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!!!19. Dezember - Brauch ohne Glaube

%%small © [Dr. Helga Maria Wolf|User/Wolf Helga Maria]%%


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Wenn Weihnachten schon vor einem Jahrzehnt nur noch für jeden vierten
Deutschen und 14 Prozent der Österreicher ein religiöses Fest war, wird
man die von Leopold Schmidt geprägte Bezeichnung "Brauch ohne Glaube"
wertfrei verwenden müssen. Die vielen neuen Bräuche, die in der
Vorweihnachtszeit entstehen, haben meist andere Funktionen als
religiöse. Andererseits kann sich Glaube verbergen, wo man ihn nicht
vermutet.

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Jeder Brauch besteht aus Elementen, die sich auch in ungewohnter Weise
kombinieren lassen. Bei Weihnachten, dem klassischen Fest für alle
Sinne, ist die Auswahl besonders groß. Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Spüren
alles kommt im Weihnachtsquartal auf seine Rechnung. Man sieht dem
Stadtbild an, dass etwas Großes bevorsteht. Häuser und Geschäfte
erstrahlen im Glanz der Lichterketten. Kilometer von Lichtgirlanden sind
in den Einkaufsstraßen montiert worden. "Licht ins Dunkel" lautet das
Leitmotiv, auch im übertragenen Sinn des medienwirksamen Heischebrauchs.
Der Adventszauber regiert - nicht nur in der Großstadt. Wenn etwa im
Burgenland der "Advent im Dorf" angesagt ist, präsentieren sich die
Kirche im Scheinwerferlicht und Häuser mit 100 erleuchteten Fenstern und
phantasievoller Christkind–Dekoration. Allerorten fallen Tannengirlanden
und Plastik-Weihnachtsmänner auf, die Fassaden erklettern oder in Parks
und Gärten herumstehen. Christbäume und neuerdings "Krippen für alle"
sind unübersehbare temporäre Elemente des öffentlichen Lebens geworden.

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1871 berichtete die Familienzeitschrift "Gartenlaube" von einem
"Christbaum für alle" bei Schulen und Kirchen. 1912 stand der erste auf
einem öffentlichen Platz, dem Madison Square in New York. Von 1915 und 1919 gibt es Belege von
elektrisch beleuchteten Christbäumen auf
bekannten Plätzen in Deutschland, Schweden und Norwegen. In Österreich
standen sie seit der Zwischenkriegszeit u. a. vor der Wiener Staatsoper,
in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts schon in mehr als 600 Orten.
Symbolische Baumgeschenke an andere Städte gab es erstmals 1945 von
Norwegen an London.

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[{Image src='Dez_19_002.jpg' caption='Der Weihnachtsmann als Fassadenkletterer.' height='300' class='image_right' alt='Fassadenkletterer' width='170'}]
In Wien steht seit 1959, als die Kärntner einen Christbaum spendeten,
alle Jahre wieder ein Nadelbaum aus einem anderen Bundesland beim
"Christkindlmarkt". Transport, öffentliche Übergabe und die Illumination
mit Hunderten Glühbirnen waren für Leopold Schmidt das klassische
Beispiel für einen Brauch ohne Glaube: "Zu Weihnachten aber naht seit
einiger Zeit aus dem Gebirge eine mächtige Tanne und wird vor dem
Rathaus der Hauptstadt aufgestellt, und die Würdenträger des Landes und
der Stadt begrüßen einander davor, danken gegenseitig für den erwiesenen
guten Willen und wünschen sich und ihren Ländern und Gemeinden ein
'frohes Fest', wie mitunter die merkwürdig verschämte Neuprägung für das
geläufige 'fröhliche Weihnachten' lautet."

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Doch auch wie man im alten Wien "fröhliche Weihnachten" feierte,
war alles andere als fromm. Zumindest, wenn man den
Schilderungen der Aufklärer glauben darf. Josef Richter kritisierte:
"Die Herren langen um ihre Chapeaus, die Mädchen um ihre Pelzchen, man
hängt sich Arm in Arm, neckt sich auf den Treppen, treibt Späße, hüpft
trillernd über die Gasse, bewirft sich mit Schneeballen und langt endlich
vor Lachen halb außer Atem auf dem Balle - nein! - in der Kirche an. Da
geht es ebenso lustig her... man drängt und kneipt sich, macht sich
durch die andächtige Gemeinde mit den Ellbogen Platz und flüstert im
Vorbeigehen den Mädchen, die man kennt oder nicht kennt, Zoten ins Ohr.
Dort pflanzt sich einer an
den Weihbrunnkessel hin und macht sich das Vergnügen, die Vorbeigehenden
reichlich mit Wasser zu segnen. Hier übersieht einer, von vielen
Lichtern geblendet, die Altarstufe und fällt zur Freude der versammelten
Christen, so schwer und lang er ist, die Erde hin."

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Heute wird zu Weihnachten meist der Schenkbrauch kritisiert. Er kann,
wenn man so will, auf die Gaben der Hirten und der Drei Könige
zurückgeführt werden. Heischebräuche in der Weihnachtszeit hatten den
Sinn, Arme zu beschenken, um das eigene Seelenheil zu retten. Jetzt sind die Österreicher Spendenweltmeister. Übrigens hat Leopold Schmidt auch
den Begriff "Brauch des schlechten Gewissens" geprägt.

