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Vorwort von Walter Thirring#

Bild 'thirring'
Die Zentralbibliothek für Physik hat mich auf meinem Weg begleitet, ja sie war sogar schon meine Kinderstube. Mein Vater hatte nämlich gerade die Räume im vierten Stock des Gebäudekomplexes Währinger Straße/Strudlhofgasse/Boltzmanngasse, in dem auch die Zentralbibliothek untergebracht war, als Dienstwohnung zugeteilt bekommen. Deswegen sind bei der Lektüre dieses Buches einige der angeführten Personen als Jugendgefährten vor meinem Auge wieder auferstanden. Herr Regentik als altes, drahtiges Männlein, ein gestrenger Buchbinder, der als Laborant fungierte. Für mich war das größte Vergnügen, mit ihm auf dem Gang Fußball zu spielen, oder wenn er mich in Turnübungen einführte. Herr Ludloff war von ganz anderer Natur, sehr distinguiert und scheinbar eine bedeutende Persönlichkeit. Doch wie wir in diesem Buch lesen, war er in Wirklichkeit ein armer Tropf. Er arbeitete für seinen Lebensunterhalt in der Bibliothek, doch als mein Vater dafür beim Ministerium um eine finanzielle Unterstützung ansuchte, verlangte man seitens der Behörde die Einholung einer Beschäftigungsbewilligung - wegen nur vierzig Schilling pro Monat! Mir kam im Lauf der Zeit immer mehr zu Bewusstsein, dass sich die sozialen Unterschiede der Ersten Republik auch im Institut eingenistet hatten, und als ich 1959 sein Vorstand wurde, erkannte ich es als meine dringendste Aufgabe, diese zu verringern.

1938 verjagten die Nazis meinen Vater von Professur und Dienstwohnung, doch als ich 1946 mein Physikstudium in Wien fortsetzte, wurde die Zentralbibliothek wieder mein Zuhause. Herr Chorherr hatte sie über den Krieg gerettet und sammelte jetzt wie eine Biene. Für uns war es sehr wichtig, die ganze Physikliteratur parat zu haben, aber diese Fülle war für einen Anfänger natürlich erdrückend. Ich dachte mir, Einstein stünde für Qualität, und ich wollte mich in seine vereinheitlichte Feldtheorie einarbeiten. Dabei störte, dass in der Nazizeit ein Verrückter Einsteins Arbeiten aus den Journalen herausgeschnitten hatte. Aber noch mehr störte mich, dass die damalige Physikergeneration für Einsteins Arbeiten kein Interesse aufbrachte, sondern nur marktschreierisch verkündete, der Atomkern würde die letzten Rätsel verbergen. Heute können wir die Bedeutung dieser Entwicklungen besser ermessen und sehen, dass der Atomkern zwar ein interessantes, komplexes Gebilde darstellt, ihm aber keinerlei fundamentale Bedeutung zukommt. Die Vereinigung aller Kräfte ist nach wie vor das Ziel, das vielen vorschwebt, doch wie Einstein das wollte, geht es sicher nicht. Wir sehen also: Die in einer Bibliothek gespeicherte Information allein genügt nicht. Auf deren Wertung kommt es an, doch diese verlangt eine Eingebung, die sich rationalen Maßstäben entzieht.

Bei meiner Rückkehr nach Wien 1959 teilten sich Bibliothek und Institut für Theoretische Physik die Räume des vierten Stocks, und ich kam zwischen die Fronten des sich ergebenden Interessenskonflikts. Die Institutsangehörigen lagen mir immer in den Ohren, dass Chorherr unersättlich wäre und uns schließlich verdrängen würde. Andererseits beteuerte Chorherr, der Ausbau der Bibliothek wäre nur im Interesse des Instituts. Ich hatte einstweilen gelernt, dass Kooperieren besser ist als Konkurrieren, und schließlich gelang uns der Ausbau des fünften Stocks, den wir uns redlich teilten.

Doch die Zeit und ihre Probleme bleiben nicht stehen und das Zeitalter des elektronischen Datentransfers bringt wieder ganz andere Herausforderungen. Deswegen ist es für mich eine Befriedigung zu sehen, dass Dr. Kerber, Chorherrs Nachfolger, dies rechtzeitig erkannt hat und wir mit der Zentralbibliothek jetzt eine der besten Informationsquellen bei der Hand haben.



© Bild und Text öster. Zentralbibliothek für Physik