana, mit echten Perlen wie der großen, von Wendelin Schmidt- Dengler und Martin Huber herausgegebenen Werkausgabe, dem noch vom Autor konzipierten Band „Meine Preise“ oder dem Briefwechsel Bernhards mit seinem Verleger Siegfried Unseld. Aber auch mit dubiosen Reader’s-Digest-Büchlein „für Einsteiger und Eingeweihte“, mit Titeln wie „Alles ist lächerlich“, „Naturgemäß“ und „Die Ehehölle“, handliche Sammelwerkchen mit Bonmots für alle Lebenslagen, Bernhard als „Aphorismusagent der Jetztzeit“, als „Schmalkant und Kleinschopenhauer“, wie dieser über Elias Canetti schimpfte. Gegen diese häppchenweise Verwurstung zum literarischen Jausenbrot kann der tote Dichter ebenso wenig einschreiten wie gegen die nun schon lange niemanden mehr aufregende Missachtung seiner testamentarischen Verfügung, es dürfe „innerhalb der Grenzen des österreichischen Staates“ nichts von ihm Geschriebenes „aufgeführt, gedruckt oder auch nur vorgetragen werden“. Ob der Erblasser damit mehr bezweckte als eine Ohrfeige für seine Landsleute, ob er die Ineffizienz seines Letzten Willens nicht von Anfang einkalkuliert, ja gewollt hat, bleibt Mutmaßung. In seinem Roman „Korrektur“ (1975) bestimmt der Protagonist Roithamer, dass nach dem Tod seiner Schwester der Kegel, den er für sie in jahrelangem Perfektionsstreben gebaut hat, der Natur zu überlassen sei: „Inwieweit die Erben Roithamers sich an diese Verfügung halten, kann nicht gesagt werden.“

Kaffeehaus. Zu den bevorzugten Aufenthaltsorten Thomas Bernhards gehörten Kaffeehäuser – Eine Zeichnung aus Bernhards Feder aus dem Jahr 1961 war bei der Thomas-Bernhard-Schau im Theatermuseum 2009/10 zu sehen, Foto: APA/Sammlung Annemarie Hammerstein-Siller
Kaffeehaus. Zu den bevorzugten Aufenthaltsorten Thomas Bernhards gehörten Kaffeehäuser – Eine Zeichnung aus Bernhards Feder aus dem Jahr 1961 war bei der Thomas-Bernhard-Schau im Theatermuseum 2009/10 zu sehen
Foto: APA/Sammlung Annemarie Hammerstein-Siller

Antistaatsdichter, Lyriker, Interviewkünstler#

Und was geschieht heute mit dem phallisch aufgepflanzten kolossalen Kegel des Bernhard’schen Werkes, das nicht der Natur, also dem Zahn der Zeit, überlassen, sondern gehegt und gepflegt wird? Bedürfte es dieses Hegens und Pflegens überhaupt? Um welchen Bernhard geht es in den Geburtstagsfeiern? Um den Antistaatsdichter und Empörungsvirtuosen, um den Dramatiker, den Prosaautor, den existentialistischen Lyriker oder den Interviewkünstler?

