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Robert Sedlaczek und Reinhardt Badegruber: Wiener Wortgeschichten#

Bild 'Wortgeschichten'

Robert Sedlaczek und Reinhardt Badegruber: Wiener Wortgeschichten. Von Pflasterhirschen und Winterschwalben. 248 S., Abb. von Reinhilde Becker. € 14,90

Kann die Lektüre eines Wörterbuchs Spaß machen? Ja, sogar sehr, wenn es sich um das Lesebuch zum Wörterbuch des Wienerischen handelt. Und wenn die Autoren nicht nur ausgewiesene Fachleute, sondern auch erfahrene Journalisten sind und es ihnen Spaß gemacht hat, diese Texte zu schreiben (wie sie im Vorwort einräumen). Dr. Robert Sedlaczek verfasst seit 2005 wöchentlich eine Sprachkolumne in einer österreichischen Tageszeitung Er schrieb u. a. "Kleines Handbuch der bedrohten Wörter Österreichs," "Das österreichische Deutsch, " Wenn ist nicht würdelos", "Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs " und "Wörterbuch des Wienerischen". Dr. Reinhardt Badegruber leitet die Öffentlichkeitsarbeit bei Radio Wien, 2011/12 gestaltet er im ORF das tägliche Quiz "Sprechen Sie Wienerisch?. Die Illustrationen stammen von Reinhilde Becker, deren Zeichnungen man aus dem Ö1-Magazin "gehört" kennt.

Vielleicht spiegelt die Geschichte der Verwendung des Wienerischen gerade in Radio Wien die wachsende Wertschätzung der Stadtmundart. Vor genau 20 Jahren wurde das ORF-Landesstudio im Hinblick auf die kommenden privaten Mitbewerber als "Das neue Radio Wien" vollkommen umgestaltet. Statt Sendungen gab es Sendeflächen, die Musikformate wurden völlig anders, junge Redakteure erfanden alles neu. In den kreativen Diskussionsrunden kam man auch auf die Sprache zu sprechen. Wienerische Färbung ? Nein, nur das nicht, das sei altmodisch, die Zielgruppe sollte doch jünger werden. Nun gibt es aber seit zwei Jahren täglich in der Frühsendung die Rubrik "Sprechen Sie Wienerisch?". Der Hörerandrang ist gewaltig, 100-Euro-Einkaufsgutscheine locken, wenn man weiß, was Budlhupfer (Verkäufer), Hapfn (Bett) oder Zäzn (ängstliche junge Frau) heißt. Ende 2012 bildet ein prominent besetztes Fest im "Metropol" dann den Abschluss der Erfolgsserie. In einer auflagenstarken Wiener Gratiszeitung wechseln sich die Entertainer Peter Rapp und Dieter Chmelar als Kolumnisten ab. Unter dem Titel "Wiener Seele" bzw. "Seitenhiebe" fragen sie die Leserschaft, was einzelne Wiener Vokabel bedeuten - und erhalten erheiternde Antworten. Wahrscheinlich ist es mit dem Dialekt wie mit dem Dirndl: je mehr die Globalisierung fortschreitet, umso interessanter erscheinen Versatzstücke aus der eigenen Tradition. Teile daraus zu verwenden, ist nicht altmodisch, sondern das Gegenteil.

Robert Sedlaczek und Reinhardt Badegruber liegen mit ihren Wortgeschichten im Trend. Sie erzählen Unterhaltsames und Wissenswertes über wienerische Ausdrücke und Wendungen – von ihrer Herkunft, ihrer genauen Bedeutung und ihrem Eingang in den Sprachgebrauch. Wie schon in den Wörterbüchern von Robert Sedlaczek belegen im Lesebuch Zitate aus Wienerliedern, Kabarettprogrammen und Kinofilmen die Verwendung der Ausdrücke. Die Autoren bringen auch Anekdoten und eigene Jugenderinnerungen: Bei Sedlaczek "auf Lepschi gehen" (Zum Vergnügen ausgehen), bei Badegruber das "Binkerl" (Bündel).

