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!!!Wiener Medizin

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[{Image src='wiener_medizin03.jpg' class='image_left' caption='Oben: „Medicinisches Professoren-Collegium der Hochschule Wien". Beilage zur Zeitschrift „Faust".\\© Brandstätter' alt='Medicinisches Professoren-Collegium der Hochschule Wien' width='400' height='310'}]


Die Ärzte der Zweiten Wiener Medizinischen Schule schufen die Grundlagen, die Wien in der Epoche Kaiser Franz Josephs zum „Mekka der Medizin" machten. Schon vor 1848 veröffentlichte der pathologische Anatom Karl Rokitansky (1878) Abhandlungen, die in einer neuen, originellen wissenschaftlichen Sprache geschrieben waren und die einen neuen Geist im Forschen und Arbeiten ausdrückten. In ihnen überwand Rokitansky naturphilosophisches Denken und fand für so manches medizinische Problem die Lösung auf festem Boden naturwissenschaftlich festgestellter, unwandelbarer materieller Tatsachen. Ihm gleich tat es der Internist Josef Skoda, der im Wiener Allgemeinen Krankenhaus bei Patienten Krankheiten mit den Methoden der Auskultation und der Perkussion der Methode Leopold Auenbruggers (1805) von 1761 diagnostizierte. Skoda verglich nun, wie er 1839 schreibt, seine zahlreichen Beobachtungen an Gesunden und Kranken mit Sektionsbefunden; von Rokitansky sagt man, dass er 65.000 Leichen im Laufe seines Lebens seziert habe. Auch ausländischen Ärzten fiel auf, dass in Wien in der Medizin wieder Dinge zu sehen waren, „die man an allen Orten vergeblich suchte" so Carl August Wunderlich 1841. Auf der neuen naturwissenschaftlichen Basis ruhend, blühte die Medizin auf; allerdings bekam die Diagnostik ein geringes Übergewicht, man sprach vom „therapeutischen Nihilismus" eines Joseph Dietl (1804-1878), der die alten humoralpathologischen Mittel nicht mehr angewandt wissen wollte er beseitigte den Aderlass bei der Pneumoniebehandlung und der auf neue Heilmittel hoffte. Ferdinand Hebra (1880) wurde im Rahmen dieser Schule zum Begründer der wissenschaftlichen Dermatologie, zum Schöpfer eines berühmten „Atlas der Hautkrankheiten". Er wurde auch dadurch bekannt, dass er in einem Selbstversuch das Rätsel der Krätze löste: nicht verdorbene innere „Säfte" waren schuld, sondern die Krätzmilbe. Hebra war auch derjenige, der die erste Nachricht über den „schreibscheuen" Ignaz Philipp Semmelweis (1865) an die medizinische Öffentlichkeit brachte. Semmelweis dem „Retter der Mütter" gelang es, durch das rigoros eingeführte Händewaschen mit wässriger Chlorkalk-Lösung vor der Untersuchung der Schwangeren und Gebärenden die Sterblichkeit an Kindbettfieber fast auf ein Zehntel herunterzudrücken.


[{Image src='wiener_medizin04.jpg' caption='Ludwig Türck. Gemälde von J. Neugebauer. 1876.\\© Brandstätter' width='200' alt='Ludwig Türck' class='image_right' height='249'}]
[{Image src='wiener_medizin05.jpg' caption='Adam Politzer. Gemälde. 1887\\© Brandstätter' width='200' alt='Adam Politzer' class='image_right' height='256'}]


Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist besonders in Wien durch die Erfindung bzw. Entwicklung von Instrumenten gekennzeichnet; dies wiederum war einer der wichtigsten Gründe für die darauffolgende Spezialisierung der Medizin: 1857 erfand Ludwig Tuerck (1868) den Kehlkopfspiegel der Prioritätsstreit mit Johann Nepomuk Czermak (1873) rückte die Laryngologie in den Blickpunkt der medizinischen Welt; 1870 wurde die erste Klinik für Kehlkopfkranke in Wien errichtet. 1879 konstruierten der Urologe Maximilian Nitze (1848-1907) und der Instrumentenmacher Josef Leiter (1830-1892) das erste funktionstüchtige Zystoskop, wobei die Lichtquelle in die Blase eingebracht wurde. Von diesem Leiter-Zystoskop ausgehend, wurden Oesophagoskope, Gastroskope usw. abgeleitet und konstruiert. 1880 gelang Samuel Siegfried Bäsch (1837-1905) die Entwicklung eines Blutdruck-Messgerätes; Bäsch war Leibarzt Kaiser Maximilians von Mexiko (1867) und später gesuchter Arzt in Marienbad.