In dem Maße, in dem der Firnis der öffentlichen Begleitmusik von einstmals wild umstrittenen Werken abgeht, zeigen sich diese als wertbeständig: Sicher ist „Holzfällen“ (1984) ein Schlüsselroman, in dem man nur dürftig verkleidete Figuren des Wiener Kulturlebens in teils ausgesprochen unvorteilhafter Beleuchtung entdecken kann, vom Komponisten Gerhard Lampersberg, der bei Gericht die Beschlagnahme des Buches erwirkte, über die Autorin Jeannie Ebner bis zum Burgschauspieler Walther Reyer. Aber „Holzfällen“ ist auch ein radikal selbstkritisches Nachdenken über die eigene Jugend, den Weg zum Ruhm und den Drang zur Anpassung, eine Hommage an tote Freunde und – wie Alfred Pfabigan gezeigt hat – ein Codewort für homosexuelle Avancen. Und natürlich ist das Drama „Heldenplatz“ (1988) ein Stück über dieses Land und seine Selbstvergessenheit, es ist aber auch ein Stück über die Unfähigkeit zu leben und über den Tod, die Arroganz der machtsatten Sozialdemokratie, den Raubbau an der Natur und über einen unausstehlich rigorosen Juden, den Professor Josef Schuster, der, letztlich auch sich selbst unerträglich, Hand an sich gelegt hat. Vieles von dem haben die Tiraden seines biegsameren Bruders Robert übertönt: „Österreich ist nichts als eine Bühne / auf der alles verrottet / und vermodert und verkommen ist / eine sich selber verhaßte Statisterie / von sechseinhalb Millionen Alleingelassenen / sechseinhalb Millionen Debile / und Tobsüchtige“. Solches vermochte nicht nur die Kronen Zeitung zu inspirieren, sondern auch den notorisch toleranten Altbundeskanzler Kreisky zu erzürnen.

Dass Bernhard seine Skandale nicht passiert sind, sondern dass er es darauf anlegte, zeigt schon der allererste, den 1955 seine Polemik gegen das Salzburger Landestheater in der FURCHE auslöste: Gegen sein Verdikt, die Bühne verkomme durch „sauer gewordene Schlagobersmärchen“ zum „Rummelplatz des Dilettantismus“, klagte der Intendant. Dies kann man in der jüngsten Sammlung Bernhard’scher Zeitungstexte und Interviews, „Der Wahrheit auf der Spur“, ebenso nachlesen wie eine Hommage an Josef Weinheber: Nichts schaffe mehr „Gemüt und Österreichertum und Deutschtum zugleich“ als „Zwischen Göttern und Dämonen“ – „darum sei über den Menschen, über die brennende hilfesuchende Glut, Verzeihen gebreitet“, das ist alles, was dem jungen Bernhard zur Traumkarriere im Dritten Reich einfällt.

Gerade als „Übertreibungskünstler“ des Politischen saß Bernhard zwischen den Stühlen: Wogte das gesunde Volksempfinden rechts, so kritisierte man links das Totalitäre seiner Kritik. Bernhard schreibe in Wahrheit immer dasselbe Buch, schrieb Sigrid Löffler in immer derselben Rezension. Werner Schneyder behauptete, Bernhard habe als ein „Wegbereiter Haiders“ den „Faschismus im Denken“ salonfähig gemacht. Unnachahmlich präzis Elfriede Jelineks Urteil: „So affirmiert Bernhard die Gesellschaft in seiner Rolle als Kritiker, als Schablone des Kritikers schlechthin, gerade indem er sie kritisiert, die doch längst sein Lebensinhalt geworden ist.“

„Ritter,... Dene, Voss“: Das 1986 bei den Salzburger Festspielen mit den titelgebenden Protagonisten Gert Voss, Kirsten Dene und Ilse Ritter (v. l.) uraufgeführte Stück lief danach auch mit großem Erfolg am Wiener Akademietheater, Foto: APA/Gindl
„Ritter,... Dene, Voss“: Das 1986 bei den Salzburger Festspielen mit den titelgebenden Protagonisten Gert Voss, Kirsten Dene und Ilse Ritter (v. l.) uraufgeführte Stück lief danach auch mit großem Erfolg am Wiener Akademietheater
Foto: APA/Gindl

„Zwischen Betroffenheit und Ironie“#

Der literarische Einfluss des „größten Stilisten“ (Jelinek) ist jedenfalls immens und nachhaltig. Die Freude des Bernhard-Lesers an einer Sprachkomposition, an einem kunstvoll gebauten und jählings wie eine Falle zuschnappenden Satz hat eine Kleist’sche Dimension. Nicht nur die Epigonen, auch die Guten verdanken ihm viel: Man denke an Josef Winkler, Gert Jonke, Sibylle Lewitscharoff, Michael Lentz, Imre Kertész, Louis Begley, William Gaddis. Mit dem ersten Roman „Frost“ (1963), der Geschichte des an Misanthropie und Selbsthass verzweifelnden Malers Strauch, ist ein Höhepunkt der Form bereits erreicht und zugleich der tiefste Abgrund des Denkens. Eigentlich kann es nur noch aufwärts gehen, und wirklich sollte Bernhard sein virtuoses „Vexierspiel zwischen existentieller Betroffenheit und Ironie“ (Manfred Mittermayer) erst entwickeln.