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[{Image src='Dez_19_003.jpg' caption='Nicht nur Philatelisten freuen sich alle Jahre wieder...' width='300' alt='Briefmarken' class='image_left' height='149'}]
[{Image src='Dez_19_004.jpg' caption='...auf die Weihnachtssondermarke' width='300' alt='Briefmarken' class='image_right' height='148'}]
Nicht nur Unterprivilegierte wurden mit Gaben bedacht. Ein Fürstenbuch
aus dem 13. Jahrhundert berichtet, dass die Wiener Fleischhauer ihrem
Herzog Leopold 30 Rinder als "Weisad" brachten und sich die Bäcker mit
"Kipfeln " und "Striezeln" einstellten, deren Teig "weißer als ein
Hermelin" war. Die Weihnachtsgaben der Bürgerschaft an die Landesfürsten
waren schon zur Zeit der Babenberger Pflicht. 1379 sind Kosten von 130
Pfund für die Kleinode des Herzogs zu Weihnachten überliefert. 1418 bis
1504 erhielt das Herrscher-Ehepaar Pokale aus vergoldetem Silber. Auch
städtische
Beamte und der Bürgermeister mussten bedacht werden. Kinderbeschenktage
standen anfangs im Zusammenhang
mit Heiligenfesten. Bis ins 13. Jahrhundert war das Fest der
Unschuldigen Kinder am 28. Dezember der traditionelle Termin. Dann
machten die zunehmende Verehrung des hl. Nikolaus und sein
Schülerpatronat ihn zum Gabenbringer für die Buben. Lucia bescherte die
Mädchen. Mit der Ablehnung des Heiligenkultes durch die Reformation
verschob sich der Termin auf Weihnachten. Nachdem in der
Biedermeierkultur Weihnachten zum bürgerlichen Familienfest geworden
war, sagte man den Kindern, das Christkind bringe die Geschenke. Der
Brief ans Christkind, regional unterschiedlich auch an den Nikolaus oder
Weihnachtsmann, musste besonders schön geschrieben werden. Spielzeug
Stand darin an erster Stelle: Steckenpferd, Soldaten und Baukasten für
die Buben, Puppe, Puppenstube und Sparkasse für die Mädchen.


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Wohin sollten sie die Wunschzettel schicken? Als Adresse boten sich Orte
mit entsprechenden Namen an, wie "4411 Christkindl" in Oberösterreich.
Hunderte Kinder aus aller Welt senden alle Jahre wieder ihre Briefe
dorthin. Jedes erhält auf seine Zuschrift eine Antwort und eine kleine
Überraschung. Das erste Weihnachtspostamt wurde 1950 eingerichtet, um
Grußsendungen mit besonderen Stempeln zu versehen. Bis 26. Dezember gibt
es ein Motiv, bis 6. Januar ein zweites. Im ersten Jahr zählte man
42.000 Sendungen, 1955 bereits eine halbe Million. 1965 war die
Millionengrenze überschritten. Inzwischen gehen alljährlich mehr als
zwei Millionen Weihnachtsgrüße über Oberösterreich in die Welt. In den
vergangenen 54 Jahren wurde in der "himmlischen Werkstätte" der Post 80
Millionen Mal der Sonderstempel aufgedrückt. Wenn man einen Brief über
Christkindl verschicken will, verdoppelt sich das Porto.
Weihnachtsmarken gibt es in Österreich seit 1958. Ab 1967 fällt der
Erstausgabetag mit dem Eröffnungstag des Postamts 4411 zusammen - und es
gibt einen Ersttag
Zusatzstempel. 2004 produzierte die Staatsdruckerei elf Millionen
Weihnachtsmarken.


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[{Image src='Dez_19_005.jpg' caption='Der Alt-Wiener Christkindlmarkt will eine Alternative zur Einkaufshektik bieten.' width='300' alt='Alt-Wiener Christkindlmarkt' class='image_left' height='215'}]
Das Weihnachtsgeschäft 2004 lag auf dem Niveau des Vorjahres, bei 1,4
Milliarden Euro. Umsatzzuwächse erzielten u. a. der Elektro– und Foto-,
der Sportartikeleinzelhandel, die Drogerien und Parfümerien, der Uhren-
und Schmuckeinzelhandel. Im selben Jahr gab der "Fonds Gesundes
Österreich" beim ISMA-Institut eine repräsentative Umfrage über die
generellen Befindlichkeiten der Österreicherinnen und Österreicher
in der Vor- und Weihnachtszeit in Auftrag.
Dabei äußerten 90 Prozent der Befragten, es sollte mehr Wert auf
"Stille, Besinnung und innere Einkehr" gelegt werden. 72 Prozent
wünschten sich stärkere "Rückbesinnung auf religiöse Werte und
Traditionen". 76 Prozent stimmten der Aussage "Weihnachten hat seinen
eigentlichen Sinn verloren, im Vordergrund steht der Kaufrausch" zu. 46
Prozent meinten: "Weihnachten ist für viele das Fest der Einsamkeit, des
Streits und der Traurigkeit" und 34 Prozent gaben zu: "Ehrlich gesagt
bin ich meistens froh, wenn Weihnachten vorbei ist."               



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