Die Chirurgie dieser Epoche wurde von der Persönlichkeit Theodor Billroths (1894) dominiert. Seine berühmteste Operation war die am 29. Jänner 1881 durchgeführte erste erfolgreiche Pylorusresektion der Welt; Billroth ist schulbildend geworden, und Chirurgen in ganz Europa nannten ihn stolz ihren Lehrer.


Trotz der großartigen Wirkung der Zweiten Wiener Medizinischen Schule kam es immer wieder zu Epidemien und Seuchenzügen (z. B. Cholera). Die Monarchie musste also auch sanitätspolitische Maßnahmen ergreifen; auch die Säuglings- und Kindersterblichkeit (im ersten Lebensjahr) war sehr hoch und bewegte sich um 25 Prozent. Am 30. April 1870 wurde das Reichssanitätsgesetz (Gesetz zur Organisation des öffentlichen Sanitätsdienstes in Österreich) beschlossen; an ihm hatte Jaromir Mundy (1894) maßgeblich mitgewirkt. Mundy hat nach dem Brand des Wiener Ringtheaters gemeinsam mit den Grafen Wilczek und Lamezan 1881 die Wiener Freiwillige Rettungsgesellschaft gegründet. Durch den Bau der ersten beiden Wiener Hochquellenwasserleitungen in dieser Epoche (1873 und 1910) wurden die sanitären Verhältnisse ebenfalls verbessert.


[{Image src='wiener_medizin06.jpg' caption='Theodor Billroth im Hörsaal. Gemälde v. A. F. Seligmann. Um 1880\\© Brandstätter' width='300' alt='Theodor Billroth im Hörsaal' class='image_left' height='322'}]

1884 gelang Karl Koller (1857-1944) die Entdeckung der Lokalanästhesie am Auge, eine Entdeckung, die zum Ausgangspunkt für lokale Schmerzverhinderung in verschiedenen Spezialfächern wurde. Kaum waren 1896 die Röntgenstrahlen bekannt geworden, verwendete Leopold Freund (1868-1943) in Wien ihre biologische Wirkung zum Einsatz in der Therapie: er entfernte ein „Tierfell" am Rücken eines Mädchens. Wenige Jahre später, 1900, hat Karl Landsteiner (1943) die Blutgruppen entdeckt, 1940 nachdem er nach dem Ersten Weltkrieg schon emigriert war, in Amerika den Rhesus-Faktor. Um dieselbe Zeit, an der Schwelle des neuen Jahrhunderts, arbeitete der berühmte Kinderarzt, Clemens von Pirquet (1929), an dem Allergiebegriff (1906); er hat auch die Tuberkulin-Probe zum Nachweis der Tuberkulose entwickelt.


Psychiatrie und Neurologie wurden vom Gehirnanatomen Theodor Meynert (1892) beherrscht, später von Julius Wagner-Jauregg (1940), dem die Malariatherapie der progressiven Paralyse gelang. Es darf aber nicht vergessen werden, dass in genau demselben wissenschaftlichen Umfeld Sigmund Freud (1939) die Psychoanalyse entwickelte.

Gerade noch zu Lebzeiten Kaiser Franz Josephs erhielt Robert Bárány (1876-1936) den Nobelpreis für die Entdeckung des „kalorischen Nystagmus", einer diagnostischen Methode der Ohrenheilkunde. Die Nobelpreisverleihung an Wagner-Jauregg und an Landsteiner fielen schon in die Zeit der Ersten Republik.

!Quellen
* P. Csendes, Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs I., Brandstätter Verlag, 1989 


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Wagner - Jauregg ist heftig umstritten, schließlich "psychiatrierte" er ''ohne Untersuchung''(!!!) Alexander Girardi, um an dessen Geld zu kommen. Die daraus resultierende Psychiatrie-Reform war auf Anregung von Katharina Schratt die größte der Donaumonarchie und gehört zu den fundamentalen Leistungen der Wiener Medizinischen Schule.

Die Publikationen Wagner-Jaureggs während der NS-Zeit sind aus heutiger Sicht völlig unhaltbar, da ihnen ganz offensichtlich das damalige ns-ideologische Menschenbild zugrunde liegt. Die Benennung der psychiatrischen Klinik in Linz nach ihm scheint aus vielen Gründen, auch wegen der Behandlung Girardis, die bei den Gutachten nicht berücksichtigt wurde, nicht nachvollziehbar und leider bezeichnend. (Siehe Artikel W.J. und Girardi im Forum, siehe auch wikipedia).

-- Glaubauf Karl, Mittwoch, 11. Januar 2012, 18:31