Welches Buch würden Eingeweihte wohl „für Einsteiger“ empfehlen? Welchen Zugang zu Bernhards Lebensstudie über großartig verunglückende „Geistesmenschen“ und ihr Erbteil „abschenkende“ Erben? Vielleicht wäre es die atemberaubende Autobiografie, beginnend mit „Die Ursache“. Vielleicht wäre es aber auch ein kleines Buch, die Erzählung „Wittgensteins Neffe“, über Leben und Tod des Freundes Paul Wittgenstein. Denn, ja, Bernhard konnte auch rühmen. Glenn Gould zum Beispiel in „Der Untergeher“ oder Ingeborg Bachmann in seinem letzten Roman, der „Auslöschung“ heißt und Bernhards Namen erst recht unauslöschlich in die Literaturgeschichte einschreibt. Elfriede Jelinek wusste es schon in ihrem Nachruf: „An diesem toten Giganten wird niemand mehr vorbeikommen.“

DIE FURCHE, 10. Februar 2011


Essay#

Thomas Bernhard, der Cowboy#

Leser in den USA entdecken den Säulenheiligen der österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 28. Mai 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Klaus Stimeder


Thomas Bernhard im Café, 1971
Vielleicht liest er ja eine amerikanische Zeitung? Thomas Bernhard im Café, 1971. Foto: © imagno/Otto Breicha

  • Eine Generation von Übersetzern, Kritikern und Schriftstellern setzt sich leidenschaftlich für den Österreicher ein.
  • Manches ist den Amerikanern aber "zu kompliziert".

New York. "Europa? Deutschland? Österreich? Ich bitte Sie, wir sind Amerikaner! Das ist für uns doch alles eins. Auch wenn es in Wirklichkeit kompliziert sein mag, in der Geschichte wie in der Literatur. Uns ist das egal. Wir wollen einfach nur unterhalten werden", sagt "Peck the Knife". "

Der preisgekrönte New Yorker Romanautor (auf Deutsch zuletzt erschienen: "Drifthaus. Die erste Reise", Bloomsbury Berlin), Verleger und Literaturkritiker Dale Peck trägt seinen der "Dreigroschenoper" entliehenen Spitznamen nicht umsonst; wer ihm eine Frage stellt, darf sich nicht wundern, wenn die Antwort weh tut. In diesem Fall hatte sie gelautet: "Inwiefern spielt es für amerikanische Leser eine Rolle, dass Thomas Bernhards Thema im Grunde immer die österreichischen Zustände waren, ein Land als Beleg für die Kontinuitäten des katholischen und des Faschismus nationalsozialistischer Prägung?

Ganz ernst meint es Peck mit seiner Antwort freilich nicht. Dafür ist er zu wenig ignorant gegenüber der Weltliteratur im Allgemeinen und Bernhards Werken im Besonderen; und genau deshalb hatte ihn die "New York Times" als Rezensenten eingespannt. Es galt, die Übersetzung eines posthum erschienenen Werks eines der berühmtesten Schriftsteller Österreichs zu besprechen: "My prizes: An accounting" ("Meine Preise", deutsch bei Suhrkamp), erschienen beim US-Verlag Knopf Publishers, der zum Konzern Random House gehört. "Ich habe ihnen eine Rezension geschrieben und plötzlich wollten sie eine große Geschichte über Bernhard", sagt Peck.

