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Robert Sedlaczek: Wenn ist nicht würdelos #

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Robert Sedlaczek: Wenn ist nicht würdelos. Rot-weiß-rote Markierungen durch das Dickicht der Sprache. Verlag Ueberreuter Wien 2009. 200 S. € 19,95

Robert Sedlaczek, Germanist, Anglist, Publizist, war langjähriger Geschäftsführer des Österreichischen Bundesverlages. Er verfasste zahlreiche Bücher zum Thema Sprache, wie "Das österreichische Deutsch" und wirkt jetzt als Kolumnist der Wiener Zeitung. Sein jüngstes Buch verspricht "rot-weiß-rote Markierungen durch das Dickicht der Sprache". In diesem Urwald wuchern denglische Exoten, lässt die Rechtschreibreform Kraut und Unkraut durcheinander gedeihen, und oben in den Wipfeln hocken selbst ernannte Sprachgurus, um ihre persönliche, norddeutsche, Sprechweise als Norm zu etablieren.

Bekanntlich gilt: "Was lebt, wächst". Die Sprache lebt, das zeigt die Gegenüberstellung des Bibelverses Mt. 21,19 (Jesus verflucht einen Feigenbaum) aus den Jahren 830, 1350, 1525 (Luther) und aktuell. Sprachliche Entwicklungen haben früher recht lange gedauert, heute bemerken wir irritiert, wie rasch sich Floskeln in ihr Gegenteil verkehren. So bedeutet die Redewendung "Etwas passt wie die Faust aufs Aug" neuerdings: "Es passt perfekt".

Einerseits wird der Wortschatz immer reicher, andererseits kommt es zu Vereinfachungen: "Das Präteritum geht in Frühpension, der Genitiv wird zum Pflegefall, den Substantiven fallen die Endungen aus und der Konjunktiv kränkelt vor sich hin. Das ist die Ökonomisierung der Sprache." Die Jugendkultur der SMS- und E-Mail-Kommunikation zeigt, wohin der Trend geht. Da wird haben zu ham und viel zu vü verkürzt. Neu ist der unbestimmte Demonstrativartikel son (so ein) mit Formen wie kein son oder zwei son. Dem Autor - und nicht nur ihm - bereiten solche Zukunftsperspektiven Unbehagen. "Dabei weiß ich: Jede Veränderung gilt zunächst als Regelbruch, sie erzeugt Sprachekel bis dann eines Tages der Regelbruch zu einer neuen Regel wird." Viele Beispiele erschrecken, "weil sie aus Mundarten kommen, die uns fremd sind". Seit Maria Theresias Zeiten leiden viele Österreicher unter einem "sprachlichen Minderwertigkeitskomplex". Die Kaiserin engagierte einen Sprachlehrer aus Thüringen, der den Theresianisten "gutes Deutsch" beibringen sollte. Die Pädagogen folgten seinem Beispiel und vieles, was bisher üblich war, galt plötzlich als falsch und wurde in den Dialekt abgedrängt. Im Buch "Allerhand Sprachdummheiten" eines Leipziger Oberlehrers, das erstmals 1891 und zuletzt 1966 erschien, wurden Austriaszismen mit unausstehlichen Provinzialismen gleichgesetzt. "Kein Wunder, dass bei uns viele glauben: in der Mitte und im Norden Deutschlands wird das bessere Deutsch gesprochen", weiß Robert Sedlaczek.

Seine Markierungen beziehen sich auf Ausdruck, Grammatik und Rechtschreibung und bringen auch sonst viel Wissenswertes, etwa über das Grüßen oder Ortsnamen. Die einst zahlreichen, nun auf dem Rückzug befindlichen, starken Zeitwörter und die schwachen Verben, die sich ständig vermehren, sind ebenso interessant wie der doppelte Akkusativ (die Entwicklung wird darauf hinauslaufen, "ich lerne dir…" statt "ich lehre dich…" zu sagen) oder die Genetivitis. Substantivierungen, Beistrichregeln, Nebensätze, Mehrzahlendungen, Relativpronomen sind nur einige weitere Ziele im Sprachdickicht. Nicht zu vergessen, die vergessenen Tempora: "In der Schule haben wir gelernt, dass es sechs Zeiten gibt … Jetzt gibt es ein neues Temporasystem mit neun Zeiten. Wer dieses System versteht, tut sich leichter beim Schreiben und bei Ansprachen."

Manches wird komplizierter, auch die viel zitierte Rechtschreibreform 1996 trägt nicht zur Vereinfachung und Verständlichkeit bei. Bei einer Reihe von Wörtern wurde die Schreibung freigegeben, z.B. Creme oder Krem, Mayonnaise oder Majonäse. Das Kapitel über das Stammprinzip (Stichworte: Gämse, Stängel) betitelt der Autor "Ein belämmerter Tollpatsch schnäuzt sich". Englische Lehnwörter wie Lady und Baby bekommen eine halb eingedeutschte Mehrzahl: Es heißt nur Ladys und Babys, nicht ladies und babies. Denglisch, die deutsch-englische Promenadenmischung, ist nicht aufzuhalten. Während man sich an Look, Touch und Talk schon gewöhnt hat, suchen bundesdeutsche Sprachpolizisten nach Ersatz. Der Anglizismen-Index des "Vereins Deutsche Sprache" macht aus Ketchup - Tomatenmus, aus Sandwich - Doppelbrot oder gar Klappstulle, Medley wird zu Potpourri und Model zu Mannequin. Manches Lehnwort aus der Computer-Fachsprache verschwindet nach einiger Zeit eh (schon erlaubt !) von selbst, wie attachment (Anhang), logout (abmelden) oder provider (Netzanbieter), statt Computer hört man immer öfter Rechner. Die Abhandlung "Wenn der Leberkäse gehen lernt" erstreckt sich über zwei Kapitel und erklärt, warum die OMV Leberkäse zu go! und Wiener Burger anbietet.

Robert Sedlaczek hat "Wenn ist nicht würdelos" mit viel Humor geschrieben. Dafür sorgt schon die Auswahl der Themen, unter denen sich auch Überlegungen zu Political Correctness, Binnen-I, Füllwörter, Floskeln, Sport und Mundart finden. Am Ende steht jeweils ein Kasten ("Hätten Sie's gewusst ?") mit Beispielen, die oft für Überraschung sorgen. Der Autor versteht sein Buch als Anstoß, "über die Vielfalt der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten nachzudenken." Jeder brauche heutzutage "viele unterschiedliche Register, um den richtigen Ton zu treffen. Wie auch immer und mit wem auch immer kommuniziert wird: Bemühen wir uns um ein gutes Deutsch österreichischer Prägung !"