Die Autoren nehmen die Beschäftigung mit der Sprache von ihrer heiteren Seite. Sie wollen sich aber von Spaßbüchern wie "das pfiffigste Schimpfwörterbuch aller Zeiten" scharf abgrenzen. Einige Wörter stammen aus einer Zeit, in der von Gleichberechtigung und Political Correctness noch keine Rede war. "Aber was können Wörter dafür, dass sie in den Dreck gezogen werden ?", fragen die Autoren. Nach einer Auseinandersetzung zwischen den Brüdern Jacob Grimm (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) und dem Germanisten Christoph Adelung (1732-1806) stehen sie auf Seiten der Märchensammler: Es sei die Pflicht, auch solche Wörter zu dokumentieren. Diese seien nur deshalb heruntergekommen, weil die vornehme Welt sie durch fremde, nichtssagende ersetze, wodurch sie in Vergessenheit geraten würden.

Von "Abschmieren" (beobachten) bis "Zizibe" (kokettes, zimperliches Mädchen) handeln die 100 Wiener Wortgeschichten, von alten und neuen Wörtern und von vielen, deren Bedeutung sich gewandelt hat. Ein Beispiel dafür ist der im Titel zitierte Pflasterhirsch: Früher ein kleines, städtisches Fuhrwerk, "hat der Ausdruck heute Bedeutungen, die mit dem ursprünglichen Wortsinn nichts mehr zu tun haben." Das zweite "Tier", die Winterschwalbe, ist harmlos geblieben. Es handelt sich um den Maronibrater, der zu Beginn der kalten Jahreszeit in der Stadt Einzug hält. So nebenbei erfährt man in dem Artikel, dass ein Stanitzel ein spitzes Papiersackerl ist und die Maroni früher "Kästen", eine Verballhornung von Kastanie, genannt wurden. Als Draufgabe folgt noch der alte Kaufruf der Maronibrater, die ursprünglich aus Italien kamen und auch Äpfel brieten: "Maroni, maroni arrostiti, bratene Äffel".

Ältere Leser fühlen sich in Zeiten versetzt, in denen der Wiener Mundartdichter Josef Ludwig Wolf (1896-1960) reimte: "Wann S' wo auf der Gassan gehngan und die Leut net recht verstehngan , dann san S' ka rechts Weana Kind. Passen S' auf und lernen S' gschwind: A Kramuri is a Glumpert, Graffelwerk des is a Kram, und wann's irgendwo recht pumpert, mir a Remasuri ham …" Robert Sedlaczek hat lange nachgedacht, was er auf die Frage nach seinem Lieblingswort antworten soll und sich für "bagschierlich" (herzig, entzückend) entschieden. Welche Überraschung, dass dasselbe Wort in der Steiermark für "streitsüchtig, grob, unzugänglich" steht. Das Wienerische, so schließt er, wird von "patschierlich" (von patschen) oder "beigeschirrig" (zweites, kleines Zugtier eines Wagens) abgeleitet, das steirische vom mittelhochdeutschen bagen (laut schreien, streiten).

Nach der Beerdigung der prominenten Mundartforscherin Univ. Prof. Maria Hornung (1920-2010) auf dem Döblinger Friedhof trafen sich auserwählte Gäste im nahe gelegenen Restaurant "Salettl". Hier entspann sich ein Gespräch über die Bezeichnung des Lokals. Sie gehe auf das italienische Saletta, die Verkleinerung von Sala (Saal) zurück, wörtlich: kleiner Saal. In Österreich meint man mit Salettl einen offenen Gartenpavillon. So hat ein Wort zwei Verkleinerungsformen, eine italienische und eine wienerische. Dass man gerade hier und zu diesem Anlass über die Etymologie eines Wienerischen Ausdrucks diskutierte, hätte Frau Prof. Hornung sicher gefreut, meinten die Gäste.