Der Meister über allen#

Nach deren Erscheinen trudelten hunderte Leserbriefe aus dem ganzen Land bei der "Times" ein, die mehr über diesen seltsamen Autor wissen wollten, den der Kritiker in seinem Essay nicht in eine Reihe mit den wenigen in den USA bekannten Literaten deutschsprachiger Zunge stellte (unter anderen Elfriede Jelinek, Günther Grass, Christa Wolf, sowie den in angelsächsischen Ländern extrem populären W.G. Sebald), sondern darüber: "Um es mit einem Schuss Bernhard’scher Galle zu sagen: Verglichen mit dem Meister sind sie alle unterlegen, und zwar deutlich."

Der 1967 auf Long Island geborene und in Kansas City aufgewachsene Peck zählt zu den größten Fans des Säulenheiligen der österreichischen Literatur – in einem Land, in dem dieser lange als praktisch unbekannt galt. "Ich weiß noch, als ich Ende der 90er meinen ersten Vortrag über Bernhard gehalten habe. Damals war er nur den Germanisten ein Begriff.

Außerhalb akademischer Zirkel war er de facto nicht vorhanden", sagt Fatima Naqvi, Außerordentliche Professorin am German Studies Department der in Rutgers-Universität in New Jersey. Die Literaturwissenschafterin arbeitet derzeit im Auftrag der Northwestern University in Chicago an einem Buch über Bernhard, das 2012 erscheinen soll.

Ein Auftrag, den sie auch dem neu entfachten Interesse an dessen Schaffen verdankt: "Das liegt in erster Linie an den Übersetzungen, von denen viele erst im vergangenen Jahrzehnt erschienen sind. Lange Zeit war es ja so, dass die Amerikaner Bernhard gar nicht lesen konnten, weil es ihn kaum auf Englisch gab." Aber liegt es allein an der Verfügbarkeit, dass der große Polarisierer in den Staaten derzeit eine Renaissance erlebt? "Vielleicht liegt es auch an der für Bernhard typischen hyperbolischen Sprache, seine Kunst der Übertreibung, mit der amerikanische Leser etwas anfangen können. Und vielleicht ist er auch ein Autor, der zu der Phase passt, in der sich die USA seit Anfang des neuen Jahrhunderts befinden: dieses Cowboygehabe, das ihm anhaftet, gepaart mit einer kargen, aber immer selbstbewussten Sprache."

Bis sich Knopf Bernhard in großem Stil annahm – heute sind nahezu sämtliche Prosawerke, von "Frost" (1963) bis "Auslöschung" (1986) auf Englisch erhältlich – gab es nur zwei andere, kleine Verlage, die ihn dem US-Publikum schmackhaft machen wollten: die University of Chicago Press und die Londoner Quartet Books.

Unterschiedliche Geistesart?#

Der Rest schien dem Urteil eines der berühmtesten Literaturkritiker der angelsächsischen Welt zu vertrauen, der keine Zukunft für einen literarischen Erfolg Bernhards in den USA und in Großbritannien sah, "weil sich deren Geistesart so wesentlich von der mitteleuropäischen unterscheidet", wie George Steiner in einem 1983 erschienenen Essay festhielt. Der in Paris geborene Sohn eines jüdischen Wiener Ehepaares, das 1940 gerade noch rechtzeitig vor den Nazis nach Amerika flüchten konnte, sollte nur teilweise recht behalten. Während Bernhards Prosa in punkto Übersetzung praktisch abgearbeitet ist, harrt das Gros seiner Dramen noch der Veröffentlichung. Den Anfang hatte die Theaterwissenschafterin Gitta Honegger gemacht, 1982 mit "Der Präsident" und "Vor dem Ruhestand. Eine Komödie deutscher Seele". Honegger schrieb auch die bisher einzige englische Biografie des Autors ("The making of an Austrian", Yale University Press 2001), die allerdings von den Rezensenten auf beiden Seiten des Atlantiks mehrheitlich schlechte Kritiken bekam.

In den 80ern wurden in weiterer Folge "Ein Fest für Boris", "Ritter, Dene, Voss" und "Der Theatermacher" in den USA veröffentlicht. Von den Zeitungen wurde jede Neuerscheinung mit Respekt, aber weitgehend folgenlos besprochen (der "New Yorker" nannte Bernhard etwa "Austria’s most provocative post-war writer"); die Erscheinung der letzten Übersetzung, "Über allen Gipfeln ist Ruh", ist auch schon wieder sieben Jahre her. Laut Dale Peck hat das weniger mit der Qualität der Stücke zu tun als mit dem schwindenden Interesse seiner Landsleute am Theater: "Mir ist bewusst, dass Stücke wie ‚Heldenplatz‘ in deutschsprachigen Ländern bekannter sind als so mancher seiner Romane. Aber das ändert nichts daran, dass das Theater in den USA zu einer sterbenden Kunstform gehört. Dazu kommt, dass Bernhards Prosa sicher leichter zugänglich ist als seine Stücke."

Und vor allem besser verkäuflich, wie Bernhard-Übersetzerin und -Verlegerin Carol Brown Janeway von Knopf Publishers jüngst im Rahmen einer Lesung im Österreichischen Kulturforum New York betonte: "In den 80ern und 90ern hatte Bernhard in Nordamerika das Image eines ‚writer’s writer‘, eines Schrifstellers, der, wenn überhaupt, nur von anderen Schriftstellern gelesen wurde." Dieses Image Thomas Bernhards bestätigt auch Jonathan Taylor, der in New York als Lektor, Schriftsteller und Journalist arbeitet: "Ich habe seine Bücher durch andere Schriftsteller kennengelernt, wie die meisten in diesem Land." Tatsächlich betonen gestern wie heute zahlreiche prominente US-Literaten den Einfluss Bernhards auf ihr eigenes Schaffen: Don DeLillo, Rick Moody, Gary Indiana oder der im vergangenen Jahr durch die eigene Hand ums Leben gekommene David Foster Wallace.

Auf Verehrungsreise#

Taylor gehört wie Peck und Janeway zu denen, die sich leidenschaftlich darum bemüht haben, Bernhard jene Anerkennung in den USA zu verschaffen, die er ihrer Meinung nach verdient. Taylors Passion ging gar so weit, dass er das berühmte Bauernhaus Bernhards im oberösterreichischen Ohlsdorf besuchte. Seine dortigen Erlebnisse fasste er für das von Bestsellerautor Dave Eggers herausgebene Literaturmagazin "The Believer" unter dem Titel "Admiration journey" ("Verehrungsreise") zusammen. Österreich als Land wie als Zustand spielt in seiner Rezeption der Bernhardschen Schriften trotzdem nur eine untergeordnete Rolle: "Wir lesen ihn wie Franz Kafka oder Samuel Beckett: als sprachgewaltigen, innovativen Autor, als singuläre Erscheinung, wie sie vielleicht alle hundert Jahre vorkommt."

Dass die Aufmerksamkeit, die Bernhard derzeit in den USA zuteil wird, nachhaltig ist, glaubt Taylor nicht, "weil es einen entscheidenden Unterschied gibt: Es ist kein Zufall, dass sein Werk in anderen nicht-deutschsprachigen Ländern schon seit langem bekannt ist, in Spanien, Frankreich oder Italien. Das sind mehrheitlich katholische Länder." Dale Peck sieht hingegen einen anderen Grund für die Tatsache, dass die angelsächsischen Länder Aufholbedarf in Sachen Bernhard haben: "Er wäre in den USA längst populär, wenn er so explizit über den Holocaust geschrieben hätte wie etwa Sebald in ‚Die Ausgewanderten‘. Wir Amerikaner pflegen gewissermaßen einen Holocaust-Kult pflegen. Bernhards Suche nach den Ursachen und der Beschreibung der Folgen des Faschismus ist den meisten von uns einfach zu kompliziert." Eine provokante These, die Thomas Bernhard wohl gefallen hätte, entspricht sie doch einem seiner Leitsätze: Nicht der Inhalt, die Form ist das Entscheidende.

Wiener Zeitung, Samstag, 28. Mai 2011

Quellen#


Redaktion: I. Schinnerl